The Project Gutenberg EBook of Verrocchio, by Hans Mackowsky This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have to check the laws of the country where you are located before using this ebook. Title: Verrocchio Author: Hans Mackowsky Editor: Hermann Knackfuß Release Date: November 30, 2020 [EBook #63924] Language: German Character set encoding: UTF-8 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK VERROCCHIO *** Produced by Peter Becker, Reiner Ruf, and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net
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Liebhaber-Ausgaben
Künstler-Monographien
In Verbindung mit Andern herausgegeben
von
H. Knackfuß
LII
Verrocchio
Bielefeld und Leipzig
Verlag von Velhagen & Klasing
1901
Von
Hans Mackowsky
Mit 80 Abbildungen nach Gemälden, Zeichnungen und Skulpturen.
Bielefeld und Leipzig
Verlag von Velhagen & Klasing
1901
Von diesem Werke ist für Liebhaber und Freunde besonders luxuriös ausgestatteter Bücher außer der vorliegenden Ausgabe
eine numerierte Ausgabe
veranstaltet, von der nur 50 Exemplare auf Extra-Kunstdruckpapier hergestellt sind. Jedes Exemplar ist in der Presse sorgfältig numeriert (von 1–50) und in einen reichen Ganzlederband gebunden. Der Preis eines solchen Exemplars beträgt 20 M. Ein Nachdruck der numerierten Ausgabe, auf welche jede Buchhandlung Bestellungen annimmt, wird nicht veranstaltet.
Die Verlagshandlung.
Druck von Fischer & Wittig in Leipzig.
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Seite
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I.
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Das Urteil der Nachwelt
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II.
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Die Mitwelt
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III.
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Äußere Lebensumstände. Aussehen und Gestalt
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IV.
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Erziehung, Lehrzeit und erste Werke
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V.
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David
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VI.
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Das Medicigrabmal
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VII.
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Der Knabe mit dem Delphin
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VIII.
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Kleinere Arbeiten für die Medici. Büsten. Reliefs. Wachsfiguren.
Verrocchio als Restaurator der Antike und Festdekorateur
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IX.
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Madonnen
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X.
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Das Ehrengrab des Kardinals Forteguerri
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XI.
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Das Marmorrelief vom Grabmal der Francesca
Tornabuoni. — Das Silberrelief am Johannisaltar
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XII.
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Christus und Thomas an Or San Michele
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XIII.
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Das Reiterdenkmal des Colleoni
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XIV.
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Gemälde und Zeichnungen
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XV.
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Die Schule. Leonardo da Vinci
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st der Nachruhm, den ein Künstler genießt, allein maßgebend für seinen Wert und sein Talent? Leistet der immer wiederholte Name die sicherste Gewähr für die Größe dahingeschwundener Meisterschaft? Und verleiht nur die stattliche Zahl weithin sichtbarer Werke einem Künstler Gewalt und Fortwirken in die Zukunft hinaus? Sobald diese und ähnliche Fragen aufgeworfen werden, bleibt Verrocchio hinter den Anforderungen, die man an den Künstler von höchstem Rang und Wuchse stellt, zurück. Sein Name hallt nicht mit immer gleichem Erzklang durch die Jahrhunderte, die uns von ihm trennen; die Schar seiner Bewunderer ist nicht zu jener völkerumfassenden Gemeinde angeschwollen, wie sie die Herrlichsten unübersehbar umdrängt. Und wenn auch eines seiner nicht eben zahlreichen Werke, der Colleoni, den unbestrittenen Ruhm genießt, das schönste Reiterdenkmal der Welt zu sein, so war es diesem Werke doch nicht vorbehalten, nachschaffenden Generationen Vorbild und Muster zu werden.
Zu den Unerreichbaren, die an den Tafeln des Überflusses gesessen, gehört Verrocchio nicht. Er zählt aber auch nicht zu jenen, die nur der Treue wissenschaftlicher Forschung ein mühsam erhaltenes Dasein danken. Goethe nennt ihn gelegentlich „einen denkenden, durchaus theoretisch begründeten Mann“ und hat, ohne dem Meister näher getreten zu sein, mit diesen Worten wohl den Eindruck festgehalten, den man seinerzeit mit dem Namen Verrocchio verband. Erst das Verständnis unserer Tage für die Meister des Quattrocento ist auch Verrocchio zu gute gekommen. Aber diese Umwertung vollzog sich zu rasch, und die neu erwachte Begeisterung machte sich mit einer allzu hohen Einschätzung des Künstlers Luft. Der begreifliche Wunsch, das bescheidene Lebenswerk des durchaus nicht fruchtbaren Künstlers der neugewonnenen Wertung seines Talentes entsprechend zu vergrößern, zog Kunstwerke in den Kreis der Betrachtung, die nur der Anregung, nicht der eigenen Hand Verrocchios ihr Dasein verdanken. Die Opposition hat übereifrig Widerspruch erhoben und das Bild des Meisters ins Kleine verzerrt, wie jene es ins Formlose gesteigert hatten. So stehen sich denn Urteile gegenüber, die schließlich nur beweisen, wie weit man noch von der ungetrübten Erkenntnis der Eigenart des Meisters entfernt ist. Den Weg dahin zu gelangen, hat schon vor Jahren Wilhelm Bode, der verdienstvollste Forscher über Verrocchio, gewiesen; „es gilt, heißt es bei ihm, Verrocchio zu isolieren aus dem schwankenden und undeutlichen Ensemble der Arbeiten seiner Werkstatt, um sein Eigenstes zu charakterisieren.“
Sein Eigenstes! Aber die Vielseitigkeit des Künstlers macht schon die ersten Schritte unsicher und gefahrvoll. Wir sind ungenügend über ihn unterrichtet. Wir wissen nur, daß er gebildhauert hat und gemalt,[S. 4] daß er die Goldschmiedekunst und das Studium der Perspektive sowie der Musik gepflegt hat. Dürfen wir Vasari trauen, so war Verrocchio überhaupt mehr zum Studium der Dinge als zur Produktion geneigt, und Goethe hätte ihn besser als irgend einer mit dem denkenden, durchaus theoretisch begründeten Manne charakterisiert.
Betrachten wir nun die kleine Anzahl sicherer Werke seiner kunstreichen, bedächtigen und empfindungsvollen Hand, so haben wir fast ausschließlich Arbeiten der Bildhauerkunst vor uns. Und indem wir uns mit der Form und dem Gehalt dieser Werke vertraut machen, werden wir so klare Vorstellungen von der Eigenart ihres Meisters erhalten, daß wir auch auf dem Gebiete der anderen, nachweislich von ihm gepflegten Künste sein Eigentum zu erkennen hoffen. Aus dem denkenden, durchaus theoretisch begründeten Manne wird bei solcher Betrachtung der Künstler allmählich erwachsen, der, durch die Kraft seines Talentes hinausgehoben über die Grenzen des Jahrhunderts, den Weg bereitet und die Steige richtig gemacht hat für die Größeren, die nach ihm kamen. Im Quattrocento war, außer Donatello und Quercia, keiner so wenig Quattrocentist wie Verrocchio. Im Vergleich zu jenen fehlt seiner Kunst das Zeitlose, das Ewige. Aber mit Erfolg hat er die Tradition überwunden, nichts Konventionelles haftet ihm an. Jede Aufgabe, die ihm gestellt ward, hat er frei aus seiner künstlerischen Empfindung heraus, ohne nach einem Vorbild zu schielen, gelöst. Alles drängt bei ihm schon aufs Cinquecento. Wie er aber das neue Jahrhundert mit eigenen Augen nicht hat schauen dürfen, so steht er auch mit seiner Kunst an der Schwelle, im Vorhof. Er weist hinüber mit einer Gebärde, wie in den Bildern der Zeit Johannes, der Vorläufer Christi, auf den Heiland deutet. Und der Stärkere, der nach ihm kam, in dessen Weltruhm der bescheidnere Verrocchios aufgegangen ist, war der eigene Schüler und Gehilfe Leonardo da Vinci.
Zur Zeit, als Verrocchios Talent sich entfaltete, erscheint das künstlerische Leben in Florenz bunter und bewegter als in den ersten Jahrzehnten des fünfzehnten Jahrhunderts. Die Träger des künstlerischen Gedankens sind freilich von beträchtlich kleinerem Wuchse als das Eroberergeschlecht, das der Frührenaissance die entscheidenden Siege erfocht. Brunelleschi ist bereits zur Ruhe gegangen, Donatello weilt in Oberitalien, L. B. Alberti lebt, theoretischen[S. 5] Studien hingegeben, in Rom. Ghiberti, stark gealtert, ist dem Grabe nahe.
1452 erstrahlen in heller Feuervergoldung die sogenannten Paradiesespforten am florentiner Baptisterium und zeigen den neuen malerischen Reliefstil im Verein mit einer goldschmiedeartig sauberen Detailbehandlung. In der Umrahmung der Thür tritt das vielleicht früheste Beispiel der naturalistischen Arabeske auf, hervorgegangen aus der Idealisierung der bei hohen Festen an den Kirchenthüren üblichen Ausschmückung. In S. Croce, dem florentiner Pantheon, werden die Grabmonumente des Leonardo Bruni und des Carlo Marzuppini errichtet. An ihnen offenbart sich zum erstenmale die organische Verbindung antiker und naturalistischer Elemente, wobei der ernstere Bernardo Rossellino mehr antiker Form sich nähert, der phantasievolle Desiderio da Settignano seinem naturalistischen Empfinden sich freier überläßt. In der Zartheit der Reliefbehandlung mit den aufgehellten Schatten, in der Verwendung verschiedenfarbiger Steine macht sich deutlich das Streben nach malerischer Wirkung und koloristischem Reiz geltend. Die farbigen Terrakotten des Luca della Robbia, die bunt bemalten Thonfiguren und Stuckreliefs, die um die gleiche Zeit beliebt werden, verraten deutlich den Wert, den man der Polychromie beimaß. Hinsichtlich des Materiales stand das Erz in der höchsten Schätzung, nicht nur, weil die Nähe und die Ausgiebigkeit der Marmorbrüche den Stein überhaupt entwertet hätten, sondern weil die Bronze das größere technische Geschick erforderte, die Zierlichkeit der Form bis in die feinsten Ausläufer ermöglichte und vor allem in dem reizvollen Spiel von Hell und Dunkel, das durch Vergoldung und Patinierung in den Gegensätzen noch verschärft werden konnte, dem Streben nach malerischer Wirkung vorzüglich entgegenkam. Seit mit Ghiberti 1455 der letzte lebende Großmeister des Bronzegusses hingegangen war, zeigte sich die jüngere Generation bemüht, dem Marmor abzuzwingen, was das flüssige, aber schwer zu bändigende Erz besser und reiner geleistet hätte. Den Eroberern eines neuen Stiles folgte die Schar der glücklichen Erben mit einer unersättlichen Freude hinzuzuerfinden, auszubauen, zu erweitern, mit den geschicktesten Händen von der Welt, mit einer grenzenlosen Kombinationslust und einer Fülle von zierlichen Einfällen.
So fest und sicher fühlte man sich auf dem neu erworbenen Boden, daß dicht neben dem goldenen Baum des Lebens mit seinen immer breiter ausladenden Ästen auch die graue Theorie Wurzel schlagen konnte. Die heute belanglos erscheinende Frage von dem Vorrang der Künste, insonderheit der Wettstreit zwischen der Malerei und der Skulptur, erfüllte zur Zeit alle Werkstätten und Studierstuben mit anhaltendem Geräusch und fand Widerhall in sämtlichen[S. 6] kunsttheoretischen Schriften, die in langer Folge damals zu Tage traten. Schon Ghiberti gestand, daß seine Liebe zum größten Teile der Malkunst gehöre; L. B. Alberti räumt ihr, der Malerei, indem er ihre Stellung und Wertschätzung bei den gepriesenen Alten mit einem großen Aufwand an historischer Gelehrsamkeit untersucht, den vornehmsten Rang unter allen Künsten ein. Filarete anerkennt, daß die Skulptur zwar schwerer auszuüben sei als die Malerei, da sie dem Künstler weniger die Möglichkeit sich zu korrigieren biete, daß sie auch der Natur außerordentlich nahe komme, aber die Malerei sei „die Natur selbst“. Später hat auch Leonardo die hitzig disputierte Frage zu gunsten der Malerei entschieden, und es bedurfte eines so ganz in der plastischen Form wurzelnden Genius wie Michelangelos und der Ausgrabung der farblosen römischen Antiken, um der Skulptur den bisher von der Malerei innegehabten Ehrenplatz einzuräumen.
Und doch waren die Florentiner vor allen übrigen italienischen Stämmen von Natur aus für das sichere Erfassen der plastischen Form mehr als für das Kolorit begabt, und ihre Malerei hat sich durchaus an der stets vorauseilenden Plastik entwickelt. Ohne Donatello sind Maler wie Fra Filippo, Paolo Uccello, Andrea del Castagno, auch Botticelli und Ghirlandajo nicht denkbar. Die Generation, der Verrocchio angehört, sucht den Wettstreit der Künste praktisch zu schlichten. Die Unternehmungslustigsten, Rüstigsten und Begabtesten bethätigen sich auf mehreren Gebieten darstellender Kunst, um ihren Ehrgeiz zu befriedigen, oder suchen, mit wechselndem Glück, die in der Plastik gewonnenen Resultate für die Malerei zu verwerten. Das Experiment wird ihnen unter Umständen Selbstzweck, und gerade die Besten unterliegen oft der Gefahr, durch technische Tüfteleien die Wirkung des Werkes und seine Erhaltung zu beeinträchtigen. Man bezeichnet diese Gruppe von Künstlern, als deren ausgeprägtester Charakter Antonio del Pollajuolo zu gelten hat, mit dem Namen der Maler-Plastiker, aber das Wort umfaßt manchmal noch zu wenig. Mit Recht darf man sie die Vielseitigen nennen im Gegensatz zu den Allseitigen, auf deren Errungenschaften ihre Bemühungen fußen, und zu den Einseitigen, die in ihrer Kunst nur das betreffende zünftige Handwerk nach Maßgabe ihrer Kräfte üben. Den Vielseitigen, soweit sie Künstler sind, heißt Darstellung der Natur die unerbittliche Wiedergabe des klar und nüchtern Erschauten bis in die Einzelheiten. Sie wollen aber nicht nur schauen, sie wollen ergründen, gesetzmäßig nachschaffen. Der Doktor steckt ihnen allen im Leibe. Und weil sie kluge Florentiner sind, nicht weiche, träumerische Venezianer, verweilen sie beim wissenschaftlichen Problem oft länger, eindringlicher und halsstarriger, als es sich für ihre Kunstübung verlohnt. Ihre perspektivischen Studien erweitern sich unter der Teilnahme tief gelehrter Mathematiker zu geometrischen Raumanalysen schwierigster Konstruktion, ihr Studium des Nackten dringt vor bis an die Grenze, die erst später die Anatomen mit Messer und Schere überschreiten. Sie forschen und grübeln. Den Lockrufen aus den Gärten des Lebens antworten sie mit abwehrender Gelassenheit,[S. 8] wie Paolo Uccello der im Schlafgemach harrenden Gattin von seinem nächtlichen Studiertisch herüberruft: Was für ein lieblich Ding ist doch diese Perspektive!
In eine solche künstlerisch und theoretisch sich krystallisierende Welt hat das Geschick Verrocchio gewiesen. Mit den geschilderten Geistes- und Gesinnungsverwandten teilt er alle Eigenheiten, eine Gabe indessen, die jenen allen fehlt, hebt seine Person bedeutsam aus der Genossenschaft heraus: ein geläutertes Schönheitsgefühl. Und daß dieses die führende Stimme in dem Zusammenklang seiner Fähigkeiten übernahm, steigert seine Kunst oft bis zur Höhe uneingeschränkter Meisterschaft.
Der Zuname del Verrocchio deutet keinen besonderen Vorzug in dem künstlerischen Organismus des Meisters an, wie etwa den scharf erfassenden Blick; ein Spitzname ist in dem Beiwort nicht zu suchen. Auch zählt unser Künstler nicht zu den Mitgliedern der in den Schriftstücken damaliger Zeit oft genannten Familie der Verrocchi. Vielmehr legte er sich den Zunamen in dankbarer Erinnerung an seinen Lehrer, den Goldschmied Giuliano de’ Verrocchi bei. Seine Familie, die Cioni, sind in sehr bescheidener bürgerlicher Schicht zu suchen. Der Vater, Michele, seines Zeichens Ziegelbrenner, hatte auf seine alten Tage die bequemere Beschäftigung eines Mauteinnehmers ergriffen. Er war schon über die Fünfzig hinaus, als Mona Gemma ihm den Sohn Andrea gebar. Das Jahr steht nicht ganz fest; entgegen der allgemein gültigen Annahme geht aus den Katastereintragungen des Meisters 1436 als Geburtsjahr hervor. Mit vier Schwestern und zwei Brüdern wuchs Andrea auf unter der Obhut seiner Stiefmutter Nannina, nachdem die eigene Mutter bald nach seiner Geburt gestorben war; zum Haushalt gehörte ferner Mona Ghita, die Großmutter. Das Verhältnis zur Stiefmutter scheint ein herzliches und ungetrübtes geblieben zu sein, wenigstens hat sie Andrea nach dem Tode des Vaters, 1452, bei sich im Hause behalten. Von den Geschwistern interessieren uns die ältere Schwester Mona Tita, die einen Barbier heiratete, und deren Kinder, zwei Töchter und ein Sohn, bei Verrocchio im Hause lebten; sodann ein jüngerer Bruder, Tommaso, ein Tuchweber, dessen Armut bei zahlreicher Nachkommenschaft Verrocchio manchmal beschwerlich gefallen ist.
Von äußeren Lebensereignissen erfahren wir so gut wie nichts. Im Todesjahr des Vaters, 1452, traf unseren Künstler das Mißgeschick, daß er beim Spiel mit Altersgenossen draußen vor den Thoren mit einem unglücklichen Steinwurf einen Wollarbeiter tödlich traf. Das Gericht schritt ein, sprach aber den Fahrlässigen frei. Seine Jugendjahre sind ausgefüllt mit theoretischen Studien; besonderen Eifer brachte er der Geometrie entgegen. Gleichzeitig pflegte er die Musik, vermutlich schon als Kind, wie es die Sitte der Zeit mit sich brachte. Er lernte Laute schlagen und rezitieren, mit dem Zweck, den damals hauptsächlich der musikalische Unterricht verfolgte: das Organ reich und modulationsfähig zu machen. Vergebens indessen würden wir uns eine Vorstellung machen von der Tragweite seiner musikalischen Begabung und Bethätigung.
Dann tritt die Lehrzeit an ihn heran. Florenz war von jeher die Heimat der Goldschmiede, die ihre Buden, eine dicht bei der anderen, auf dem Ponte vecchio aufgeschlagen hatten. Die großen Meister vor ihm hatten alle in der Goldschmiedewerkstatt begonnen; auch griff Verrocchio zunächst zu diesem Handwerk, das seinen Meister überdies gut zu nähren versprach. Aber eine Thätigkeit allein genügte dem Ehrgeiz des jungen Künstlers nicht. So trieb er Malerei und Architektur, Holzschnitzen und Perspektive. Er wird sich gehörig getummelt haben in jenem Kreise der Theoretiker, die zu Baldovinetti und Pollajuolo wie zu ihren Führern emporblickten.
Erst mit den sechziger Jahren kommt Licht in das Halbdunkel dieses Künstlerlebens. Verrocchio tritt in enge Beziehungen zu der herrschenden Familie der Medici, und nun umglänzt ihn bald junger Ruhm. Auch für die Rucellai ist er thätig; in dem durch Marcotti bekannt gewordenen Zibaldone des Giovanni Rucellai werden mehrere Arbeiten Verrocchios für die Familie leider ohne nähere Bezeichnung des Gegenstandes angeführt.
Mehr und mehr verwächst er mit seiner Werkstatt. Wir hören von keinem öffentlichen Auftreten, kein Streit mit einem Widersacher raubt ihm die Ruhe zur Arbeit, kein Ehrenamt beeinträchtigt die wohl angewendeten Stunden seiner Tage. Die Stürme, die seine Zeit durchbrausen, brechen sich an den Mauern dieser Werkstatt, kaum daß der Lärm der Pazziverschwörung, die doch dem ihm so nahe stehenden Giuliano de’ Medici das Leben kostete, ihn für Augenblicke von der Arbeit scheucht. Aber diese Arbeit ist keine regelmäßige künstlerische Produktion. Verrocchio liebt das Erfinden, das Tüfteln und das Basteln. Allerhand[S. 10] Experimente, z. B. das Formen über der Natur in einer weichen, pulverisierten Steinmasse, die dem Gips ähnelt, nehmen seine Zeit hin. Gelegentlich staunen wir über die Reihe von Jahren, die seine Arbeiten in der Werkstatt herumstehen. Denn so sorgfältig er ausführt, so reich er das Einzelne gestaltet, die Frist, die er zum Vollenden braucht, steht nicht immer im rechten Verhältnis zum Umfang der Leistung.
Vasari möchte den florentiner Aufenthalt, der fast die ganze Lebenszeit Verrocchios füllt, mit einem Besuche in Rom unterbrechen. Sixtus IV. soll unseren Künstler an den päpstlichen Hof gerufen haben, damit er zwölf Apostelstatuen für die sixtinische Kapelle anfertige. Aber in den Rechnungsbüchern der päpstlichen Kurie erscheint der Name Verrocchios nirgends, und wir kennen die Gold- und Silberschmiede, die Sixtus’ Gunst genossen, so genau wie die Bildhauer. Hinzu kommt, daß sich Vasari auch hinsichtlich einer anderen von Verrocchio angeblich in Rom gefertigten Arbeit, des Tornabuonigrabes, nachweislich geirrt hat, so daß wir einen Aufenthalt des Künstlers dort in Abrede stellen müssen.
Erst in den letzten Jahren seines verhältnismäßig kurzen Lebens hat er die Kuppel seiner Vaterstadt, wohl schweren Herzens wie alle seine Landsleute, aus den Augen verloren. Frohe Jahre waren ihm in Venedig nicht beschieden. Mit der Errichtung des dortigen Reiterdenkmals für den Condottiere Colleoni verbanden sich mannigfache Kränkungen, Eifersüchteleien und Rivalitäten, die noch über den Tod hinaus den Meister in seinem künstlerischen Eigentum beeinträchtigen sollten. Ob diese Reibungen den Selbstbewußten und, wie es scheint, leicht Verletzbaren früher gebrochen haben, als man erwartet, mag[S. 12] dahingestellt bleiben. Er ist 1488 in Venedig gestorben, wohl kurze Zeit nach dem letzten Kontrakt mit König Matthias Corvinus von Ungarn, für den er einen Brunnen arbeiten sollte (27. August 1488); denn schon im Oktober desselben Jahres erwähnt sein Lieblingsschüler Lorenzo di Credi den Meister als verstorben. Entgegen seinem letzten Willen, den er im Juni 1488 aufsetzte, wurde der Leichnam nach Florenz zurückgeführt und dort in der Familiengruft zu S. Ambrogio beigesetzt. Aber umsonst hat man schon im siebzehnten Jahrhundert die Grabstätte mit der schlichten Inschrift, die Vasari überliefert, gesucht.
Verrocchio ist ehelos geblieben. Für seine Angehörigen hat er großmütig gesorgt bis hinunter zu seinem Famulus Giusto. Von den Nichten, die ihm in Florenz das Haus führten, hat die eine noch zu Verrocchios Lebzeiten einen ehrsamen Färber geehelicht, die zweite einen Faßbinder, beide dank der Mitgift, die ihnen der Onkel verschrieb. Seine beiden Häuser im Sprengel von S. Ambrogio zu Florenz, von denen das eine an einen Viktualienhändler vermietet war, fielen den männlichen Erben zu. Die künstlerische Hinterlassenschaft kam an Lorenzo di Credi.
Des Meisters äußere Erscheinung ist in einem Porträt des Lorenzo di Credi in den Uffizien erhalten (Abb. 1), dessen Authentizität neuerdings zu Unrecht angezweifelt worden ist und das im wesentlichen mit dem bei Vasari abgebildeten Holzschnitt übereinstimmt (s. Titelbild).[S. 13] Aus dem vollen bartlosen Gesicht blicken unter steil gewölbten Brauen ein Paar Augen von durchdringender Schärfe und ruhiger Klarheit, die Nase ist nicht edel, aber gut geformt, der Mund über dem Doppelkinn fein gezeichnet und fest geschlossen; aus der reinen, wohlgerundeten Stirn ist die leichte Tuchkappe auf das halblange, im Nacken gelockte Haar gerückt. Die fleischigen, aber zierlich gebildeten Hände ruhen leicht übereinander. Das Doppelkinn, die breite Brust und der kurze, dicke Arm lassen auf eine gewisse Wohlbeleibtheit bei mittlerer Gestalt schließen. Das links seitlich zum offenen Fenster einfallende Licht spielt klar, aber nüchtern auf den Formen und Flächen. Der hervorstechende Charakterzug ist eine hohe Intelligenz. Die Pedanterie und Hausbackenheit, die diesem friedlichen Heimsitzer zu eigen scheint, ist mehr dem sauberen, aber schwunglosen Pinsel Credis zuzuschreiben, als dem Modell. Einer pathetischen Steigerung, wie sie sich in dem Holzschnitt offenbart, war Credi nicht fähig.
So hat er uns mehr den Zünftler als den Künstler im Bilde überliefert. Und vielleicht haben die, welche das Gemälde als ein Selbstbildnis Peruginos erklärten, an der Dosis Stubenhockertum Anstoß genommen, die es enthält und die mit Verrocchio unvereinbar ist. Denn Andrea war kein Griesgram und kein Einsiedler. Gleichwohl als denkender Künstler war er verliebt in die Einsamkeit, ein Feind von Prunk, Lärm und Getöse. Vor dem Schläfrigwerden, dieser höchsten Gefahr aller viel mit sich selbst Lebenden, bewahrten seine Künstlerseele der Wetteifer mit tüchtigen Genossen, der Kampf der widerstrebenden Richtungen, die scharfe Kritik seiner Zeitgenossen, kurz, alle jene Vorteile, die auf den Plätzen des großen Verkehrs, wie Florenz es war, allein zu finden sind.
Zu den schwierigsten Problemen, die in dieser überall problematischen Künstler[S. 14]laufbahn Lösung heischen, gehört die Frage nach dem Lehrmeister Verrocchios. Ältere Quellen, die Vasari nachweisbar gekannt und benutzt hat, machen den Künstler einstimmig zu einem der letzten und hervorragendsten Schüler Donatellos. Wenn aber der Biograph sich völlig darüber ausschweigt, so kommt das einer schwerwiegenden Kritik seiner litterarischen Vorlagen gleich. Die gemeinsame Arbeit der beiden Künstler am Lavabo von San Lorenzo, die Vasari im Leben Donatellos erzählt, wird durch Albertinis Memoriale, der älteren, durchaus glaubwürdigen Quelle, widerlegt. Überdies war Donatello gerade in den Jahren, in die eine Lehrzeit Verrocchios fallen müßte, von Florenz abwesend. Und endlich finden wir in den Werken des Meisters kaum einen Zug, der auf Donatello wiese. Wo der Gegenstand, wie etwa der Colleoni, einen Vergleich mit Donatello herausfordert, sehen wir ein bewußtes Abweichen Verrocchios von seinem mutmaßlichen Vorbild. Dem technischen Ungeschick Donatellos beim Bronzeguß steht Verrocchios virtuose Behandlung des Erzes gegenüber, der dramatisch erregten Beweglichkeit Donatellos die pathetische Abgeklärtheit Verrocchios, dem leichten, skizzenhaften Wurf die bedächtige, wählerische, feinschmeckerische Sorgfalt. Soll ein Verhältnis der beiden festgelegt werden, so dürfen wir uns wohl am sichersten an Pomponius Gauricus halten, der in seinem 1502 über die Bildhauerei erschienenen Buche Verrocchio den „Nebenbuhler des Donatello, doch erst als dieser schon ein Greis war“, bezeichnet.
Auf der weiteren Umschau nach dem Lehrmeister ist es verlockend, bei Bernardo Rossellino zu verweilen. Nach Vasari soll nämlich der junge Verrocchio die Madonna mit den Engeln in der Lünette des Brunigrabes in S. Croce gearbeitet haben. Aber auch hier überwiegen chronologische und technische Bedenken. Leonardo Bruni, der Staatssekretär der florentiner Republik, starb 1444; es ist nicht anzunehmen, daß man die Ehrung des verdienstvollen Staatsmannes und Historiographen der Republik hinausgezögert habe. Einem Acht- oder Neunjährigen, wie Verrocchio zu dieser Zeit war, wird man aber keine Marmormadonna zutrauen wollen, auch nicht, wenn sie, wie die in Frage stehende, künstlerisch den übrigen Teilen des Grabmales unterlegen ist.
So beschränken wir uns denn für Verrocchio, wie für so viele Künstler seiner Zeit, darauf, die Unterweisung in einer Goldschmiedewerkstatt anzunehmen, und zwar bei eben jenem Giuliano Verrocchi, den del Migliore namhaft macht. Erinnern doch seine späteren Arbeiten mit ihrer Freude an sauberen Einzelheiten, ihrer Zierlichkeit und das hohe technische Geschick, das sie auszeichnet, an eine derartige Lehrzeit. Für das, was diese Lehrstatt ihm etwa versagte, fand er hinreichende künstlerische Anregung in den Werken, die um ihn herum entstanden, und auf die schon hingewiesen worden ist.
Der Zögling des Edelschmiedes hat sich denn auch zunächst in der erlernten Kunst bethätigt und zwar bis in die reifen Mannesjahre hinein, wie Cellini ausdrücklich versichert. Von den Proben seiner Kunstfertigkeit liegt indessen keine mehr vor. Wir hören nur von zwei Gefäßen, die allen Goldschmieden damals wohlbekannt waren und ihres besonderen Beifalles sich zu rühmen hatten. Das eine war rund und reich verziert mit einer Laubbordüre, mit Fabeltieren und anderen Seltsamkeiten, wie sie dem dekorativen Stil Verrocchios eigen geblieben sind; das zweite zeigte einen Puttentanz, ein seit Donatello besonders beliebtes Motiv, das uns noch bei den Zeichnungen des Meisters beschäftigen wird.
Von den Agraffen, die der Künstler für die Chorröcke des florentiner Domkapitels gearbeitet hat, mag eine Bronzeplakette des Berliner Museums eine halbwegs deutliche Vorstellung gewähren (Abb. 2). Sie zeigt auf reich verziertem Throne, den anschließende Schranken hofartig umfrieden, die Madonna von Engeln verehrt und assistiert von dem heiligen Laurentius und dem heiligen Sebastian. Das verschwindend flache Relief beweist, daß wir nur den Probeausguß einer ziselierten, für den Emailauftrag bestimmten Platte vor uns haben. Das Kompositionsschema, die Typen und die Proportionen sind Verrocchio eigentümlich, wie auch der Reichtum der Faltengebung. Der fromme Gegenstand und die runde Form lassen wohl an geistlichen Zierat denken. Im späteren Dienste der[S. 16] prunkliebenden Medici wird dem Meister seine Kunst ebenfalls zu statten gekommen sein. Die silberne Hirschkuh, die Lorenzo 1474 bei Gelegenheit des von Polizian besungenen Turniers zu Ehren der Simonetta Vespucci auf dem Helme trug, ist eine Arbeit Verrocchios gewesen.
Das einzige erhaltene Werk dieser Thätigkeit, das Silberrelief für den Johannisaltar des Baptisteriums, erinnert nur seinem Materiale nach an die Goldschmiedekunst, und fällt in so späte Zeit, daß es hier nicht vorweggenommen werden darf.
Was sonst an Arbeiten aus der Jugendzeit überliefert ist, zeigt den Meister auf anderen Wegen. Leider ist auch hier vieles verloren, darunter gleich jenes Projekt, das, als das erste, sicher zu datierende Werk Verrocchios von besonderer Wichtigkeit für die klare Einsicht in seine Entwickelung und für die früh erworbene Vielseitigkeit seiner künstlerischen Kenntnisse gewesen wäre.
Zu den Zierden des Domes in Orvieto gehörte ein wunderwirkendes Madonnenbild, nach der Legende vom heiligen Lukas selbst gemalt. Umflammt vom trüben Licht der Kerzen, fast erdrückt von der Fülle der Weihgeschenke, stand es nahe der Eingangsthür unter einem in bescheidenen Formen gehaltenen Tabernakel. Das Legat des fern von der Heimat lebenden Bischofs von Ascoli, Francesco Monaldeschi, gab 1461 den Vorstehern der Dombauhütte Veranlassung, nach Florenz und Siena um Zeichnungen für den Bau einer Kapelle zu schreiben. Außer Desiderio da Settignano und Giuliano da Majano lieferte noch ein gewisser Andrea Michaelis einen Entwurf ein. Zweifelsohne ist dieser Andrea identisch mit Andrea del Verrocchio, dem Sohne des Michele di Cione. Mit seiner Arbeit drang er indessen so wenig durch wie die beiden älteren Meister. Der Auftrag fiel, einige Jahre später, dem Dombaumeister Giovanni di Meuccio zu, dessen Werk inzwischen schon wieder zu Grunde gegangen ist.
Der Verlust dieses Entwurfes ist um so mehr zu beklagen, als wir auch nicht den leisesten Anhalt zu einer Rekonstruktion besitzen. Nur einmal noch ist Verrocchio baukünstlerisch thätig gewesen, allein nicht als Raumkünstler, vielmehr als Konstrukteur und Mechaniker.
Brunelleschis Domkuppel, ein Werk, von dem der Meister rühmte, es lasse an Großartigkeit selbst die Vorbilder der Alten hinter sich, war in Verrocchios Geburtsjahr vollendet worden. Wie eine Glocke der Sicherheit und des Schutzes schien sie sich in ihrer ungeheuren Spannung über der ganzen Stadt zu wölben. Die beim Tode des Meisters noch fehlende Bekrönung durch die Laterne hatten seine Nachfolger in pietätvoller Beibehaltung des ursprünglichen Entwurfes hinzugefügt. Am 23. April 1467 konnte der Schlußstein der in zierlichen Renaissance-Formen gehaltenen Laterne eingesegnet werden und der Bau somit als vollendet gelten. Nur der Abschluß des Ganzen stand noch aus: der Knopf (bottone) und die Kugel (palla) als Träger des krönenden Kreuzes. Für die Herstellung des kleineren in Bronze zu gießenden Bottone wandte sich die bauherrliche Behörde an Giovanni di Bartolo, der in Gemeinschaft mit dem Goldschmied Bartolommeo Fruosino den Guß 1467 ausführte. Verrocchio war mit unter den Sachverständigen, die die Arbeit abzuschätzen hatten, ein Beweis, wie groß das Vertrauen in seine technische Kenntnis war.
Die auf dem Knopf ruhende Kugel von viel größerem Maßstabe stellte schwierigere Anforderungen an den Konstrukteur. Schon über die Art der Herstellung brach Meinungsverschiedenheit aus. Doch drangen in einer zahlreich besuchten Konferenz diejenigen durch, die eine Ausführung in Bronzeguß, keine getriebene Kupferarbeit befürworteten (Januar 1467). Verrocchio stimmte mit ihnen. Die Verhandlungen zögerten sich aber noch hinaus, bis am 10. September 1468 Verrocchio selbst den Auftrag erhielt.
Es ist sehr lehrreich, auch bei dieser mechanischen Ausgabe zu beobachten, wie Verrocchio technisch experimentiert. Er, der seinerzeit selbst für den Guß eingetreten war, bekehrt sich, als es an die Ausführung geht, zur Hämmerarbeit. Acht Kupferplatten werden über kugelförmigen Steinen zurecht gehämmert, mit Silber verlötet und schließlich in Feuer vergoldet. Vasari rühmt die Findigkeit in der Anbringung des inneren Ganges, der durch den Hohlraum führte, und die Verankerung. Ende Mai 1471 konnte die 300 Scheffel Korn fassende Kugel[S. 19] hinaufgewunden werden, und am 1. Juni wurde das Kreuz, dessen Arme wertvolle Reliquien bewahrten, eingelassen. Bis auf die Fassade stand nun der Dom vollendet. Ein schreibseliger Spezereihändler, Luca Landucci, dessen Tagebücher sich erhalten haben, erzählt von dem Feste, das die Bevölkerung sich machte. Die Stadttrompeter schmetterten von der Höhe herunter, die Geistlichkeit und viel Volk stieg hinauf und stimmte oben ein weithinschallendes Tedeum an.
Unter den öfteren elementaren Unbilden, denen der Dom ausgesetzt war, hat nichts verheerender auf Verrocchios Werk gewirkt als der Blitz, der in der Nacht vom 27. Januar 1600 in die Laterne schlug. Bis in die Via de’ Servi flogen die Marmortrümmer, und alles schrie misericordia. Der Großherzog Ferdinand I. ließ das Zerstörte genau nach dem alten Muster wieder herstellen, Kreuz und Kugel wurden neu vergoldet und zwei Bleikassetten mit Urkunden von Papst Clemens VIII. und dem Großherzog eingelassen, in denen die Gewalt der Unwetter beschworen ward.
Im Januar 1496, wenige Monate nach der Vertreibung der Medici, reichte der überlebende Bruder Verrocchios, Tommaso, bei den Verwaltern des mediceischen Vermögens eine Liste der künstlerischen Arbeiten ein, die Andrea im Auftrag der[S. 20] Familie ausgeführt hatte. Vielleicht standen noch Nachzahlungsposten aus, die der unvermögende Tuchweber jetzt eintreiben wollte. Diese Liste, die sich urschriftlich im Archiv der Uffizien befindet, zählt fünfzehn Arbeiten auf, die sich bis auf wenige nachweisen lassen, und zeigt, wie eng die Verbindung Verrocchios mit der kunstliebenden Familie gewesen ist.
Als Cosimo der Alte 1464 starb, scheint man zum erstenmal Verrocchios künstlerische Hand in Anspruch genommen zu haben. Die Signorie, die ein pomphaftes Grabmal mit Ehrenstatue erwog, konnte sich nicht schlüssig machen, und so ist es bei dem schlichten Grabstein geblieben, den die Familie vor dem Hauptaltar von San Lorenzo über der unterirdischen Gruft in den Fußboden senken ließ. Entwurf und Ausführung rühren von Verrocchio her (Abb. 3). Der Stein besteht in einer quadratischen Platte, die ein geometrisches Muster, in buntem Marmor ausgeführt, aufweist. Jedes christliche Zeichen oder Symbol fehlt. Die Zeichnung ist einfach: in den viereckigen Rahmen ist ein Kreis eingeschrieben, der seinerseits zwei sich kreuzende Ellipsen einschließt; die Ecken füllen Wappen mit den Kugeln der Medici. Der Reiz des Ganzen beruht in der Farbigkeit, die durch verschiedenartige Steine und durch Verwendung der Bronze für die Wappenschilde erzielt wird. Wir werden noch an anderen Arbeiten sehen, wie sehr Verrocchio die farbige Inkrustation, namentlich die Verbindung von Bronze mit buntem Stein bevorzugt und sie, wo er kann, mit feinem Geschmack verwendet. Die vertikalen Arme der einen Ellipse enthalten auf trapezförmigen Marmorplatten in Bronzebuchstaben die Inschrift, die als einzigen Ruhmestitel des Verstorbenen den ihm öffentlich zuerkannten Ehrennamen des pater patriae enthält. Von der empörten Volksmenge ist auch diesem Grabstein trotz seiner Schlichtheit übel mitgespielt worden (1494), und es bedurfte erst der Rehabilitierung der Familie, die Greuel der Verwüstung zu tilgen und für die Wiederherstellung zu sorgen.
Haben wir für diese dekorative Arbeit am Sterbedatum des Medicäers einen chronologischen Anhaltspunkt, so müssen stilistische Merkmale herhalten, wenn wir eines der berühmtesten Werke Verrocchios, der allgemeinen Annahme entgegen, ebenfalls in diese frühe Zeit der künstlerischen Reife setzen. Es handelt sich um die Bronzestatue des jugendlichen David, die im[S. 21] Nationalmuseum zu Florenz bewahrt wird (Abb. 4).
Vasaris Erzählung ist diesbezüglich besonders konfus; er läßt Verrocchio die Statue nach dem legendenhaften römischen Aufenthalt anfertigen und während der Arbeit den Meister noch die Madonna in der Lünette des Brunigrabes meißeln, Thatsachen, die nicht nur unrichtig sind, sondern sich ausschließen. Die flüchtige Interpretierung eines von Gaye publizierten Dokumentes hat das Jahr 1476 als spätesten Termin der Vollendung des David festsetzen wollen; doch ist in jenem Dokumente nur die Rede von dem Kaufpreis, für den die Figur aus dem Besitze der Medici in die Hände der florentiner Signorie überging. Vermutlich haben Lorenzo und Giuliano Ursache gehabt, der Signorie mit Überlassung der Statue gefällig zu sein. Sie stand bis ins siebzehnte Jahrhundert auf dem Treppenabsatz vor der Sala dell’ orologio. Der Platz war nicht ohne Absicht gewählt. Der heldenhafte Knabe wahrte mit gezücktem Schwerte eine Thür, la catena genannt, bei der ein Gerichtsdiener ständig die Wache hielt, um nur auf den Befehl des jeweiligen Oberhauptes der Verwaltung zu öffnen oder zu schließen.
David als jugendlicher Volksbefreier war nicht nur ein Held nach dem Herzen jedes ehrlichen Republikaners, vor allem auch eine Gestalt, wie sie einem Künstler damaliger Zeit nicht gelegener sein konnte. Erblickte doch die Frührenaissance mit ihrer Begeisterung für alles noch in der Entwickelung Begriffene, für alles Geschmeidige und Reifende in der Knabengestalt, die eben sich zum Jüngling aufwachsen will, eines ihrer vornehmsten künstlerischen Ideale.
Nackt, mit gesenktem Kopfe, den Fuß auf dem ungefügen Haupt des Riesen, die breite Tartsche in der Rechten, so stand Donatellos David seit dem Exil Cosimos im Hof des Regierungspalastes; eine Figur von streng geschlossenem Umriß, voll von einer schwermütigen Schönheit, über die hinaus das Ungestüm und die Leidenschaftlichkeit jenes großen Künstlers sich zu klären nie vermochten. Hält man Verrocchios Figur daneben, so springt der ungeheure Unterschied in Anlage, Ausführung und Stimmung überraschend in die Augen.
„Und David war ein Knabe bräunlicht und schön“, sagt die Bibel. So scheint er auch in der Phantasie Verrocchios gelebt zu haben. Im übrigen hielt sich der Meister nicht an die Tradition: jede Andeutung der Schleuder fehlt, und das Riesenschwert ist zu einer bescheidenen Waffe, für die Knabenhand passend geworden. Keck, sicher, leicht angeglüht von dem Feuer seines ersten Triumphes, blickt der Knabe lächelnd vor sich hin; die sehnige Rechte hält noch fest das Schwert am Griff, die Linke stützt sich in dem Gefühl fröhlichen Selbstbewußtseins leicht auf die Hüfte. Ein knapper Lederkoller umschließt den Leib, Ledergamaschen schützen Wade und Fuß bis zu den Zehen. Alle Ränder der Bekleidungsstücke sind ornamentiert; eine Palmette schmückt die Brust, Rosetten zeigen in gewissenhafter Anatomie[S. 22] die Stelle der Brustwarzen. Zwischen den Füßen liegt das wüste Haupt des erschlagenen Riesen, das mit seinem wirren Haar und den groben Formen den schwerlötigen Philister verrät. In der mitten auf der Stirn klaffenden Wunde saß ehemals noch der Stein fest.
Die Figur, obwohl zum größten Teil bekleidet, ist ganz als Akt gedacht und empfunden. Die Muskulatur und der Knochenbau zeichnen sich aufs strengste durch das Leder des Kollers. Alles ist gestreckt, schlank, zierlich, geschmeidig, vor allem Hände und Füße mit den starkknochigen Gliedmaßen, den abgespreizten und gebogenen Fingern, der vorspringenden zweiten Zehe und dem langen vordersten Daumenglied. Mit starken, ja störenden Accenten sind die Eigenheiten der Natur im Stadium der Entwickelung betont. Übertrieben wirkt das Sehnige der Arme mit Angabe der Adern, die von der Anspannung der Kräfte noch geschwollen sind, übertrieben die eckig heraustretenden Ellenbogen, namentlich am linken Arme. Hier sehen wir einen durchaus jugendlichen Künstler, in dem die Ehrfurcht vor der Natur noch über das Schönheitsbedürfnis den Sieg davonträgt.
In dem ein wenig nach vorn geneigten Kopf, der mit seiner Lockenfülle sich über dem schmalen, sehnigen Hals und über dem schlanken, fast mageren Körper wie eine schönblättrige Blüte entfaltet, ist der Zwiespalt zwischen künstlerischer Idee und Modell geschlichtet (Abb. 5). Auch hier ist alles zart und fein, die Knochen schmalgratig, der Umriß fest und bestimmt, das Relief flach. Die das Gesicht umringelnden Locken, mit höchster Kunst in Gruppen geteilt, breit und üppig im Nacken aufliegend,[S. 23] zeigen den Geschmack und die sauber detaillierende Hand des Goldschmiedes. Den empfindungsvollen Künstler aber verrät wie nichts sonst in dieser Figur ein zauberisches Lächeln, das die feinen Formen überschimmert und mit den Glanzlichtern und den Reflexen des Metalles um die Wette leuchtet. Es nistet in den scharf zurückgezogenen Mundwinkeln, gleicht die Härten aus und verliert sich in dem leicht verschwimmenden Blick, der in eine beglückte Ferne hinausträumt. Dies Lächeln hat vor Verrocchio niemand zu bilden gewagt, und daß es ein lebendiges, hin und her huschendes, kein erstarrtes geworden ist, zeugt von der hohen Meisterschaft des jungen Künstlers. Dies Lächeln hat Lionardo geerbt und es zu jener dolcezza verklärt, die unwiderstehlich wirkt.
Aber nicht nur die Beseelung des Ausdrucks durch eine der Malerei nachempfundene, mit Licht und Reflexen wirkende Behandlung ist neu und eigenartig; auch die räumliche Auffassung der Figur bedeutet einen gewaltigen Fortschritt über das bisher Geleistete hinaus. Ein klares, der künstlerischen Idee entsprechendes Raumbild wird nur gewonnen, wenn man die reine Frontansicht wählt (Abb. 6). Das Motiv der erhobenen, keck hervorgedrehten linken Schulter mit dem eingestützten Arm spricht sich dann mit eindringlicher Deutlichkeit aus. Die feinen Überschneidungen und Verkürzungen, namentlich auf der rechten Seite, machen sich geltend; das Gegenspiel in der Haltung der beiden Körperseiten fängt an zu wirken. Man bewundert das sichere Gefühl, das die Kardinalpunkte des[S. 24] Standes und der Bewegung klar hervorhebt, z. B. durch die ehemals vergoldeten Ornamente am Hals- und am Achselausschnitt des Kollers und durch das Gurtband. Der eckig aus dem reich bewegten Umriß herausspringende linke Arm findet durch das gesenkte Schwert in der Rechten sein Gegengewicht. Immer neue Feinheiten, die dem Talent wie der Einsicht des Meisters gleiche Ehre machen, offenbaren sich. Durch das Hervordrehen der linken Schulter bewegt sich die Figur freier und ungebundener im Raum. Sie hat eine reiche Profilansicht mit schön bewegter Rückenlinie, sie ist wirklich frei plastisch gedacht, nicht als Nischenfigur, wie noch Donatellos David. Sie strebt von jedem Hintergrunde fort und verlangt durchaus freien Raum um sich. Daher war sie auch vor dem Pfeiler neben der Catena nicht günstig aufgestellt. Verrocchio hatte die Figur gewiß für das Innere des Hofes im Palazzo Medici der Via larga oder für den Garten einer der mediceischen Villen bestimmt.
Das Postament, das sich noch an der ehemaligen Stelle erhalten hat, lehrt wichtige Thatsachen (Abb. 7). Der viereckige Sockel aus graugrünem florentiner Sandstein trägt eine leicht sich verjüngende rote Porphyrsäule. Die Figur stand also in einer Höhe von etwa 150 cm. Ferner wird durch diese Basis abermals erwiesen, was kompositionell schon eine Notwendigkeit ist, daß nämlich der Kopf des getöteten Riesen zwischen den Füßen des Knaben, und nicht, wie früher angenommen wurde, seitwärts unter dem gezückten Schwerte lag. Endlich sehen wir aus dieser Aufstellung wieder Verrocchios Vorliebe für farbige Effekte: die dunkel patinierte, mit vergoldeten Ornamenten schillernde und funkelnde Bronze über dem roten Stein des Postamentes.
Daß wir eine Jugendarbeit vor uns haben, lehren nicht nur einige Mängel, auf die hingewiesen wurde, lehrt am deutlichsten die Frische der Auffassung, die Sorgfalt in der Durcharbeitung und der sprudelnde Reichtum in den Einzelheiten. Man beachte z. B. das sorgfältig, wenn auch unverstanden, arabischen Lettern nachgebildete Ornament am Saum des Kollers. Für[S. 25] den Anmut und den Liebreiz weist die Figur zurück auf Ghibertische Gestalten, etwa auf den lockigen Esau, der Rückenfigur mit den beiden Hunden, in einem der Reliefs der Paradiesesthür. Die ausgezeichneten anatomischen Kenntnisse, die präzise knappe Art der Formengebung deuten auf Beziehungen zu Antonio del Pollajuolo. Pollajuolo, wenige Jahre jünger als Verrocchio, genoß ja den Ruhm, der beste Kenner des Nackten zu sein, und seine Zeichnungen werden zweifelsohne auf Verrocchios Formanschauung bildend gewirkt haben.
Gleichviel indessen, an welchen Vorbildern diese junge Kraft gereift ist, selbstherrlich und voll starker Eigenart tritt sie mit ihrem ersten großen Werke hervor. Auch als technische Leistung kann kaum Vollendeteres gefunden werden als dieser reine, lückenlos aus der Form geflossene, liebevoll durchziselierte Bronzeguß.
Das Motiv, so glücklich erfunden es ist, so zwanglos natürlich es erscheint, hat auffallend wenig Nachahmung gefunden. Eine in den übertrieben gestreckten Verhältnissen und dem blöden Ausdruck wenig anziehende Thonstatuette des Berliner Museums kann nur als Nachahmung, nicht als Aktstudium zu dem Original Verrocchios betrachtet werden. Zwei Terracottastatuetten im South Kensington Museum zu London (Nr. 7602 und 7402), die augenscheinlich in Florenz um 1490 entstanden sind, eine der Robbia-Werkstatt angehörige im Berliner Museum (Nr. 125) und ähnliche Figürchen an anderen Orten zeigen eine interessante Kreuzung donatellesker und verrocchiesker Motive.
„Bräunlicht und schön“, wie Verrocchio ihn gestaltet, ist der David keinem späteren Meister mehr gelungen. Michelangelo hat aus dem Hirtenknaben den Giganten gemacht, der, auf tapferer Wacht den Feind im Auge, ein Selbstbekenntnis des bedrohten Republikaners erscheint. Vielleicht ist das Lächeln des Verrocchioschen Knaben nicht minder ein Selbstbekenntnis des jungen Meisters, dem der erste Wurf gelungen, dies unschuldig-übermütige Lächeln, mit dem auch jung Roland einst vor Herrn Milons alternde Kraft trat:
Der Sohn Cosimos, Piero mit dem Beinamen der Gichtbrüchige, sank zu schnell ins Grab, um, was der Vater angebahnt, ausbauen zu können. Er hinterließ diese Ehrenpflichten seinen Söhnen Lorenzo und Giuliano. Sie willfahrteten zunächst den Gefühlen kindlicher Pietät, indem sie Verrocchio beauftragten, in der Sakristei von San Lorenzo dem Vater die Grabstätte zu errichten. Zugleich sollten darin die Gebeine des bereits 1461 verstorbenen Oheims Giovanni, eines Lieblingssohnes des alten Cosimo, beigesetzt werden.
Was Verrocchio geleistet hat, ist als das maßgebende Werk seines dekorativen Stiles immer anerkannt und gefeiert worden, schon von seinen Zeitgenossen, die nach der Vollendung (1472) sich um das Grabmal drängten, „als seien sie hergewiesen worden, ein neues Weltwunder zu schauen“ (Abb. 8).
Völlig unabhängig von dem Aufbau und den Formen des florentiner Nischengrabes, wie es Bernardo Rossellino und Desiderio ausgebildet, hat Verrocchio eine neue und eigenartige Lösung gefunden. Der Wunsch der Besteller, die Ursache hatten, eine bescheidene äußerliche Form der üblichen pomphaften Aufbahrung mit der Porträtstatue des Toten vorzuziehen, wird ihm den Weg gewiesen haben. So hat er nur eine große, schwere Grablade unter eine Bogenöffnung gestellt, die ursprünglich die Sakristei mit der Sakramentskapelle verband und die er durch ein großmaschiges Strickwerk vergitterte.
Der architektonische Aufbau mit seinen schönen Verhältnissen und den bei aller Kraft reinen und edlen Profilen läßt die Reife seiner baumeisterlichen Kenntnisse bewundern. Der Gesamteindruck erinnert in seiner Wucht und Schlichtheit an die Antike; so mögen unter ihren Arkosolien die schweren Sarkophage der Scipionen und der römischen Kaiser aufgestellt gewesen sein. Aber der Meister der Frührenaissance meidet den düstern Ernst der Alten und nimmt durch die Farbigkeit und den spielenden Reichtum des Ornamentes der getragenen Grundstimmung das Schwere und das Bedrückende.
Der auf Schildkröten ruhende, weißmarmorne Untersatz zeigt in der oberen Platte die schon vom Grabstein des alten Cosimo her bekannte farbige Inkrustation. Im Sarkophage ist roter Porphyr, dunkelgrüner und weißer Marmor mit dem unruhigen Glanze der Bronze in koloristisch höchst effektvoller Weise verarbeitet. Und in der Laibung des Bogens steigt der weiße Marmorstreifen mit dem reichen Ornament zwischen Profilen aus graugrünem Macigno bis zur abschließenden Rosette hinan.
Das Ornament verbindet in geschmackvoller Eigenart antike Zierformen mit naturalistischen Pflanzenmotiven. An Dona[S. 27]tellos antikisierender Dekoration hat sich Verrocchio nicht geschult. Vielmehr greift er auf Ghibertis Prinzipien zurück und schließt sich, soll ein Vorbild durchaus namhaft gemacht werden, in freier, meisterlicher Weise Desiderio an, dessen Marzuppinigrab er eingehend studiert haben muß. Aber sein männlicher Ernst faßt und formt die Natur anders als die von einer weiblich-zarten Empfindung geleitete Hand Desiderios. Gegen die weichen Rundungen des Marzuppinigrabes wirkt das Medicimonument kantig und kraus, zugleich charaktervoller und weniger spielend. Wenn auch die Verschiedenheit des Materiales dort die weichere, hier die energischere Behandlung erforderte, zuletzt sind es, wie überall, die Temperamente, die sich in lehrreicher Verschiedenheit äußern.
Das Relief ist stark herausgearbeitet, wie es auch Vettorio Ghiberti an der 1464 vollendeten Umrahmung der Baptisteriumsthür des Andrea Pisano gethan hat, doch ohne die Härte und Schärfe, die dort auffällt. Zier- und Rankenwerk überspinnt nicht, wie bei Desiderio, den ganzen architektonischen Körper, so daß glatte Flächen dem Auge Ruhe gewähren und auf dem Wege des Kontrastes das lebendige Spiel der Ornamentik steigern (Abb. 9). So wohl überlegt das Einzelne im Zusammenhang mit dem Ganzen erscheint, so wenig erhalten wir den Eindruck einer klügelnden Erfindung, einer Verzettelung reizvoller Einzel[S. 28]heiten. Reich und ruhig ist die Erfindung geströmt, eingedämmt von jenem weisen Maßhalten, in dem die künstlerische Reife beschlossen liegt.
Die Wiedergabe der Blumen, der Früchte, der Blätter ist so individuell, daß man an der Möglichkeit eines derart eingehenden Naturstudiums zweifeln und dem Gedanken Raum geben möchte, Verrocchio habe hier direkt über der Natur geformt. Soll er doch im Abformen einzelner Teile des menschlichen und tierischen Körpers eine besondere Geschicklichkeit besessen haben. Mit symbolischem Hinweis auf die Medici tritt im Ornament der berühmte, spitz geschliffene Diamant, das Familienkleinod, auf. Er krönt die Spitze des Sarkophages; in einen Ring gefaßt, ist er anmutig durch den Blätterstab in der Bogenlaibung geschlungen, auch aus der abschließenden Rosette springt er hervor. Wenn das geflochtene bronzene Strickwerk namentlich auf dem Deckel des Sarkophages als naturalistische Unmöglichkeit getadelt worden ist, so übersah man die künstlerische Notwendigkeit, ein Motiv, das den ganzen Hintergrund beherrscht, bereits im Hauptstück der Komposition andeutend vorwegzunehmen (Abb. 10).
Über welchen Reichtum die Phantasie Verrocchios gebot, kann man an dem Dekor der beiden Vasen in der marmornen Bogenlaibung erkennen, aus denen Festons mit abwechselnder Wiederholung eines schön entfalteten palmenartigen Gebindes und eines krausblätterigen Lorbeerbüschels emporsteigen. Die Vase rechts ist mit einem Puttentanze verziert, bei dem namentlich die Bewegung des vom Rücken gesehenen, um die Ecke fliegenden Engelknaben wahr und anmutig gegeben ist. Die Vase links ist reicher mit Ornament bedacht, ihr figürlicher Schmuck beschränkt sich auf Engelköpfe, zwischen denen Guirlanden hängen. Dadurch, daß beide Vasen über Eck gestellt sind, vertiefen sie die ziemlich flache Kehlung des Bogens und helfen die Raumillusion verstärken.
Wie beim Grabstein des alten Cosimo, fehlt auch an diesem Denkmal jeder Hinweis auf die christliche Weltanschauung: gewiß ein bedeutungsvolles Kennzeichen für die Zeit.
Mit Ausnahme des später in die Bogenöffnung eingefügten Bretterverschlages, der das großmaschige Strickgeflecht, das einen Ausblick in die anstoßende Sakramentskapelle gewähren sollte, um alle Wirkung bringt und den rückseitigen Anblick des Sarkophages wehrt, ist das Werk von jeder Entstellung frei geblieben.
Die Stifter ahnten kaum, daß sie sich zugleich ihr eigenes Grabmal bauten. Sowohl Giuliano als Lorenzo haben neben dem Vater und dem Oheim in derselben geräumigen Porphyrlade ihre Ruhestatt gefunden bis 1559, als der Großherzog Cosimo I. ihre Leichen in die neue Sakristei hinüberschaffen ließ, wo man kürzlich ihre Särge unter der Madonna des Michelangelo gefunden hat.
So völlig neu diese Lösung des Nischengrabes erklärt werden muß, so wenig hat sie Schule gemacht. Nur einmal noch, am Grabmal des Neri di Gino Capponi in Sto. Spirito, tritt das Motiv der vergitterten Bogennische auf. Sicher in deutlicher Anlehnung an Verrocchios Vorbild; denn wenn der dort Beigesetzte auch schon 1457 gestorben und der Sarkophag, in den Formen der Donatelloschule, zeitlich älter als Verrocchios Monument ist, so kann das Gitterwerk doch erst nach der Überführung des Grabmals aus der alten Kirche in den Neubau angebracht worden sein, also nicht vor 1481, dem Jahre, als in der neuen Kirche die erste Messe gelesen wurde. —
Nicht leicht findet man von dem Medicigrabe rückschauend den Weg, der künstlerisch zu dem wenige Schritte davon, aber versteckt in einem Seitenraum aufgestellten Lavabo führt (Abb. 11). Die über das Werk erhaltenen litterarischen Zeugnisse ver[S. 31]wirren eher die Frage nach dem Autor, als daß sie sie klärten. Die älteste Quelle schreibt das Lavabo Rossellino zu, Vasari bezeichnet es als gemeinschaftliches Werk von Donatello und Verrocchio. Für die Entstehungszeit erhalten wir durch den in der Lünette angebrachten Edelfalken mit dem Diamantringe und dem Spruchband, der persönlichen Impresa Pieros des Gichtbrüchigen, einen genauen Anhalt; es muß zu dessen Lebzeiten und in seinem Auftrage ausgeführt sein, also nicht später als 1469.
Die schon an das Barock streifende Kühnheit des Aufbaues, der eminent malerische Wurf der Komposition, der interessante Wechsel stolz geschweifter Rundungen, stärksten Reliefs und zartester Flächendekoration sprechen von einem Baumeister und Dekorator ersten Ranges, der an augenblicklicher, starker Wirkung dem Bildner des Medicigrabes sogar überlegen scheint. Aber nicht nur in den einzelnen Formen, dem Löwenkopf, den geflügelten weiblichen Drachen, die das Becken tragen, dem Zahnschnitt, der am Deckel der Porphyrlade genau so gebildet ist, verrät sich hier wie dort der gleiche Künstler, auch in der Polychromie[S. 32] des Lavabo erkennen wir ein wesentliches Dekorationsprinzip Verrocchios wieder. Die Ausführung aber ist in beiden Werken verschieden. Im Lavabo, das zudem noch teilweise beschädigt ist, hat eine flüchtigere Hand, allerdings mit meisterlich sicherem Verständnis der Formen, den Meißel geführt. Nicht überall die gleiche, denn es macht sich eine Divergenz zwischen der pedantischen Ausführung der Wandfüllung und dem lebhaften, ja stürmischen Schwung der freistehenden Teile geltend. Und vielleicht ist der Streit der Quellen mit dem, was das Kunstwerk über sich selbst aussagt, am besten dahin zu schlichten, daß Rossellino und Verrocchio an dem effektvollen Brunnen gemeinsam beteiligt gewesen sind, wobei dem einen die Wand, dem anderen das Becken und die Vase zufielen.
Wie dem auch sei, das Lavabo zählt unter die geist- und phantasievollsten Dekorationsstücke, die das florentiner Quattrocento überhaupt aufzuweisen hat. Alle späteren Leistungen erscheinen dürftig und nüchtern gegen den Reichtum und den Schwung, der diese Formen zu einem Ganzen gefügt hat.
Zwei weitere dekorative Arbeiten Verrocchios lassen sich nicht mehr nachweisen. Der bronzene Kandelaber, für den Andrea 1469 Zahlungen erhält und den die Signorie für ihren Audienzsaal bestellt hatte, ist umsonst unter den noch im Bargello erhaltenen gesucht worden. Vermut[S. 34]lich war er die Nachbildung eines antiken Bronzeleuchters.
Im Oktober 1474 goß Verrocchio eine berühmte, mit Figuren und Ornamenten verzierte große Glocke für die Vallombrosaner Mönche in Monte Scalari. Nach der Aufhebung des Klosters (1775) kam die Glocke in den Besitz des Pfarrers von San Pancrazio in Val d’Arno, barst 1815 entzwei und wurde von ahnungsloser Hand umgegossen.
Die schwere Quadermasse des Palazzo vecchio öffnet sich auf einen säulenumstandenen Hof, in dessen Mitte ein Springbrunn mit leisem Fall seine Wasser spielen läßt. Nach dem grellen Sonnenglanz und dem geräuschvollen Treiben auf dem belebtesten Platze der Stadt draußen herrscht hier Dämmerung und Stille. Grottenartig kühl weht die Luft aus dem Dunkel des gewölbten Umganges, und über die hohen Mauern fällt das Licht gedämpft wie in einen Schacht. Seine hellsten Strahlen treffen den geflügelten Knaben mit dem zappelnden Fisch in den Armen, der wie ein flüchtig rastender Vogel anmutig einen Augenblick über der Wasserkunst zu verweilen scheint (Abb. 12).
Im Lobe dieses Werkes von Verrocchio stimmen die älteren Kunstrichter mit den neueren und neuesten ohne Vorbehalt überein. „Nichts kann heiterer und lebendiger seyn, sagt Rumohr in seinen „Italienischen Forschungen“, als der Ausdruck der Mienen und der Bewegung dieses Kindes; und nirgends unter den modernen Erzgüssen begegnet man einer so schönen Behandlung des Stoffes, einem so musterhaften Style. Bey täuschendem Anschein halb fliegender, halb rennender Bewegung, ruhet dennoch die vielfach ausgeladene Gruppe durchhin sichtlich in ihrem Schwerpuncte; nach einem glücklichen Gefühle gab der Künstler dem Kinde rundliche Fülle, dem Fische und den Flügeln (den meist ausgeladenen Theilen) eine gewisse kantige Schärfe.“
Verrocchio hat mit diesem Putto einen weit über die Grenzen quattrocentistischer Formenentwickelung hinaus gediehenen Typus geschaffen, an den das Barock, ja selbst das Rokoko anzuknüpfen sich nicht entgehen ließ.
In Donatello wird der eigentliche Schöpfer der Gattung gefeiert, jener Kinderfiguren, die eine merkwürdige Mitte zwischen den Eroten der Antike und den Engeln[S. 35] der christlichen Weltanschauung halten. Donatello verwendet sie mit auffälliger Vorliebe und bedient sich ihrer wie dekorativer Elemente. Aber bei ihrer Bildung kümmert ihn nur der organische Zusammenhang der Körperteile, nicht die Gliederung der Einzelform. Etwas Summarisches liegt in seinem Vorgehen der Natur gegenüber. Zum Vergleich mit Verrocchios Brunnenputto eignet sich Donatellos Amor im Bargello, der lächelnd über den zertretenen Schlangen tänzelt. Weniger drall in der Körperbildung, erscheint er dennoch fast plump neben dem Fischmännchen. Auch mit dem Bogen und dem aufgelegten Pfeil, die zu ergänzen die Haltung der Hände nötigt, ist er im Umriß gebundener und weit weniger frei im Raum bewegt. Im Kopf vollends offenbart sich Donatellos antikische Art, von der sich Verrocchios Antikisieren (s. u. S. 49) wesentlich unterscheidet.
Auch Luca della Robbia hat die Kindergestalt gleichfalls mit starker Anlehnung an antike Vorbilder zu einer seiner Lieblingsdarstellungen gemacht, doch bietet sich unter ihnen, da sie alle Reliefs geblieben sind, keine zu lohnendem Vergleiche dar.
Hingegen deutet das Christkind auf Desiderios Tabernakel in S. Lorenzo bereits auf Verrocchio. Dieser segnende Knabe zeigt schon die prallen Formen, die Fettpolster an den Gelenken, die tief eingeschnittenen Hautfalten. Aber bei Desiderio überwiegt die erstaunliche Formensicherheit die individuelle Beseelung. Die Anmut wirkt ein wenig gleichgültig, und ein fast seelenloses Raffinement spricht aus der ans Akademische streifenden Glätte und Kühle.
Verrocchio aber gibt bei gleicher Meisterschaft über die Form eine weit ursprünglichere Natürlichkeit. Wie keiner vor ihm hat er sich L. B. Albertis Mahnung angelegen sein lassen: „auch beachte der Künstler, daß unsere Glieder in der Kindheit rund, gleichsam gedrechselt und wohlig für das Anfühlen sind.“ Verrocchios Putto ist durchaus Knabe, während Desiderio das Kind im geschlechtsloseren Sinne darstellt. Verrocchio hat andere Proportionen, einen kräftigen, gedrungenen Körperbau, ein stärkeres Relief. Seine Formen erscheinen fester, individueller, sein Lächeln frischer, seine Augen schalkhafter.
Und doch tritt bei dieser Figur die Freude an den Einzelheiten durchaus vor dem Entzücken über das Ganze zurück. Hier ist das Motiv alles. Mit den nach allen Seiten frei und kühn in den Raum ausfahrenden Linien ist die schon beim David beobachtete Raumillusion noch gesteigert. Unmöglich, sich diesen Putto anders als im Mittelpunkt einer architektonischen Anlage, der Betrachtung von allen Seiten zugänglich zu denken. Und welcher Gegensatz zwi[S. 36]schen den Ansichten der Vorder- und der Rückseite (Abb. 13 u. 14). Wie ist der zwischen den derb zupackenden Kinderfäusten sich windende Fisch geschickt in die Bewegung der Figur eingeordnet, indem sein breiter glotzäugiger Schädel, oben den linken Flügel verdeckend, Abwechselung in die Symmetrie der Linien bringt, sein gekrümmter Schwanz rechts die Lücke zwischen den abgespreizten Linien des anderen Flügels und des Beines füllt. In der Vorderansicht erscheint der Knabe fast nackt, auf der Rückseite ist mit dem in reichen wulstigen Falten flatternden Hemd eine Belebung der Flächen und Formen angestrebt.
Das bis in malerische Feinheiten hinein empfundene Gegenspiel der verschiedenen Stoffe würde zu stärkerer Wirkung kommen ohne die fatale Reinigung, die sich die Figur im Beginn des neunzehnten Jahrhunderts gefallen lassen mußte. Nun hat die neue Patina ungleichmäßig angesetzt, und wo sie in einer nicht eben selten beobachteten Muschelbildung aufliegt, nicht nur die Klarheit der Form, sondern auch die Gleichmäßigkeit des Gesamteindruckes empfindlich geschädigt.
In seinem handschriftlichen Memorandum erwähnt Tommaso Verrocchio, der Bronzeputto sei für die Villa in Careggi bestimmt gewesen. Er wird dort im Hof oder im Garten gestanden haben, und wir haben guten Grund, die gleich hinterdrein aufgeführten drei Bronzeköpfe und vier Löwenmäuler aus Marmor mit dem Brunnen als Schmuck und Wasserspeier in Verbindung zu bringen. Das ergäbe dann wieder eine polychrome Wirkung, wie Verrocchio sie liebte. Genaueres läßt sich indessen nicht feststellen, denn die Figur kam auf Veranlassung des Großherzogs Cosimo zwischen 1550 und 1568 nach Florenz in den Hof des Palazzo vecchio, wo sie Donatellos David verdrängte. Die schön gerundete Porphyrschale mit dem marmornen Baluster und dem dreistufigen Untersatz rührt aus dem sechzehnten Jahrhundert von dem Bildhauer Tadda her. Möglich, daß dieser in dem Kopf des Balusters drei von jenen vier marmornen Löwenköpfen aufs neue verwendete; wenigstens zeigen sie Verrocchieske Formen und sind ersichtlich eingelassen. Mit feinem Stilgefühl hat Tadda in der Komposition der architektonischen Teile den Charakter der Früh[S. 37]renaissance getroffen. Auch das Wasser ist mit derselben Zurückhaltung verwendet wie sie im Quattrocento üblich war. Mit großen rauschenden Massen, die das Ohr anregen und die Form silberig verschleiern, arbeitet die Frührenaissance nicht. Aufs Zierliche und Gefällige ist ihr Streben gerichtet, und dem entspricht der dünne, schillernde Wasserstrahl, dessen plätschernder Fall gerade laut genug ist, die träumerische Stille ringsum wahrnehmbar zu machen. Und diese Stille führt die Erinnerung zurück in den Cypressengarten der Villa zu Careggi, wo Lorenzo mit seinen philosophischen Freunden so gern im Gespräch weilte, und wo der Brunnen mit dem Fischmännchen über alle gelehrten Disputationen hinweg in den Rosenduft und die Abendkühle plauderte...
Noch eines anderen Putto wird in den älteren Quellen gedacht. Er hielt in den beweglichen Armen einen Hammer und schlug damit die Stunden an der Uhr auf dem Mercato nuovo. Derartige mechanische Kunststücke erfreuten sich großer Beliebtheit. Dello Delli hatte eine ähnliche Figur für den Turm des Stadthauses in Siena gearbeitet. Den größten Ruhm in dieser Technik aber genoß Lorenzo della Vol[S. 38]paia, aus dessen Werkstatt die berühmte Uhr in der nach ihr benannten Sala del Oriuolo im florentiner Rathause stammte. Erhalten bis auf unsere Tage hat sich nur ein Beispiel dieser Art: die hammerschlagenden Männer auf dem Uhrturm in Venedig. Sie geben, wenigstens der Mechanik nach, eine Vorstellung von der „schönen und phantasievollen Arbeit“ Verrocchios.
Die leider modern überstrichene Thonstatuette eines nackten, ungeflügelten Knaben, im Besitz von Herrn G. Dreyfuß zu Paris, nimmt das Motiv des Brunnenputtos noch einmal in einer leichten Variation auf (Abb. 15). Auf einer Halbkugel stehend, in eilender Bewegung, scheint der Kleine eine Posaune in der erhobenen Rechten gehalten zu haben, in die er mit vollen Backen bläst. Ein Blick auf ähnliche tubablasende Putten Donatellos in Siena oder in Padua zeigt nicht nur den Abstand der beiden Meister von einander, sondern erhärtet nochmals an einem besonders einleuchtenden Beispiel die Unmöglichkeit, Verrocchio in ein Schulverhältnis zu Donatello zu bringen.
Von den alcuni putti bellissimi, die Vasari erwähnt, ist jede Spur verloren gegangen. Vielleicht sind Repliken davon in den großköpfigen, mit leicht übereinander geschlagenen Beinen halb aufgerichtet liegen[S. 40]den nackten Kindern erhalten, von denen zwei das Berliner Museum besitzt. Die Hand Verrocchios selbst wird niemand in ihnen erkennen, für die Schule sind sie von Wichtigkeit. Selbst Albrecht Dürer hat nicht verschmäht, diesen Verrocchiesken Putto ohne Umstände für das Christkind auf der Madonna mit der Birne (Wien) zu verwenden. Und weiterhin sind die rundlichen, pausbackigen Engel des Barock und noch des Rokoko so unmittelbare Nachkommen jener Putten Verrocchios, daß in der Hitze des Kunstmarktes die Jahrhunderte und die Nationalitäten sich mitunter verwirren.
Das Brüderpaar, in dessen Dienst Verrocchio die Vielseitigkeit seines Talentes am häufigsten zu erproben hatte, ist in zwei trefflichen Thonbüsten aus des Meisters Hand auf die Nachwelt gekommen. Diese Büsten, leider in zwei Privatsammlungen der öffentlichen Aufmerksamkeit entrückt, bedeuten um so mehr, als sie die Männer in ihren kraftvollsten und glücklichsten Lebensjahren darstellen.
Die Temperamente kontrastierten so stark wie die Charaktere. In Lorenzo, dem älteren Bruder (geb. 1449), lebte das etwas schwermütige und nicht recht gesunde Blut des Vaters auf, in Giuliano (geb. 1453) die Kraft und die Lebensfreudigkeit des Großvaters. Beide als glückliche Erben fanden einen reichen Familienbesitz vor, über den sie mit jener Freigebigkeit verfügten, wie sie den im Überfluß Geborenen wohl ansteht. Die[S. 41] Ruhmsucht des Jahrhunderts loderte in beiden gleich hoch und hell. Die Macht und das Ansehen des Hauses zu mehren, war ihr einziger Gedanke. Aber bei Lorenzo, dem melancholischen Temperamente, der schon in jungen Jahren an kleineren und größeren Leiden kränkelte, richtete sich der Ehrgeiz mehr auf die Ausbildung des Verstandes und des Gemütes, Giuliano, der Sanguiniker, wetteiferte mit den Gleichstehenden in der Übung und Beherrschung aller körperlichen Kräfte und Fähigkeiten, in der Vornehmheit des äußeren Auftretens. Das Ideal der vollentwickelten Renaissance, der vollendete Hofmann, der Cortegiano, meldet sich, allerdings in diese beiden Persönlichkeiten gespalten, bereits an.
Kein Wunder, daß Lorenzo die feinsten und reichsten Geister ebenso um sich zu scharen wußte, wie Giuliano die Blüte der vornehmen Welt. Die Festlichkeiten, mit denen sie nicht kargten, die Turniere, die sie zu Ehren ihrer Herzensdamen ritten, wurden von Dichtern wie Luca Pulci und Angelo Poliziano besungen. Die platonische Akademie, mit Marsilio Ficino an der Spitze, versammelte sich gern in einer der Villen des Lorenzo. Lorenzo selbst war der Dichtkunst zugethan, und einer seiner schwermütig-einschmeichelnden Verse, darin er die flüchtige Schönheit der Jugend bei der Ungewißheit des Morgen zum frohen Genießen der Stunde mahnt, wird stets citiert, wenn die Sprache auf das[S. 42] Ende der Frührenaissance kommt. War Lorenzo von denen, die ihn begriffen, verehrt, von denen, über die er hinwegsah, gefürchtet, so war Giuliano der erklärte Liebling aller. Ohne Zweifel ist er damals der volkstümlichste Mann in Florenz gewesen. Daher flammte die Empörung auch um so heller auf, als bei dem Mordanschlag der Pazzi Giuliano, die Blume der Ritterschaft, sein Leben unter den Dolchen der Verschwörer lassen mußte. Wie Cäsar lag er, kaum fünfundzwanzigjährig, aufgebahrt in San Lorenzo mit den allen sichtbaren einundzwanzig Todeswunden. Die gesamte Jugend der Stadt legte Trauerkleider an.
Nicht allzu lang vor jener Katastrophe wird Giuliano unserem Meister zu der Büste gesessen haben, die eine der Zierden der Dreyfußschen Sammlung zu Paris bildet (Abb. 16). Mit vollendeter Sicherheit ist der Charakter getroffen, aus der kecken Haltung und Wendung des Kopfes nach links spricht Unternehmungslust und Wagemut. Die Augen werfen einen herausfordernden Blick zur Seite und die vollen, kräftigen Lippen schürzt ein Zug von Überlegenheit und Verachtung der Alltagswelt. Ein ironisches Lächeln sitzt in den Grübchen der Wangen. Kraft, Stolz und Selbstbewußtsein lagern auf dem breiten Gesicht, das die Locken schwer umkränzen. Ein Wunderwerk der Waffenschmiedekunst ist der Panzer, der die breite Brust deckt. Die Halsberge umschließt einen ehernen Nacken, das Medusenhaupt droht von der Brust herab. Hier hat wieder der Goldschmied die feinen Finger im Spiel gehabt, während sich in der Anlage des Ganzen und im Kopf der treffsichere Charakteristiker offenbart.
In Lorenzos Büste (bei Mr. Shaw in Boston, Abb. 17) überwiegt der Ausdruck großartiger Willenskraft die melancholische Grundstimmung. Die Einzelformen, Stirn, Nase und Mund, sind von Natur hier edler gebildet als bei Giuliano. Die in der Anlage weichen Züge spannt und strafft eine Energie, die sich auch körperlicher Leiden zu erwehren müht. In der Behandlung ist alles groß und schlicht. Unter den bis in den Nacken glatt herabfallenden Haaren zeichnet sich die schön gerundete Form des Schädels. Eine merkwürdige Mischung aktiven und passiven Seelenlebens verleiht dem Bildnis seinen hohen psychologischen Reiz:
Den weniger reich gezierten Panzer schmücken auf der Brust zwei einander zugekehrte wappenhaltende Drachen, die in ähnlicher Bildung bereits am Lavabo beobachtet wurden, und auf den Schultergelenken zwei Gorgonenhäupter mit demselben furienhaften[S. 43] Schrei, den die Meduse auf dem Panzer des Giuliano ausstößt.
Unter allen Büsten Lorenzos ist diese die am meisten sympathische. Später machten Lebenserfahrung und Denkarbeit die Züge hart, und Krankheit zog ihre tiefen Furchen und Falten.
Verrocchios Gestaltungskraft wird erst in der Gegenüberstellung dieser verwandten und doch so verschiedenen Persönlichkeiten klar und mit Bewunderung erkannt. Auch hinsichtlich der vollkommenen Ähnlichkeit trauen wir dem Meister ohne jedes Bedenken. Wenn wir die ein wenig älter dreinschauenden Köpfe der Brüder auf Bertoldos Denkmünze, die Lorenzo zur Erinnerung an die Katastrophe von 1478 schlagen ließ, für die chronologische Fixierung unserer Büsten zu Hilfe nehmen, so dürfen wir Verrocchios Arbeiten in den Anfang der siebziger Jahre, in die Zeit des Medicimonumentes, setzen.
Vermutlich wird Verrocchio vom toten Giuliano die Maske genommen haben, da er in dieser Kunst ohne gleichen dastand. Das Formen über der Natur, bei dem der Meister sich einer eigens erfundenen Gußmasse bediente, nützte er namentlich in Verbindung mit dem Wachsmodelleur Orsini aus. Sie stellten zusammen lebensgroße Statuen her, in denen Gesicht und Hände über der Natur in Wachs nachgeformt, das Knochengerüst von Holz in Kleidern aus natürlichen Stoffen sich verbarg, die Haare durch eine Perücke ersetzt wurden. So nahm das Bedürfnis nach Lebenswahrheit in der Frührenaissance denselben leicht abschüssigen Weg zum Trivialen, den unsere Panoptikumkunst aus Sensationsbedürfnis eingeschlagen hat, mit dem schwerwiegenden Unterschiede allerdings, daß damals Künstler am Werk waren. Man verfolgte auch ernsthaftere Zwecke. Lorenzos Freunde und Angehörige ließen nämlich sein kostümiertes Wachsbildnis als Weihgeschenk und Danksagung für die glückliche Errettung aus der Pazziverschwörung aufstellen. Eine dieser Wachsfiguren kam in die Kirche des seligen Chiarito und trug das Kostüm, das Lorenzo auf dem Wege zu jenem verhängnisvollen Hochamt angelegt hatte; eine zweite, mit dem bürgerlichen Lucco bekleidet, stand in der Annunziata, eine dritte in S. Maria degli Angeli unterhalb von Assisi.
Unter den Terracottabüsten, die schon der Tracht nach dem Ende der Frührenaissance angehören, hat man neuerdings in einer bisher dem Antonio del Pollajuolo zugeschriebenen Jünglingsbüste das Porträt des Sohnes Lorenzos, Piero il fiero (geb. 1471) erkennen wollen und es Verrocchio zugeteilt. Wenn auch die Identifizierung der Persönlichkeit stichhaltig ist, die Bestimmung auf Verrocchio erregt Bedenken.[S. 44] Der Kopf, der sich mehr durch Frische der Auffassung als durch individuelle Durchbildung der Einzelheiten auszeichnet, zeigt wohl den Stil, aber nicht die Merkmale der eigenen Hand Verrocchios.
Bei anderen mehrfach vorkommenden Jünglingsbüsten (in Berlin und London) führt schon die gröbere Arbeit auf den Gedanken an die Werkstatt. Im Typus aufs engste untereinander verwandt mit dem gescheitelten, in Locken aufliegenden Haar, dem breiten Gesicht mit den etwas starren Augen und dem freundlich-offenen Ausdruck, sämtlich unterhalb der Schultern[S. 45] abgeschnitten und in gebranntem Thon ausgeführt, standen sie, als Porträts junger Anverwandter, der Sitte der Zeit gemäß, auf den Kaminen, über den Thüren und Fenstern als Zimmerschmuck (Abb. 18).
Eine ähnliche, in dem gleichen Material hergestellte Reihe von Büsten älterer bärtiger Männer, denen durchgehends Verrocchios Christustypus zu Grunde liegt — in den Sammlungen des Musée Cluny zu Paris, ehemals beim Maler Landsinger in München, im South Kensington-Museum zu London, im Klosterhof der Collegiata zu San Gemignano — gelten als Studien zu jenen großen silbernen Apostelstatuen, die Sixtus IV. angeblich bei Verrocchio bestellte. So apokryph, wie bereits gesagt, dieser Auftrag samt dem daraus hergeleiteten römischen Aufenthalte erscheint, so locker ist der Zusammenhang dieser Arbeiten mit der Werkstatt des Künstlers. Unter den Schülern wird Agnolo di Polo als besonders geschickt in der Ausführung derartiger Thonarbeiten gerühmt; indessen bietet das einzige von ihm beglaubigte Werk, eine Christusbüste im Liceo Forteguerri zu Pistoja, nicht genügende Anhaltspunkte, um eine oder die andere der erwähnten Büsten mit Sicherheit auf ihn zu bestimmen.
Die Darstellung weiblichen Liebreizes muß eher bei den Madonnen Verrocchios gesucht werden, als bei den wenigen Frauenbüsten, die ihm die neuere Kritik zuerkannt hat. Wenn indessen die schönste aller weiblichen Porträtbüsten des Quattrocento mit Verrocchio in Verbindung gebracht wird, so beweist dies nur, wie hoch neuerdings der Künstler geschätzt wird. Diese Büste (Abb. 19), die das Nationalmuseum zu Florenz bewahrt, stammt aus dem Palazzo Medici, weshalb in der Dargestellten auch eine Angehörige jener Familie vermutet worden ist. Doch sind bisher alle Versuche, die Person zu identifizieren, gescheitert. Sehr eigentümlich und gegen jede Gepflogenheit ist schon der Abschluß der Büste mit den ganz sichtbaren, lose über der Brust verschränkten Armen. Den Kopf mit den Ringellocken über Schläfen und Ohren und den in ein seidenes Mützchen gesteckten Zöpfen ganz leis nach rechts und zurückgeneigt, hält die Frau mit den schmalen, langfingerigen Händen in den breiten Gürtel eingeschlagen einen Primelstrauß vor dem Busen. Und aus diesen wunderbar geformten Händen mit den schlank zugespitzten Fingern spricht mehr Seele und Geist, als aus dem noch befangenen Lächeln, das in den Winkeln des schönen Mundes sitzt. Wer hat solche Hände bilden können? Gewiß, die Hände beim David mit ihrer anmutigen Spreizung sind von höchster Zierlichkeit, und wenn der stärkere Knochenbau dort der weichen Schön[S. 46]heit hier gewichen ist, so kann dies bis zu einem gewissen Grade recht wohl mit der Verschiedenheit der Persönlichkeiten und des Materiales erklärt werden. Aber in diesen Frauenhänden lebt eine seelenvolle Anmut, wie sie Verrocchio auch in der schönsten seiner Madonnen nicht auszudrücken vermocht hat. Wer Leonardos Händestudien, vor allem jene herrliche Zeichnung in Windsor Castle mit einer den Händen auf unserer Büste ganz verwandten Stellung vor Augen hat, wird auch vor dieser Büste, zunächst zwar noch zögernd, eher an den Schüler als an den Meister denken. Indessen die Merkmale zu Gunsten Leonardos mehren sich bald. Das Mädchenbildnis in der Galerie Liechtenstein zu Wien bietet ganz überraschende Analogieen (Abb. 20). Nicht nur in den Äußerlichkeiten der Tracht und der Frisur, auch in der Formauffassung verrät sich in beiden der gleiche Künstler: hier wie dort die breite, flache Anlage des Gesichtes, die weit auseinander liegenden Augen mit den schwer herabfallenden Lidern, die dem Blick etwas Müdes, Verschleiertes geben, der rein und scharf gezeichnete Mund. Und wenn die neueste Leonardoforschung Recht behält, indem sie die Hände der Windsorzeichnung als Studie für die nachweislich abgeschnittenen des Wiener Bildnisses ausgibt, so erstreckt sich die Ähnlichkeit der Büste mit dem Porträt auch auf die Hände. Ganz leonardesk ist das Hervorwölben der Handgelenke, sind die flachen Falten mit den schmalen Stegen, die wesentlich von Verrocchios wulstiger Faltengebung abweichen, ist die ungemeine und nie ins Kleinliche sich verlierende Sorgfalt der Einzelheiten. Blickt aus dem Wiener Bild ein Mädchenkopf, dessen Schönheit, wie die rückseitige Inschrift lautet, noch durch Tugendhaftigkeit erhöht wird, so lächelt aus der Marmorbüste die Anmut der reifen Frau, die sich namentlich in der Profilansicht sehr schön ausspricht. Haben wir also, wie man gemeint hat, dieselbe Persönlichkeit und, setze ich hinzu, von demselben Künstler vor uns, so gewiß aus verschiedenen Lebensjahren.
In einer zweiten weit weniger individuellen Marmorbüste (bei Herrn G. Dreyfuß in Paris) hat man wegen des Wappens auf dem Ärmel des Damastgewandes eine Colleoni erkennen wollen und dementsprechend die Arbeit Verrocchios letzten in Venedig verbrachten Lebensjahren zugewiesen. Allein das Wappenzeichen stimmt nur sehr ungefähr, um nicht zu sagen gar nicht mit dem leicht kenntlichen jenes Condottiere überein, Tracht und Frisur zeigen die florentiner Mode um 1470, und in der Profilansicht rückt die Büste ganz in die Nähe jener, die nicht recht überzeugend Desiderio da Settignano zugeschrieben werden. Eine bündige Kritik ist hier unmöglich, da die Büste, am Hals gebrochen und zusammengestückt, auch noch durch zu scharfes Reinigen erheblich gelitten hat. Am Hinterkopf, auf dem die sehr künstliche Frisur mit eingeflochtenen Bändern und Blumen aufliegt, kann die ehemalige Sorgfalt des Meißels noch erkannt werden. In ihrem jetzigen Zustand darf die Arbeit keinen höheren Anspruch erheben als unter dem Sammelbegriff Verrocchio katalogisiert zu werden.
Eine weibliche Thonbüste bei Mr. Foulc in Paris ist ebenfalls nicht tadellos erhalten. Sie entzieht sich insofern meiner Beurteilung, als sie mir nur in einer Abbildung bekannt geworden ist. Bei individueller Belebung des Kopfes, in dem der sehr lebendige Mund auffällt, scheint sie mir ein gutes Beispiel für Verrocchios Auffassung weiblicher Bildnisse abzugeben, die sich auffällig derjenigen Desiderios verwandt zeigt. Das Gewand ist leider recht nüchtern ausgefallen. —
Vasari spricht noch von zwei bronzenen Reliefbildnissen, Idealporträts Alexanders d. Gr. und des Königs Darius, die Lorenzo, wenn nicht als Geschenkgeber, doch als Mittelsmann an den kunstliebenden König Matthias Corvinus nach Ungarn sandte. Der Verlust dieser Arbeiten bringt uns um wichtige Belegstücke für das Verhältnis Verrocchios zur Antike. Sicher griff der Meister für die Typen auf die Münzen und die geschnittenen Steine mit den Bildnissen jener beiden Herrscher zurück, die sich im mediceischen Palaste befanden, seit der Sammeleifer Cosimos und seines Sohnes Piero sich diesem Gebiet antiker Kleinkunst zugewandt hatte. Ganz frei seiner Phantasie wird indessen Verrocchio in dem Schmuck der Rüstungen, deren Verschiedenheit besonders gerühmt wird, gefolgt sein. War doch schon der Brustharnisch des [S. 48]Giuliano ein Muster feinen Geschmacks und sauberster Waffenschmiedearbeit. Für den Verlust dieser Werke muß an dieser Stelle der Hinweis auf das prächtige Marmorrelief mit der Inschrift P· SCIPIONI· aushelfen, das seit dem Tode seines letzten Besitzers Mr. Rattier in Paris sich nirgends hat nachweisen lassen (Abb. 21). In den vornehm durchgebildeten Formen mit dem verhaltenen Lächeln, dem spielenden Reichtum der Ornamente (man beachte die Schlängellinien der Bänder), in der Reinheit des Konturs bei scharfer Profilstellung wird man auch hier an Zeichnungen Leonardos gemahnt, vor allem an den großartigen Kriegerkopf der Malcolm-Collection. In der That ist die Grenze zwischen Lehrer und Schüler abermals so unbestimmbar, daß ich mich, ungeachtet der lebhaften Parteinahme für Leonardo, nicht getraue, den entscheidenden Schritt von einem zum anderen zu machen, um so weniger, als meine Bemühungen das Original zu Gesicht zu bekommen, ohne Erfolg geblieben sind.
Auch als Restaurator antiker Kunstwerke hat Verrocchio den Medici gedient. Unter den vielen antiken Torsi, die Cosimo der Alte aus Rom mitgebracht hatte, befand sich ein Marsyas, der seiner Zeit von Donatello ergänzt und an der Thür des Medicipalastes, die auf die Via Ginori hinausgeht, aufgestellt worden war. Bald darauf war in Lorenzos Hände ein Marsyastorso aus rotem Marmor gefallen, den Verrocchio zu ergänzen hatte, und der ein Gegenstück zu jenem ersten abgeben sollte. Die 1495 erfolgte Auflösung der mediceischen Kunstschätze ist auch diesen Antiken verhängnisvoll geworden. Zwar kamen sie, nach Wiederherstellung der Familie 1513 augenscheinlich an ihren alten Platz zurück, wo sie der reisende Rechtsgelehrte Johann Fichard aus Frankfurt a. M. noch 1536 sah, dann aber verliert sich beider Spur völlig. Mit Unrecht werden die Marsyasstatuen Nr. 155 und 156 im ersten Korridor der Uffizien mit den von Donatello und Verrocchio ergänzten identifiziert. Nach Fichards Beschreibung war der von Verrocchio in allen wesentlichen Teilen, mit Ausnahme des Kopfes vervollständigte Torso sitzend dargestellt. Wohl mög[S. 49]lich, daß ihm zu dieser Ergänzung derselbe Cameo aus dem Besitz der Mediceer die notwendigen Anhaltspunkte gab, den Michelangelo in dem interessanten Relief seiner Jugendjahre kopierte. Verrocchio verarbeitete dabei mit fast spielerischer Geschicklichkeit ein Stück roten Marmors, dessen weiße Adern die Sehnen und Nerven naturgetreu nachahmten; und dieses gewiß ebenso schwierige als geschmacklose Kunststück befriedigte das naturalistische Empfinden der Zeit aufs höchste. Man durfte im fünfzehnten Jahrhundert seinen Nerven noch etwas zumuten!
Diese Restauration bietet die schickliche Gelegenheit, das Verhältnis Verrocchios zur Antike festzulegen. Er steht darin ganz auf dem Boden der meisten und der hervorragendsten seiner Zeitgenossen. Mit ihnen teilte er das Gefühl, die künstlerischen Leistungen der Gegenwart könnten sich wohl mit Ehren neben denen der alten Welt sehen lassen. Begeisterung ohne Kritik kennt er als Florentiner nicht. Der Rat des L. B. Alberti ist ihm stets gegenwärtig: der Anschluß an die Formenbildung der Antike sei durch selbständiges Naturstudium zu ersetzen. Er kopiert wohl gelegentlich z. B. jenen Kandelaber für den Audienzsaal der Signoren, von dem ausdrücklich versichert wird, er sei „einem gewissen antiken Gefäße nachgebildet“ worden. Auch besaß Vasari in seiner Sammlung von Verrocchio ein Terracottarelief, einen Pferdekopf nach der Antike darstellend. Eine schöne Terracottastatuette des sitzenden heiligen Hieronymus im South Kensington Museum zu London, bei der der Meister das über den Schoß gelegte Gewand aufs sorgfältigste studiert hat, wiederholt das Motiv des bekannten antiken Dornausziehers, der in vielen freien Kopieen damals verbreitet war (Abb. 22). Antike Fabelwesen: die weiblichen Drachen, die Medusenhäupter, antike Zierformen: der Löwenfuß, die Schild[S. 50]kröten, das Füllhorn, der Kandelaber, antikes Ornament: der Fruchtkranz, das Akanthusblatt, der Palmettenfries, die Rosette verwendet Verrocchio mit Vorliebe, aber stets sind sie frei nachgebildet, geistvoll belebt, eigenartig umgeformt. Aus all dem spricht das künstlerische Hochgefühl der Zeit, das sich in der Wiedergabe der „Natur“ d. h. unzähliger, liebevoll beobachteter und peinlich nachgebildeter Einzelheiten den Alten schon überlegen fühlte. Ugolino Verinos Lobspruch, der Verrocchio dem Phidias, ein anderes Mal dem Lysipp gleichstellt, hätte das Selbstgefühl unseres Meisters gewiß nicht in Verlegenheit gebracht. Und nicht nur vor der erschreckenden Lebenswahrheit des blutrünstig Geschundenen mag er sich mit dem berechtigten Stolze des selbstbewußten Künstlers gefragt haben: Wer von den Alten...?
Dieses ausgebildete künstlerische Selbstgefühl hinderte Verrocchio indessen keineswegs seine Kunstfertigkeit auch an Aufgaben von nur dekorativer Bedeutung zu setzen. Noch schloß der selbstbewußte Künstler nicht den pflichtgetreuen Zünftler aus. So fertigte er zwanzig Masken nach dem Leben als Schmuck über die Thüren des Palastes in der Via larga. Auch hierbei wird ihm seine schon gerühmte Kunst über der Natur zu formen zu statten gekommen sein. Vermutlich haben wir unter diesen Masken an Porträts Verstorbener, der Familie Nahestehender zu denken; erfahren wir doch aus dem Inventar der Medici, daß derartige Bildnisse mehrfach über den Thüren angebracht waren. Auch besserte Verrocchio die über den Loggien des Hofes und den Arkaden des Gartens angebrachten antiken Köpfe aus.
Schließlich zählt Verrocchio auch unter die großen Festdekorateure. Für die beiden von Pulci und Polizian besungenen Turniere, die seine Herren Lorenzo und Giuliano zu Ehren der Lucrezia de’ Donati und der Simonetta Vespucci 1469 und 1475 ritten, entwarf Verrocchio den ganzen prunkhaften Aufzug. Beim Einritt in die Schranken, die auf der Piazza S. Croce errichtet waren, trugen Pagen die violett und weiß gemalte Standarte vorauf. Auf diesem „Spiritello“ war Lucrezia de’ Donati gemalt in azurnem, mit Gold und Silber besticktem Brokatkleid; unter einem Regenbogen strahlte die Sonne hervor und warf einen lichten Schein auf die Gestalt, die einen Lorbeerzweig von einem dürren Stamme pflückt und ihn zum Kranze windet. Auf dem Regenbogen prangte in Goldbuchstaben Lorenzos Devise: le tems revient.
Glanzvoller und weit umfassender noch waren die von Verrocchio geleiteten Vorbereitungen zum Empfang des Herzogs Galeazzo Sforza, der im März 1471 mit[S. 51] seiner Gemahlin Bona von Savoyen und einem Gefolge von zweitausend Personen seinen Einzug in Florenz hielt. Die fürstlichen Herrschaften stiegen im Palast der Medici ab. Alle Reichtümer der Familie prangten in den Gemächern: über kostbarem Mobiliar hingen flandrische Teppiche; antike Skulpturen und moderne Gemälde, für die der kunstliebende Herzog besonderes Verständnis zeigte, zierten Ecken und Wände. Venezianische Leuchter sprühten Kerzenglanz, und im großen Festsaal, wo die Tafeln herrlich hergerichtet standen, funkelte das Silbergeschirr auf der kostbaren Kredenz.[S. 52] Guirlanden rankten sich an Wand und Decke hin, Schalen mit orientalischem Räucherwerk ergötzten Gesicht und Geruch. Wenn in dem oft citierten Memorandum des Tommaso auch noch von einem „aparato“ die Rede ist, so ist der Gedanke an eine Festaufführung wohl gestattet, wie solche ja auch die Signorie in drei Kirchen der Stadt zu Ehren der fremden Gäste veranstaltete.
Die ansehnliche Gruppe von Madonnendarstellungen in Marmor, Thon und Stuckmasse, die mit Verrocchios Namen belegt wird, läßt sich auf ein Originalwerk des Meisters zurückführen. Bis vor seiner eben erfolgten Überführung in die Uffizien stand es versteckt in einem Vorraum, der zur Galerie des Spitals von S. Maria nuova führt. In starkem Hochrelief, das in gewissen Teilen hart an die Grenze des Freiplastischen rührt, zeigt es die Madonna bis zu den Hüften, liebevoll herniederlächelnd auf das nackte Christkind, das mit segnender Gebärde auf einem prachtvollen Kissen vor ihr auf einer Brüstung steht (Abb. 23). Die Gruppe ist in gebranntem Thon ausgeführt, so daß, wie immer vor Terracotten, der Gedanke an ein Modell für den Bronzeguß oder die Marmorausführung lebendig wird. Nicht genug kann beklagt werden, daß wir keine Nachricht über den Ursprung der Arbeit besitzen; die von Vasari erwähnte, aus der Casa Medici stammende Madonna dürfen wir in der unsrigen nicht erkennen, weil weder das Material — dort war es ein Marmorrelief — noch die Beschreibung — „das Christkind am Halse der Mutter“ — paßt. Die in allen Teilen gleich vollendete und schöne Arbeit gibt hinreichenden Aufschluß über das Madonnenideal des Verrocchio.
Das Quattrocento hatte mit der noch an die hieratische Tradition anknüpfenden Darstellung der thronenden Madonna gebrochen zu Gunsten einer weltlicheren, menschlich-intimeren Auffassung. Die Unberührbare erschien den Künstlern, ihrer himmlischen Würde entkleidet, in allen Wochen- und Kinderstuben im Bilde der Wöchnerin und Mutter selbst gegenwärtig zu sein. Und was da an Muttersorge und Mutterglück ihnen vor Augen trat, formten ihre geschickten Hände in naiver Unbekümmertheit um den hohen Gedanken, dem sie dienen sollten. Nicht in dem, was sie sahen, unterschieden sich die Künstler, sondern in dem, wie sie es sahen.
Donatello greift, leidenschaftlich und stürmisch, wie er empfindet, die tragische Seite des Motivs auf. Seine Madonnen sind den antiken Heroinen, den Seherinnen, den Sibyllen verwandt; wie jene haben sie tief in die Arglist der Herzen und in das Leid der Welt geblickt; der Schmerz der Niobe lebt, wenn auch durch Resignation gedämpft, in ihren großen, fast starren Augen. Als wüßten sie, wie bald sie es dahingeben müssen, umklammern sie mit dumpfer Leidenschaftlichkeit das Kind, hüllen es in die weiten Falten ihres Schleiertuches und ängstigen es mehr durch ihre wilde Zärtlichkeit, als daß sie es zutraulich machten. Luca della Robbia betont in seinen Madonnen die Jungfrau, die mit dem Kinde wie mit einem jüngeren Geschwister spielt. Ihre reinen Blicke trübt kaum ein leiser Schatten der drohenden Zukunft. Alles Anmutige, Tändelnde, Mädchenhafte ist diesen jungen Müttern zu eigen. Ihre Gewänder fallen schlicht und schmucklos, während die Donatellos reichere Fältelung und bescheidenen Zierat zeigen. Das Kind, nie so häßlich wie das allerdings naturgetreuer gebildete des Donatello, schmiegt sich an die Mutter, in deren Armen sein lachendes und leuchtendes Kinderparadies beschlossen liegt. Bei Donatello die drückende Stimmung vor Anbruch der Tragödie, bei Luca die heitere Zuständlichkeit des Idylls.
Verrocchios Madonna dagegen ist eine vornehme Frau im Glück ihrer jungen Mutterschaft. Über dem leicht gewellten, mit Bändern durchflochtenen Haar trägt sie ein zierlich gefaltetes Schleiertuch; der Mantel über dem schöngesäumten Untergewand wird durch eine große, perlengefaßte Agraffe zusammengehalten. Mit niedergeschlagenen Augen und einem feinen, zurückhaltenden Lächeln betrachtet sie ihr schönes Kind. Das ist ein Bube mit einem allerliebsten Lockenkopf, Pausbacken und vergnügten Kinderaugen. Noch nicht recht sicher auf seinen strammen Beinchen, greift er wie zum Halt mit der Linken an das[S. 53] Manteltuch der Mutter, die Rechte, leicht von der Mutter unterstützt, macht die Gebärde des Segnens. In dieser Madonna ist die tiefe menschliche Empfindung mit vornehmstem Anstande gepaart. Die aufrecht stolze Haltung der Mutter spricht das Bewußtsein der Repräsentation aus; zugleich tritt die Mutter damit vor dem Kinde zurück. In dem Kinde wiederum ist viel angeborenes Standesbewußtsein lebendig; sein Lächeln streift schon ans Huldvolle. Und dennoch erstarrt das Menschliche nirgends in höfischer Etikette. Aber die bürgerliche Sphäre ist in dieser Madonna bereits überwunden. In ihre Wochenstube ist sicher so vornehmer Besuch gekommen, wie ihn Ghirlandajo im Chor von S. Maria Novella bei der heiligen Anna einführt.
Verrocchios Formentwickelung kann an dieser Arbeit vorzüglich studiert werden. Den bisher betrachteten Werken gegenüber ist ein stärkeres Relief und ein Zuwachs an Motiven festzustellen, die man bisher nicht nachweisen konnte. Für den späteren Stil des Meisters ist namentlich die sehr reiche Faltengebung des Mantels der Maria bemerkenswert. Die Motive häufen sich schon und würden vielleicht beunruhigen, fänden sie nicht in dem nackten Kinderkörper mit seinen großen ruhigen Flächen auf der anderen Seite einen wirksamen Ausgleich. Dieses Christkind ist in allen Teilen der Bruder des Fischmännchens, nur daß hier in dem weichen Thon das Schwammige und Gedunsene des Kinderkörpers noch besser zum Ausdruck kommt, als dort in der durch spätere Patinierung mißhandelten Bronze. Das bestrickend anmutige Lächeln der Madonna konnten wir schon am David wahrnehmen, hier tritt es zum frauenhaft Lieblichen gehöht und zugleich gemildert auf. Die Hände, fleischig aber edel geformt, liefern wohl den stärksten Beweis dafür, daß die weibliche Marmorbüste des Bargello nicht Verrocchio angehört, selbst wenn man die Hände dort mit den fein zugespitzten Fingern als eine eigene Schönheit des Modells ansehen wollte. Von dem malerischen Gefühl Verrocchios spricht auch der Umstand, daß er die Plinthe des Reliefs in die Komposition mit hineinbezogen hat und sie als Balustrade denkt, auf der das Kissen ruht und über die hinweg der Mantel der Maria mit ein paar schönen Faltenmotiven fällt. So verschmilzt erst die Spätrenaissance wieder den idealen Raum mit der realen Abgrenzung. Die im Spitzbogen geschlossene, blau bemalte Hinterwand mit der strahlensprühenden Taube als Symbol des heiligen Geistes und dem Sockel mit der schlecht gemalten Inschrift (die in der[S. 54] Abbildung weggelassen wurde) sind spätere, entstellende Zuthaten.
Es ist nun sehr lehrreich, zu sehen, wie sich die Werkstatt und die Schule des Meisters mit diesem Madonnentypus abfindet: sie verallgemeinert die Form und verweichlicht den Ausdruck. Die angeblich aus der Casa Medici stammende Madonna des Bargello (Abb. 24) kann weder das Werk sein, das Vasari im Kabinett der Großherzogin über einer Thür sah, noch möchte man darin die eigenhändige Ausführung des Meisters erkennen. Die Madonna ist glatt und süßlich im Ausdruck, das Christkind steif in der Haltung und ohne das herzliche Lächeln. In technischer Hinsicht fällt das flach behandelte Relief mit den gequetschten Falten auf. Bei solchen entscheidenden Abweichungen von der Eigenart des Meisters darf schließlich auch auf das Material hingewiesen werden. Unter den gesicherten Arbeiten Verrocchios findet man keine in Marmor ausgeführten; selbst bei großen Aufträgen pflegte er die Ausführung in diesem Material Gehilfen anheim zu stellen. Damit soll aber keineswegs die sehr enge Beziehung gerade dieser Madonna zu seiner Werkstatt geleugnet werden. Sicher ist sie dort, und zwar unter seinen Augen, entstanden, worauf manche Feinheiten hindeuten. Nur sind auch die Schönheiten, wie z. B. Kopf und Hand, leer geblieben, ohne die liebevolle Vollendung, die Verrocchio diesen Teilen vornehmlich angedeihen läßt.
Eine Reihe Verrocchiesker Madonnenreliefs in Thon, Robbiaarbeit und farbigem Stuck lehnt sich mit größeren oder geringeren Freiheiten an diese Marmorarbeit an und beweist mithin, daß das Marmorrelief sich großer Beliebtheit erfreut hat. Eine der schönsten Repliken erkennt man in der glasierten Terracotta der Sakristei von S. Croce zu Florenz (Abb. 25), von der eine farbige Stucknachbildung das Berliner Museum besitzt (Abb. 26). Unter den Thonnachbildungen befand sich eine besonders durch die zarte Milde des Madonnenkopfes bestechende zuletzt im englischen Kunsthandel (bei Mr. Dibblee in Manchester), während eine zweite im South Kensington-Museum zu London (Nr. 7576) das Motiv erweitert, in der Ausführung vergröbert vorführt (Abb. 27).
Alle diese Madonnen weichen mehr in der Darstellung des Kindes als in der der Mutter von dem Thonoriginal des Verrocchio ab. Zunächst steht bei ihnen das Christkind auf der linken Seite, während es bei Verrocchio rechts steht. Ferner nähern sich diese Nachahmer merkwürdigerweise in der Formengebung des Kinderkörpers viel mehr dem segnenden Christkind des Desiderio auf dem berühmten Tabernakel von S. Lorenzo als dem Kindertypus ihres Meisters. Vor einigen darf man bestimmte Künstlernamen aussprechen, z. B. vor jener ziemlich blöden Marmormadonna des Bargello mit dem Wolkenhintergrund, die ein Werk des Francesco di Simone ist (Abb. 28).
Nur eine dieser, dem Verrocchio nahe verwandten Madonnen — bei Mr. Quincy Shaw in Boston (Abb. 29) — tritt aus dem bisher betrachteten Kreise heraus. In seiner Komposition — die Madonna betet sitzend das auf ihrem Schoße liegende Kind an, das ein herzugetretener Engel stützt — geht die Arbeit auf das berühmte Vierfigurenbild des Fra Filippo in den Uffizien zurück. Was Verrocchio diesem Meister zu danken hat, soll bei der Betrachtung seiner malerischen Produkte gewürdigt werden; hier genüge der Hinweis auf das frei benutzte Vorbild. Die sehr sorgfältige, ungemein glatte und saubere Durchführung, die etwas untersetzten Verhältnisse des Christusknaben, die holde Schwärmerei im Kopfe des Engels, dem der Davidtypus zu Grunde liegt, die sentimentale Stimmung lassen an Lorenzo di Credi denken, von dem wir aus Verrocchios eigenem Munde wissen, daß er bildhauerisch thätig war, wenn auch keine gesicherten plastischen Arbeiten von ihm nachweisbar sind. Das Relief wurde auf einer ehemals den Medici gehörigen Villa ausgegraben und ruhte auf einem Bronzesockel, der zwei Porphyrsäulen mit trefflich ciselierten Bronzekapitälen trug. So zeigte auch die Umrahmung mit ihrem koloristischen Effekt den Geschmack Verrocchios, wie das Relief seinen Stil.
Nicht so sehr die Plastiker indessen wie die Maler haben das Madonnenideal des Verrocchio volkstümlich gemacht. Und wenn dabei Namen wie Botticelli, Ghirlandajo, Perugino, Credi, von dem unvergleichlichen Leonardo immer abgesehen, in Betracht[S. 55] kommen, so darf ihnen vor ihren bildhauernden Kameraden das Lob gespendet werden, daß sie sich ihrem Vorbilde gegenüber von Trockenheit und Manieriertheit freier gehalten haben. Freilich auch die besten unter ihnen erreichen so wenig den Meister wie jene. Lag doch gerade in der Nacheiferung eines so selbständig vorgehenden Meisters die Gefahr doppelt nahe, das Zarte zum Schwächlichen, den Überfluß zum Kleinlichen herabzumindern. Bis zu einem gewissen Grade unterlagen sie alle dieser Gefahr. Keine ihrer Madonnen glänzt so von Huld und Hoheit, wie die ehemals in S. Maria nuova versteckte Terracotta Verrocchios. Vor ihr allein haben wir das Gefühl, am Wendepunkt einer Entwickelung zu stehen, die das Problem der Madonna einer neuen Lösung zuführt. In keiner anderen Madonna des Quattrocento meldet sich so deutlich die neue Gesinnung der Hochrenaissance, die das Bürgerliche zum Höfischen, das Ungezwungene zum Feierlichen, die Zurückhaltung der Scheu in die Zurückhaltung der Vornehmheit umwandelt.
Kurz vor dem Weihnachtsfeste 1473 verschied in seinem Palaste zu Viterbo Niccolo Forteguerri, der Kardinal von Teano.
Die Kirche verlor in dem Kardinal nicht nur einen ihrer treuesten geistlichen Diener, sondern vor allem einen ihrer tapfersten und umsichtigsten Heerführer. Abgesehen von seinen hervorragenden Fähigkeiten hatten früh angeknüpfte freundschaftliche Beziehungen zu Enea Sylvia Piccolomini (später Papst Pius II.) dem talentvollen Juristen die glänzende Laufbahn eröffnet. Seit er von Eugen IV. zum Verwalter des päpstlichen Patrimoniums mit dem Sitz in Viterbo ernannt worden war, hatte er eine immer steigende Vorliebe für den Aufenthalt in der „Stadt der schönen Brunnen“ bekundet, wo er in seinem Palaste von den kriegerischen Mühen sich erholte und seinen Garten anbaute. Die Vaterstadt Pistoja sah ihn selten. Doch empfing sie den berühmten Sohn stets mit großem Gepränge, besonders 1460, als er den roten Hut erhielt, und wenige Jahre darauf, ehe er sich als päpstlicher Legat[S. 56] nach Pisa begab, um die Truppen zum Kreuzzug gegen die Türken zu versammeln. Auch nach dem nur sechsjährigen Pontifikat Pius’ II. blieb er in nächster Beziehung zum heiligen Stuhl. Er vollzog die Inthronisation des neuen Papstes Paul II., und als 1471 abermals das Conclave zusammentrat, erschien Forteguerris Name auf der Liste der Papabili. Indessen ging nicht er, sondern der Kardinal Rovere, der den Namen Sixtus IV. annahm, aus der Wahl hervor.
Dem Zuge der Zeit in der reichlichen Ausübung öffentlicher Mildthätigkeit ebenso sehr wie dem Zuge seines wohlthätigen Herzens folgend, stiftete der Kardinal in seinem Todesjahre das Liceo Forteguerri zu Pistoja, mit der Aufgabe, armen Studenten weiter zu helfen. Er mochte sich dabei dankbar erinnern, daß in seiner bedrückten Jugend das Stipendium der Operai von S. Jacopo allein ihm den Besuch der Universitäten Bologna und Siena und damit seine ehrenvolle Laufbahn ermöglicht hatte.
Als er nun, von den Strapazen der Feldzüge aufgerieben, am 21. Dezember 1473, kaum vierundfünfzig Jahre alt, in seinem geliebten Viterbo die Augen schloß, säumte man nicht, sein Gedächtnis dauernd zu ehren. Als Titularkardinal von San Clemente in Rom wurde er dort beigesetzt und ihm von Mino da Fiesole das Grabmal errichtet, das wir erst seit 1891 wieder in seiner ursprünglichen Gestalt sehen (Abb. 30). Zugleich beschloß der Gemeinderat seiner Vaterstadt Pistoja in einer Sitzung vom 2. Januar 1474, zur Errichtung eines Ehrengrabes an geeigneter Stelle die Summe von 300 Goldgulden auszuwerfen.
Unter den fünf Modellen, die zwei Jahre später vorlagen, erhielt dasjenige des Andrea del Verrocchio aus Florenz die meiste Anzahl von Stimmen und wurde zur Ausführung angenommen (5. Mai 1476). Allein dem Vorhaben stellten sich bald Schwierigkeiten entgegen. Zunächst erhöhte Verrocchio seine Forderung auf 350 Dukaten, und während darüber noch die Verhandlung hin und her ging, benutzte ein Teil der Kommission, die Operai von S. Jacopo, die Anwesenheit Pieros del Pollajuolo, um ein neues Modell zu erlangen. Nun standen sich die Parteien gegenüber: Andrea konnte sich an den Kontrakt halten, für Pieros Modell traten außer der Behörde von S. Jacopo noch die Familie des Verstorbenen und die öffentliche Meinung ein. In einem Brief vom 11. März 1477/78 wandten sich die Operai an ihren Protektor Lorenzo de’ Medici, dem sie zugleich die Modelle unterbreiteten. Mit der nicht nachweisbaren Antwort ist uns ein wichtiges Dokument sowohl für Lorenzos künstlerischen Geschmack, wie für seine taktvolle Vermittelung zwischen zwei ihm gleich nahestehenden Künstlern verloren gegangen. Die Thatsachen weisen darauf hin, daß Lorenzo sich für Verrocchios Modell entschieden hat.
Eine für Verrocchio ungewöhnlich flüchtig gearbeitete Thonskizze im South Kensington-Museum zu London wird wertvoll, indem sie uns die großartig angelegte Komposition vorführt (Abb. 31). Verrocchio stand diesmal einer ganz anderen Aufgabe als beim Medicimonument gegenüber. Mußte er dort das Würdevolle im Unauffälligen zur Geltung bringen, so war hier das Imposante ohne alle Einschränkung sein einziges Ziel. Mit der Phantasie eines Barockmeisters, die mit großen Massen ein malerisches Spiel beginnt und den Widerstand des Materiales lächelnd überwindet, hat Verrocchio die ungeheuere, von einem Nischenbogen überspannte Mauerfläche belebt. Als Motiv wählte er den Anbruch der ewigen Seligkeit, in die der Verstorbene einzugehen bestimmt ist. Als habe er den schweren Todesschlaf von sich geschüttelt, so kniet der Kardinal auf dem Deckel des Sarkophages, und während in der unteren Region die drei theologischen Tugenden des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe ihn umschweben, tragen Engel in einer mandelförmigen Glorie Christus selbst als gnädigen Richter dem fromm mit gefalteten Händen aufschauenden Kirchenfürsten entgegen. Wo die neben ihm schaffenden Meister nur die Aufbahrung des Toten in der Kirche während der Parentation zu verewigen wußten, hat Verrocchio Handlung und Bewegung gegeben, indem er dem Visionären sinnlich wahrnehmbare Formen verlieh. Das Neue und Originelle der Komposition erfährt keine Einschränkung, wenn man für den oberen Teil mit der Mandorla auf das Relief der Gürtelspende des Nanni di Banco über[S. 57] der Nordthür des Florentiner Domes hinweist, das nicht nur in der Anlage, sondern auch in einzelnen Motiven der die Mandorla tragenden Engel vorbildlich für Verrocchio gewesen ist.
Die Ausführung des Werkes enttäuscht aufs empfindlichste die Erwartungen, die der Entwurf hervorrief (Abb. 32). Im Tadel dieses Kunstwerkes mit den „geschmacklos behandelten Gewändern“ sind sich alle Kritiker[S. 58] einig. Sie übersehen dabei aber allzusehr, daß, abgesehen von den späteren Verunstaltungen, auch an den ursprünglichen Teilen die sorgfältige Hand Verrocchios nicht thätig gewesen ist. Zwar nehmen Vasari und seine Ausschreiber die Gestalten Christi mit den Engeln, des Glaubens und der Hoffnung für den Meister selbst in Anspruch, wie auch in den Rechnungsbüchern von 1483 ausschließlich Verrocchios Name genannt wird, aber hier muß sich die Stilkritik über die Dokumente und über die litterarische Tradition hinwegsetzen. Weder die Typen mit ihrer erstarrten Freundlichkeit noch die gebauschten und wüst zerknitterten Falten lassen den Gedanken an Verrocchio aufkommen. Hier sind sich Schüler ziemlich selbständig überlassen gewesen, die den Meister zu übertrumpfen suchten und damit keinem Fehler der äußerlichen Nachahmung entgingen.
Die Schule Verrocchios mit Lorenzo di Credi an der Spitze ist seit 1477/78 in Pistoja dokumentarisch nachweisbar; später ist auch Agnolo di Polo dort thätig. Andererseits häufen sich seit derselben Zeit für Verrocchio die Arbeiten in Florenz, so daß er für eine so große Arbeit, wie seiner in Pistoja wartete, nicht selbst abkömmlich war. Seine Gruppe mit Thomas und Christus ging der Vollendung entgegen, zugleich mußte er für das Silberrelief am Johannisaltar Sorge tragen und bereits seit 1479 beschäftigten ihn die Vorarbeiten zu seinem Reiter für Venedig. Zudem hatte ihm der Auftrag für das Forteguerrigrabmal von vornherein allerhand Differenzen eingetragen: die ausgeworfene Summe schien ihm nicht hinreichend und das Vorschieben des Piero del Pollajuolo wird ihn ebenfalls nicht unempfindlich gelassen haben. Endlich lag ihm auch das Material nicht. Alles Grund genug hier nur die Oberaufsicht, die bei der Nähe von Pistoja und Florenz ja leicht zu führen war, für sich zu beanspruchen und die Ausführung an Gehilfen weiterzugeben. Dabei kommt Lorenzo di Credi vor allen anderen Mitarbeitern des Meisters in Frage.
Das Werk scheint denn auch unter diesen bis 1483 hinreichend gefördert worden zu sein. Verrocchios dauernde Abwesenheit von Florenz und sein schneller Tod schufen dann ebenso verhängnisvolle Verzögerung, wie die allmählich mangelnden Gelder. Nach Jahren völligen Stillstandes schloß man mit Lorenzetti, dem Schwager Giulio Romanos, dessen sich auch Raphael gelegentlich für die Ausführung seiner plastischen Entwürfe bediente, ein neues Abkommen (1514) und Lorenzetti meißelte, ohne sich an das Modell zu halten, die Caritas mit den Kindern und die knieende Statue des Kardinals. Bei dieser Porträtstatue aber wich der Künstler so sehr von der vorgesehenen Stellung als Teil des Ganzen ab, daß man keinen ausreichenden Platz fand, sie einzuordnen; und so befindet sie sich noch heute im Liceo (Abb. 33). Die Vollendung der Rückwand gab Veranlassung, das Grab zu einem Altar umzuwandeln, an dem jedes Jahr das Fest des heiligen Bartholomäus gefeiert wurde. Erst 1753 stellte Gaetano Masoni den Sarkophag mit der schwachen Büste und den abscheulichen weinenden Putten auf und führte um die Nische den geschmacklosen Barockrahmen, der das barbarische Aussehen des Ganzen bis zur Unerträglichkeit steigert.
Ein auffälliger Mangel an Entwürfen und Skizzen beweist, daß Verrocchio das Werk nebensächlich behandelte und mit dem allerdings kühn und eigenartig erdachten Entwurfe seine persönliche künstlerische Aufgabe als erledigt betrachtete. Dennoch muß man einige der erhaltenen Thonskizzen eher mit diesem Werke als mit irgend einem anderen in Beziehung setzen. Dahin gehören zunächst die fliegenden Engel der Collection Thiers im Louvre, Gestalten voll echt Verrocchiesken Liebreizes, in üppiger Lockenfülle und stürmisch flatternder, unruhig reicher Faltengebung. Sie haben das Vorbild für viele andere, die später namentlich im Werke der Robbia auftreten, hergegeben. Auf den Spuren des Nanni di Banco hat hier auch Verrocchio mit der Tradition der aus der Antike übernommenen, lang hingestreckt fliegenden Engel gebrochen. Eine Zeichnung der Malcolmschen Sammlung im Britischen Museum zu London, die gleichfalls Studie zu einem mandorla-tragenden Engel ist, trägt außer den Merkmalen der Äußerlichkeiten (Silberstift, weiß gehöht auf rot grundiertem Papier) auch stilistisch die Kennzeichen der Hand des Lorenzo di Credi und darf mithin als Vorbereitung dieses für die Marmorausführung,[S. 60] die allerdings beträchtlich geringer ausgefallen ist, gelten (Abb. 34).
An keiner Stelle weicht die Ausführung entscheidender von dem Thonentwurf ab als am Unterbau des Sarkophages. Mit einer Gedankenlosigkeit, die fast Bedenken gegen die Authentizität der Skizze erregt, stützt den schwer mit der knieenden Figur belasteten Sarkophag ein geflügelter Kranz, wie ihn sehr ähnlich Donatello auf dem Sockel seiner Verkündigungsgruppe angebracht hat. Im Monument selbst ruht der (nicht zugehörige) Sarkophag auf einem Postament, das sitzende Engelputten mit der Inschrifttafel im Relief zeigt. Auch diese Putten, die Donatello zuerst als Inschriftenträger verwandt hat, sind besonders im Schülerkreise des Verrocchio beliebt. Es lassen sich dabei zwei Typen von sitzenden und laufenden feststellen, von denen der eine mit rückflatternden Gewändern und den sauberen Lockenköpfen auf Credi, der andere mit dem strähnigen Haar und den glatt anliegenden Hemdchen auf Francesco di Simone zurückgeht. Eine besonders gute Repräsentation des ersten Typus in seinem unmittelbaren Anschluß an die Sockelplatte des Forteguerrigrabes besitzt das Berliner Museum (Abb. 35).
Ebendort finden wir auch ein Thonrelief mit der Grablegung, das über die Form des beabsichtigten Sarkophages wohl Aufschluß geben kann. Meines Erachtens ist diese mit grenzenloser Sorgfalt durchgebildete „Skizze“ der weitaus schönste aller von Verrocchio erhaltenen Entwürfe und mahnt in seiner Vollendung zu gesteigerter Aufmerksamkeit ähnlichen, sorgloseren Arbeiten gegenüber (Abb. 37). In dem knieenden Nikodemus, der rechts den Leichnam des Herrn stützt, muß ohne Widerspruch ein Porträt erkannt werden, so individuell sind die milden Augen, die scharf gebogene Nase, der energische Mund. Lorenzettis nach 1513 erst ausgeführte Porträtstatue Forteguerris zeigt im Profil sehr verwandte, wenngleich flauere Züge, desgleichen Minos in Rom befindliche liegende Statue, nur fehlen bei beiden die Locken. Trotzdem ist der Schluß wohl statthaft, in dem Nikodemus des Reliefs den Kardinal selbst zu erkennen. Und wenn wir nun dieses Relief in die Mitte der Vorderwand des Sarkophages setzen, beiderseits umgeben von dem Familien- und dem Kardinalswappen, kann eine sinnigere Andeutung der hochherzigen Mildthätigkeit, die den Verstorbenen auszeichnete, erdacht werden? Und ist es nicht ein tiefer und poetischer Gedanke, das Göttliche in seiner tiefsten Erniedrigung und seiner herrlichsten Erhöhung mit dem Verstorbenen in gleich innige Beziehung zu bringen? Und endlich, wo wäre für das Totenbett eines hohen Dieners der Kirche eine würdigere Darstellung als die Grablegung dessen, der sein Vorbild im Leben wie im Sterben war? Demnach hätten wir uns die ursprüngliche Form des Sarkophages analog dem Michelozzos am Brancaccigrabe in Neapel vorzustellen.
Im Zusammenhang mit dem Forteguerrimonument sei noch auf das Tabernakel des Francesco di Simone in der Chiesa di Monteluce bei Perugia hingewiesen (Abb. 36). In farbig bemaltem Marmor ausgeführt, erstrebt die Arbeit die Wirkung der beliebten Robbiawerke. In den Einzelheiten zeigt sie zumeist nur die Unfähigkeit des Schülers, aus der leeren Nachahmung zur Nacheiferung fortzustreben, zugleich in dem segnenden Christkinde und den dekorativen Einzelheiten eine Anlehnung an Desiderios Manier, dessen schon öfters angedeutete Beziehungen zu Verrocchio und seiner Werkstatt vielleicht geeignet sind, die Frage nach dem Lehrer des Verrocchio einer überraschenden Lösung zuzuführen.
Die Gründe, die unseren Meister von einer persönlichen Anteilnahme an den Arbeiten des Forteguerrigrabes fern hielten, bestimmten ihn auch, einen ähnlichen Auftrag in Florenz den Händen des Franceso di Simone anzuvertrauen, nachdem die Komposition festgelegt worden war. Und doch handelte es sich um das Grabmal einer den Medici sehr nahestehenden Familie.
Die eheliche Verbindung der Tochter Francesca des durch Umtriebe gegen die mediceische Politik stark kompromittierten Luca Pitti mit Giovanni Tornabuoni, dem Oheim des Magnifico und Vorsteher der mediceischen Filialbank in Rom, war 1466 auf besonderes Betreiben Pieros des Gichtbrüchigen erfolgt. Nach elfjähriger Ehe starb am 23. September 1477 Francesca an den Folgen einer Geburt. Die Leiche wurde nach[S. 61] Florenz überführt und dort in S. Maria Novella, wo die Tornabuoni ihr Erbbegräbnis besaßen, beigesetzt. Verrocchio erhielt den Auftrag, das Grabmal zu errichten, wohl infolge seiner nahen Beziehungen zu den Verwandten der Familie, den Medici. Von diesem Grabe haben sich nur Reste erhalten, die eine Rekonstruktion nicht mehr gestatten. Vermutlich befand es sich an einer der Seitenwände des hohen Lettners, der 1565 bei der Erneuerung des Kircheninnern durch den Großherzog Cosimo I. abgetragen wurde. Daher denn auch das Hauptstück, das Relief mit der sterbenden Wöchnerin, aus dem mediceischen Besitz in den Bargello gelangt ist.
Wenn wir auf die nicht ganz klare Beschreibung des Inventars der Medici von 1666 zurückgreifen, so dürfen wir an einen Sarkophag, auf dessen Ecken die allegorischen Figuren der Tugenden saßen, denken; auf der Stirnseite oder darüber war dann das Relief angebracht und ihren Abschluß fand die Komposition mit dem Porträt der Verstorbenen in einem Medaillon. Damit hätte Verrocchio eine neue Form[S. 62] auch für das Privatgrabmal gefunden, die in Benedettos Strozzigräbern fortgewirkt haben dürfte.
Doch bietet schon das allein erhaltene Relief genug des Neuen und Eigenartigen. Es zerfällt in zwei Teile, die ohne irgend welche architektonische Trennung deutlich den Eindruck zweier getrennter Räumlichkeiten geben: die Wochenstube mit der eintretenden Katastrophe und das Vorzimmer, in dem der bestürzte Vater und die Freunde des Hauses versammelt sind (Abb. 38 u. 39). Die beklemmende Luft des bürgerlichen Trauerspieles schlägt uns entgegen. Während rechts, wo die Frauen um die Erschöpfte bemüht sind, das laute Wehgeschrei widerhallt, ist drüben, links, der Schmerz in Gegenwart der Männer wortloser, verhaltener, doch darum nicht minder erschütternd.
Die Darstellung laut ausbrechender Klage und stumm verzweifelnden Schmerzes war bisher auf den Stoffkreis der heiligen Schrift beschränkt geblieben. Auf Verrocchios Thonrelief der Grablegung gewahrt man, in wie edlen Grenzen der Meister die Affekte zu halten wußte, ohne, wie Donatello, durch ein Übermaß die innere Hoheit des Vorwurfes zu schädigen oder, wie etwa Antonio del Pollajuolo auf dem Blatte mit dem sogenannten „Tod des Gattamelata“ das Vulgäre zu streifen. Auch auf dem Tornabuonirelief zeigt der Meister weise Mäßigung. Die das dünnsträhnige Haar raufende Greisin am Fußende des Bettlagers und die ekstatisch die Zöpfe zerrende Junge am Kopfende mit ihren schreiend weit geöffneten Mündern bringen die schrillsten Töne in die erschütternde Melodie der Trauer; aber um sie herum klingt alles zu dumpfen, leisen Lauten ab bis zu dem schwachen Gewimmer, das von den Lippen der Sterbenden zittert. Am ergreifendsten spricht sich der Jammer in dem vorn vor dem Bette niedergekauerten Weibe aus, das fassungslos ergeben die Hände vor die Ohren hält, um nicht das Geschrei der Klagenden und die Seufzer der Herrin zu hören. Im Vorzimmer lauscht der Vater mit der Sippe auf jeden Ton, der herausdringt. Zweifelsohne sind das alles Bildnisse, nicht nur der Vater Giovanni mit dem charakteristischen Krämergesicht der florentiner Kaufherrn, auch die etwas stutzerhaften Jünglinge links, die im Aufzug nur die verlegene Scheu conventionell Teilnehmender markieren. Und nun tritt unter die Gruppe die Wehmutter mit dem Neugeborenen und bringt dem Vater die Nachricht, daß es drüben zu Ende geht.
Mit dem sicheren Blick des Dramatikers hat der Künstler aus dem Verlauf der schmerzlichen Begebenheiten die beiden Momente herausgegriffen, in denen die Hauptpersonen dieses bürgerlichen Trauerspiels, der Vater und die Mutter die höchste Teilnahme des Zuschauers anrufen. Was ihn dabei unterstützte, darf zum Teil auf die Tradition seiner Vaterstadt zurückgeführt werden, in der die Kunst des spannenden Erzählens wie nirgends sonst in Italien geübt und gemeistert wurde; zum anderen, kaum geringeren Teil bleibt doch das Verdienst des Meisters unangetastet, weil er gerade die fruchtbarsten Momente erkannt hat.
Die Komposition büßt bei allem Figurenreichtum nirgends die Klarheit und Übersichtlichkeit ein. In freier, malerischer Weise ist der Reliefstil gehandhabt; doch hat der Bildhauer sich nicht, wie Ghiberti, irgend welche Übergriffe in das verführerisch benachbarte Gebiet der Malerei gestattet. Er gibt keine Perspektive der Räumlichkeiten, in denen wir uns befinden. Er wirkt ausschließlich mit der bis in die feinsten Nüancen abgetönten Schilderung einer großen, leidenschaftlichen Gemütsbewegung, die das Mitempfinden über alle Zufälligkeiten hinweg an die reinen Quellen des Ewig-Menschlichen führt. Wer fragt bei diesen Figuren nach Stand und Namen? Das Geschehnis ist so allgemein deutlich, daß sich die Frage nach den von diesem Unglück Betroffenen erst einstellt, wenn die erregte Teilnahme zu ruhiger Überlegung erkaltet.
In technischer Hinsicht ist dem Relief nichts Gutes nachzurühmen. Abgesehen davon, daß abgebrochene Gliedmaßen und bestoßene Köpfe den Eindruck stören, ist die Marmorarbeit trocken und kleinlich. Namentlich am Faltenwurf, den Verrocchio nicht reich genug gestalten konnte, zeigt sich, wie geistlos der Schüler das Modell übertragen hat. Auch in den Körperverhältnissen, die zum größten Teil unnatürlich gestaucht sind, von einigen ebenso unnatürlich gestreckten Frauenkörpern abgesehen, verrät sich eine unsichere Schüler[S. 63]hand. Die Verkürzung der etwas schräg gestellten Bettstatt, die übrigens die Form des antiken, auf verzierten Pfosten ruhenden lectus hat, ist mißraten. Die teils leer-freundlichen, teils mürrischen Köpfe mit ihren schweren Augenlidern und der steifen Haltung sind ebenso bezeichnend für Francesco di Simone wie das Stückchen Arabeskenverzierung an den Bettpfosten.
Die gleiche Hand gewahrt man in den Statuetten der Tugenden, die Madame André in Paris bewahrt (Abb. 40–43). Zu den drei theologischen Tugenden, Glaube, Liebe, Hoffnung, die jeden Christen zieren sollen, tritt noch die Gerechtigkeit mit Schwert und (fehlender) Wage, die der Verstorbenen vermutlich besonders nachzurühmen war. In ihrer conventionellen Haltung möchte ich sie nicht einmal mehr auf die Erfindung Verrocchios zurückführen. Zudem erscheinen drei dieser kurzbeinigen, steif sitzenden Allegorien in wörtlicher Wiederholung an dem Grabmal des Rechtsgelehrten Tartagni in San Domenico zu Bologna, dem signierten Hauptwerke des Francesco di Simone (Abb. 44).
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Das Relief mit der Enthauptung Johannis des Täufers, das Verrocchio um die gleiche Zeit beschäftigte, bietet nicht nur Ersatz für die Virtuosenleistungen in der perspektivischen Darstellung des Raumes, die man vergeblich auf den Tornabuonirelief sucht, sondern muß, da es in Silber getrieben ist, für alle verlorenen Goldschmiedearbeiten des Meisters entschädigen. Der Dossale, wie man den prachtvoll zierlichen Silberaltar nannte, den die Zunft der Kaufleute dem Schutzpatron ihrer Vaterstadt gestiftet hatte, war bereits 1402 in dem gotisierenden Stil des Trecento bis auf die Seitenteile vollendet. Die Herstellung der beiden an Ghiberti vergebenen Bronzethüren, für die wie alles, was zur künstlerischen Ausschmückung des Baptisteriums diente, die Calimalazunft Sorge tragen mußte, hatte die flüssigen Gelder so in Anspruch genommen, daß die Fortführung der Arbeiten am Dossale beiseite geschoben werden mußte. Kurz vor Ausstellung der zweiten Thür fertigte Michelozzo 1452 die silberne Statue des Täufers für die leer gelassene Mittelnische der Vorderseite an. Endlich 1477 beschloß man das ganze, schon über hundert Jahre[S. 64] in Auftrag gegebene Werk vollenden zu lassen. Die Auswahl der Geschichten ergab sich von selbst; nachdem das Leben des Täufers in acht Reliefs der Vorderseite von dem Aufbruch in die Wüste bis zu dem drohenden Auftreten vor Herodes dargestellt war, blieben für die linke Seitenwand nur die Begegnung der heiligen Frauen und die Geburt, für die rechte das Gastmahl des Herodes mit dem Tanz der Salome und die Enthauptung übrig. Der Auftrag fiel an Antonio del Pollajuolo und an Verrocchio, vermutlich nicht ohne den Rat der Medici, die in der Zunft tonangebend waren. Pollajuolo reichte drei, Verrocchio zwei Wachsmodelle ein. Nun aber mischten sich ein paar zünftige Goldschmiede ein und boten ihre Kunstfertigkeit mit Erfolg an. Schließlich einigten sich die Parteien dahin, alle vier Künstler mit der Anfertigung je eines Reliefs zu betrauen (13. Januar 1479). An Verrocchio fiel die Enthauptung (Abb. 45).
Zwei mit höchster Sorgfalt durchgeführte Statuetten in Thon — der vom Rücken gesehene ältere Krieger, der nach dem Streitkolben greift, und der mitleidige, gelockte Jüngling mit der Schale — beide im Besitz des Barons Adolphe Rothschild in Paris, lehren die Art kennen, wie Verrocchio die Arbeit vorbereitete. So wird er jede einzelne Figur in Thon modelliert und dann der Werkstatt zur Übertragung in das Edelmetall überlassen haben. Denn eine Fülle von Unbeholfenheiten im Stand der Figuren und von Formenfehlern, die auf die mangelnde Einsicht des betreffenden Schülers schließen lassen, nötigen auch bei diesem Relief die eigenhändige Ausführung des Meisters abzustreiten. Oder hätte sich Verrocchio je einen so detaillierten und doch so unverstandenen Akt zu schulden kommen lassen, wie die im Modell gewiß prachtvoll durchgeführte Rückenfigur des nackten Henkers?
Verrocchio hat die meist in die Darstellung des Gastmahls miteinbezogene Scene selbständig ausgestaltet und die der Hinrichtung beiwohnenden Figuren über die sonst übliche Zahl vermehrt. Auch in diesem Relief bewährt er die Treffsicherheit des Dramatikers: er wählt den Augenblick, wo das Schwert des Henkers das leichtsinnige Versprechen des Herodes einlöst, und die kurze Spanne zwischen dem Aufblitzen der blanken Schneide und dem Todesseufzer des Enthaupteten die Gefühle bei den Zeugen des traurigen Geschehnisses plötzlich laut werden läßt. Mit der Empfindungslosigkeit einer guillotinierenden Maschine holt der Henker zum unerbittlichen Streich aus; rechts unter den gealterten Centurionen der Leibwache entbrennt ein mit Thätlichkeiten drohender Meinungskampf über die Leichtfertigkeit dieses Mordes; drüben unter den jüngeren Kriegern herrscht Mitleid, Grauen und Abscheu. Und mitten in dem Streit der Worte und Empfindungen kniet das Opfer, stumm, todesbereit, ganz in Demut und Gebet versunken. Nur ein großer Meister konnte diese Gegensätze ersinnen und so wirksam herausarbeiten.
Das Relief ist eine Fundgrube für die Kenntnis der Ornamentik bei Verrocchio. Hierbei unterstützt auch die Sorgfalt, die der ausführende Silberschmied gerade diesen Teilen der Arbeit, der Übung seiner Hand entsprechend, hat angedeihen lassen. Da findet man die schon am Lavabo beobachteten Löwen- und Wolfsmasken als Gelenkköpfe, die Rosetten und Palmetten, die Schuppen auf den Arm- und Beinschienen, die Drachenflügel am Helm — alles Zierformen, die in diesem Überfluß keinem anderen Künstler der Zeit geläufig sind. Die Koller schließen, wie beim David, so eng an, daß sich die Muskulatur durch das Leder zeichnet; auch die die Zehen freilassenden Gamaschen kommen aufs neue vor. Hände und Füße sind höchst zierlich geformt, selbst bei dem kleinen Maßstab der Figuren fehlt nicht die Angabe der Adern und der Hautfalten. Der Stand der Figuren ist frei und sicher, und schwierig verkürzte Stellungen sind eher gesucht als gemieden. Der vom Rücken gesehene, breitbeinig aufgepflanzte Krieger, der in auffahrender Wut mit der Rechten zum Streitkolben in der Linken übergreift, hat einen Vergleich mit Castagnos berühmten Pippo Spano nicht zu scheuen. Und wenn, wie bei dem Jüngling links mit der wundervoll getriebenen Kupferschale, die Stellung unsicher und tänzelnd erscheint, ist eben nur der Gehilfe der Absicht des Meisters nicht gerecht geworden.
In den dargestellten Charakteren leben[S. 65] die Gestalten der beiden hervorragendsten Werke des Meisters, die ihn gleichzeitig mit diesem Relief beschäftigen, wie Nachklänge und Vorahnungen. Der Johanneskopf erscheint als eine leichte Modifikation des Christus, der teilnahmsvolle Jüngling wie ein Verwandter des Thomas aus der Gruppe an Or San Michele. In den zornigen Kriegern könnte man Studien zum Colleoni mutmaßen; hier wie dort müht sich der Meister um den Ausdruck wilder Größe.
Wenn Verrocchio den schauerlichen Vorgang aus dem Düster der Gefängnismauern, in dem er sich sonst abzuspielen pflegt, in eine prunkvolle Halle im Stile der Pazzikapelle des Brunelleschi verlegt, so entspricht das dem Streben nach Glanz und Feierlichkeit, das ein besonderes Kennzeichen seiner aristokratischen Kunst ist. Sein Schönheitsgefühl bewahrte ihn vor dem ästhetischen Mißgriff anderer Künstler, die uns die Scene wenige Augenblicke zeitlich weiter gerückt vorführen mit dem blutigen Kopf auf der silbernen Schüssel und dem noch immer knieenden Rumpf mit dem Blutstrom, der den durchschnittenen Adern im Bogen spritzend entquillt. Nichts spricht so sehr für den vollendeten Kunstverstand des Meisters, als daß er die höchste dramatische Spannung mit den Geboten der Schönheit in eine reine künstlerische Harmonie zu bringen gewußt hat. Dem Gräßlichen, an dem Donatello seine Kraft mit einer gewissen Wollust erprobt hat, ging die zartere Natur Verrocchios instinktiv aus dem Wege.
Drei Jahre nach der Vollendung (1480) ward der Dossale zum erstenmal aufgestellt, aber nicht, wie man ursprünglich beabsichtigt hatte, als festliche Bekleidungswand des Altartisches, sondern als Altaraufsatz. Von dem verwirrenden Glanz des in tausend Lichtern spiegelnden und funkelnden Edelmetalles mit den Steinen und den Emails kann man noch heutzutage einen Eindruck bekommen, wenn der Altar, wie regelmäßig seit 1483, am Fest des heiligen Johannes, aus dem Museo dell’ Opera hinüber ins Baptisterium geschafft wird und der glitzernde Schrein über der andächtig bewegten Menge wie der heilige Gral erglüht.
Kein anderes Werk führt so tief in die unregelmäßige, oft unterbrochene und zer[S. 66]splitterte Arbeitsweise unseres Meisters ein, als das Hauptwerk seiner zweiten Epoche, die Gruppe des Christus und Thomas an der Ostfassade der Kirche Or San Michele (Abb. 46). Aufgestellt an der belebtesten Verkehrsstraße der Stadt, genau in der Mitte der mit den weitbogigen Fenstern geschmückten Front, läßt das Werk niemanden vorüber ohne den Tribut der Bewunderung und der Dankbarkeit für seinen Schöpfer.
Der Auftrag zu dieser Arbeit leitet zurück zu den Anfängen der künstlerischen Thätigkeit Verrocchios. Als die Seidenzunft (Arte di Por Santa Maria) in der ersten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts den Neubau der Kirche auf sich nahm, verpflichtete sie (1339) durch Vermittelung der Signorie die zwölf mächtigsten Zünfte und die Parte guelfa an den dreizehn äußeren Pilastern je ein Tabernakel mit dem Bilde ihres Schutzheiligen aufzustellen. Während die Zünfte nach und nach der eingegangenen Verpflichtung genügten, wenn auch nicht ohne Mahnung der Signorie (1406), traf die Parte guelfa erst um 1418 Maßregeln, indem sie ihren Pfeiler an Donatello vergab mit dem Auftrag, in dem Tabernakel den hl. Ludwig von Toulouse, den besonderen Schutzpatron der Guelfen, aufzustellen. Die letzte Zahlung an Donatello (1423) mag auch den Termin der Vollendung des Ganzen angeben.
Allein der Volkspartei, die mit den Medici an der Spitze immer siegreicher das öffentliche Leben zu beherrschen begann, gelang es bald, die Parte guelfa um ihr Ehrendenkmal zu bringen. Ende 1459 zwang man sie, ihr Tabernakel an das Kollegium des Handelsgerichts abzutreten, und 1463 ward die lahmgelegte Partei mit 150 Goldgulden entschädigt. Inzwischen war die Statue des hl. Ludwig schon entfernt worden, vermutlich nach S. Croce, wo sie heute noch über dem inneren Hauptportal steht; die verhaßten Wappen ließ man abmeißeln, und Luca della Robbias Medaillon mit dem Emblem des Handelsgerichtes prangte über dem Tabernakel. Dies Gehäuse, das in seinen reinen Renaissanceformen dem Geschmack der Zeit völlig Genüge leistete, blieb bestehen; für die neue figürliche Füllung der Nische verpflichtete man, um 1465, Verrocchio.
Man darf wohl annehmen, daß die Gunst der Medici, die mit ihrem Ansehen und ihrem Gelde die Volkspartei stützte, Verrocchio auch diese Aufgabe eingetragen habe. Mit Hilfe der Dokumente können wir die langsamen Fortschritte der großen Arbeit genau kontrollieren. Die weitaus häufigsten Zahlungen fallen zwischen die Jahre 1476 und 1480. 1482 kaufen die Vorsteher der Mercanzia das Thonmodell Verrocchios an und lassen es in ihrem Amtslokal aufstellen mit der ausdrücklichen Begründung, daß der Entwurf eines so vollendeten Kunstwerkes erhalten bleiben müsse. Im April 1483, knapp vor dem Termin der Aufstellung, wird dem Meister für seine Arbeit in Ansehung ihrer Vorzüglichkeit und Überlegenheit über die anderen dort aufgestellten Statuen eine Totalsumme von 800 Goldgulden zuerkannt. Endlich am 21. Juni erfolgt die Einstellung der Figuren in das Tabernakel, worüber das schon erwähnte Tagebuch des Luca Landucci berichtet.
Verrocchios Übersiedelung nach Venedig hat sowohl die Regelmäßigkeit der Auszahlungen als auch die Vollendung der noch fehlenden Kleinigkeiten beeinträchtigt. 1487 wird über Ersuchen des Meisters festgestellt, wieviel ihm als Restbetrag noch an Geld gebühre; die ausstehende Summe, die 200 Goldgulden nicht übersteigen dürfe, solle ihm nur unter der Bedingung ausgezahlt werden, daß er sie als Heiratsgut für die Töchter seines bedürftigen Bruders Tommaso bei der Staatsschuldenverwaltung hinterlege, eine Verpflichtung, der Verrocchio testamentarisch nachgekommen ist. Dem Ansuchen der Mercanzia, die Kapitelle, die Konsolen der stützenden Unterlage und das Wappen (im Kranze, den die Engel tragen) vollenden zu lassen, ist augenscheinlich nicht durchweg entsprochen worden; wenigstens ist noch heute das Rund des Kranzes leer. —
Thomas, der die Seitenwunde des Herrn tastet im Zweifel an der Wahrheit von der Wiederkunft seines Meisters, ist ein in der italienischen Plastik seltener Vorwurf. Eine der frühesten Darstellungen des Mysteriums sieht man an der Bronzethür von San Paolo fuori in Rom: dort tritt Thomas aus dem Kreise der Jünger auf den Herrn zu. Kurz vor Verrocchio hatte Paolo Uccello den Vorgang über der Thür der jetzt mitsamt dem[S. 67] Mercato vecchio verschwundenen Kirche San Tommaso gemalt, sich aber nur Donatellos verletzenden Spott dabei zugezogen. Verrocchio stand vor einer Aufgabe, deren Lösung im Sinne der Renaissance niemand vor ihm angestrebt, geschweige denn gefunden hatte (Abb. 47).
Das Zusammentreten zweier Figuren zu einer geschlossenen Gruppe ist eines der schwierigsten Kompositionsprobleme. In dem vorliegenden Fall ward die Aufgabe noch dadurch erschwert, daß die vorhandene Nische ursprünglich nur zur Aufnahme einer Figur bestimmt war. Durch räumliche Beschränkung war schon Nanni di Banco bei der Aufstellung seiner vier Heiligen im Tabernakel der Schmiede in die ärgste Verlegenheit geraten, aus der ihn nur Donatellos energisch zurechtstutzende Hand zu befreien gewußt hatte. Verrocchio hat die Mißlichkeit mit jener spielenden und genialen Leichtigkeit überwunden, die auch die schlimmste Not zu einem willkommenen Zufall umzuwandeln scheint.
Die Lebendigkeit und die Schönheit der Gruppe beruht auf dem verschieden erhöhten Stand der Figuren und auf ihrer Stellung zu einander. Dadurch daß Christus, in die Tiefe des Nischenrundes gerückt, erhöht auf einem Sockel steht und mit einer kaum merklichen Wendung nach rechts die reine Faceansicht hervorkehrt, gewinnt die Gestalt an Bedeutung auch der Masse nach vor dem ins Profil gestellten, auf tieferem Plane herantretenden Jünger. Wird durch diesen Gegensatz der Front- und Profilstellung die Raumempfindung auf das kräftigste angeregt, so gleicht die wunderbar sprechende, erhobene Rechte Christi mit ihrem leichten Vorragen sowohl die Höhenunterschiede der Stellung aus, als sie auch die Verbindung zwischen den Ebenen, innerhalb deren die Figuren gedacht sind, vermittelt. Wie ausdrucksvoll und überzeugend ist diese Gebärde, die von beredter Beweisführung zum Segnen übergehen will! Wie dramatisch wirkt das Herzutreten des Thomas, dessen Umriß mit bewegter Linie über den strengen architektonischen Rahmen herausdrängt! Fast zitternd tastet sich diese edel geformte, aber wenig durchgeistigte Hand zu der heiligen Stelle, wo die Lanze des Longin die tiefe Seitenwunde gestochen. In Demut senken sich die Lider über die beschämten Augen, und der Kopf neigt sich derart, daß das große stille Leuchten von der Stirn des Auferstandenen auf dem Lockenhaupt des geliebten, nun endlich gewonnenen Zweiflers widerstrahlt.
Bei der Gestaltung dieses neuen, ganz selbständig erfundenen Christustypus hat der Naturalist in Verrocchio den semitischen Stammcharakter nicht übersehen können und wollen. Mehr durch die Reinheit als durch die Schönheit der Einzelformen ist hier gewirkt. Und wie sehr damit Verrocchio den Anforderungen seiner Zeit genügt hat, beweist wohl das Urteil jenes gewissenhaft buchenden Luca Landucci: dies sei der schönste Christuskopf, den bisher die Kunst gebildet. In großen mächtigen Falten umbauscht das Gewand den Körper, der kräftig ohne Fülle, sehnig ohne Magerkeit erscheint, als ein verklärter Leib. Mit einfachen Knebelriemen sind die Sandalen an den Füßen befestigt.
Im Thomas lebt etwas von der Eleganz des reichen Jünglings aus dem Evangelium. Die Schrift weiß zwar nichts zu berichten, daß er etwa durch Stand und Herkommen die einfachen Fischer und Zöllner überragt hätte. Aber der Meister, der die Madonna aus ihrer schlichten Bürgerlichkeit in den Bereich höfischer Vornehmheit erhob, adelte auch den einfachen Jünger Christi zu einem Jüngling von edlem Anstand und Betragen. In diesem Thomas kündet sich die Auffassung des kommenden Jahrhunderts an, das, namentlich unter Raffaels Beispiel, die bisher beschränkt und mühselig dreinschauenden Apostelgestalten dem Ideal des Cortegiano, jener „Idee des aristokratischen allseitigen Menschen“ angenähert hat. Hier hat Verrocchio eine Seite des Ideals vorgreifend geformt: die Anmut der äußeren Erscheinung. Zugleich diente ihm das als Charakterisierungsmittel für den oberflächlichen Materialisten, der, wie er am äußeren Schein der Dinge hängt, auch auf sein Äußeres Sorgfalt verwendet. Mit absichtsvollem Geschmack sind diese Locken geordnet und scheinen von wohlriechender Salbe zu duften. In vielfach gebrochenem, künstlichem Faltenspiel fällt der Mantel über die linke Schulter zu den Füßen, deren Schönheit noch durch den Schmuck des Schuhwerkes gehoben wird. Die Gestalt ist schlank und edel, aber die Schönheit der äußeren Erscheinung, auf die das volle Tageslicht fällt, nicht der Ausdruck tiefer Innerlichkeit: ein köstlich Gefäß ohne Inhalt. Nun ist der Augenblick gekommen, da diese in Zweifeln erstarrte Seele schamvoll zu der Seligkeit erwacht, von der der Meister ihr redet: selig sind, die nicht sehen und doch glauben.
Unter den restlos gelösten Schwierigkeiten, die allenthalben diese Gruppe bei der Ausführung geboten hat, gebührt der mühelosen Aufzeigung und Anordnung der charakteristischen Gliedmaßen, der Hände und der Füße das höchste Lob. Alles steht klar und offen ohne Verdunkelung und ohne Gezwungenheit zu Tage. In den beiden verschiedenen Händen, die den Brustschlitz weiten, ist noch einmal, wie in Brennpunkten, das Charakteristische der beiden Träger der Handlung gesammelt und räumlich so nah als möglich gegenübergestellt. Andererseits erscheinen die erhobene Hand Christi und der seitlich vorgestreckte Fuß des Thomas wie die weit auseinander liegenden Pole, zwischen denen die äußere und innere Bewegung zuckt und schwingt.
Ungeachtet dieser Vorzüge ist das Kunstwerk nicht von Tadel verschont geblieben. Burckhardt entdeckte zwar in der Gruppe Motive von schönstem Gefühl, fand auch die Bewegung des Christus mächtig überzeugend, die beiden Köpfe fast großartig frei und schön. Gleichwohl stießen sich er und in noch bedenklicherem Maße Rumohr an dem umständlichen, knitterigen Faltenwurf, an dem „sehr geschmacklos behandelten Gewande“. Und neuerdings ist Rumohrs weiterer Tadel, der Charakter entschwinde bei dieser Gruppe dem Künstler unter dem Bestreben ihn ganz zu erschöpfen, noch dahin verschärft worden, das Motiv sei überhaupt zu niedrig gegriffen.
Diesen allzu einseitig gewisse Schwächen des Werkes betonenden Ausstellungen gegenüber muß mit um so gewichtigerem Nachdruck die Einheit des Aufbaus und die Tiefe der Empfindung hervorgehoben werden. Im ganzen Quattrocento wird man vergebens eine so eindrucksvolle, so sicher und rund geschlossene Gruppe suchen. Wenn irgendwo, so scheint hier die formale Befangenheit der Zeit überwunden. Freilich im Mantel des Thomas darf wohl die spielerische Unruhe der kleinen, selbstgefälligen Faltenmotive bekrittelt werden, aber doch nur als ein Tribut, den Verrocchio seiner Zeit zollte. Man scheute zu sehr die großen freien Flächen und zerstückelte sie lieber, als daß man sich des Vorwurfs der Leere aussetzte. Im einzelnen ergeben sich alle diese Motive logisch aus der Bewegung der Figur; daß sie uns gehäuft erscheinen, liegt an der Schulung unseres Formempfindens durch die großen Meister der klassischen Zeit. Um so höher steigt die Kunst Verrocchios, als ihn die Freude am Einzelnen nie zum Nachteil des Ganzen fortgerissen hat. Eine kluge Bedächtigkeit hat Sorge getragen, daß die Klarheit des Motivs und der Körperstellung nirgends durch den Faltenreichtum Einbuße erleide. Man mag über das Bestreben des Meisters in der Gewandbehandlung abweichender Ansicht sein, zugestanden muß werden, daß gegenüber der Thonmadonna aus S. Maria Nuova die[S. 69] Thomasgruppe einen Fortschritt in der Rundung und dem leichten Quellen der Falten bedeutet. Das hat auch Vasaris in Dingen des Metiers stets unvoreingenommenes und ungetrübtes Künstlerauge erkannt. „Dadurch daß Andrea, schreibt der Aretiner, die beiden Figuren in schöne und wohlgeordnete Gewänder kleidete, bewies er, daß er sich nicht minder, wie Donatello, Ghiberti und die anderen vor ihm auf die Kunst des Arrangements verstand; das Werk verdient es darum auch durchaus in einem Tabernakel von Donatellos Hand aufgestellt zu sein.“
Die Frage nach dem Pathetischen bei Verrocchio erheischt angesichts dieser Gruppe Berücksichtigung und Beantwortung. Leicht haftet dem Pathos die Nebenbedeutung des Geschraubten, Phrasenhaften, des künstlich Überhitzten, des unwahr Effektvollen an, womit ein hohes Empfinden um seinen Wert gebracht wird. Mit einer solchen Unterstellung thäte man dem alten Meister bitter Unrecht. Verrocchios Pathos ist würde[S. 70]volle Gehaltenheit; es drängt nach dem Erhabenen, dem Großartigen, dem Heroischen. Verrocchio sucht den Effekt, aber er beherrscht ihn wie er sich selbst künstlerisch beherrscht. Er führt die Empfindung zu einer Höhe, die den Rückblick auf alles Vorhergehende gestattet, zugleich aber in dem Beschauer atemlose Spannung erzeugt. Das Dramatische bleibt dabei latenter als z. B. bei Donatello, aber das Seelische entfaltet sich um so reiner, als es durch keine äußere Unruhe und Leidenschaftlichkeit zurückgedrängt ist.
Alle Nachbildungen, die dieses Meisterwerk ganz oder auch nur in einzelnen Teilen gefunden hat, sprechen eher für die hohe Wertschätzung der Arbeit als für das einsichtige Verständnis ihrer Vorzüge. In der farbigen Terracottabüste des Agnolo di Polo (Abb. 48) im Liceo Forteguerri zu Pistoia ist der Christuskopf des Meisters leer und geistlos nachgeahmt. Im Conservatorio della Quiete hat Giovanni della Robbia die ganze Gruppe nachgebildet, sie aber, indem er Christus und Thomas auf denselben Plan stellte, um ihre wirkungsvollste Schönheit gebracht.
Auch die Maler haben sich das Vorbild nicht entgehen lassen. Signorelli wiederholte die Gruppe auf einem Fresko der Sagristia della Cura des Domes zu Loreto; Perugino entlehnte die Thomasgestalt seines Meisters für einen der Apostel auf dem Fresko mit der Schlüsselübergabe in der Sixtinischen Kapelle zu Rom.
Schließlich finden wir die Gruppe ganz und teilweise auch bei den florentiner Holzschneidern, die um das Jahr 1490 ihre Thätigkeit als Bücherillustratoren beginnen.
Eigenheiten wie das seitlich herausgestellte im Knie gebogene Bein und die Draperie des Mantels vom hl. Thomas werden überhaupt künstlerisches Allgemeingut und bereichern den Schatz an Formen und Motiven, mit dem Florenz die einheimischen sowohl wie die aus den benachbarten Lokalschulen zugewanderten Künstler versorgt. —
Nicht nur im Weltenrichter (auf dem Forteguerrigrabmal) und im Verklärten dieser Gruppe hat Verrocchio sein Christusideal verkörpert, auch für den am Kreuz leidenden und sterbenden Heiland wird er einen neuen eigenartigen Ausdruck gefunden haben. Doch haben wir nur die dürftige Notiz bei Vasari, die von der Existenz solcher in Holz geschnitzter Kruzifixe berichtet.
Fast will es scheinen, als sei Verrocchio ausersehen gewesen, die großen Aufgaben, die dem Plastiker gestellt werden können, eine nach der anderen vorzunehmen und zu lösen. Dem Problem, aus zwei Figuren eine geschlossene Gruppe zu bilden, folgt, als letzte und höchste Forderung, die Vereinigung von Roß und Reiter; der Thomasgruppe, das Colleonimonument; dem Pathetischen das Heroische...
Unsere Blicke ruhen für die Zeit des Quattrocento länger und liebevoller auf den Förderern des geistigen Lebens als auf den politisch thätigen Gestalten, bei denen sich in die Bewunderung ein leichter Schauer vor Gewaltthat, Blut und Mord zu mischen pflegt. Unter ihnen treffen wir die Repräsentanten des Condottieretumes, Söldnerführer, die mit ihrer Heerschar heute befehden, wen sie gestern unterstützten. Von eigener Politik halten sie sich fern, und wenn sie Verrat üben, so thun sie es im Auftrage der Macht, die sie für den Augenblick in ihre Dienste genommen hat. Sie fühlen sich nicht gebunden, sie gehen ihrem Vorteil und dem ihrer in teurem Sold stehenden Mietlinge nach. Auf allen Schlachtfeldern sind sie zu Hause. Sie durchziehen die Halbinsel von einem Ende zum andern mit dem Hochgefühl frei zu leben und frei zu sterben und stolz blicken sie von ihren schwerhufigen Streitrossen herab auf das Gehudel unter ihnen.
Bartolommeo Colleoni war unter diesen Abenteurern einer der letzten, zugleich eine der am großartigsten veranlagten Naturen. Nicht seine Thaten allein, deren die Geschichte mit Ehren gedenkt, seine Gesinnung weckt in gleichem Maße unsere Bewunderung. Haß, Rache und Neid lagen ihm fern. Denen, die seine Jugend verdüsterten, indem sie den Vater mordeten und die Mutter mit ihm ins Gefängnis schleppten, verzieh er. Er war milde gegen Besiegte und Gefangene. Die Bildnisse der Würdigsten seiner Mitbewerber im Kriegshandwerke, eines Niccolo Piccinini,[S. 71] eines Gattamelata, eines Sforza umgaben ihn in seinem Schlosse Malpaga und mit neidloser Anerkennung rühmte er ihre Verdienste. Empfindlich blieb er gegen Hochmut; ein verletzendes Wort des Dogen ließ ihn zeitweilig mit Venedig, in dessen Dienst er fast sein Lebelang stand, brechen, obwohl die Stadt Lieblingsaufenthalt seiner Gemahlin Tisbe Martinengo war.
Auf der Suche nach einem festen Wohnsitz wählte er seine Heimatstadt Bergamo als Residenz und das nahe liegende Schloß Malpaga als Lustaufenthalt (Abb. 49). Achtzehn Jahre wohnte er dort, nachdem er das befestigte Kastell mit allerhand Bequemlichkeiten, Räumen für die Dienerschaft u. s. w. hatte ausbauen lassen. Immer zahlreicher ward der Hofstaat, den der Alternde um sich versammelte. Nicht weniger als sechshundert Reiter befanden sich bei ihm als sein persönliches Gefolge. Malpaga wurde der Schauplatz prunkvoller[S. 72] Fürstenbesuche, Turniere und Jagden, aber auch eine Stätte, in der die Wissenschaften und Künste verständnisvolle Pflege fanden.
Hier und in Bergamo trat der Gewaltige als Bauherr und Liebhaber der schönen Künste auf, wobei er, wie Reumont sagt, „von seinem kolossalischen Vermögen einen Gebrauch machte, der ihn mehr ehrte, als viele der Mittel, durch welche es zusammengebracht worden war.“ Ein treuergebener Diener der Kirche stiftete er bei Bergamo zum Andenken an seine verstorbene Lieblingstochter Medea das Kloster della Basella für Clarissinen und bedachte auch sonst die Kirche reichlich. Bald nachdem er, als echtes Kind des Quattrocento früh um seinen Nachruhm besorgt, seine Grabkapelle in S. Maria Maggiore in der oberen Stadt begonnen hatte (Abb. 50), starb er am 1. Februar 1475 auf seinem Schloß Malpaga, gerade 75 Jahre alt. „Empfehlt der Republik,“ sagte er den venezianischen Gesandten, die sein Sterbebett umstanden, „sie möge nie wieder einem Feldherrn eine so unbeschränkte Machtgewalt einräumen wie mir.“
Von höchster Freigebigkeit, wie er war, hinterließ er einen ansehnlichen Teil seines Vermögens der venezianischen Republik. Zugleich aber erklärte er mit wahrhaft herrscherlichem Selbstgefühl in seinem Testament: „er schätze sich würdig, ganz ergebenst von der Signorie zu erbitten, daß sie ihm ein erzenes Reiterdenkmal zu ewigem Gedächtnis auf dem Markusplatze errichte.“ Am 30. Juli 1479 trat man hierüber in Beratung und faßte den einstimmigen Beschluß, dem Verlangen des Erblassers nachzukommen; nur über den Platz behielt man sich das letzte Wort noch vor.
Eines aber stand von vornherein fest: das Denkmal sollte so prächtig als möglich werden. Von allen Seiten berief man Künstler, von denen man das Modell eines Pferdes verlangte; denn in der Bildung des Rosses lag eben die Schwierigkeit. Bei den seit Jahrhunderten ununterbrochenen künstlerischen Beziehungen zwischen Venedig und Florenz kann es nicht Wunder nehmen, wenn auch Verrocchio einen diesbezüglichen Auftrag erhielt. Zunächst formte er ein Pferd in Lebensgröße aus weißem Wachs, „ein Stück von großer Schönheit“. Um es zollfrei durch das Herzogtum Ferrara zu bringen, rief Verrocchio die Vermittelung des ferraresischen Gesandten in Florenz an und erhielt vom Herzog Ercole die kostenlose Durchfuhr zugesichert. Im Herbst 1481 traf das Modell in Venedig ein und wurde mit zwei anderen von Vellano und Alessandro Leopardi ausgestellt. Die Wahl fiel auf Verrocchios Pferd. Zugleich aber begannen die Intriganten ihr Spiel und schoben den alten Paduaner Meister Vellano vor, damit er den Reiter anfertige. Verrocchio, der als Fremder um so weniger solchen Eingriffen widerstandsfähig zu sein fühlte, zerstörte sein Modell, indem er Beine und Kopf abschnitt, und drehte voller Wut der Stadt den Rücken. Das ließ sich die Signorie nicht bieten; ihm solle ja nicht einfallen, nach Venedig zurückzukehren, gab sie ihm zu verstehen, man würde ihm ebenfalls den Kopf abschneiden. Verrocchio blieb die Antwort nicht schuldig, wobei der Zorn ihm die Waffe in die Hand drückte, die die Florentiner vor jeder anderen zu meistern verstanden. Boshaft, scharf und witzig schrieb er zurück: er dächte nicht ans Zurückkehren, im übrigen ganz nach Belieben, nur sollte es ihnen schwer fallen, ihm für den abgeschnittenen einen neuen Kopf aufzusetzen, noch auch jemals seinem Pferde einen zu verschaffen, der so schön wäre wie der, den er anstatt des zertrümmerten ihm hätte wiedergeben können. Diese Worte trafen, und mit dem wohlwollenden Gelächter über den Witz des Künstlers schlug die Stimmung zu seinen Gunsten um. Mit doppeltem Gehalt rief der Senat Verrocchio zurück. Der so glänzend ausgestochene Vellano zog grollend nach Padua heim. Der andere Zurückstehende, Leopardi, verließ freiwillig den Schauplatz, da er wegen Unregelmäßigkeiten in seinem Münzamt nach Ferrara flüchten mußte. Erst nach Verrocchios Tode greift auch dieser Mitbewerber in das Werk ein.
Die Jahre, die Verrocchio bis zu seinem Tode noch vergönnt waren, hat er zwar größtenteils, aber nicht ausschließlich dem Reiterdenkmal geweiht. Es lag so wenig in seiner Art, nur ein Eisen im Feuer zu haben, wie seine Vermögenslage ihn zur Annahme immer neuer Aufträge nötigte. Der Entwurf zum Grabmal eines Dogen[S. 73] beschäftigte den Meister vorübergehend. Dann wieder goß er die Artilleriegeschütze für den großen Rat. Ja, er übernimmt noch wenige Tage vor seinem Tode eine Verpflichtung gegenüber dem König Matthias Corvinus von Ungarn betreffend die Lieferung eines Marmor-Brunnens (27. Sept. 1488). So kam es, daß der Tod ihn über dem unvollendeten Werke ereilte.
Die Frage, wieweit Verrocchio das Monument vorbereitet und gefördert habe, stößt auf allerhand Unklarheiten. Vasari berichtet irrtümlich, der Meister sei infolge einer Erkältung beim Gusse gestorben. Verrocchio schlägt selbst in seinem Testament seinen Lieblingsschüler Lorenzo di Credi dem Senat vor, damit jener „das von mir begonnene Werk“ vollende. Credi gab indessen den Auftrag weiter an einen sonst unbekannten florentiner Bildhauer Giovanni d’Andrea di Domenico (geb. 1455) und erwähnt dabei ausdrücklich, Verrocchio habe die Figur und das Pferd im Thonmodell hinterlassen. Wäre mithin das Wesentliche nicht vollendet gewesen, so hätte der treue Lorenzo den Ruhm seines Meisters wohl kaum in so leichtfertiger Weise aufs Spiel gesetzt. Es handelte sich also vorwiegend um den Guß. An tüchtigen Bronzegießern aber glaubte die Republik den geeigneten Mann selbst stellen zu können, eben jenen Alessandro Leopardi, der als Münzschneider die feine Ciselierarbeit gewiß meisterhaft verstand. Über seine Unredlichkeit drückte sie großmütig ein Auge zu und rief ihn unter Zusicherung freien Geleites 1489 nach Venedig zurück.
Leopardi fügte in äußerster Zurückhaltung die bescheidenen Ornamente an der Rüstung, dem Zaumzeug und der Satteldecke zu, goß und vergoldete die Figur und stellte sie auf das prachtvolle, mit sechs Säulen schlank aufstrebende Postament (Abb. 51). Ihren Markusplatz, diese ungeheure Empfangs- und Ruhmeshalle, gaben die Venezianer für das Denkmal des fremden Heerführers schließlich doch nicht her. Wenn sie statt dessen den Platz vor der Scuola di San Marco bestimmten, machten sie sich kein Gewissen aus dieser Klauberei an dem klaren Wortlaut des Testaments. Und wie der Herr, so der Knecht. Durch die Inschrift am Sattelgurt ALEXANDER LEOPARDVS V. F. OPVS hat Leopardi mit wohlberechneter Vieldeutigkeit der Abbreviaturen den[S. 74] Ruhm des Werkes auf seine Person zu lenken versucht, indem er die Auflösung des F. in fecit oder in fudit anheimstellte. Zwar ist in allen Dokumenten stets nur von der Vollendung durch Leopardi die Rede und auch Leopardis selbstverfaßte Grabschrift preist ihn nur als den Architekten des Postamentes. Um aber alle Stimmen zum Schweigen zu bringen, die den florentiner Meister immer noch um das stolzeste Werk seines jäh abgebrochenen Lebens bringen wollen, muß nicht an den toten Buchstaben einer unklaren Inschrift gedeutelt und gedreht werden. Das Werk selbst legt deutlich genug Zeugnis ab für seinen wahren Meister.
Zwei florentiner Künstler, Paolo Uccello und Andrea del Castagno haben die ersten maßgebenden Versuche unternommen, Reiterdenkmäler im Sinne der Renaissance aufzubauen. Ihre Condottierestatuen an der Eingangswand des florentiner Domes sind zwar Werke der Malerei, doch aber mit der Absicht, plastische Werke vorzutäuschen. Uccello, der zwanzig Jahr früher sich ans Werk machte, hat die Aufgabe mit der schwunglosen Gewissenhaftigkeit des Naturalisten gelöst, Castagno mit dem Drang nach heroischer Gestaltung, der allerdings des Meisters derbe Bauernart hie und da zum Klotzigen verführt hat. Aber gerade diese Grundstimmung des pathetisch Erregten stieß auf Verwandtes bei Verrocchio, und Castagnos Niccolo da Tolentino gehört sicher unter die Werke, die sich dem Sinn des jugendlichen Meisters fürs Leben einprägten. An Uccello ging er achtungslos vorüber. Als Verrocchio dann sein Modell durch das ferraresische Gebiet nach Venedig brachte, stand das künstlerische Gebilde seines künftigen Colleoni schon zu fest in ihm, um durch den Anblick von Baroncellis Reiter (Borso d’Este) auf dem Platz der Hauptstadt oder durch Donatellos vor dem Santo in Padua aufgestellten Gattamelata noch modifiziert zu werden. Donatellos Reiter führt Uccellos naturalistisches Bemühen unter Berücksichtigung der Antike zu neuen Zielen. Verrocchios Colleoni erreicht das Ideal, das Castagno infolge einer gewissen Dumpfheit und Schwere seiner künstlerischen Phantasie nur geahnt hat.
Wenn Uccello seinen Hawkwood noch in strenger Profilstellung als Relief auffaßte, so schritt Castagno zu einem freieren Raumbilde vor. Das Herauswenden des Pferdekopfes gibt bei ihm die Vorstellung einer Raumtiefe, die bei Uccello vermißt wird. Sehr ähnlich das Verhältnis zwischen Donatello und unserem Meister. Auch das Colleoniroß wendet den Kopf von der Mittelachse seitwärts, nach links. Von Castagno hat Verrocchio ferner die Gangart seines Pferdes übernommen. Nicht nur, daß er, die modische Gangart berücksichtigend, einen Paßgänger gebildet hat, vielmehr liegt die Verwandtschaft in der Art der Beinstellung mit dem hoch erhobenen Vorderfuß und dem weit zurückgesetzten Hinterbein. Daher denn auch beide der Vorwurf trifft, nicht ein frei ausschreitendes, sondern ein, eine unsichtbare Last ziehendes Pferd dargestellt zu haben. Auch an untergeordneten Eigenheiten läßt sich die Verwandtschaft darthun: an den kräftigen Falten des Halses, an dem büschelartig zwischen den Ohren hochgebundenen Haarschopf.
Im übrigen ist Verrocchio dem älteren Meister unendlich überlegen (Abb. 52). Die kräftige Struktur des Pferdeleibes hat ihn auf keinem Ende zur Plumpheit geführt; viel Eleganz steckt in der wuchtig einherschreitenden Masse. Mit fast graziöser Biegung, ein wenig unruhig im Umriß durch die hohe Kruppe trabt das Schlachtroß daher; man glaubt den Schall der schweren Hufe zu hören. Der Kopf mit dem etwas breit vorspringenden Untergesicht und den über der Stirn gescheitelten Locken der Mähne überstrahlt an Schönheit das breitmaulige, im Verhältnis zum Leibe ungefüge Haupt des Castagnorosses. Wie es hier auf einem gedrungenen Stiernacken aufsetzt, neigt es sich dort in schönem Bogen über einem bei aller Fleischigkeit noch schlanken Halse. In edlem Ungestüm blähen sich die Nüstern auf und das Feuer des mutigen Hengstes sprüht aus den Augen.
Die Anatomie des Tierleibes zeugt von erstaunlicher Sachkenntnis. Den Zeitgenossen schien sie mit allen Muskeln, Adern und Hautfalten allzu selbstgefällig zur Schau gestellt, und sie urteilten daher, das Roß habe das Aussehen eines abgehäuteten Pferdes. Wir werden darin genau wie in der sorgfältig in Ringellocken aufliegenden Mähne eine längst beobachtete Eigenschaft des überall gewissen[S. 75]haft detaillierenden Meisters aufs neue feststellen.
Der Reiter sitzt auf diesem mehr strammen als gedrungenen Tier fast aufrecht strack zwischen den hohen Böcken des Sattels (Abb. 53 u. 54). „Der reitende Colleoni,“ klagt Wölfflin, „hat wohl Energie genug, eine eiserne Kraft, allein das ist nicht die schöne Bewegung.“ Das sollte sie auch gar nicht sein. Die Venezianer saßen steif im Sattel, und ihre Art zu reiten, wird im Cortigiano verspottet. Hier aber kam sie in ihrer Gerecktheit dem Ausdruck an Energie und Größe zu statten. Es ist die Verlegenheit fast aller Bildhauer, die Figur des Reiters der mächtig ausladenden Masse des Rosses gegenüber zur Geltung zu bringen. Verrocchio ist es gelungen.
Mit der wie in einer Aufwallung kühnen Trotzes herausgedrehten linken Schulter, der der Kopf folgt, macht der Reiter die Bewegung des Rosses mit. Klar und frei überschneidet der Reiterkopf die Scheitelhöhe des Pferdes und dominiert ungezwungen über dem Ganzen. Eine Sturmhaube deckt das gewaltige Haupt mit den drohenden Augen. Die Entschiedenheit der Bewegung und die Macht des Blickes stehen schon auf der Höhe des neuen Stiles, der Kunst des Cinquecento. Im David, der übrigens auch das Motiv der herausgekehrten Schulter zeigt, in der Büste des Giuliano finden wir die Vorstufen zu dieser rücksichtslosen Größe der Bewegung. Aber neu und überraschend ist der Typus. Haben wir es mit einem Porträt des Colleoni zu thun?
Verrocchio hat den venezianischen Feldhauptmann nie von Angesicht gesehen. Wohl aber konnte er der Medaille des Guidizani das getreue Bildnis seines Helden entnehmen (Abb. 55). Doch stand augenscheinlich in seiner Phantasie ein Heldentyp von schreckhafterer Größe, ein gewaltigeres Löwenhaupt (caput leonis) als der zahnlose, mit leicht überhängender Nase und buschigen Brauen zwar kraftvoll, aber nicht bedeutend blickende Kopf auf der Medaille. So nahm der Meister denn in sein Idealbildnis nur einige charakteristische Details auf: die Bartlosigkeit, den machtvollen Nacken, die finstren Brauen und den lodernden Blick. Im übrigen löste er sich von allem Porträthaften los in dem Gefühl, hier müsse der[S. 76] Repräsentant seines Standes vor allem dargestellt werden. Auch dies wieder ein Zug, der Verrocchio zu einem unmittelbaren Vorläufer der klassischen Kunst macht; die gewichtige Erscheinung galt der Hochrenaissance unbedenklich mehr als die individuelle Treue. Wie Michelangelo in den Feldherren der Medicigräber, hat auch Verrocchio den Charakter, nicht die flüchtige Erscheinung der Persönlichkeit festgehalten.
Köpfe, in denen das bis zur Wildheit gesteigerte Herrische sich aussprach, hatte Verrocchio schon im Silberrelief der Enthauptung des Täufers geschaffen. Er brauchte nur auf Typen, wie die beiden streitenden Feldhauptleute dort zurückzugreifen, um die Grundform des neuen Charakterkopfes zu erfassen. Aber einen Zug mußte er jetzt zur Dominante erheben, der den rohen Hauptleuten des Herodes nicht eignete: die Überlegenheit einer hohen Intelligenz. Sie bändigt die rücksichtslose Entschlossenheit in diesem Feldherrnantlitz, sie glänzt aus den drohenden Augen, sie hat den befehlenden Mund mit einem Zug von Weltverachtung umschürzt (Abb. 56). Verrocchio hat das Alter gewählt, in dem die Thatkraft noch ungebrochen Stand hält gegenüber den ersten Anzeichen abnehmender körperlicher Frische, jenen Übergang, der das Heldenhafte als die Ausstrahlung eines unbeugsamen Willens erscheinen läßt. Das Fleisch verliert schon seine Festigkeit, hängt herab, die Falten vertiefen sich, aber das innere Feuer lodert in alter Glut.
Gegenüber der sorgfältig auf die Einzelheiten Bedacht nehmenden Modellierung des Pferdekörpers erkennt man in diesem nur in den großen entscheidenden Formen angelegten Kopf kaum die gleiche Meisterhand. Es sind denn auch Stimmen laut geworden, die den ganzen Reiter für Leopardi beansprucht haben, andere, die an eine Mitarbeiterschaft des seit 1481 nirgends recht nachweisbaren Leonardo dachten. Wer Leopardis zierliche, ausschließlich dekorative Art kennt, wird die erste der beiden Zumutungen ebenso entschieden abweisen, wie die zweite hinfällig wird durch den neuerdings festgelegten Thatbestand, daß Leonardo seit 1481 am Reiterdenkmal des Sforza in Mailand thätig ist. Und schließlich, für das Roß galt es Aufzeigung genauer Kenntnisse und Belebung großer Flächen; der Reiterkopf mußte schon wegen der Wirkung aus der Höhe in großen allgemeinen Formen gehalten werden.
Acht Jahre erst nach des Meisters Tode, am 21. März 1496 konnte das Denkmal enthüllt werden. Seit jener Zeit haben die Parteien fast ununterbrochen gewühlt, das Werk des Ausländers dem Verdienst eines Einheimischen zuzuschreiben. Das Werk selbst hat alles verleumderische Gerede zu schanden gemacht. Dem Florentiner, niemand wagt es mehr zu bezweifeln, verdankt die Welt ihr großartigstes Reiterdenkmal. Derselbe Verrocchio, der in dem Werke seiner Jugend, im David, den Morgenglanz jungen, kaum sich selbst bewußten Heldentumes darstellte, hat in seinem letzten den Helden in seiner Vollendung verkörpert. Seine Leistung hat niemand übertroffen, aber auch kaum einer hat seine noch unerfahrene Kunst an ihr geschult. Leonardos Francesco Sforza ging im Modell zu Grunde, und so bleibt Albrecht Dürer der Einzige, der mit seinem „Ritter Tod und Teufel“ Zeugnis bringt, mit welch staunender Bewunderung einer der Größten emporgeblickt hat zur „statua gentilissima del gran commendatore“.
Die Gestalt des Malers Verrocchio läßt sich nicht mit der gleichen Schärfe herausarbeiten wie die des Bildhauers. Das Material ist ein unvergleichlich beschränkteres, und was mühsam aus der Zerstreutheit wieder zusammengebracht worden ist, gibt noch Veranlassung zu manchem Zweifel. Zwar ist man sich im großen und ganzen einig über das, was unter den künstlerischen Begriff Verrocchio fällt, was aber als des Meisters Eigenstes anzusehen sei, blieb noch unentschieden. Man schwankt auch hinsichtlich der Wertschätzung dieser Malereien. Dem kindlich-anmaßenden Urteil eines französischen Gelehrten: Verrocchio hätte klüger gethan, überhaupt die Finger von Pinsel und Palette zu lassen, steht die Überschätzung alles, das Verrocchios Namen trägt, schroff gegenüber.
Die schriftliche Tradition bietet keine sichere Grundlage; sie ist lückenhaft und versteckt ihre Unwissenheit hinter amüsanten Histörchen. Künstlerischer Ehrgeiz allein soll, nach Vasari, Verrocchio zur Malerei geführt haben, „als einen, dem hervorragende Leistungen auf einem Gebiete nicht genügten“. Wie ihn die Laune auf die Malkunst brachte, soll ihn dann der Mißmut über die besseren Leistungen seines Schülers Leonardo getrieben haben, nie wieder Pinsel und Palette anzurühren. Das eine liegt so wenig im Charakter unseres Meisters wie das andere. Seine Lust am technischen Experiment, die Wertschätzung, die seine Zeit der Kunst der Malerei entgegenbrachte, und der Wettstreit mit seinen künstlerischen Genossen haben ihn frühzeitig der Malerei in die Arme getrieben.
Von einer Reihe verloren gegangener Arbeiten wird auch hier berichtet. Drei große Leinwandbilder mit Herkulesthaten, die Albertini 1510 im Saale des alten Rates im Palazzo vecchio sah, sind vielleicht identisch mit den im Mediceerinventar erwähnten, die 1495 von der Signorie konfisziert wurden. Sie deuten ebenso auf das von Antonio del Pollajuolo bevorzugte Stoffgebiet wie die Schlacht nackter Männer, die Verrocchio als Entwurf für eine Fassade bestimmt hatte und die ebenfalls untergegangen ist.
Unter den erhaltenen Arbeiten ist nur eine beglaubigt und nachweisbar: die Taufe Christi, für die Vallombrosaner Mönche zu San Salvi gemalt und gegenwärtig in der Akademie zu Florenz aufgestellt (Abb. 57). Die Holztafel ist fast quadratisch, die Figuren sind etwa zwei Drittel lebensgroß. Das Gemälde steht in dem Ruf, unvollendet zu sein; mit Unrecht, denn die Mönche hätten kaum eine unfertige Arbeit abgenommen und bezahlt. Wenn es trotzdem immer wieder den Eindruck des Unvollendeten macht, so liegt das an dem Unbestande seiner Technik. Das Krapprot im Mantel des Täufers und in den Fleischpartien ist verblichen,[S. 78] also überall dort, wo es als Lasur auftrat; bis zu welchem Grade das Bild „vollendet“ war, zeigen zur Genüge die feinen Goldborden. Mit diesem Rot im Mantel, dem lichten zarten Blau im Futter und dem kräftigen Fleischton muß das Gemälde eine ähnliche Farbenstimmung gezeigt haben wie Antonios del Pollajuolo Arbeiten. An ihn erinnert auch das Spiel des Lichtes und der metallische Glanz der Farben.
Die Figuren, ganz besonders der Täufer, sind sehnig und hager, der Kontur ist hart und eckig. Die Modellierung geht auf alle anatomischen Einzelheiten gewissenhaft ein. Die Eigenheiten des verrocchiesken Typus lassen sich am Kopf des Täufers am besten erkennen: die Flachheit des Auges und der umgebenden Teile, die hohe, gewölbte Stirn, die eingearbeiteten Mundwinkel (Abb. 58). Die Falten sind flach und gedrückt, blechartig, immer plastisch.
Weniger rein offenbart sich der Meister in der Figur des Heilands. Christus erscheint aus dem ursprünglichen Umriß gerückt, wodurch die Gestalt den unsicheren Stand bekommen hat. Auch die Technik weicht in diesem Teil des Gemäldes von der rechten Seite ab. Hier hat eine mit den Wirkungen der Ölmalerei inniger vertraute Hand gewaltet, deren Spuren auch im Kopf Christi sich bemerkbar machen. Ihr verdanken wir die weicheren Übergänge, das zarte Halblicht, die luftig-lockere Fülle der Haare (Abb. 59).
Noch deutlicher macht sich der Unterschied der beiden Hände in dem links knieenden Engelpaar wahrnehmbar (Abb. 60). Die dicht zusammengerückten Köpfe (Abb. 61) legen von zwei durchaus verschieden gearteten Individualitäten Zeugnis ab. Die eine, die den nur bis zu den Händen sichtbaren Engel malte, geht mit mühsamer Gewissenhaftigkeit der Natur nach. Die andere, die den im Profil knieenden Engel schuf, wählt die schöne Linie aus dem reichen Nebeneinander des Naturvorbildes aus, legt Anmut in die Haltung, Seele in den Aus[S. 79]druck und breitet Duft und Glanz über das Gebilde ihrer künstlerischen Phantasie. Daß wir in dieser Persönlichkeit Leonardo zu erkennen haben, darf man Vasari aufs Wort glauben. Hat doch der junge Meister, der in allen Teilen der Figur, nicht zum mindesten in dem Reichtum des Gewandes und der von Verrocchio dort abweichenden Faltengebung unverkennbar ist, sich auch noch in dem dunkel vor dem weißen Gewandstück abzeichnenden Grasbüschel gleichsam mit seinem Monogramm auf der Tafel angemerkt.
Ebenfalls Leonardo gehört, wenn auch mit einiger Einschränkung, die traumhaft weit in den Hintergrund führende Landschaft an. Wir verfolgen den Lauf des Jordans die felsigen Flußufer entlang und befinden uns in einer ganz ähnlichen toskanischen Landschaft, wie sie Leonardo auf dem bekannten Blatt in den Uffizien mit dem Datum 1473 gezeichnet hat. Die felsige Kulisse, die sich rechts hereinschiebt und die wie aus Eisen geschnittene Palme links zeigen, in reiner Tempera ausgeführt, wiederum die Hand des älteren und strengeren Meisters.
Mit dem Schatz an Formkenntnissen, den wir aus der eingehenden Betrachtung der Skulpturen Verrocchios gewonnen haben, läßt sich ein Rückschluß auf die Entstehungszeit dieser Tafel wagen. Die namentlich im Nackten noch etwas unfreie Nachbildung der Natur und die Faltengebung, die vom Reichtum und Schwung der Thomasgruppe noch entfernt ist, erlauben auf eine frühe Entstehung zu schließen. Vieles gemahnt noch an den Bronze-David. Wenn ich die Jahre um 1470 zur Diskussion stelle, so befinde ich mich in Einklang mit Vasaris Angaben über Leonardos Mitarbeiterschaft. Sehr früh, bald nach 1465, ist Leonardo in die Werkstatt des Verrocchio gekommen; schon 1472 steht er als selbständiger Meister in der Zunftliste. Als solcher wird er kaum mehr Werke seines Lehrherrn vollendet haben.
Ernste und gehaltene Feierlichkeit kennzeichnen die Grundstimmung des Werkes. Die Landschaft mit ihrem verschleierten Glanz trägt allerdings wesentlich zur Erhöhung dieser Stimmung bei. Sie aber darf nicht zu Rückschlüssen auf den Landschafter Verrocchio mißbraucht werden, der sich auf diesem Bilde nur sehr bescheiden ausgesprochen hat. Den Vorgängern gegenüber, die den gleichen Stoff dargestellt haben, einem Baldovinetti, Fra Angelico, selbst dem Piero della Francesca, behauptet sich Verrocchio als Neuerer, nicht in der traditionellen Stellung der Figuren zu einander, sondern vielmehr in der Freiheit der Bewegung und der Raumillusion durch Auf[S. 80]geben der steifen Profil- und Facestellungen. In dieser Hinsicht auf kein Vorbild zurückführbar, hat Verrocchios Taufe andererseits eifrig Schule gemacht wie das Altarbild des Lorenzo di Credi in San Domenico bei Fiesole (Abb. 62) und Ghirlandaios Fresko in S. Andrea zu Brozzi bei Florenz beweisen.
Eine zweite Tafel, die Vasari als besonders gelungen im Besitz der Nonnen von San Domenico in Florenz erwähnt, wird in einer nach mannigfachen Wanderungen jetzt zu Budapest in der Nationalgalerie aufbewahrten thronenden Madonna mit Heiligen und Engeln erkannt. Das Gemälde zeigt bei mangelhafter Erhaltung durchaus verrocchieske Formengebung, aber keineswegs die Sorgfalt und die Empfindung, die von eigenhändigen Werken des Meisters der Taufe Christi untrennbar sind. Mit einigen, kompositionell aufs engste verwandten Bildern gehört es seiner ziemlich groben Ausführung nach nur der Werkstatt unseres Meisters an.
Besonders fruchtbar gestaltet sich, der jüngsten Forschung zufolge, die Thätigkeit des Meisters als Madonnenmaler. Doch bleibt von den vielen, ihm zugeschobenen Madonnenbildern nur eines übrig, das sich eigenhändiger Ausführung rühmen darf. Noch immer nicht wird die Madonna in Berlin (Abb. 63), ein Bild, das einst im Mittelpunkte des lauten Streites über den Künstler Verrocchio stand, gebührend wertgeschätzt weder seiner eminenten kunstgeschichtlichen Bedeutung, noch seinen künstlerischen Vorzügen entsprechend. Und doch lehrt keine andere Tafel, nicht einmal die Taufe Christi, so bis in die Nerven den Maler Verrocchio kennen als dieses mit beißendem Hohn und mitleidigem Spott überschüttete Bild.
Maria, bis zu den Knieen sichtbar, sitzt in felsiger Landschaft mit dem Kinde auf dem Schoß, das die Ärmchen der Mutter entgegenstreckt. Dies Motiv ist schon von den plastischen Madonnen des Meisters her bekannt; nur ist das Kind hier auf dem Schoße der Mutter sitzend und unruhiger bewegt dargestellt. Im Kopf der Madonna finden wir alle Merkmale verrocchiesker Formengebung, auch das anmutig sich von den feinen Mundwinkeln her verbreitende Lächeln wird nicht vermißt. Das Christkind in seiner drallen Fülle ist dem Fischmännchen stammverwandt. Mit dem Reichtum seiner Überschneidungen und der Kühnheit seiner Verkürzungen legt dieser Kinderkörper von einer ebenso kundigen wie sorgfältigen Meisterhand Zeugnis ab.
Wenn trotzdem der erste Eindruck der Malerei kein unbedingt bestechender ist, so liegt es, ähnlich wie bei der Taufe Christi, an dem Zustand der Erhaltung. Das gelbliche Incarnat mit den schweren braunen Schatten stört. Wiederum heißt es, das Gemälde sei unvollendet. Indessen meine ich, daß ebenfalls hier die Lasuren abgerieben seien und nun die braune Untermalung in den Fleischpartien zu Tage trete. Denn die Einzelheiten sind höchst fein, zierlich sauber: das feinmaschige Gewebe des bis unter die Füße des Kindes herabhängenden Schleiers, die Säume am kirschroten Gewand, das Muster auf den Brokatärmeln mit den verschnürten Senkeln, das Ornament auf der schweren Holzscheibe, die den Heiligenschein der Maria bildet. In alle dem verrät sich der Kunsthandwerker.
Die hellen, metallisch glänzenden Farben weisen auf die Taufe Christi. Alles ist hell und kühl wie auf den Bildern der Pollajuoli gehalten. Das gleiche kalte Lichtblau des Mantelfutters hier wie dort, dasselbe orientalisch-bunte Tuch, das hier dem Kinde um den Leib gewunden ist, dient dort dem Täufling als Lendentuch.
Ein schwerer ästhetischer Vorwurf haftet an den Händen der Berliner Madonna „mit den häßlichen Nägeln“. Doch sind es genau dieselben kurz geschnittenen, schwarz umränderten Nägel, die man auch bei Botticelli und den Pollajuoli anstandslos hinzunehmen gewohnt ist. Die Nagelpflege ist eine im Quattrocento noch unbekannte Toilettenkunst. Im übrigen zeigt die in ihrer ganzen Ausdehnung allein sichtbare linke Hand der Madonna alle Merkmale des Meisters: das sichere Zugreifen, den mit plastischer Schärfe erfaßten Umriß, das fein modellierte Handgelenk, die Hautfalten am hochgebogenen Daumenglied und das Grübchen zwischen dem vierten und fünften Finger. Diese Hand hat die Schule nicht oft genug wiederholen können, sie findet man auch noch auf der Anbetung der Könige von Leonardo in den Uffizien.
Die Landschaft verwendet Elemente, die auf der Taufe Christi sich wiederholen. Der Felsblock dort ist von der rechten auf die linke Seite gerückt, und das Stückchen bergigen Landes mit dem buschartigen Baumwuchs, das unter dem erhobenen Arm des Täufers erscheint, wird selbst mit der Einzelheit des hornförmig ausgezackten Berges auch auf der Madonna wiedererkannt. Doch muß man sich frei machen von dem Vorurteil, in Verrocchio den Stimmungsdichter der Landschaft zu sehen, der erst mit Leonardo aufgetreten ist. Die Landschaft hat nur sekundäre Bedeutung in der Kunst unseres Meisters. Es fällt ihm nicht ein, etwa durch Staffage das Interesse an dem Landschaftlichen zu steigern. Sie soll nur den Hintergrund beleben. Bei näherem Zusehen merkt man allerdings, wie wahr Verrocchio auch im Nebensächlichen bleibt. Weich und luftig hält er die Ferne, den Umriß läßt er in der Luft verflimmern, in jener strahlenden italienischen Luft, die unbestimmte Formen nicht duldet; plastisch und bestimmt wird er nach dem Vordergrunde zu, und doch tritt da noch alles diskret zurück gegen das starke Relief des Figürlichen, das sich ungeschmälert behauptet. Nur für das zarte Ineinandergleiten der Gründe fehlt ihm die Nüancierung der Farbe und mithin auch wohl die Reife der Beobachtung. Mit dem Herzen ist er bei der neuen Landschafter-Richtung, die mit dem unwahr übereinander gebauten Kulissensystem aus dem Trecento gebrochen hat. Seine Eigenart bewahrt ihn indessen davor, die stereotyp wiederkehrende Arnoebene auch seinerseits für sich zu entdecken und sie mit der Treue des Porträtisten zu konterfeien.
Im Motiv geht das Gemälde auf Fra Filippos sogenanntes Vierfigurenbild in den Uffizien zurück. Gleichwohl hielt sich Verrocchio von jeder unfreien Nachahmung fern. Seinen Madonnentypus hat er ebenfalls aus dem des Frate entwickelt. Die Längen- und Breitenverhältnisse der Köpfe zeigen auffällige Verwandtschaft bei den beiden Malern. Auch Nebensächlichkeiten[S. 84] sind aus der sehr weltlich angehauchten Kunst des Dominikaners von Verrocchio übernommen worden: die fast gekünstelte Anordnung des Schleiertuches mit der hornartigen Verzierung, die Vorliebe für Schmuck und Edelsteine. Ihn deswegen zu einem Schüler des Fra Filippo zu machen, geht nicht an, weil seine malerische Ausdrucksweise, seine Technik völlig von der des alten Lippi verschieden ist. Soll ein Lehrmeister in der Malerei für Verrocchio namhaft gemacht werden, so wüßte ich keinen besseren als Alesso Baldovinetti vorzuschlagen, den gewiegten Experimentator, bei dem auch die Pollajuoli in die Schule gegangen sind. Damit würde sich denn der Starrsinn erklären, mit dem eine gewisse Gruppe von Kunsthistorikern vor allen Gemälden unseres Meisters und seiner Schule sich noch immer auf den Namen Pollajuolo steift. Damit wäre auch das gerade in der Werkstatt Verrocchios beliebte Motiv der thronenden Madonna mit Heiligen vor baumüberragten Schranken (vgl. die Abb. 2, 75) auf seinen wahren Ursprung zurückgeführt.
Eine ganze Gruppe von Madonnenbildern rückt in die unmittelbare Nähe dieses Originalwerkes. Am genauesten nimmt das Motiv eine Madonna auf, die Herr von Mumm in Frankfurt a. M. besitzt (Abb. 64). Drei andere Tafelbilder in Berlin (Abb. 65), in London bei Mr. Butler und im Städelschen Institut zu Frankfurt a. M. lehnen sich in der Komposition eher an die Marmormadonna des Bargello an. Die abgesonderte Stellung, die wir (S. 54) dem Madonnenrelief des Mr. Shaw zuwiesen, nimmt unter den malerischen Arbeiten die Madonna mit den Engeln in London ein (National Gallery Nr. 296, Abb. 66). Alle diese Gemälde zeichnen sich durch gewissenhafte, fast pedantische Sauberkeit der Technik aus; ihre Schwäche besteht im Seelischen. Sie haben etwas Starres im Ausdruck, wie auch ihre Falten und ihr Kontur an metallische Härte streifen. Man pflegt diese Madonnenbilder neuerdings dem Francesco Botticini zuzuteilen, einem sorgfältig ausführenden, aber wenig eigenartigen Meister, der, ohne unmittelbar Gehilfe des Verrocchio zu sein, ganz unter dem Eindruck der Arbeiten Verrocchios steht.
Botticini gehört nun auch das schöne Altarbild in der Akademie zu Florenz an, auf dem die Erzengel den kleinen Tobias mit dem sonderbaren Augenbalsam zum kranken Vater heimgeleiten (Abb. 67). Das Bild für die Kapelle des Gino Capponi in St. Spirito zu Florenz gemalt, trägt schon seit dem sechzehnten Jahrhundert den geläufigeren Namen Botticelli; man begreift, wie leicht die Verwechslung stattfinden konnte. Weniger begreiflich ist, wie sich diese freie, großartig feierliche Komposition bei einem Meister vorfindet, der nirgends sonst über die Tradition und über eine ängstliche Symmetrie hinausgekommen ist. Wir werden dies nur dahin erklären können, indem wir an Verrocchios geistigem Anteil festhalten und nur die malerische Ausführung Botticini zukommen lassen.
„Die Wanderung des jungen Tobias mit einem Engel oder auch mit dreien ist vorherrschend, wenn auch nicht ausschließlich für das Haus gemalt worden als Empfehlung eines bestimmten Jünglings in den himmlischen Schutz“ (Burckhardt). Vielleicht darf man auf unserem Bilde an den kleinen Alessandro Capponi denken, den letztgeborenen der zehn Kinder des Gino und der Maddalena, der schon in jungen Jahren nach Lyon ging, um dort die kaufmännischen Interessen der Familie zu vertreten. Da stellten sie denn daheim in der Familienkapelle sein Bild auf, wie er unter dem Geleit der Erzengel auf den rauhen Pfaden der Fremde des Weges schreitet.
Der Vorwurf bot alles, was das Herz eines Malers aus der zweiten Hälfte des Quattrocento erfreuen konnte. Lauter junge, anmutige Gestalten. Die Bewegung leicht und lebhaft, die seelische Verknüpfung zart und innig, die Gewänder mannigfaltig und reich, die Landschaft lockend. Nicht ganz ist dieser Reichtum von der Kunst des Malers erschöpft worden. Geschickt wechselt die paarweise Ähnlichkeit der männlichen Typen im Michael und im Tobias und der weiblichen bei Raphael und Gabriel ab; aber die Anmut ihrer Gesichter hat etwas Befangenes, Unfreies. Die Hände, in denen so viel eingehendes Studium verrocchioscher Formengebung sich offenbart, wiederholen sich mehrfach in ihren Stellungen; ein Pentiment an den Händen[S. 85] der Mittelgruppe zeigt, wie sich der Maler abgemüht hat, das leichte Ineinandergreifen des Engels und des noch scheuen Knaben auszudrücken. So frisch und lebhaft die beiden himmlischen Flügelmänner vorwärts drängen, in der Mittelgruppe stockt die Bewegung; es ist, als hinderten die sich zwischen seinen Beinen stauchenden Falten den Erzengel am Ausschreiten. Das Stoffliche ist mit höchster Sorgfalt behandelt und mit jener hellen Freude am Bunten, Glänzenden und Prunkenden, das den Kostümbildern des ausgehenden Quattrocento in besonderem Maße zu eigen ist. Die Faltengebung darf ein Muster des von L. B. Alberti ausdrücklich anempfohlenen „bewegten Beiwerkes“ genannt werden. Für das unruhig zurückflatternde Gewand des Gabriel scheint die einst in den Gärten der Medici befindliche, jetzt im ersten Korridor der Uffizien aufgestellte antike Pomona (Nr. 75) die Motive hergegeben zu haben. Mit hingebender Liebe sind die Glanzlichter und Spiegelungen auf den blanken Wänden der Rüstung studiert; die Faust mit dem gewaltigen, aus purpursamtener Scheide gezogenen Schwert spiegelt sich in dem Brustpanzer wie auch die Finger auf der blanken Kugel widerglänzen, die sie so zierlich halten. Alle Säume, Halskrausen, Bänder, Verschnürungen, Schnallen und Schlösser bekunden die Hand, die Gefallen am Zierlichen findet; auch die ornamentiert gepunkteten Heiligenscheine weisen darauf hin. Das ist nicht Verrocchio selbst, steht aber in allerengster Beziehung zu ihm, genau so wie der scharfe Umriß mit dem feinen Lichtrande, die in ihrer Starrheit an die Allongeperücke erinnernde Lockenpracht, die Spreizung des kleinen Fingers und viele andere Einzelheiten unaufhörlich an ihn erinnern. Vollends aber verrät sich Francesco Botticini in der Landschaft mit ihrem stimmungsvollen Tiefblick auf die Flußebene. Sie gleicht genau der Thallandschaft auf der großen Krönung der Maria in London (Nr. 1126), dem sogenannten Matteo Palmieri-Bilde, das, infolge einer ähnlichen Namensverwechslung wie unser Tobiasbild, Sandro Botticelli zugeschrieben wurde. In dieser Landschaft lebt Baldovinettis Vorbild fort, dem Verrocchio in den zweifellos ihm zugehörigen Werken weit selbständiger gegenüber steht. Die Blumen und Stauden, die auf dem felsigen Pfad wachsen, sind mit leonardesker Naturtreue beobachtet. Die Eidechse links auf dem Gestein darf sich dieses Vorzuges weniger rühmen. Völlig mißglückt ist der zottige Köter, ein schnöder[S. 86] Nachkomme des „Hündleins“, das der biblische Dichter dem Reisenden zur Seite gibt.
Die getragene Feierlichkeit der Auffassung, die von keinem Schema eingeengte Komposition, auch der Reiz der drunten liegenden Landschaft machen immer wieder ihren Zauber geltend, wenn es sich um die künstlerische Bewertung der Tafel handelt. Unsere stilkritischen Erörterungen werden zur Genüge dargethan haben, inwieweit diese Wirkung mit Verrocchios Ruhm verknüpft werden darf. Botticini ist nie mehr ein solches Werk gelungen. Von ihm selbst haben wir eine ziemlich schwache, einst für die Badia zu Florenz bestimmte Replik der Mittelgruppe (Florenz, Akademie); eine zweite, ungenauere und flüchtigere, auch in kleinerem Maßstab gehaltene besitzt die Sammlung Morelli zu Bergamo. Der Tobias in London (National Gallery Nr. 781, Abb. 68) rührt ersichtlich von derselben Hand her, wie die dort befindliche Madonna mit Engeln (Abb. 66). Auch für diese und alle davon abhängigen Bilder kommt Botticini in Betracht; diese Schärfe und Härte einerseits, diese Süßlichkeit andererseits darf man bei Verrocchio nicht suchen. Von der Berühmtheit der Tafel bringt schließlich der Stich in Paris (Abb. 69) Kunde, von dem nur der rechte Teil mit dem hl. Gabriel sich erhalten hat, der aber sicher die ganze Komposition reproduzierte, wie das von Tobias hineinschneidende Mantelendchen beweist. Sein Autor, der Gruppe der Baldinistecher zugehörig, führt den Namen des Meisters der feinen Manier.
Der Kreis der Malereien, die mit Verrocchio im Zusammenhang stehen, ist damit noch nicht geschlossen, doch steht das, dessen Betrachtung etwa noch übrig bliebe, in zu losem Zusammenhang mit der eigenen meisterlichen Hand, um hier weiteren Raum in Anspruch zu nehmen. Dem Gegenstande nach fallen darunter am meisten ein paar Frauenköpfe in Berlin und in Wien auf. Aus dem Memorandum des Tommaso erfahren wir, daß Andrea für Lorenzo de’ Medici das Bildnis der Lucrezia de’ Donati gemalt habe, der zu Ehren Lorenzo 1469 das von Pulci besungene Turnier veranstaltete. Das Berliner Bildnis (Abb. 70)[S. 87] mit der ebenso drohenden wie verlockenden Inschrift: „Rühr mich nicht an“ auf der Vorderseite und der hoffnungslosen Liebesklage auf der Rückseite: „Kaum ich’s besessen, mußt’ ich’s auch beweinen“ bietet sich allerdings zu der Vermutung an, hier sei Lorenzos Geliebte von Verrocchios Hand gemalt erhalten. Ein zarter Liebesroman scheint sich von einem Spruch zum anderen herüberzuweben. Aber das Gemälde selbst trägt, wie ich meine, so deutlich alle Spuren der jugendlichen Hand des Lorenzo di Credi, die mit der glatten Technik eines Emailmalers wetteifert, daß sich die Phantasie von dem schmachtenden und gequälten Pärchen darüber verflüchtigen muß. Nicht minder halte ich das Wiener Frauenbildnis beim Fürsten Liechtenstein (Abb. 20) für das Werk eines Verrocchio-Schülers und zwar keines geringeren als des Leonardo da Vinci (vgl. auch S. 46).
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Die ansehnliche Masse angeblicher Zeichnungen des Meisters steht leider in umgekehrtem Verhältnis zu der Anzahl der eigenhändig ausgeführten Blätter. Man darf diese zu den größten Seltenheiten rechnen, wie sie auch künstlerisch den ersten Platz nach den unerreichbaren Handzeichnungen des Leonardo einnehmen. Wer etwa in ihnen sogenannte Bildhauerzeichnungen, flüchtig nur die großen Linien einer Komposition festlegende Umrisse vermutet, wird erstaunt sein über die ungemessene Sorgfalt, die eingehende Durcharbeitung, den bei allem Schwung der Empfindung sauberen Strich. Zwar fehlt es auch nicht an schnellen No[S. 88]tizen eines Bewegungsmotives, aber dann zieht die Feder die selben zarten und bestimmten Linien, die in den ausgeführten Studienblättern der Kohlestift hinmalt. Leider sind gerade einige der schönsten Zeichnungen von unerfahrener späterer Hand übergangen worden, so daß viele Feinheiten für immer verloren sind, und nur für den einsichtsvoll Prüfenden noch der Schimmer einstiger Schönheit aufglänzt.
Derartige Verunstaltungen trüben den Eindruck jener Kreidezeichnung in den Uffizien mit dem abwärts blickenden Engelskopf, von dem die Forschung auszugehen hat (Abb. 71). Ein Riß durch die linke Seite, ein zugeflicktes Loch auf der Wange, grobe Schraffierungen, unverstandene Hinzufügung der Augenwimpern, schwerfälliges Nachziehen der leicht und frei vom Scheitel herab sich kräuselnden Locken, die Durchlochung der Umrisse zum Zweck der Pause — alle diese Unbilden von späterer Hand schädigen wohl das Blatt aufs empfindlichste, haben aber doch nicht an den Zauber rühren können, der geheimnisvoll und schwer in Worten zu deuten über den Formen dieses Knabenkopfes liegt. Alles hier ist Liebreiz und Unschuld: der halb über dem biegsamen Nacken geneigte Lockenkopf, die niedergeschlagenen Augen, die hohe reine Stirn, der schön bewegte Mund. Eigentümlich rührend wirkt dies noch nicht entfaltete Leben, diese noch geschlossene Seelenknospe. Ein warmer Sonnenstrahl, ein erster Triumph, ein Bewußtwerden verborgener Lebenskraft — und das Lächeln des jungen David blitzt auch über diese noch traumumfangenen Kinderzüge. Der anschmiegenden Weichheit des Haares auf dem Scheitel, seinem zierlichen Gekräusel um Kopf und Nacken, dem schön geschwun[S. 89]genen Rund der Augenknochen, den zarten Formen des Stumpfnäschens, dem falterhaft über das breit angelegte Gesicht hin- und herschwankenden Lichterspiel mit seinen durchleuchteten Schatten folgt das Auge mit Entzücken.
Es liegt verlockend nah, in diesem Kopf eine Studie zu dem einen der beiden knieenden Engel auf dem Bilde mit der Taufe Christi erkennen zu wollen, um so mehr als die Zeichnung die Löcher der Pause trägt. Aber abgesehen davon, daß diese Durchlochung roh und ungeschickt ist und daher keinesfalls von Verrocchio vorgenommen wurde, bleibt auch die Ähnlichkeit zwischen Zeichnung und Bild beschränkt.
Verwandt, aber weniger bestimmt in der Formengebung und schon ans Süßliche streifend ist ein aufwärts blickender ähnlicher Kopf im Besitz von Herrn A. von Beckerath in Berlin (Abb. 72). In der Auffassung und Formengebung zeigt er nahe Beziehung zu dem Engel auf der Madonna in London (Abb. 66), die noch verstärkt wird dadurch, daß auf der Rückseite des Blattes, leider dicht unter dem Mund abgeschnitten, die Studie zum Kopf des Engels auf der Gegenseite des gleichen Bildes erhalten ist.
Ein großer weiblicher Kopf, der mit der Malcolm Collection in das Britische Museum zu London gekommen ist, erinnert in allen Eigenheiten so auffällig an den Engelskopf der Uffizien, daß zweifelsohne auch in ihm eine Zeichnung Verrocchios vor uns liegt (Abb. 73). Und zwar seine schönste, wie man wohl hinzusetzen darf. Dieselbe Technik — schwarze Kreide auf weißem, leicht geripptem Papier — das gleiche breite Oval mit der hohen Stirn, die gleiche Neigung des Kopfes mit den gesenkten Lidern, der gleiche, noch traumhaft verschlossene Liebreiz im Ausdruck. Leider auch die gleiche Erhaltung mit rohen Überarbeitungen. Die Haare sind übergangen, die Umrisse verstärkt, die Schatten teilweise geschwärzt.
Vasari rühmt „einige Frauenköpfe mit schönem Ausdruck und reicher Haartracht, die, ihrer Schönheit wegen, Leonardo da Vinci immer nachahmte“. Wer möchte daran zweifeln, daß wir in der Londoner Zeichnung einen dieser Köpfe besitzen? Denn gerade der Haarputz hat den Künstler hier besonders beschäftigt.
Die Freude an allerhand modischem[S. 90] Zierat, die sich in Florenz seit der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts beobachten läßt, erstreckte sich auch auf die Haartracht. Das Haar, um den Reiz der damals geschätzten hohen Frauenstirn zu steigern, wird scharf aus dem Gesicht gekämmt, hinter die Ohren gestrichen und, mannigfach verflochten und verschnürt, auf dem Hinterkopf in ein seidenes Mützchen gesteckt, dessen Zipfel die Ohren bedecken. So schauen fast alle die schönen Florentinerinnen aus, die Domenico Veneziano gemalt hat oder die in den sog. Desideriobüsten erhalten sind. Das ganze Gesicht bleibt von jedem Haarschmuck frei, sogar die Augenbrauen und die Wimpern werden rasiert und mit Pincetten herausgerissen. Die ganze Masse des Haares dient als Schmuck ausschließlich des Hinterkopfes. Um 1470 ändert sich diese Mode. Das Mützchen gibt die Haare an den Schläfen frei, die nun zierlich in Locken aufgesteckt oder in losen Strähnen herabhängend die Ohren bedecken.
So trägt die Frau auf der Zeichnung in London das Haar. Die Zöpfe, ineinander verschlungen und verknotet, sind mit ihren feinen, dünnen Enden auf der Höhe des Scheitels gesammelt und dort von einer Agraffe zusammengehalten; über die Schläfen und die Ohren fallen sie locker und wellig auf die Schultern herab. Kein Wunder, daß Leonardo derartiges zum Vorbild nahm. Wir hören, wie er die Frisur wissenschaftlich zu ergründen suchte. Aus den Strudeln, die ein Wasser mit starkem Gefälle um eingerammte Pflöcke bildet, entnahm seine Phantasie Anregung zu neuen Haartrachten. Durch Analogieschluß erkannte Leonardo die Gesetze, nach denen sich die Haare ordnen ließen; sind doch auch die sprachlichen Bezeichnungen alle von den Eigenschaften des Wassers herübergenommen.
So weit ging Verrocchio nicht; aber man sieht ihn auch hier als Vorläufer und Bahnbrecher, wenn auch nicht als Pfadfinder. Und noch ein zweites bewunderte Leonardo an diesen Köpfen: die Schönheit des Ausdrucks. Die Formen sind nicht schlank noch fein; das zart Nervöse leonardesker Schönheiten wird man vergebens suchen. Sie besitzen eine gesunde Frische. Aber wie auf jenem Engelskopf der Uffizien klingt die Melodie dieser Seele leis und gedämpft. Etwas Verschleiertes liegt über diesem Frauenwesen. Das Träumerische, das so rührend aus den niedergeschlagenen Augen blickt, der Adel reiner Weiblichkeit, der von dieser Stirn glänzt — das nahm Leonardo gefangen. Er, der selbst aus vornehmer Familie stammte, fühlte sich hier von verwandtem Geiste angesprochen. Und nie mehr hat ihn die Erinnerung an solche Gestalten seines Lehrers verlassen. In einigen seiner frühen Madonnen wirkt sie mit besonderer Lebhaftigkeit nach.
Die eingehende Sorgfalt, die Verrocchio auf das Studium des Kinderkörpers verwandte, bestätigt ein beiderseits benutztes Blatt im[S. 91] Louvre, das von Morelli zu verdienten Ehren gebracht worden ist. Es zeigt auf beiden Seiten rasche Federzeichnungen von nackten Knaben jugendlichsten Alters in den verschiedensten Stellungen. Stehend, sitzend, liegend, laufend, von vorn, von rückwärts mit heraufgezogenem Bein, mit erhobenem Arm — immer aufs neue müht sich der Meister seinem rundlichen, lockigen Modell gegenüber, das wir schon im Fischmännchen und im Jesusknaben der Terracottamadonna kennen lernten. Es sind schnell erhaschte Motive, wie es die Unruhe der Kleinen notwendig machte, nur Bewegungsnotizen, notations du geste enfantin. Namentlich die durch das angezogene Bein in der Vorderansicht entstehenden Verkürzungen beschäftigen den sorgsamen Meister. Alles ist nur flüchtig angedeutet; der Strich von ungleicher Stärke, bald kräftig und dick, bald zart und leicht, bald voll spielender Anmut, bald zitterig wie in nervöser Hast. Immer aber behauptet sich die Herrschaft über die Form. Auf der Rückseite (Abb. 74) hat ein Zeitgenosse in etwas holperigen Hexametern einen Lobspruch auf den Meister „Varochius“ gedichtet, wodurch die Zeichnung überflüssigerweise auch noch dokumentarisch gesichert erscheint.
Die Formenschrift dieses Blattes muß fest im Auge behalten werden, um den Hauptstock angeblicher Zeichnungen Verrocchios als Arbeit eines bestimmten Schülers aus dem Werke des Meisters ein für alle Mal auszuschalten. Die fünfundzwanzig Blatt Federzeichnungen, die jetzt in Paris (12), Chantilly (8), Dijon (1), London (2), Berlin (1) und Hamburg (1) zerstreut sind, bildeten einst, wie Maße, Art des Papiers und Wasserzeichen andeuten, ein Konvolut, das sog. Skizzenbuch des Verrocchio. Die überwiegende Anzahl der vormals in Paris angesammelten Blätter legt die Vermutung nahe, daß sich das Ganze, leider an den Rändern beschnitten, einst in französischem Privatbesitz befand und erst im neunzehnten[S. 92] Jahrhundert auseinander genommen und versprengt wurde.
Die Blätter sind beiderseits mit Federzeichnungen bedeckt und enthalten außerdem zahlreiche Briefentwürfe und ricordi. Die dargestellten Gegenstände wechseln in größter Mannigfaltigkeit ab. Durchgehende Kompositionsideen tauchen auf: eine Grabkapelle, ein immer neugewandeltes Madonnenmotiv, sitzend mit dem Kinde auf dem Schoß, anbetend vor dem Jesusknaben, thronend von einem Engel verehrt, eine Auferstehung Christi, Heiligenfiguren, einzeln und zu Gruppen vereinigt; dann wieder Reiter- und Pferdestudien, junge Stutzer im modischen Kostüm mit Hunden an der Koppel, zwei Faßbinder, ein Wappenschild und nackte Putten. Manches erinnert an bestimmte Vorbilder: ein Aktstudium nach Verrocchios David, eines der Pferde nach dem antiken Viergespann auf dem Dach von San Marco zu Venedig, ein Herkules mit dem Löwenfell nach Antonio del Pollajuolo, ein Seekentaur mit einem Weibe nach Riccio. Sollte Verrocchio sich selbst und andere kopiert haben? Sieht man näher zu, so erstaunt man über die grobe und unsichere Hand, die hier die Feder geführt hat. Und abermals: das sollte Verrocchio gezeichnet haben, noch dazu kurz vor seinem Tode, wie das gelegentlich notierte Datum 1487 und die Reminiscenzen an venezianische Kunstwerke beweisen? Kein Zweifel, daß wir einen zeichnenden Bildhauer vor uns sehen, aber dieser in den grundlegenden Körperverhältnissen unsicher Tastende ist nimmermehr der formgewandte Meister des Louvreblattes.
Auf den Verfertiger dieser höchst fragwürdigen Leistungen führt sicherer noch als die stilkritische Analyse Inhalt und Buchstabenform der handschriftlichen Aufzeichnungen. Wir finden da (auf dem Hamburger Blatte) die Notiz von zwei Putten wie „jener des Andrea del Verrocchio“, was doch keinesfalls Andrea selbst so verzeichnet haben wird. Die Handschrift selbst weist schlagende Ähnlichkeit mit der (bei Pini faksimilierten) des Francesco di Simone auf. Seine engen Beziehungen zu Verrocchio haben wir schon berührt; wir wissen ferner, daß er in Venedig gearbeitet[S. 95] hat und zwar eine Kapelle in S. Giobbe, und endlich enthält das Skizzenbuch das genaue Studium des segnenden Christuskindes, das Francesco am Tabernakel der Chiesa di Monteluce bei Perugia (s. S. 47) ausgeführt hat. Nun erklären sich auch die Kopien und die Unselbständigkeiten, die einem Meister wie Andrea nicht zugemutet werden dürfen. Was man gegen Francescos Autorschaft angeführt hat, daß nämlich in den Randnotizen ein Sohn gleichen Namens erwähnt wird, während die Söhne andere Namen führten, beruht höchst wahrscheinlich auf einem Lesefehler. So ist denn alles beisammen, um, wie Morelli zuerst gethan, in dem Skizzenbuch die Arbeit „eines schwachen Schülers“ nachzuweisen, der eben jener Francesco di Simone ist. Mit der Preisgabe dieser Blätter werden die Zeichnungen des Verrocchio auf jene drei oder vier beschränkt, deren Qualität dem Ruhme des Meisters mehr zu statten kommt, als es die Quantität der anderen jemals vermocht hätte.
Mit diesen Versen hat Giovanni Santi in seiner fleißigen Reimchronik das Lob des „hohen“ Meisters verkündet. Und was er an ihm zu rühmen fand, zeugt von besserer Einsicht und lebendigerem Kunstgefühl, als der konventionelle Vergleich mit Lysipp und Phidias, zu dem die antiquarische Gelehrsamkeit des Ugolino Verino sich aufgeschwungen hat. Aber in Einem stimmen die beiden Lobredner überein. Eine Brücke, die sicher hinüberführt in das gelobte Land der Künste nennt ihn Giovanni Santi, und Ugolino spricht von dem Quell, aus dem sie alle, „deren Namen durch die tyrrhenischen Städte fliegt“, ihr Können geschöpft haben. Höher noch als seine Werke scheinen die Zeitgenossen seine Lehrthätigkeit angeschlagen zu haben. Und wenn es[S. 96] auch eine emphatische Übertreibung ist, daß, um in einem Gleichnis der Zeit zu reden, aus Verrocchios Werkstatt mehr Schüler hervorgegangen sind als Krieger aus dem Bauch des trojanischen Pferdes, sein Vorbild und seine Lehre haben tiefe Spuren hinterlassen und auf die Entwickelung der florentiner Kunst nachhaltig eingewirkt. Das Wort „Schüler“ darf dabei nicht allzu eng gefaßt werden, liegt doch in dem direkten künstlerischen Nachwuchs nur der kleinere Ruhm der Verrocchio-Werkstatt beschlossen. Wobei allerdings, wie fast überall und immer, von dem einzigen Leonardo abzusehen ist.
Unter diesen Schülern hat Lorenzo di Credi (1459–1537) dem Herzen des Meisters am nächsten gestanden. Mehr als irgend ein anderer durfte ihm Lorenzo zur Hand gehen. Kontraktlich von Verrocchio übernommene Arbeiten erhält Credi zur selbständigen Ausführung. Als Andrea in Venedig weilt, besucht er ihn mehrmals und stattet eingehende Werkstattsberichte ab. Credi erbt die gesamte künstlerische Hinterlassenschaft und er führt die Leiche des toten Meisters aus der Lagunenstadt in die Gruft von San Ambrogio.
Von der Goldschmiedekunst, genau wie sein Meister, kam Lorenzo in die Werkstatt des Künstlers gerade zu der Zeit, als Andrea „per un suo cosi fatto umore“, wie Vasari naiv sagt, sich der Malerei zuneigte. Wir wissen neuerdings aus Dokumenten, daß Verrocchio Verpflichtungen mit der Dombehörde in Pistoja eingegangen war, für das Oratorium der Vergine di Piazza ein Gemälde zu liefern; 1485 wird nun die Behörde vorstellig, das seit mehr als sechs Jahren dem Vernehmen nach nicht ganz vollendete Bild zu Ende zu führen und aus Verrocchios Werkstatt an seinen Bestimmungsort bringen zu lassen. Dort, in dem inzwischen zur Sakramentskapelle umgewandelten Oratorium, befindet sich die Malerei noch heutigen Tages als Werk des Lorenzo di Credi (Abb. 75). Das ist auch zweifelsohne der Name, der vor dem Bilde ausgesprochen werden muß. Wie für das Forteguerrimonument, so hat Verrocchio für das Pistojeser Dombild nur die künstlerische Verantwortung auf sich genommen, alles andere aber Credi überlassen. Und vielleicht haben gerade die Arbeiten an jenem Grabmal den jungen Maler von der Vollendung des Bildes abgehalten, so daß „mehr als sechs Jahre später“ die behördliche Erinnerung erfolgen mußte. Es ist nichts mit der Annahme gewonnen, Verrocchio habe Lorenzo den Entwurf, die Komposition gegeben. Das Schema der thronenden Madonna mit Heiligen vor Marmorschranken ist das in des Meisters Werkstatt übliche. Die Ausführung zeigt in jedem Pinselstrich die peinlich saubere, hier noch jugendlich zimperliche Hand Credis. Mit aller Zierlichkeit rundet sie die Formen und vertreibt die Farben bis zu emailartiger Glätte. Die Architektur ist so wohl verstanden wie die Landschaft gefällig. Verrocchios Formengebung ist bis in Kleinigkeiten nachgebildet, aber alles ist nüchterner, hausbackener, ohne Schwung. Auch die Farben sind die von Verrocchio bekannten: ein scharfes Blau, ein tiefes Weinrot, ein kaltes Lila mit Gelb. Die geduldigen Finger des Goldschmieds haben diesen persischen Teppich gemalt. Nicht minder zeugt die Erhaltung der Tafel von der Sorgfalt der Ausführung. An Leonardo, den Werkstattsgenossen, erinnert die Art, wie Bäume und Blätter dunkel vor hellem Grunde silhouettiert sind. Auch deutet eine erhaltene Studie in Form und Technik — Silberstift auf rötlich grundiertem Papier — unabweislich auf Credi: die im Louvre bewahrte Zeichnung zum hl. Johannes dem Täufer links. Eine im Dresdener Kupferstichkabinet befindliche schöne, doch überarbeitete Madonnenstudie läßt sich wohl ebenfalls am besten mit Credi und der Madonna auf diesem Erstlingswerke in Beziehung setzen (Abb. 76).
Die Madonna mit dem hl. Leonardus und dem hl. Julian (?) im Museum zu Neapel (Abb. 77) steht auf der gleichen Stilstufe und teilt, bei geringerer Erhaltung, alle Eigenschaften des Pistojeser Bildes. Credi hat späterhin noch mehrfach von diesem in der Verrocchio-Werkstatt üblichen Kompositionsschema Gebrauch gemacht. Auch in seinen Gestalten spürt man bis an sein spätes Lebensende die unauslöschliche Erinnerung an seinen Meister. Credis Kinderfiguren hängen alle von Verrocchios Vorbild ab. In einem sorgfältig durchgeführten Bilde der büßenden Magdalena im Berliner Museum überträgt[S. 97] er eine gelegentliche, durch besonders feine Bemalung ausgezeichnete Statuette Verrocchios, ebenfalls im Berliner Museum (Abb. 78) ohne wesentliche Änderung auf die Holztafel.
Auffallend bleibt, daß Credi selbständige plastische Arbeiten nicht unternommen hat. Daß er die nötigen Vorkenntnisse dazu besaß, wissen wir aus dem Munde seines Meisters selbst. Mit einiger Sicherheit haben wir ja auch in Credi den Leiter der Marmorwerkstatt in Pistoja zur Zeit der Errichtung des Forteguerri-Grabmals vermuten können. Indessen war nichts Rühmliches von seiner Thätigkeit dort zu vermelden. Hat er später nochmals zu Hammer und Meißel gegriffen, so vielleicht um das 1494 datierte Wappenschild mit den beiden Engeln im großen Saale des Stadthauses von Pistoja zu meißeln (Abb. 79), eine Arbeit, die überaus deutliche Beziehungen zur Schule des Verrocchio zeigt und in der Sauberkeit der Marmorbehandlung wie in dem gelegentlichen Ungeschick der Komposition sehr wohl den ausführenden Künstler des Grabmales im nahen Dom vermuten läßt.
Was mag Verrocchio zu diesem fleißigen, aber künstlerisch unergiebigen Talent, zu diesem Stern mit erborgtem Licht ge[S. 98]zogen haben? War es jene „lautere Quelle von Herzensgüte und zarter Empfindung“, die Giovanni Santi rühmt? Oder die Anhänglichkeit, Verehrung und Treue, die hier wie öfters das kleinere Talent dem geliebten Meister bewährte? Was Menschliches die zwei verbunden haben könnte, ist tief versunken im Schweigen der Geschichte; nicht einmal eine jener wohlfeilen Künstleranekdoten spielt mit unsicherem Licht über die beiden Gestalten hinweg. Nur das, was sie künstlerisch einte, kann noch erkannt werden. Und da wiederholt sich die Erfahrung, daß dem großen Meister der gewissenhafte Handlanger oft näher steht als der geniale Schüler. Gerade die handwerkliche Seite der Kunstübung, die technische Fertigkeit, auf die Verrocchio so hohen Wert legte, wußte Credi sich mit einer ans Pedantische grenzenden Sorgfalt anzueignen. Vasari, der Credi noch persönlich gekannt hat, erzählt, wie kaum größere Bilder von seiner Staffelei kamen, da schon die kleineren ihm grenzenlose Mühe bereiteten. Auf Verrocchios technische Experimente muß er ein aufmerksames Auge gehabt haben; bis in seine Reifezeit war er bemüht, die Dauerhaftigkeit und den Schmelz seiner Farben stetig zu erhöhen. Dies ist ihm denn auch in höherem Grade gelungen, als die Erzeugnisse seines Pinsels es unbedingt wünschenswert erscheinen lassen. Wie er selbst, erst 1537, an Altersschwäche gestorben, so ist auch seine Kunst, der man nirgends das Cinquecento anmerkt, an Altersschwäche zu Grunde gegangen. Sein Ruhm besteht in seinem Verhältnis zu Verrocchio, in seiner Ergebenheit, die unbedingt war wie seine Zuverlässigkeit.
Genau so gering ist die Originalität des Francesco di Simone, dessen Spuren wir so oft im Werke des Verrocchio getroffen haben. Um ein geringes an Jahren jünger als Verrocchio hat Francesco nicht seine Lehrzeit in der Werkstatt Andreas durchgemacht. Sein Hauptwerk,[S. 99] das Marmorgrab des Rechtsgelehrten Tartagni in San Domenico zu Bologna (1477; Abb. 44), ist im Aufbau und in der Ornamentik von Desiderio abhängig, im Figürlichen und in der Faltengebung zeigt es das Vorbild des Verrocchio bis zur Unselbständigkeit und mit fast allen Fehlern, denen der übereifrige Nachahmer nie entgeht. Die Arbeit ist sauber und gewissenhaft bis zur Kleinlichkeit. Von Erfindung kann kaum gesprochen werden, und die ornamentale Überladenheit bekundet keinen feineren Geschmack. Dieselben Mängel beeinträchtigen auch die übrigen Arbeiten des Bildhauers, dessen Verbindung mit Verrocchio persönlich und künstlerisch lockerer gewesen ist als das Verhältnis zu Credi.
Die Arbeiten in gebranntem Thon, die von der Hand des Agnolo di Polo überall in Florenz zu sehen waren, können wir, vielleicht der Unbeständigkeit ihres Materials wegen, nicht mehr nachweisen. Einigen Ersatz indessen, um Verrocchios Nachwirkung auf diesem für Florenz ganz eigentümlichen Gebiet plastischer Kunst zu beobachten, bietet eine bestimmte Gruppe von Robbia-Arbeiten. Madonnen in bauschigem Gewand und Mantel, das Christkind auf einem Kissen neben sich, umflogen von den Engeln des Forteguerri-Grabes, Wiederholungen ganzer Kompositionen Verrocchios, der Taufe Christi, der Enthauptung des Johannes, des Thomas-Wunders, Putten, die denen des Verrocchio blutsverwandt sind, werden in dieser Kategorie angetroffen. Kunstgeschichtlich führen sie in das Atelier des letzten der drei Robbia-Meister, Giovannis, und sprechen eher für die Beliebtheit der benutzten Originale als daß sie die Erfindungsarmut des Nachahmers bloßstellten. Mit diesen Arbeiten aus zweiter und dritter Hand ist Verrocchios Kunst volkstümlich geworden. Man begegnet ihnen in der Provinz häufiger als in Florenz selbst. Es ist, als hätte die „blühende Stadt“ von ihrem Über[S. 100]flusse hergegeben, damit auch die bescheidenste Dorfkirche zwischen den Weingärten der Arnoebene, das entlegenste Kloster auf dem Kamm des Gebirges Teil habe an dem herrlichen Wachstum in ihren Mauern.
Immer wieder indessen stößt man auf Maler, wenn man Verrocchios Wirken als Lehrer in vollem Maße übersehen will. In Botticellis Jugendentwickelung ist er der entscheidende Faktor, und Ghirlandaio gerät gleich bei seinen ersten Schritten unter die Herrschaft Verrocchiesker Formengebung und Kompositionen. Das beweist, wie bekannt und geschätzt die Malerwerkstatt unseres Meisters gewesen sein muß, jene Werkstatt, in der das technische Experiment, das Grundieren und Anreiben der Farben, deren Mischung und Leuchtkraft, kurz alles zum Handwerk Gehörige mit so wissenschaftlicher Gründlichkeit betrieben wurde, daß augenscheinlich die Produktion des Meisters selbst darüber zu kurz kam.
Nicht allein die einheimischen, auch die durchwandernden Künstler hat diese Pflanzstätte eingehender technischer Studien festgehalten. Namentlich für die angrenzenden umbrischen Meister bildete Florenz die Hochschule künstlerischen Schaffens, an der niemand vorübergehen sollte. Die von jeher bestehenden Beziehungen zwischen Perugia und Florenz hatten sich im Quattrocento besonders eng geknüpft. So war denn auch dem jungen Perugino von seinem ersten Meister in der Kunst immer eingeschärft worden: nirgendwo als in Florenz lebten so viele ausgezeichnete Meister, vornehmlich so viel tüchtige Maler. Der das sagte, Fiorenzo di Lorenzo, hatte, nach seinen Werken zu urteilen, den Segen der florentiner Schule, im besonderen die Anregung von Verrocchio her, an sich selbst erfahren. Perugino folgte seinem Rate, und was er unter Verrocchio gelernt, bildet den eisernen Bestand seines Könnens, setzte sich so in ihm fest, daß es auch über den traurigen Schleuderarbeiten seiner späteren Periode nicht verloren gegangen ist. Peruginos Madonnen mit den züchtig niedergeschlagenen Augen, die typische Fußstellung seiner Heiligen, die gespreizten Handbewegungen, die Anordnung des Mantels über dem Gewande, seine nackten Kinder mit den „wie auf der Drehbank gedrechselten“ Gliedmaßen — all das geht ebenso auf Verrocchio zurück, wie sein mit den Jahren immer leereres Pathos zur Karikatur eines meisterlichen Vorzuges herabsinkt.
Mit Credi und mit Perugino weilt endlich auch der in Verrocchios Werkstatt, für den das Wort Dantes von Homer gilt „sovra gili altri com’ aquila vola“: Leonardo da Vinci. Vasari wußte wohl, was er that, als er mit der Einführung dieses unbestreitbar größten italienischen Künstlers einen neuen Abschnitt seines biographischen Werkes begann. Das Proömium, mit dem Vasari diesen neuen dritten Teil einleitet, schildert in raschem Rückblick noch einmal das mühevolle Hinauf; dann öffnet sich die weite Gipfelschau über das gelobte Land der Hochrenaissance. Und als erste Gestalt eines voll entwickelten Hochrenaissancemeisters tritt Leonardo auf. Seine Verdienste werden ins hellste Licht gesetzt: die überirdische Anmut, die Beseelung der Gestalten, die reiche Fülle der Formen, der zarte Schmelz des Kolorits. Kein Hinweis auf Verrocchio, bei dem das alles wie in Keimzellen vorgebildet liegt. Kein Lob dieses Meisters, dessen größter Ruhm es fortan[S. 101] bleibt, einen solchen Schüler herangebildet zu haben. Mit einem Hochgefühl, als habe er thätig mit eingegriffen, rühmt Vasari die Überwindung „jener trockenen, scharfen und harten Methode“ der Quattrocentokünstler mit ihrem fast eigensinnigen Hang für das schwer Ausführbare und noch dazu oft Ungefällige. Dieser künstlerisch einseitige Standpunkt allein macht Vasaris Urteil über Verrocchio begreiflich: hier habe Studium und Fleiß, wie bei keinem anderen Künstler, die Mängel natürlicher Begabung ausgeglichen.
Dem Historiker erscheint der eine, Verrocchio, nur die unbedingte Vorstufe zum anderen, Leonardo, weil die Natur keine Sprünge macht. Was bei dem Lehrer Ansatz war, entwickelt sich zu voller Blüte beim Schüler. Oft ist es, als sei Verrocchios ganze Kunstwelt ein Mikrokosmus von Leonardos künstlerischem Weltall. Wir haben von den wissenschaftlichen Studien Andreas gehört, von seiner Beschäftigung mit der Musik, seinen genauen technischen Kenntnissen auf allen Gebieten künstlerischen Schaffens, und wir begreifen, daß nur in seiner Werkstatt Leonardos Genie den rechten Nährboden finden konnte.
Für einen so regen, unruhig suchenden Geist wie Leonardo boten indessen auch diese Werkstatt und dieser Lehrer Gefahren. Die Mannigfaltigkeit der einlaufenden Auf[S. 102]träge lockten die Wißbegier von einem technischen Gebiet aufs andere hinüber. Verrocchios in allen Angelegenheiten des Handwerks pedantische Gründlichkeit vererbte sich wohl auf Leonardo, zugleich aber auch eine launenhafte Zersplitterung der Arbeitskraft, ein Hang zu theoretischen Grübeleien, zu technischen Spekulationen.
Von einem persönlich innigeren Verhältnis der Künstler untereinander verlautet nichts. Wenn aber Leonardo noch als in die Zunft eingeschriebener Meister Jahre hindurch bei Verrocchio bleibt, so darf, auch in Anbetracht der liebenswürdigen Umgangsformen Leonardos, auf ein gutes Einvernehmen geschlossen werden, das Vasari umsonst mit der Eifersucht des Älteren zu trüben versucht hat. Die künstlerische Verbindung der beiden ist so eng gewesen, daß die Kritik noch heute oft im unklaren ist, wem von ihnen gewisse kaum zu unterscheidende Werke angehören müssen.
Für unseren Zweck tritt indessen die Frage nach der Abhängigkeit Leonardos von Verrocchio zurück gegen die nach der Rückwirkung des genialen Schülers auf seine Umgebung.
Für die jungen Leute, die mit Leonardo bei Verrocchio thätig waren, steht eine solche künstlerische Rückwirkung fest. Ohne Leonardos Vorbild wären trotz Verrocchio weder Credi noch Perugino die Künstler geworden, als welche wir sie kennen. Nun aber der Meister selbst? Seltsam locken die Thatsachen. Vor Leonardos Eintritt in die Werkstatt können wir kein einziges Werk Verrocchios datieren, mit Ausnahme vielleicht des David. Dann mit dem Ausgang der sechziger Jahre setzt die stolze Reihe ein in kaum unterbrochener Folge, mit steigender künstlerischer Freiheit, vom Zarten zum Anmutigen, vom Anmutigen zum Großartigen. Eine von Stufe zu Stufe aufsteigende Überwindung der maniera alquanto dura e crudetta läßt sich feststellen, immer zahlreicher werden die Parallelen mit Leonardo. Sollte diese von Werk zu Werk freier und vertiefter sich entfaltende Kunst des vielbeschäftigten Meisters mit dem überraschend andauernden Aufenthalt Leonardos in der Werkstatt bis 1480 ohne ursächlichen Zusammenhang sein?
Immer wieder, namentlich von französischer Seite, ist ein derartiger Zusammenhang, will sagen eine ständig wachsende Abhängigkeit Verrocchios von den künstlerischen Idealen Leonardos behauptet worden. Wie sehr mit Unrecht, haben hoffentlich die vorhergehenden Kapitel dargethan. Die Entwickelung Verrocchios vollzieht sich so naturgemäß, so zwingend logisch allein aus seiner künstlerischen Veranlagung, daß ein Eingriff des höheren Genies Leonardos unnötig, ja zweckwidrig erscheint. Wer ohne einen solchen nicht auszukommen vermeint, hat wie ein schlechter dramatischer Dichter den Charakter seines Helden geknickt, statt ihn in ansteigender Linie folgerichtig zu entwickeln.
Was in Verrocchios Kunst ringt und sich befreien möchte, ohne die Fesseln ganz abstreifen zu können, dieser ungemeine Geist, der „nach einer strengeren und tieferen Begründung“ strebte — das gerade macht ihn uns Deutschen verständlich und liebenswert. Ist doch diese Verkettung starken Talentes mit fast wissenschaftlicher Grübelei das Merkmal deutschen Kunstschaffens von jeher gewesen. Solche Talente, suchende Arbeiter, schaffen nicht in erster Linie für den Genießenden, wie sie selbst in der bloßen schönen Erscheinung nicht Befriedigung finden. Sie schleppen schwer an ihren Gedanken. Auch im besten Falle sind sie ein Übergang, eine Brücke, un ponte sopra del quale se passa cum destrezza, wie der alte Giovanni Santi gedichtet hat. Sie sind Pflüger und Säemann, deren Aussaat von dem Boden abhängt, auf den sie fällt. War dieser Boden fruchtbar Ackerland, so ist ihr Los zurückzutreten wie der Landmann, den von dem wohlbestellten Felde die Stunde des Aveläutens heimruft.
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Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state's laws. The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its volunteers and employees are scattered throughout numerous locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation's web site and official page at www.gutenberg.org/contact For additional contact information: Dr. Gregory B. Newby Chief Executive and Director gbnewby@pglaf.org Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide spread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit www.gutenberg.org/donate While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. International donations are gratefully accepted, but we cannot make any statements concerning tax treatment of donations received from outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation methods and addresses. Donations are accepted in a number of other ways including checks, online payments and credit card donations. To donate, please visit: www.gutenberg.org/donate Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works. Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For forty years, he produced and distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. 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