*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 68259 ***

Anmerkungen zur Transkription

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Original-Einband

Quickborn-Bücher / 2. Band

Das Speicherbuch

Für den „Quickborn“ in Hamburg

herausgegeben von

Johs. E. Rabe

Dritte, überarbeitete Auflage (6.-10. Tausend)
des Buches „Von alten hamburgischen Speichern
und ihren Leuten“.

Deko: Quickborn-Verlag, links  Quickborn-Verlag in Hamburg  Deko: Quickborn-Verlag, rechts

Umschlagzeichnung von Hans Förster, Bilder
im Buche von Carl Schildt, Christian Förster
und W. Lühring in Hamburg. Bildstöcke
von Carl Griese in Hamburg. Druck von
J. J. Augustin in Glückstadt und Hamburg.

Hamburger Fleet
Zeichnung von C. Schildt.

GRÖSSERES BILD

[S. 3]

Seit dem Eintritt Hamburgs in das deutsche Zollgebiet wird der größte Teil unserer überseeischen Einfuhr im neugeschaffenen Freihafenviertel gelagert, während für unsere alten Speicher nur noch geringer Bedarf verbleibt. Sie sind daher vielfach schon abgerissen worden, um neuartigen Geschäftshäusern Platz zu machen, die durch zahlreiche behagliche Schreibstuben und helle, weite Lagerräume für deutsche oder zollfreie Waren, sowie durch ausgedehnte Werkstätten Aussicht auf gute Verwertung bieten. Die wenigen, die nach Wiederkehr besserer Zeiten noch eine Weile ihr Dasein fristen mögen, haben im Innern meistens so durchgreifende Umwälzungen erfahren, daß man den früheren Zustand kaum noch zu ahnen vermag. Aber auch andere Veränderungen machen sich im Hamburger Geschäftsviertel bemerkbar. Der Betrieb spielt sich durch neue Hülfsmittel und Erleichterungen nicht mehr in derselben schwerfälligen und mühseligen Weise ab wie früher und schon dadurch wird auch der Menschenschlag ein anderer, den wir bei der Arbeit treffen, ganz abgesehen von sonstigen neuzeitlichen Verhältnissen und Ansprüchen. Endlich aber ist erklärlicher Weise eine ganze Reihe niederdeutscher Bezeichnungen, Redewendungen und Ausdrücke im Verschwinden begriffen, weil sie in die Jetztzeit nicht mehr so recht hineinpassen wollen. Hiervon mitzuteilen, so viel ihm aus seinen Hamburger Erfahrungen noch gegenwärtig war, hat Herr Walter Redslob in Temuco (Chile) im Korrespondenzblatt des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung 32 S. 55 f. unternommen, was dann zu gegenwärtiger Arbeit für den „Quickborn“ den ersten Anstoß gab.

Ich habe versucht, das Bild des Lebens und Treibens in unseren alten Speichern vor Eintritt der großen Umwälzung hier wenigstens in einigen Hauptzügen festzuhalten, durchweg auf Grund eigener Erinnerungen und Forschungen, aber mit Unterstützung zahlreicher Freunde, denen ich auch bei dieser dritten Auflage wieder vielfach zu Dank verpflichtet bin.

Hamburg, im Dezember 1916

Johs. E. Rabe

[S. 4]

Erklärung der Abkürzungen

Amsinck: Die Hamburger Zuckerbäcker. In: Aus Hamburgs Vergangenheit 1. Folge

Beneke: Hamburgische Geschichten und Sagen, 2. Aufl. 1854

Borcherdt: Das lustige alte Hamburg, zweite Hälfte 1891

Bröcker: Der Hamburger, 1910–11

Doornkaat: Doornkaat-Koolmanns Wörterbuch der ostfriesischen Sprache

Ehrenberg: Hamburger Handel und Handelspolitik. In: Aus Hamburgs Vergangenheit

Gaedechens: Historische Topographie von Hamburg

Gaedertz: Die plattdeutsche Komödie in Hamburg im 19. Jahrhundert

Goedel: Quickbornbuch 9: Klar Deck überall!

Heckscher: Chr. Suhrs Hamburgische Trachten

Hertz: Paul Hertz: Unser Elternhaus. Hamb. Liebhaberbibliothek 1895

von Heß: Hamburg topographisch, historisch und politisch beschrieben, 2. Aufl.

Jünger: J. E. Rathmann & Sohn, Hamb. Roman von Nathanael Jünger

Kopal: Aus dem Hamburg der sechziger Jahre

Koppmann: Kämmereirechnungen der Stadt Hamburg

Korr. Bl.: Korrespondenzbl. des Ver. für Niederdeutsche Sprachforschung

Lappenberg: Hamburger niederdeutsche Chroniken

Lauffer: Stätten der Kultur: Hamburg

Lichtwark: Jahrbuch der Gesellschaft Hamburgischer Kunstfreunde

Melhop: Althamburgische Bauweise

Mitt.: Mitteilungen des Vereins für Hamburgische Geschichte

Mus.: Bericht d. Museums f. Hamb. Geschichte 1909

Nirrnheim: Handlungsbuch des Vicko von Geldersen

Patriot: Hamburgische Wochenschrift, erschienen 1724–26

Richey: Idiotikon Hamburgense 1755

Rynesberch: Geschichtsquellen des Erzstifts und der Stadt Bremen, herausgegeben von J. M. Lappenberg

Schlüter: Traktat von unbeweglichen Gütern 1709

Schrader: Hamburg vor 200 Jahren

Schütze: Holsteinisches Idiotikon 1800–1804

Steinhausen: Monographien zur deutschen Kulturgeschichte, Bd. 2: Der Kaufmann

Sternhagen: Ut Vadders Tiden, 4. Aufl. 1909

Tratziger: Chronik der Stadt Hamburg, herausg. von J. M. Lappenberg

Zacharias: Jahrbuch der Gesellschaft Hamburgischer Kunstfreunde 1899

Zeitschr.: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte

[S. 5]

Etwa siebenhundert Jahre sind verflossen, seit die ersten Speicher in Hamburg errichtet wurden, d. h. Gebäude, die ausschließlich zur Lagerung von Waren bestimmt sind. Ihre Vorgänger, die alten Kaufmannshäuser, in denen sich Wohnung und Warenvorräte unterm nämlichen Dach befanden, haben wir uns mit Melhop (2 f.) in ihren Anfängen einfach als in die Stadt gerückte altsächsische Bauernhäuser zu denken, nur daß diese sich hier, innerhalb der engen Umwallung, auf sehr beschränktem Raum einzurichten hatten und statt in die Breite sich in die Höhe entwickeln mußten. Auf die große Diele mit dem offenen Herd verzichtete man nicht, aber die Wohnräume mußte man dafür schon in ein oberes Stockwerk verlegen; darüber lagerten sich dann die Warengelasse. Noch im 13. Jahrhundert waren die Häuser durchweg aus Holzständern mit Lehmgeflecht dazwischen hergestellt, vielfach auch mit Stroh gedeckt. Selbst Rauchfänge aus Holz waren häufig zu finden. Kein Wunder, daß im Jahre 1284 eine verheerende Feuersbrunst fast die ganze Stadt vernichtete. (Tratziger 63.) Beim Wiederaufbau hielt man sich wohl an solideres Material, aber von der altgewohnten Einrichtung wich man weder damals noch später ab. Trotz nachträglicher Einbauten können wir das noch heute in manchen alten Kaufmannshäusern erkennen. Vor allem blieb die große Diele, durch zwei Stockwerke gehend und genügend Tageslicht durch hohe Fenster vom Hof empfangend. Daran, mit breiten Holzgeländern an beiden Seiten, eine mächtige Doppeltreppe, die auf eine Galerie des ersten Stockwerks führte. In der Mitte der Decke fand sich ein durch eine aufklappbare Luke geschlossener Ausschnitt, das Winn’lock, das sich durch alle Stockwerke bis an die Haspelwinde des Spitzbodens fortsetzte und das Auf- und Abwinden von Waren mittels der endlosen Windetaue, der Löpers, ermöglichte. An anderer Stelle [S. 6]hing die Wagschale, die Bummelschal, von der Decke herab. Es war noch im 19. Jahrhundert das Vorrecht des „Großbürgers“, mit der „großen Schale“ zu wägen, wie auch nur dieser ein eigenes Konto bei der Girobank halten und Waren „auf Transitozettel deklarieren“, d. h. für fremde Rechnung ein- und ausführen durfte. — Küche und offener Herd hatten gleichfalls ihren Platz an der Diele. Neben ihrem Hauptzweck, der Warenbewegung zu dienen, bildete diese in vielen Fällen einen wahren Prunkraum, dessen vergoldete Karosse und blendender Reichtum an Küchengeschirr bereits von der Straße aus bestaunt werden konnte. Hier hing im Herbst zur Zeit des „richtigen Ossenslachterwedders“ (Sturm und Regen) der schön geschmückte Ochse (Beneke 359 f.), hier wurden vornehme Gäste empfangen, hier war auch der Tummelplatz der Kinder (Hertz 36 f.) und bei Todesfällen fand hier die feierliche Aufbahrung des Sarges statt (Zacharias 29 f.). — Lichtwark (1897, 61 f.) schreibt: „Wie einheitlich und behaglich wirkt der Raum, wie reich und vornehm! .. Was ihn so lebendig macht, lebendiger als die stolzen Treppenhäuser der Barockpaläste, das ist seine Lauschigkeit, die das tägliche Leben ahnen läßt. ... Jetzt stehen noch ein halbes Dutzend im alten Zustande, aber da die Häuser nicht mehr bewohnt werden und nur als Speicher und Kontore dienen, sind sie unfrisch oder verkommen. Die Künstler, die in Hamburg lebten, haben uns von der traulichen Poesie dieser Räume kein Bild erhalten, den Dilettanten aber, die uns einen Blick in die dem Untergang geweihte Herrlichkeit festhielten, wird man nicht nur in Hamburg ein dankbares Andenken bewahren. ... Hätte es solche Schönheit in der Privatarchitektur Münchens, Berlins oder Düsseldorfs gegeben, so würden Generationen von Malern in unserem (neunzehnten) Jahrhundert sie verherrlicht haben. Aus tausend Bildern und Hunderttausenden von Photographien, Holzschnitten und Stichen danach würde das deutsche Volk diese Dielen kennen.“ (Abbildungen solcher Dielen bei Lichtwark, Bröer, Melhop. Vergl. auch Melhop 278 f., Jünger 5, Schrader 42 f., Lauffer 70 f. — Im [S. 7]neuen Museum für hamburgische Geschichte wird die genaue Nachbildung einer althamburger Diele einen Glanzpunkt bilden.) Es sei übrigens beiläufig erwähnt, daß der Hamburger Patrizier sein Stadthaus nur im Winter bewohnte. Am 17. April pflegte die Familie vors Tor zu ziehen und kehrte am 18. Oktober in die Stadt zurück.

Wir dürfen die Entwicklung unseres Geschäftsviertels des Großhandels so annehmen, daß anfangs die Uferfläche, die Kaje, durchweg unbebaut liegen blieb, wie noch jetzt bei den Vorsetzen zu sehen, bis zum Zollanschluß auch z. B. beim Kehrwieder. So war es ursprünglich in der Deichstraße, im Cremon, in der Catharinenstraße, wie bei den Mühren, im Grimm usw. Hinter den Häusern, die sich also nur an einer Seite der Straße entlang zogen, erstreckten sich tiefe, schmale Gärten bis an andere Fleete, zuweilen auch bis an den Stadtwall oder an offene Abflußgräben, die später zu Fleeten erweitert und vertieft wurden (Gaedechens 41). Als die Böden des Wohnhauses dem sich ausdehnenden Geschäftsbetriebe nicht mehr genügten, begann man dann, an diesen Hinterfleeten Speicher zu errichten; später folgten schmälere Verbindungsbauten zwischen Wohnhaus und Speicher und endlich blieben statt der ehemaligen freien Stücke nur dumpfige, geschlossene Hofplätze nach. Die Lagerböden fügten sich meistens vom Vorderhause durch den Mittelbau an die Böden des Speichers in gleicher Höhe an.

Mit der Zeit erstarkten Handel und Gewerbe immer mehr, zum Teil sprungweise, und erforderten weite große Räumlichkeiten. Ich erinnere nur an die Bierbrauerei. Schon 1270 war das Hamburger Bier berühmt (Rynesberch 118 Anm. 100) und im Jahre 1307 wird berichtet, daß es das Bremer überflügelt habe (Rynesberch 85, Mitt. I. 44). Lauffer 34 gibt an, die Herstellung Hamburger Bieres im 15. Jahrhundert habe durchschnittlich 100000 Tonnen, gleich 250000 Hektoliter, im Jahre betragen. Im 16. Jahrhundert gab es hier dann die stattliche Zahl von 531 Brauhäusern (Lappenberg 14), die in rascher[S. 8] Folge errichtet waren. Da man sie am liebsten an den Fleeten anlegte, um das Wasser sowie Gelegenheit zur Verschiffung bequem zur Verfügung zu haben, so wurde allmählich das litus, die Uferfläche, zum Bebauen in Angriff genommen. Bis dahin gehörte dieses litus durchweg den gegenüberliegenden Häusern und pflegte u. a. von den Brauern benutzt zu werden, um ihr Brennholz aufzustapeln (Schlüter 21). Schon im Stadterbebuche von 1248 bis 1274 wird wiederholt der Verkauf solcher Uferplätze vermerkt (Zeitschrift I. 452 Anm. 5, Gaedechens 50). Es kam hinzu, daß die Hülfsgewerbe, hier besonders die Faßbinder, viel Raum beanspruchten. Zwischen 1370 und 1387 waren neununddreißig vom Hundert sämtlicher Amtsmeister Küper (Koppmann Bd. 3, XX.). Nach und nach wurden auf diese Weise die ursprünglich frei liegenden Kajen an den Fleeten vollständig bebaut, teilweise mit Brauhäusern und Betriebswerkstätten, teils aber auch mit Speichern, die jetzt also nicht mehr mit dem Sitz des Kaufmanns in unmittelbarer Verbindung standen. In welchen Zwischenräumen diese Ausfüllung der freien Uferplätze stattfand, läßt sich oftmals nachweisen. So wurden beispielsweise die beiden Grundstücke an der Fleetseite der Deichstraße neben der Hohenbrücke wahrscheinlich zuerst ums Jahr 1322 bebaut, das im Norden angrenzende als eines der letzten freigebliebenen dieser Gasse erst zwischen 1397 und 1401 (Mus. 270). Abgesehen hiervon entstand am Ufer auch nach vollständiger Bebauung keine ununterbrochene Straßenreihe, sondern zwischen je etwa zwei bis vier Häusern blieb ein „Fleetgang“ frei, der dann einem der gegenüberliegenden Grundstücke oder mehreren gemeinschaftlich als Eigentum gehörte. Der Zweck war, für den Wasserverkehr eine gute Verbindung zu behalten. Gewöhnlich fand sich dort alsdann am Ufer auch eine „holländische Winde“ unter gewölbtem, schwarz geteertem Holzdach. Schon im ersten Hamburger Grundbuch wird wiederholt ein Haus mit dem Recht auf einen Weg ans Ufer oder einen Anteil daran übertragen (Zeitsch. I. 447 Anm. 2, 3, 4). Man sieht noch heute solche Fleetgänge, z. B. Deichstraße, Katharinenstraße,[S. 9] Grimm. — Ich will nicht unterlassen zu erwähnen, daß Neddermeyer (Hamb. Topographie 221, 238) meint, im Cremon und im Grimm sei die Wasserseite zuerst bebaut worden. Die Stellen, die er hierfür anführt (Staphorst, Hamb. Kirchengeschichte I. 2, 102 und 104) bieten indessen keinen Beleg dafür und die Sache ist auch durchaus unwahrscheinlich (Vergl. Gaedechens 14, 49, Schlüter 21 und Mitt. IV. 115 f.).

Für Nichthamburger seien einige Bezeichnungen erklärt. Fleet hängt mit Fluß und fließen zusammen. Es ist der Ausdruck für durch die Stadt strömende natürliche oder künstlich angelegte Flußarme und findet sich schon im 14. Jahrhundert (Nirrnheim II. 18). Die Kanäle der Außenalster und im Hammerbrook, die durch Schleusen mit der Elbe verbunden sind, könnte man also nicht wohl Fleete nennen, dagegen aber wäre der Name Zollfleet statt Zollkanal für den großen Wasserzug zwischen Freihafen und Zollstadt angebracht gewesen. — Kaje kommt aus dem Romanischen und hat ursprünglich die Bedeutung Klippe und Sandbank, während es, wie Lübben im mittelniederdeutschen Wörterbuch angibt, im Niederdeutschen ausschließlich Ufereinfassung ist. — Es war zu bedauern, daß im Freihafen anfangs die Bezeichnung Quai, gesprochen Kwai, eingeführt wurde, wo wir doch schon die gut niederdeutschen Straßennamen Binnenkajen und Butenkajen seit altersher kannten. Brooktorkaje, Hübnerkaje usw. hätte wirklich sehr gut geklungen. Glücklicherweise ist man jetzt durchweg zur Schreibweise Kai übergegangen. — Speicher, Spiker, wird in Grimms Wörterbuch aus dem spätlateinischen spicarium erklärt und dies aus spica, Gedreideähre. Also ursprünglich Kornspeicher. Ich fand den Spiker, als selbständiges Gebäude verkauft, schon im ältesten Stadterbebuch erwähnt (Zeitschr. I. 449 Anm. 9) sowie bei Nirrnheim (I. 733, 736).

Im Gegensatz zu der feststehenden Zimmereinteilung der unteren Stockwerke des Kaufmannshauses und des Mittelbaues bot der althamburgische Speicher, der sich hinten anfügte[S. 10] oder später selbständig für sich errichtet wurde, ungetrennte Lagerräume. Er bestand also eigentlich nur aus den vier Wänden und den Böden, die durch starke Ständer und Balken aus Eichenholz getragen wurden. Als man bei Gelegenheit des Zollanschlusses die neuen Freihafenspeicher errichtete, glaubte man es recht gut zu machen, wenn man ausschließlich Eisenkonstruktion anwendete. Es fand sich aber bei einem Brande, daß das Eisen sich derartig dehnte und reckte, daß die Mauern ernstlich litten. Das war bei der altmodischen Verwendung von Holz niemals vorgekommen, meistens kohlte solches nur so leicht an, daß es für den Neubau wieder gebraucht werden konnte. Die Stockwerke hießen Böhns oder Spiekerböhns, das oberste der Spitzböhn. Ausnahmsweise finden wir hierfür noch um die Mitte des vorigen Jahrhunderts den Namen die Flier bei der Verkaufsanzeige eines Grundstückes am kleinen Fleet, das früher zur Herstellung von Brodenzucker gedient hatte. Flier ist außer in Ostfriesland nur in Holland gebräuchlich (Mitt. X. 60). Die Niederländer, die die Zuckerraffinerie im 16. Jahrhundert bei uns einführten (Amsinck 209 f.), werden diese Bezeichnung mitgebracht haben, ebenso wie die Berechnung der Ware in Grote, die noch zu Anfang des 19. Jahrhunderts hier im Großhandel üblich war. — Richey erwähnt als Name des alleröbersten Bodens „Oken“. Solcher ist noch jetzt für die Winkel bekannt, wo das schräge Dach den Fußboden berührt.

Heizvorrichtungen fehlten im Speicher, ebenso zuweilen Aborte. Wo man diese nicht entbehren wollte, fügte man sie im Erdgeschoß, nach der Fleetseite, als Ausbau an, mit einer viereckigen Holzröhre, die mehr oder weniger weit hinunter ins Fleet reichte, immerhin nicht tief genug, daß sich nicht bei niedrigem Wasserstand eine Schute noch gerade darunter schieben konnte. Bis das Schwemmsystem unserer „Siele“ allgemein durchgeführt war, gab es noch um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts auch für die Wohnhäuser an den Fleeten ausschließlich diese Form von Aborten. Die gefrorenen Exkremente[S. 11] bildeten im Winter einen recht unerfreulichen Anblick. Im Sommer, wenn anhaltender Ostwind die Fleete leerlaufen ließ, kamen Gerüche hinzu, die nicht selten jede Lüftung der Zimmer verhinderten. Ein Bild aus jener guten alten Zeit: „Hallo, wat ’s dat for’n Waar“, ruft der Ewerführer aus seiner Schute ins Erdgeschoß hinauf. „Frachtbreef kummt gliek na!“ schallt es zurück. — Solche Straßen, denen kein Fleet als bequemer Abzugsgraben diente, hatten Eimerabfuhr. Die Eimer, sehr zartfühlend Goldammers getauft, standen dann in den engen Gassen reihenweise bereit, bis der Ruf „Dreckwaag!“ (verkürzt aus Dreckwagen) die bevorstehende Leerung ankündete. Ähnliche und zum Teil schlimmere Zustände herrschten damals natürlich auch in anderen Großstädten Europas. Den meisten ist Hamburg mit Einführung gemauerter Abzugskänale vorangegangen.

Fenster waren im Speicher nicht allzu reichlich vorhanden und die kleinen Scheiben waren trübe. Sie wurden vermutlich nur sehr selten geputzt: eine Hausfrau verstieg sich nicht hierher. Brauchte man für die Arbeit Tageslicht, so öffnete man die Luken, doppelte breite und hohe Holztüren, neben denen eiserne Griffe in die Mauer eingelassen waren, damit man sich beim Ausgucken festhalten konnte. Für Erleuchtung bei Dunkelwerden diente die ölgespeiste Kugellamp aus sehr dickem Glas in Art der Schiffslaternen, mit Blechuntersatz und einem Henkel. — Für Schreibarbeit benutzte man eine Ecke am Fenster, meistens durch Holzverschalung in eine Art von Zimmer, das Kabuff, verwandelt. Hier, wie auch wohl an anderen Stellen, pflegten die Wände mit Holzschnitten aus der „Reform“ geschmückt zu sein, zuweilen auch mit launigen kurzen Inschriften und Zeichnungen, mittels Pinsels aus dem Markputt hingeworfen, einem kleinen, nach oben etwas verjüngt zulaufenden Holzeimer, gefüllt mit einer Mischung von Kienruß und Leckbranntwein zum Zeichnen (Marken) der Packungen. Den Leck lieferte der Köhmkaaker umsonst, es war der Schnaps, der beim Vollschenken oder Reinigen der Gläser abtropfte. — Den Markputt pflegte der „Hausküper“[S. 12] auf der Snibank selbst herzustellen. Sonst diente diese (auch Snibock genannt) hauptsächlich dazu, Holzböden, Faßstäbe (Staff) usw. zuzuschneiden. Man saß darauf rittlings, vor sich eine Einrichtung zum Festklemmen des Holzes, und benutzte nach Bedarf ein Tochmeß oder ein Krummeß, beide aus breiter Schneide mit Holzgriffen an den Enden bestehend. — Das Marken wurde mit großer Schnelligkeit in meistens schräg liegenden lateinischen Buchstaben sowie arabischen Ziffern von schlanker, besonders deutlicher Form vorgenommen. Schablonen wurden früher wenig benutzt, während die Frachtführer jetzt meistens darauf bestehen.

Schmale, steile Holztreppen, die möglichst wenig Raum wegnehmen durften und nicht massiv eingefaßt, sondern nur mit Lattenverschlag versehen waren, verbanden die Böden. Sie waren ausschließlich für Personenverkehr geeignet. An ihnen fand sich häufig ein vom Boden aus zugängliches Nebengelaß oder ein Bort, der Bislag, angebracht. Sonst war an geeigneter Stelle noch ein Aufbewahrungsort für Packmaterial, das Strohlock, vorhanden, sowie ein Gerüst für leere Kisten, der Hangeböhn, auch wohl Galgen genannt. Der gesamte übrige Raum diente für das Aufstapeln von Waren, wobei man sich an keine Belastungsgrenze kehrte, wie solche in den neuen Freihafenspeichern überall vorgeschrieben ist. Bei Eisenkonstruktion brechen eben die Nietenbolzen bei Überlastung, während hölzerne Tragbalken federnd nachgeben, also keine besondere Vorsicht erheischen. Wohl kam es vor, daß die Mauer sich etwas schief zog und, wo sie nach dem Fleetgang frei lag, durch Stützen gegen das Nachbarhaus gehalten werden mußte. Das war z. B. in dem Hause Deichstraße 45 der Fall, in dem ich meine Jugend verlebte, und kostete natürlich eine jährliche Vergütung. — Einen eigentümlichen Speicherbau, wie es deren vielleicht noch mehrere gegeben hat, findet man Steckelhörn 5. Hier steht die gesamte Holzkonstruktion frei für sich, ohne irgendwelche Berührung mit der Hausmauer; das hat den großen Vorteil, daß die Tragbalken nicht unter Feuchtigkeit der Mauer leiden können.[S. 13] Man vergleiche hierzu, was Linde (Die Niederelbe, 4te Aufl. S. 55) über das Marschenhaus sagt.

Von losem Inventar fand sich in den alten Speichern zunächst die Schaal oder Bummelschaal, die hängende Wagschale. Sie bestand aus dem eisernen Wagebalken, der mittels Ringes über einem S-förmigen Haken der Decke hing, sowie zwei Wagschalen aus starken Holzbohlen mit kräftigen Tauen an den vier Ecken, die oben über Eisenringe gespleißt (spleeßt) waren und an diesen auf die Haken gehängt wurden, die der Wagebalken an jedem Ende trug. (Spleißen heißt die innige Vereinigung der aufgefaserten Tauenden durch Flechten und Durchstecken.) Auf eine der Schalen häufte man die Ware, auf die andere die Gewichtstücke, deren eine große Auswahl zur Seite bereit stand, hauptsächlich Hundertpfundstücke. Man sagte: „Da mutt noch en Hunnert rop“ oder „en Hunnertpundsloot“, und für wägen punnen: „Hebbt ji de Ballen all punn’d?“ Auf Jost Ammans Holzschnitt aus dem sechzehnten Jahrhundert „Allegorie des Handels“ stehen bereits gegossene Gewichte in gleichmäßiger Glockenform mit kleinem Henkel neben einer Hängeschale, die der obigen Beschreibung gleicht (Steinhausen 56, Beilage 6). — Zuweilen wurde bei Ablieferung von Waren die Bedingung „Geld bi de Schaal“ vorgeschrieben, in Fällen, wo man dem Käufer nicht traute. (Es herrschte sonst der Gebrauch, daß am Tage nach Empfang Zahlung durch die Bank erfolgen mußte.) Die Rechnung wurde in solchem Falle gleich ausgestellt und war zu begleichen, bevor die Gewichtstücke heruntergenommen waren, bei hängender Schale. — Wurden die Schalen nicht gebraucht und waren sie für die Arbeit im Wege, so hakte man sie los und stellte sie beiseite, ebenso wenn man besonders große Kolli ohne Schale wog, indem man sie an Ketten direkt an den Wagebalken hängte. Jetzt sieht man diese Wägevorrichtung fast gar nicht mehr, da meistens Dezimalwagen angewendet werden, die sich leicht überallhin versetzen lassen. Nur in einzelnen Betrieben, wo es auf besonders genaues Gewicht ankommt, z. B. beim Butterhandel, findet man noch die Bummelschale.

[S. 14]

Zum Weiterbewegen von Waren innerhalb des Lagers benutzte man die Kaar oder Spikerkaar, bestehend aus zwei miteinander verbundenen langen Hebelarmen mit löffelförmigem Eisen am unteren Ende, woran zwei kleine Eisenräder befestigt waren. Mit ihrer Hülfe schaffte man auch Kolli über die Brügg auf den Wagen; das war eine breite Planke aus Holzbohlen mit einer Klammer, die auf dessen Bordwand paßte. Fässer rollte man auf der Striekledder hinüber (zuweilen, aber seltener, auch Schroodledder genannt), einer Leiter ohne Sprossen, bestehend aus zwei Bäumen, die oben und unten durch Klammern aus Holz oder Eisen zusammengehalten wurden. Sie diente auch, um Fässer über Treppenstufen zu befördern. — Galt es besonders schwere Kolli von der Stelle zu rücken, so benutzte man den Kohfoot, eine dicke meterlange Eisenstange, vorn umgebogen und gespalten. Mußten gewichtige Kisten behufs Weiterbewegung angepackt werden, so diente dazu der Handhaken, für dicke Säcke der kleinere Griper. An sonstigem Gerät fand sich zunächst der Snitzer, ein kantig geschliffenes Messer, womit man in Holzbänder, die dabei in der linken Hand und unterm Arm ruhten, länglich viereckige Ausschnitte, Schränke oder Slott, kerbte. Wurden diese dann ineinander gehakt, so war der feste Reifen gebildet, den man mittels des Drivholts oder Fuustholts, eines hölzernen Treibkeils, und des Deessels auf das Faß trieb. (Früher hieß es die Deessel, jetzt hört man durchweg der Deessel.) Man benutzte dieses beilförmige Werkzeug auch zum Ausdeesseln von Fässern und beim Verspunden derselben, um das überflüssige Holz des Spundes und die Spundlappen zu entfernen, sowie den Häringsdeessel, von länglicher Form, um Häringstonnen zu öffnen. — Galt es, isern Bann (Eisenreifen) auf Fässern zu treiben, so diente das Drievisen oder die Setz, ein eiserner Treibkeil, und der Setzhamer. — Ein kurzes Brecheisen, de Resiensnadel, vorn umgebogen und gespalten, wurde angewendet, um fest gepackte Waren aus ihrer Verbindung zu lockern, Fässer zu öffnen, Deckel der Kisten zu lösen, Nägel zu ziehen und[S. 15] die Inbann loszubrechen, Holzbänder, die zur Sicherung der Böden in die Krösen der Fässer genagelt waren.

Zur Entnahme trockener Proben hatte man den Löper, eine an beiden Seiten offene Metallhülse, deren spitzer zulaufendes Ende man in den Sack stieß, um aus dem anderen die Probe schlank in einen untergehaltenen Beutel laufen zu sehen. Es gab deren verschiedene Arten. Solche mit ganz spitz zulaufender Öffnung dienten für Zucker, Reis, Saaten usw. Man konnte dann das entstandene kleine Loch durch Zusammenziehen der Fäden wieder dichten. Für Kaffee mußte die Öffnung natürlich weiter sein, wieder andere benutzte man bei mehlförmigen Waren. Für Flüssigkeiten diente der Steker, Provensteker, auch Suger genannt, ein Stechheber, der angesogen und, wenn gefüllt, durch den Daumen oben geschlossen wurde. Butterproben zog man mittels des Botterisens, einer eisernen Hülse, deren eine Seite offen war. — Um alte Marken wegzukratzen, nahm man die Schaav zur Hand, für Kisten ein gebogenes Schabeisen mit zwei Holzgriffen, für Fässer ein dreieckiges flaches Eisen, in dessen Mitte ein Holzstiel eingelassen war. — Als Behälter für allerhand Smeerkram fand sich in irgend einer Ecke die Sappskeek (Sapp ist Saft, mit der Nebenbedeutung schmierig). — Waren Säcke auszubessern, so diente dazu das Neihgaarn oder Drahtneihgaarn (starker Bindfaden, Dreedraht oder Veerdraht, je nach der Zusammensetzung) sowie eine dreikantige Nadel, meistens aber, besonders für dicke Rappertsakken (engl. wrapper), die Sninadel mit scharfer Schneide, die besser durchging und womit der Faden gleich abgeschnitten werden konnte. — Die meisten dieser Gebrauchsgegenstände werden, beiläufig bemerkt, noch heute angewendet, indessen benutzt man auch vielfach schon Werkzeug nach amerikanischer Art, das gleichzeitig verschiedenen Zwecken dient.

Über die vorkommenden Packungen der Waren, wie sie die Fremde liefert (Seronen, Gonjes usw.), ist wenig von Interesse zu melden. Im Fruchthandel gibt es Siffen, Körbe für etwa 23 Pfund Äpfel, und Hamper für 120 Pfund. Kreet oder[S. 16] Kreets (zuweilen in der Mehrzahl Kreetsen genannt), ist eine lattenförmige Umhüllung für Glaswaren und manche andere Gegenstände. Sie wird auch wohl aus Hasel-, Weiden- oder knorrigem Eichenholz geflochten und genagelt. Solche Kreets sind zum großen Leidwesen der Speicherarbeiter nach der Leerung nicht einmal als Feuerungsholz zu verwenden. Laut Doornkaat wird mit Kreet auch der Wagenkorb aus Latten und Sparren bezeichnet, der zum Heufahren früher allgemein gebräuchlich war. Die zylinderförmigen leinenumhüllten Kanehlpacken heißen Fardehl (span. fardillo). Eine der zahlreichen stehenden Redewendungen lautet: „Ick sall bi di en fideles Kameel empfangen“ (statt ein Fardehl Kanehl).

Im Speicher waren Mäuse häufige Gäste. Es wurden daher immer Katzen gehalten oder vielmehr Kater. Ein Loch unten in der Tür des Erdgeschosses gestattete ihnen den Weg ins Freie, um etwa auf dem Hofe einen Spatzen zu belauern oder zur richtigen Stunde bei einer gutherzigen Fischfrau das Leibgericht zu erbetteln. Selbst auf solchen Speichern, wo ausschließlich Waren lagerten, die für Nager kein Interesse boten, pflegte ein Kater niemals zu fehlen; der gehörte einmal dazu. Man bewahrte die guten Tiere schonend vor jeder Leidenschaft. Hin und wieder nagelte man auch wohl an irgendeinem Balken fest, was sie zu diesem Zweck eingebüßt hatten und glaubte sie dadurch ihr lebelang an den Speicher zu fesseln. — Auch Ratten verirrten sich häufig auf die Lagerböden. Man behauptet mit Bestimmtheit, daß sie an den Mauern emporgeklommen seien, wenn sie besondere Leckerbissen, z. B. Walnüsse, witterten. War das Fallreep hängen geblieben, ein Strick, an dem der Ewerführer nach beendeter Arbeit in den Speicher kletterte, so diente es auch oft den Ratten für ihre Besuche. Zum Wegfangen ihrer Jungen stellte man die Rottenheck auf, ein Gerüst mit Zellen, worin sie ihre Brut ablegten.

Alleinherrscher im alten Kaufmannsspeicher war der Huusküper, meistens wirklich ein gelernter Küper (Böttcher). In[S. 17] älterer Zeit kannte man als Packungen für die Waren, neben geschnürten Ballen, vorzugsweise Fässer oder Tonnen (Nirrnheim LXXIX., Steinhausen: Abbildungen 53, 54 und Beilage 6 und 11), wie auch in einem Lehrbuche des angehenden Kaufmanns vom Jahre 1715 (Steinhausen 105) die Überwachung des Zeichnens von Ballen und Fässern dem Lehrling als eine seiner Arbeiten vorgeschrieben wird. Von Kisten ist nie, von Säcken nur selten die Rede. Alles mögliche wurde in den Fässern zusammen verpackt, z. B. um 1380 dreizehn Schinken, eine Hoyke (Mantel) und zwei Stücke „Schlagdokes“, wollene Decken, die zum Einwickeln von Tuch gedient hatten (Nirrnheim I. 652 und LXIV.). Es war somit notwendig, daß der Hausküper mit der Herstellung sowie dem Packen und Auspacken von Fässern genau vertraut war. Im allgemeinen war nur das Lager sein Bereich, aber in kleineren Betrieben besorgte er auch wohl allerlei Arbeiten für den Haushalt, klopfte Zeug und wichste Stiefel, schöpfte Wasser zum Scheuern und Waschen aus dem Fleet, besorgte Wege fürs Kontor, fütterte die Katzen mit Panzen (Magen) und war ein großer Freund der Kinder vom Hause. Durchweg trug er ledernes Schurzfell mit Leibriemen, an dem vorn eine kleine Messingtonne als Schild prangte. Im Winter sah man ihn vielfach in pelzbesetzter Mütze mit Quaste, als Zeichen seines Amtes, wie er zu sagen pflegte. (Vgl. Hertz 33 f.)

Der Hausküper hörte es gern, wenn man ihn „Koptein“ anredete, indessen bestreiten ihm die „Quartiersleute“ das Recht auf diesen Titel: ausschließlich ihnen gebühre solcher, da sie unabhängig daständen, während der Hausküper nur ein auf Kündigung Angestellter sei. Im Besitz der Schlüssel war dieser für alles verantwortlich, auch für die Arbeidslüd’, die gegen festen Wochenlohn unter ihm tätig waren, wie für Gelegenheitshülfe, die er im Tagelohn annahm. Solch’ vorübergehende Arbeit hieß eine Hüür im Gegensatz zu Bahntje für feste Anstellung. Der Hausküper sorgte für das Aufbringen, Einwägen und zweckmäßige Wegstauen der Waren, für Marken[S. 18] und Ummarken der Kolli sowie für ihre Ablieferung, weiter für rechtzeitiges Umstapeln von Sachen, die dem Verderb unterlagen, kurz für alles, was der Lagerbetrieb erheischen mochte. Nebenbei entwickelte er eine staunenerregende Warenkenntnis bei Empfang und Ablieferung. — War es erforderlich, so erschien er wohl gelegentlich bei seinem Geschäftsherrn an der Börse, sonst jedenfalls abends regelmäßig am Kontor, um dort Rechenschaft abzulegen und neue Vorschriften entgegenzunehmen. Das Gewichtbook, das er dabei überbrachte, war in großen Betrieben in verschiedenfarbigen Einbänden vorhanden, etwa in gelb für eingehende und in blau für abgelieferte Partien. Von jedem hatte man zwei Exemplare, wovon eins bis zum nächsten Abend am Kontor verblieb, um danach Rechnungen auszustellen oder einlaufende zu prüfen, das andere inzwischen zur Benutzung auf dem Speicher.

Gab es Arbeit, die der Hausküper nicht mit den eigenen Leuten bewältigen konnte, so holte er sich weitere Kräfte von de Lüd’ von de Eck. Das waren nicht etwa Gelegenheitsarbeiter in Art der berühmten „Löwen von’n Hoppenmark“, die nur gelegentlich Obstkörbe aus den Ewern auf den Markt schleppten und sich hauptsächlich von Schnaps ernährten, sondern sie mußten ehrbare Hamburger Bürger sein und entsprechend dem Vertrauen, das man in sie setzte, streng auf Standesehre halten. Keineswegs konnte sich jeder beliebig zu ihnen gesellen. Er mußte guten Leumund besitzen und in aller Form um seine Aufnahme ersuchen. War solche zugestanden, so wurde er ins Buch eingetragen, das jede „Ecke“ führte, nachdem er „en Daler oder twe as Inspringelgeld“ erlegt hatte. Der Hausküper war, um solche Spikerarbeiders oder Spikerlüd’ anzuwerben, je nach der Lage seines Speichers auf eine bestimmte Ecke angewiesen; erst wenn hier niemand zu finden war, durfte er sich weiter umsehen. Die „Ecken“ hatten ihre festen Bezeichnungen: de Englännereck (Katharinenstraße), de Wandrahmseck, de Pickeck (Rödingsmarkt-Steintwiete) usw. und standen in Verbindung[S. 19] mit einer Köhminsel, einer bestimmten Destillation (Schnaps- und Bierausschank), wo der Hausküper zunächst einzukehren hatte, wenn er an der Ecke keine Leute antraf. Bei diesem Kröger war den Lüd’ von de Eck’ das Recht eingeräumt, statt einzelner Schnäpse zum Sechsling (3¾ Pf.) das Glas, eine Flasche für drei Schilling (22½ Pf.) zu erstehen und in einem Hinterzimmer zu vertilgen. Traf der Hausküper sie gerade bei einer frischen Pulle an oder wurde eine solche auf dem Speicher „ausgegeben“, so gebührte ihm der erste Schluck. „Een’n utgeven“ kam auf dem Lager nicht selten vor, sei es daß der Geschäftsherr sich blicken ließ oder daß Makler, Agenten oder Käufer dort zu tun hatten. Als zarter Wink mit’n Lüchtenpahl diente dann wohl: „Is mal dröge Luft“ oder „dat stöft hier bannig“. War sonst niemand da, den man um Getränk ansprechen konnte, so meinte wohl einer der Arbeiter: „Wöhlt wi nich en Lütten passen?“ d. h. es sollte zusammengeschossen werden, um Alkohol anzuschaffen. Kam dann gerade ein junger Mann vom Kontor darüber zu, so erwartete man, daß er sich in hervorragender Weise beteiligte. Dafür durfte er den ersten Schluck aus dem Glase tun, das nachher die Reihe herum ging. — Es wurde früher recht häufig getrunken, wenn auch nicht viel zur Zeit. Bei Ablieferung von Waren hatte der empfangende Hausküper oder Quartiersmann, wenn es sich nicht um ganz kleine Partien handelte, den Arbeitern gleichfalls einen auszugeben, und zwar wurde dies op de halven beansprucht, d. h. wenn die Hälfte der Partie abgeliefert war. Morgens vor 8 Uhr wurde „en Sweizer“ für das Geld geholt, nach 8 Uhr Kümmel und Flaschenbier. Der Verwalter des Getränks wurde Buddelör genannt. Das gewöhnliche Schnapsgemisch war Köhm un Grön d. i. Kümmel und Wermut. Beim Sweizer kam noch Pfeffermünz hinzu. „Lat uns mal en lüttje Sweizerreis’ maken!“ hieß es wohl. Besonders geschätzt war das Helmerssche Erzeugnis; daher: „Hal mal een von Helmers sien!“ oder „Dat ’s woll Helmers sien?“ (mit Anklang an Hennessy). Die Höhe des betreffenden Trinkgeldes, das zuweilen[S. 20] auch je zur Hälfte vom Ablieferer und Empfänger getragen wurde, richtete sich ungefähr nach der Größe der abgelieferten Partie. Man rechnete z. B. bei 50 Sack Kaffee vier Schilling (30 Pf.), bei 100 Sack das Doppelte. — Wollte man Köhm un Beer in einer Wirtschaft genießen, so forderte man „Lütt un lütt“, d. h. en lütt Glas Köhm un en lütt Glas Beer. Das kostete zusammen einen Schilling (7½ Pf.). Es gibt noch heute viele Wirtschaften, wo je 2 Glas Lütt un Lütt für 15 Pf. geliefert werden. War man dann gemütlich im Schnacken, so hieß es bald: „Op een Been kann man nich stahn!“ Solcher Redensarten, die sich natürlich nicht auf die Speicherarbeiter beschränken, ließen sich noch manche sammeln. „Eenmal vergebens un denn mit alle Mann“ rief man bei einer Arbeit, wo alle Kräfte anzuspannen waren. Wollte man eine Arbeit aufgeben, so hieß es: „Lat uns man in’n Sack hauen!“ Stand einer müßig herum, so sagte man wohl: „Breek di man nich de Hann’ in de Tasch af“ oder man fragte: „Na, puulst in’e Nees?“ und erhielt vielleicht zur Antwort: „Djä, ick kann mi mit’n lütt Stück Arbeit lang behelpen“. Ein dritter meinte dann dazu: „Worto hett man denn de Been, as um de Arbeit ut’n Weg to gahn.“ Allerhand Ökelnamen für andere Beschäftigungen gibt es auch. Rümdriewer heißt der Böttcher, weil er beim Antreiben der Bänder ums Faß eilt. Daher auch: „He löppt as so’n Fattbinner“ (Korr. Bl. 23,57 u. 33,43). Die Zollbeamten nennt man Tollmus’kanten, Grashüpper und Grönröck, die Kontoristen Fedderveeh und Kantorknüppel, den jungen Kommis, der Muster entnahm, Provenrieder usw.

Solange sie unbeschäftigt waren, trugen die Lüd’ von de Eck sauberen dunklen Anzug, Schurzfell und schwarzen Zylinder. Waren sie für Arbeit angenommen, so legten sie hohen Hut, Jacke und Schurzfell ab und zogen zum Schutz gegen Staub eine wollene oder baumwollene Mütze, die „Mudder“ aus alten Stoffresten angefertigt hatte, die Klottje, Über den Schädel, sowie ein Busseruuntje, eine Art Bluse, als Arbeitsgewand[S. 21] über den Oberkörper. (Klottje aus dem französischen calotte, gleich Käppchen.) Zu Busseruuntje erklärt Schütze, daß diese Bezeichnung aus dem Holländischen stamme und gleichbedeutend mit Schanslöper sei. (Vergl. Goedel 57.) Vorn über den Leib kam außerdem die Hälfte eines alten Kaffeesackes, die durch Bänder auf dem Rücken befestigt war. Der Hausküper war vornehmer, er trug bei der Arbeit die Hälfte eines weißen Saatsackes ohne Naht, der dann jeden Sonnabend in die Wäsche kam.

Lüd’ von de Eck

Die obige, etwas flüchtig hingeworfene Skizze aus meiner Sammlung entstammt den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts und zeigt einige Lüd’ von de Eck in der damaligen Tracht. Der Zeichner, W. Lühring, war damals bei der hiesigen Häutefirma George Maltz u. Co. als Handlungsdiener[S. 22] tätig. — Man beachte, daß der Schuster sowohl wie die Person im hohen Hut (vielleicht ein Quartiersmann) kurze Kalkpfeifen rauchen, deren man 8 Stück für einen Schilling erhielt.

In ähnlicher Weise wie bisher berichtet ging im Speicherbetrieb alles streng nach genauer Ordnung vor sich. Beim Aufwinden von Waren galt z. B. der feste Satz von 80 Pfund Leistung auf den Mann, wenn sie den ganzen Tag zu arbeiten hatten; sonst konnten sie es auch bis zu 300 Pfund bringen. Ebenso behielt jeder mit seinen Händen den Platz am Windetau, den Löpers, den er zu Anfang eingenommen hatte. Diese Löpers, zwei starke Taue ohne Ende, liefen durch Löcher im Fußboden durch alle Stockwerke des Speichers und dienten dazu, eine Holzrolle auf dem Spitzböhn in Umschwung zu bringen, auf der sich das starke Tragetau, der Dreger, auf- oder abwickelte. Zu solchem Zwecke hatte diese Welle, der Winnbohm oder Wellbohm, an beiden Enden Rööd, Wellräder, deren Kranz mit Doppelzacken versehen war, in die die Löpers sich klemmten. Das Ende des Dregers war über den außen hohlen Rand der Kausch gespleißt, ein Eisenring, in dem der eiserne Haken hing. (Kausch heißt auf der Elbinsel Finkenwärder das Segelöhr.) Über den Haken hinweg wallte das aufgerebbelte Ende des Dregers, der P’rükenkopp, der dazu diente, die Feuchtigkeit ablaufen zu lassen. Außerdem ermittelte man gelegentlich, ob dies äußerste Stück des Dregers noch haltbar sei, indem man einzelne Strähne des P’rükenkopps auf ihre Widerstandsfähigkeit prüfte. Zeigten sie sich mürbe, so wurde ein Stück des Dregers weggeschnitten und das neue Ende wieder Über die Kausch gespleißt.

Als Zurufe bei der Arbeit des Auf- und Abwindens herrschten hergebrachte Ausdrücke. Der Hausküper, oder, wenn er sich vertreten ließ, der Lukenvice, rief den an den Löpers angestellten Arbeitern von der Luke aus seine Anordnungen zu. War unten in der Schute die Ware am Haken befestigt (anslahn), so hieß es: „Sso, winn’ op!“ oder „Hüüs’ op![S. 23] (vergl. hissen, heißen, z. B. der Flagge), auch wohl „Hiev op!“ (an Schiffsbord: „Anker hieven“). Hatte die Last seine Luke erreicht, so rief er „Haaah“ (helles a wie in Rabe), worauf die Löpers über den Knaggen geworfen werden mußten, damit infolge vergrößerter Reibung je ein Mann die Last schwebend erhalten konnte, während die übrigen sich mit an die Luke begaben, um sie hereinzuziehen. Der Knaggen, auch Achtersmiter oder Hemmhaken genannt, war ein am Pfeiler neben den Löpers befestigtes starkes Brett, meistens Buchsbaumholz, woraus man ein länglich rundes Stück weggeschnitten hatte. In die entstandene Höhlung paßten die Löpers. Fand man einen kräftigen Baumast, der sich für den Zweck eignete, so nahm man ihn noch lieber. Innerhalb der mit Haspelwinde versehenen alten Kaufmannshäuser vertraten häufig zwei eiserne Wandhaken nebeneinander die Stelle des Knaggens. War nur ein einziger vorhanden, so wurden die Löpers zweimal hinübergeworfen, weil sonst an den glatten Eisen nicht genügend Reibung entstanden wäre. Dies brachte indessen starke Abnutzung des Windetaues mit sich. — Beim Rufe „Striek wat!“ wurde das Hereinziehen der Last durch Nachgeben der Löpers ermöglicht, bei „Los!“ ließ man diese fahren. (Strieken ist ein altes Wort mit großer Zahl von Bedeutungen; hier „nachlassen“, „nachgeben“. Wenn die hochdeutsche Sprache sich mehr um ihre ebenbürtige niederdeutsche Schwester bekümmern wollte, hätten wir statt des Streiks den „Striek“ gehabt, also ein gut deutsches Wort.) — War der Haken befreit, so mußten die Löpers auf „Sla los!“ oder „Smiet los!“ vom Knaggen herabgehoben werden, um den Dreger in kräftigen Zügen wieder nach unten zu befördern. Die Läng’ oder Längde wurde zu neuer Verwendung hinterhergeworfen, nachdem der Mann in der Schute gewarnt worden war, sich nicht vom Platz zu rühren, durch „Fast dar nerrn!“ oder „Waarscho!“ oder „Ünnerruut!“ und geantwortet hatte: „Smiet!“ (Nerrn, früher nedden — unten, Waarscho = Acht geben. Wenn Goedel im Quickbornbuch 9 S. 19 meldet, dies Wort sei in Kiel von der Marine wieder in den Sprachschatz[S. 24] der Stadtbevölkerung übergegangen, so kann ich dem gegenüber feststellen, daß es in Hamburg nie außer Übung gekommen ist.) Inzwischen wurden Kisten oder Säcke aus dem Wege geräumt, um für die nächste Ankunft Platz zu haben. Wurden sie später aufgestapelt, so lautete das Kommando: „Hoch op!“, „Höger rop!“ und „Hoch!“, je nachdem Knie- oder Ellbogenhöhe oder endlich volle Höhe erreicht war. — Zu Läng’ ist zu bemerken, daß dies ein zusammengespleißtes Hanftau ohne Ende war, das man niederlegte, um darauf eine Anzahl Säcke oder Kisten aufzubauen. Dann wurde die Schlinge des längeren Endes durch die kürzere gezogen, diese fest heruntergedrückt und die längere in den Haken gehängt. Hatte das Aufwinden begonnen, so mußte das kurze Ende noch weiter niedergepreßt werden, damit die Ware nicht herausschießen konnte. Ein Ewerführer, der eine Hieve Rosinen in Säcken vielleicht nicht fest genug eingeschlagen hatte, sah sie herabstürzen, bevor sie die Luke erreicht hatte, konnte aber noch rechtzeitig beiseite springen und rief dann in gut gespielter Entrüstung hinauf: „Hett jo gar keen Sinn, dat ick dat inwickel, wenn ji dat wedder dalsmiet!“ — Für schwere Lasten benutzte man eine kürzere und dickere Läng’, die Stropp, für Fässer Hakens, an einer Kette ohne Ende hängende gekrümmte Eisen, für Kisten, die es vertragen konnten, Düvelsklauen, je ein starkes gekrümmtes Doppeleisen an den Enden einer Kette.

Die Ausrufe galten mehr der Aufmerksamkeit des Ewerführers, als den Leuten an der Winde, wenn eine Ware hinabgelassen werden sollte. War sie zunächst handbreit aufgewunden, so hieß es: „Achter!“ (Achtärr) oder „Maak fast!“ oder „Smiet achter!“ damit die Löpers über den Knaggen geworfen wurden. Die Ware wurde nun zur Luke hinausgeschoben und schwebte frei. Auf „Striek wat!“ dann „Lat reisen!“ oder „Los lat fallen!“ auch wohl „Los lat strieken!“ ließ man dann die Löpers durch die Hände gleiten, die durch Sackleinen geschützt waren, während der Knaggen durch die Reibung genügend hemmte, um die Last immer in der Gewalt zu[S. 25] behalten. Schien sie nahe dem Ziel, so mußte auf „Sinnig!“ (Sinniiich) angehalten werden, bis der Ewerführer sie nah dem Punkte hingezogen hatte, wo er sie aufzustapeln gedachte. Auf „Striek!“ oder „Los lat strieken!“ oder „Los lat scheeten!“ mußten die Löpers rasch nachgegeben werden, bei „Achterruut!“ waren sie vom Knaggen abzuheben, um den Dreger wieder aufzuwinden. Wenn wir als Jungens beim Winden helfen durften, machte die Betonung „Los lat scheetennnn!“ besonders starken Eindruck.

Die Löpers waren natürlich durch alle Böden hindurch von den Knaggen freizuhalten, wenn gewunden werden sollte. Im Sommer dehnten sie sich und schleiften dann im Raum, dem untersten Boden, während der Windearbeit in tollen Kapriolen auf dem Fußboden hin und her. Paßte man in der herrschenden Dunkelheit nicht auf, so hatte man die schönste Gelegenheit, darin verstrickt und vielleicht gar stranguliert zu werden. Die Finsternis in sämtlichen Räumen des Speichers pflegte undurchdringlich zu sein, wenn die Luken geschlossen waren, denn die aufgestapelten Waren nahmen das bißchen Tageslicht weg, das durch die Fenster Einlaß fand. Dies um so mehr, als die Speicher häufig schmal und sehr tief waren. Man hielt das der Erhaltung der Waren zuträglicher, als wenn Licht und Luft Zutritt hatten, auch konnte man häufig feststellen, daß die Partien das Gewicht, das sie vielleicht während der Reise eingebüßt hatten, bei längerer Lagerung wiedergewannen. Aus diesem Grunde schüttelte manch alter Praktiker den Kopf, als er die größere Breite und viel geringere Tiefe sah, die man den neuen Speichern im Freihafen gegeben hatte. — Mußte man auf dem Speicher eine Ware ansehen, so pflegte der führende Arbeiter, der auch im Dunkeln Schritt und Tritt kannte, einem oftmals die Hand zu reichen, damit man sich durchwinden konnte.

Der größte Teil der Ausrufe, die ich hier wiedergegeben habe, fällt bei den elektrischen oder hydraulischen Winden der Neuzeit fort und wird durch Handbewegungen ersetzt. Erwähnt mag bei[S. 26] dieser Gelegenheit noch werden, daß schon um 1865 der Versuch gemacht wurde, die mühselige Handarbeit beim Aufwinden der Kaufmannsgüter durch eine Dampfwinde zu ersetzen, die man in der Schute aufstellte. Es erhob sich aber so lebhafter Widerspruch seitens der Arbeiter gegen eine solche Neuerung, die ihnen das Brot nehmen würde, daß man bald hiervon zurückkam.

Nach beendeter Arbeit wurde der Dreger bis an den Utlegger aufgewunden, eine am Giebel angebrachte Vorrichtung mit einer Rolle aus Pockholz oder Eisen, später aus Gelbmetall, die Schiev, über die der Dreger lief. Geschützt war der Utlegger durch den Winn’kasten, auch Galgen genannt, einen unten offenen Holzkasten. An den Haken war zuvor ein dünnes Tau geschlungen, die Fanglien, die neben der untersten Luke befestigt war und sein Herabziehen zu neuer Benutzung ermöglichte. Zuweilen war noch am äußersten Ende des Winn’kastens ein Haken angebracht, an den man Schiev un Tau hängen konnte, um leere Kisten, Körbe oder Säcke aufzunehmen, wozu es dann nur eines Mannes bedurfte.

Beiläufig wäre noch zu bemerken, daß die Löcher im Fußboden, durch die die Löpers glitten, mit Porzellanringen ausgesetzt waren, um die Reibung zu vermindern, und daß man die Winn’löcker zustopfte oder mit Holzringen umgab, wenn Waren gestürzt werden sollten, damit das Durchlaufen in die unteren Böden vermieden wurde. Für dies Störten, das Ausleeren sämtlicher Packungen einer Partie, um gleichmäßige Mischung herzustellen, gehörte das Störtlaken, eine mächtige Leinewand, zum Bestand.

Ein hergebrachter Ausruf bei der Arbeit war der Zählgesang bei Ablieferung bestimmter Waren, besonders von Häuten und Fellen. Bröcker I. 58 f. veröffentlichte (mit Notenbegleitung) eine Version, die hier unter Beibehaltung der Schreibweise wiedergegeben sein möge:

„Nu hebbt wi een op’t Neet — Terriwe kumpleet —
Hebbt wi en Diarree — dat veerte Mol —
Scheun sünd de groten to fiif — en halbes Dutz davon in’n Liew —
Söben is de Galgentool — goht wie de ganze Nacht opp dol —
[S. 27]
Negen is de Rummelee — Tein! tein is tein —
Mein Hamburg an der Elbe Strand — wie liegst du tief im Tal —
du bist nicht mehr dasselbe Land — wie Anno dazumal —
Wie hat man dich entrissen — aus Altertümlichkeit —
du mußt noch vieles missen — aus deiner goldnen Zeit —
denn so wie du, vallera — so bin auch ich, vallera.
Een un de twintig — terriwe un de twintig
diarree un de twintig — veer un de twintig
fief un de twintig — soß un de twintig
söben un twintig — alle acht un de twintig
negen un twintig — nu hebbt wi dottig mol.

Auf S. 67 desselben Heftes wird für die Ziffer 5 und 6 die drastischere Lesart „Scheun is min Wief — se hett er dickes Lief“ mitgeteilt und für 11 bis 20 die Version:

„Mein Hamburg an der Elbe — da geht’s bis nachts um zwölfe
mok de Dör to Hein — in de Diekstroot veertein
bi foftein is ’t en Drinker — an de soßtein geit nix flinker —
söben un de tein — denn gode Nacht min Hein
nu sloop man fein — so ’n twintig Mool.“ —

Zu 30 heißt es dann noch: „Siehst du woll — nu hebbt wi Talje vull, vallera!“

Hierzu wäre zu bemerken, daß „Talje“ mit dem engl. tally, Kerbholz, Zählstrich zusammenhängt. — „De Groten to fiif“ sind Schnäpse zu 5 Pf. das Glas. — Bei 8 pflegt es auch zu heißen: „Gaht wie alle Nacht op un dal.“ — „De ganze Rummelee“ statt „alle negen“ ist Ausruf beim Kegeln; „twe Veerlanner Been“, wie zuweilen für 11 gebraucht wird, stammt ebenfalls daher. Zu 12 singt man auch wohl: „in Horborg is’t datselbe.“ — Bei der „halben Talje“ wird gern ein Schluck genommen, daher: „bi foftein is’t en Drinker.“ (Vergl. Mitt. a. d. Quickborn IV. 91). Zu 16 hörte ich die Variante: „an de soßtein geit dat flinker“: man arbeitete nun frisch gestärkt weiter.

Der verstorbene C. Rud. Schnitger regte beiläufig die Frage an, ob das „foftein maken“ vielleicht mit der Berechnung von Häuten und Fellen nach Zimmer zu 4 Decher zu 15 Stück zusammenhängen könne.

[S. 28]

Was sich der Speicher erzählt

Hein: Uns’ Ol hett mi ’n Mark in de Hand drückt un seggt, ik sall uns dafor Brod un Snaps mitbringn.
Kodl: Na, un wat hest du brocht?
Hein: För fifunnegntig Penn Köhm un Greun un for fif Penn Brod.
Alle zusammen: Harrijeh! Wat süllt wi denn mit all’ dat Brod opstelln?!

[S. 29]

Das nebenstehende Bild (aus der „Reform“, 1877) gibt eine gute Gruppe von Speicherarbeitern wieder, während der Raum, in dem sie sich aufhalten, zum Zweck der Belichtung stark idealisiert ist (vergl. Kopal 50 f. und Jünger 10 f.).

Eines eigentümlichen Speicherausdruckes muß ich hier noch gedenken, des „Tómann’n“. Er wurde angewendet für das Weiterreichen kleiner Kolli von Hand zu Hand, außerdem auch, wenn man z. B. Säcke vom Raum auf einen höheren Boden zu schaffen hatte und aus irgend einem Grunde die Winde nicht benutzen wollte oder konnte. Einer der Arbeiter trug die Säcke dann bis zum ersten Boden, wo ein anderer sie ihm abnahm, um sie wieder eine Treppe höher zu bringen, und dann so weiter.

Außer dem Hausküper und seinen Leuten fand sich auf dem Speicher gelegentlich der jüngste Lehrling ein, um eine Bestellung zu machen, denn den Fernsprecher kannte man noch nicht. In solchen Fällen, wo Kontor und Lagerräume auf demselben Grundstück vereinigt waren, kamen auch wohl einige Lehrlinge während ihrer Mußestunden zum Besuch, die an den Waren, besonders den eßbaren, wissenschaftliche Studien machten und daneben allerhand Mutwillen trieben (Kopal 47 f.). Da wurden vielleicht dem alten Herrn, der im Hause jenseits des Fleets über seinen Büchern brütete, durch ein Brennglas die Sonnenstrahlen auf die Hand geworfen oder einem Nachbarn mittels Pusterohrs Erbsen oder Kittkugeln ins Fenster geschossen. Oder man überredete den „Jüngsten“, sich auf dem Haken stehend nach unten befördern zu lassen, und weidete sich an seinem Zorn, wenn man die lustige Fahrt unterbrach und ihn eine Weile zwischen Himmel und Erde zappeln ließ. Bei einer Firma im Grimm herrschte die hergebrachte Gewohnheit, daß dem jüngsten Lehrling am Tage seines Eintritts das Gesicht mit Zinnober eingerieben wurde, worauf man ihn in einen Korb packte und an der Außenseite des Kaufmannshauses bis an das Fenster aufwand, hinter dem der Geschäftsherr saß. Pantomimische Entrüstung an der einen Seite, ebensolche Beteuerung:[S. 30] „Ich kann’s nicht helfen!“ von der anderen waren regelmäßig die Folge. — Auch das Klettern am hängenden Dreger und sonstige Turnerkünste wurden geübt. — Zuweilen ließ sich übrigens auch der Lagerdeener sehen, ein Angestellter, der am Kontor alles unter Händen hatte, was das Lager anging. Der Name Lagerdiener ist jetzt nicht mehr gebräuchlich. Es mag eben niemand mehr „dienen“, außer wo es sein muß, nämlich im Heer. Sogar die Köchin, die sich für Stellung meldet, fragt man heutzutage: „Wo war Ihre letzte Stelle?“ Für Lagerdiener ist die verfeinerte Bezeichnung „Lagerist“ eingeführt, für Handlungsdiener, wie früher alle gegen Gehalt am Kontor Angestellte sich nannten, „Kommis“. Noch heute ist übrigens die „Handlungsdiener-Witwenkasse von 1841“ in Betrieb. — In alter Zeit hießen die Angestellten Scholer und Knechte oder Diener. Die Scholer dürften ursprünglich für den geistlichen Stand bestimmt gewesen sein. Sie wurden, da sie mithin des Lesens und Schreibens kundig waren, in erster Linie mit Buchführung und ähnlichen schriftlichen Arbeiten betraut. Außerdem erfüllten sie wohl dieselben Obliegenheiten wie die Knechte, also Empfangnahme, Beaufsichtigung und Ablieferung von Waren, Einziehung von Schulden am Platz und auswärts und ähnliches (Nirrnheim XXVIII.). Scholer und Knechte, besonders die ersteren, mochten bei ernstem Willen und tüchtigen Leistungen hin und wieder grade so gut eine selbständige Stellung erlangen, wie heutzutage. Gelegenheit, ein erspartes Kapital zu vermehren, hatten sie häufig, denn der Geschäftsherr beteiligte sein Personal bis hinab zur Dienstmagd gern an kleinen Unternehmungen (Nirrnheim XLIV. f.). In recht vielen Hamburger Firmen herrscht übrigens noch heute ein außerordentlich patriarchalisches Verhältnis zwischen Geschäftsherrn und Angestellten. Alte Handlungsgehülfen und Arbeiter werden oftmals „durchgefüttert“, wenn sie auch nur wenig mehr leisten können oder beziehen aus freien Stücken auskömmliches Gehalt auf ihre alten Tage. Andererseits sind mir Fälle bekannt, wo der Geschäftsherr durch seine ehemaligen Untergebenen[S. 31] fortlaufend freiwillig Unterstützung erhielt, wenn er im Lauf der Jahre zurückgekommen war.

Wem es nicht paßte, seinen eigenen Hausküper zu halten, der benutzte Quarteerslüd, Arbeitsübernehmer, die sich ursprünglich immer zu Vieren (dem „Quartier“) zusammengetan hatten und für eine Reihe von Firmen die erforderlichen Arbeiten zu vereinbarten Sätzen für das Kollo oder den Zentner ausführten. Mit diesen Verbindungen müssen wir uns eingehender beschäftigen. Sie verdienen durchaus eine besondere Beachtung und höchste Achtung, denn ohne Innungszwang und ohne staatliche Anerkennung oder Beaufsichtigung haben sich diese Verbrüderungen einfacher Arbeiter durch Jahrhunderte hindurch das unbegrenzte Vertrauen der Kaufmannschaft zu wahren gewußt und Güter von höchsten Werten blindlings zur Verwaltung übertragen erhalten. Schon längst hätte mal einer aus ihrer Mitte sich daran machen müssen, Zuverlässiges und Erschöpfendes über seinen Stand zusammenzustellen, sowie gleichzeitig Klarheit zu schaffen über die Unterschiede zwischen Huusküper, Quarteerslüd, Spikerarbeiter, Lüd von de Eck und sonstigen Gelegenheitsarbeitern, die häufig von Zeichnern und Schriftstellern sämtlich in einen Topf geworfen wurden. Sehen wir uns in dieser Beziehung einmal an, was über den Gegenstand zu finden ist. Viel kommt dabei freilich nicht heraus; dagegen entdeckt man fast überall Ungenauigkeiten oder Falsches.

Im allgemeinen richtig äußert sich Schütze: „Eine Vereinbarung der Arbeitsleute, die ihren Namen nicht von Quartier oder Viertel, sondern von der Zahl 4 haben. Vier Arbeitsleute vereinigen sich, um bei den Kaufleuten Kundschaft zu suchen, und haben ihre eigenen Häuser, die ihnen betrauen, doppelte Schlüssel zu den Packräumen, davon einen der Quartiersmann hat. Sie haben eine eigene Firma unter sich und Kasse, und sorgen, wenn bei Ausschiffungen, Verladungen mehrere Leute nötig sind, für deren Anschaffung. Sie haben ihren eigenen Ort der Zusammenkunft, werden aber nicht zu ihrer Quasi-Innung[S. 32] in Eid und Pflicht genommen. Sie müssen rechnen und schreiben können und übrigens starke Leute sein. Stirbt einer von ihnen, so wählen sie und nehmen den tüchtigsten unter sich auf, oft nach einer Probezeit. Es sind dergleichen mehrere Quartiere, Viermänner, in Hamburg in den Kirchspielen.“ Einige Jahre vorher (1794) veröffentlichte Chr. Gottfr. Morasch in seinen „Charakteristischen Kleidertrachten“ zwei hübsche Abbildungen angeblicher Quartiersleute, und zwar Blatt 8 No. 4 Quartiersmann mit Zuckerproben, dazu die Anmerkung: „Gewöhnlich bedienen sich ihrer die Zuckermakler, um Proben zu den Raffinerien herumzuschicken“. (Anderweitig heißt es, diese Leute seien Hausknechte der Makler gewesen. Das ist auch bestimmt anzunehmen.) Ferner Blatt 9 Quartiersmann und Arbeitsleute: „Die Quartiersmänner haben Korporationen unter sich und halten sich gewöhnlich zu vieren in gewissen Bierkellern auf, wo man selbige zu seinem Bedarf gleich herausrufen kann. Bei schweren Arbeiten bedienen sie sich der Arbeitsleute. Die Derbheit ihrer Hände und die Muskeln ihres Rückens sichern, ohne Kunst und Geschicklichkeit, einer großen Anzahl dieser Menschen ihren Unterhalt zu. Sie stehen gruppenweise auf den Straßen und Gegenden, wo der Handelsverkehr sie am meisten bedarf, sie tragen, schleppen, ziehen, werfen, klettern, winden, schieben, alles kunstlos und ohne Erfordernis von Genauigkeit. Sie haben Korporationen unter sich und haben gemeiniglich einen Quartiersmann zum Anführer.“ Auch dieses Bild ist interessant, nur befremdet es, daß Morasch die Leute auf offener Straße darstellt, und seine Erläuterungen lassen es gleichfalls im Zweifel, ob er nicht Quartiersleute mit Lüd’ von de Eck verwechselt hat, besonders da er von einem Bierkeller als Versammlungsort spricht. — Von Heß (III. 408) teilt diesen Irrtum: „Das Institut der Quartiersleute ist von den Auf- und Abwindern der Kaufmannsgüter erfunden, welche sich je 4 und 4 zusammengerottet haben, und treu beieinander halten, um sich einer steten Tätigkeit zu vergewissern und dem, der sie bedarf, die Mühe des Suchens zu erleichtern. Diese Vierschaften haben[S. 33] ihre besonderen Bierkeller zu Sammelplätzen, wo sie hervorgerufen werden, und sich, nach Beschaffenheit der Umstände, verteilen oder in Gemeinschaft an die Arbeit gehen.“ — In den alten Kontrakten der Quartiersleute ist allerdings zuweilen von einem Keller als ihrem Standorte die Rede, indessen haben wir darunter unzweifelhaft keine Wirtskeller, sondern ein gemietetes Lokal zu verstehen, wo sie anzutreffen waren oder ihre Adresse hinterließen und wo sie Arbeitszeug sowie Gerätschaften aufbewahrten. Sie verpflichteten sich in ihren Verträgen, die Kosten für Gerät und Miete gemeinsam zu tragen, um dann den Gewinn ebenfalls gleichmäßig zu verteilen. — Christoffer Suhr in „Hamburgische Trachten“ (1838) zeichnet auf Blatt 18 vier „Quartiersleute“ vor einem Karren mit niedrigen Rädern, worauf ein großes Faß. Wahrscheinlich sind dies Lüd’ von de Eck, abgesehen davon, daß die Gesichter stark an junge Mädchen erinnern, die sich einen Maskenscherz erlauben. Heckscher (29) trifft in seinen ausführlichen Erläuterungen hierzu durchweg das Richtige. Nur stimmt es nicht, daß auch Möbeltransporte, Kohlenaufwinden usw. regelmäßig durch Quartiersleute besorgt zu werden pflegten. Das gehörte nicht zu ihrem Arbeitsgebiet, wenn es auch ausnahmsweise geschehen mochte. — In „Hamburg wie es ist — und — sein könnte“ (Berendsohn 1839 S. 20 f.) unterhalten sich „Quartiersleute beim Krahn“, während sie auf Arbeit warten, und folgen zum Schluß einem Kommis, der sie anwirbt, um im Wandrahm Indigo abzuliefern. Das können nur Lüd von de Eck gewesen sein, denn Quartiersleute warteten niemals an offener Straße auf Beschäftigung. — Durchweg zutreffend sind Bueks Erläuterungen zum „Album Hamburgischer Kostüme“ (1847), nur ist es vollkommen verkehrt, wenn er sagt, das Institut der Hausküper sei erst hoch gekommen, weil man die Spesen der Quartiersleute zu teuer befunden habe. Die Jessensche Abbildung dazu ist eine der besten, die wir besitzen, abgesehen von dem bekannten Gruppenbilde des Schillerfestzuges von 1859. Ein Modell des alten Rollwagens, den die Quartiersleute bei diesem Anlaß mit sich führten[S. 34] und in berechtigter Vorsicht mit Eßwaren und Getränk beladen hatten, befindet sich, beiläufig bemerkt, im Museum für Hamburgische Geschichte. Dort entdeckte ich auch ein ungerahmtes Bild auf großer Leinewand, vom Maler F. L. Heiser bei Anlaß eines Quartierjubiläums angefertigt, mit Darstellung zweier Quartiersleute und der Unterschrift 1701–1869. Ich würde solches hier wiedergegeben haben, wenn die angebliche Tracht von 1701 nicht in eine weit spätere Zeit gesetzt werden müßte.

In neuerer Zeit lieferte Borcherdt (II. 286 f.) eine gute Studie über den Gegenstand. Falsch ist darin, daß die Quartiersleute ihren Kunden den Lohn der Hülfsarbeiter in Rechnung gestellt hätten. Der ging immer aus ihrer eigenen Tasche, denn sie übernahmen ja die Arbeit zu festen Sätzen. Das gute Bild eines Quartiersmanns in alter Tracht erscheint auf dem Umschlag seines Buches. — Sternhagen (7 f.) führte in Gestalt des Peter Voß den Quartiersmann ein, „den Vertreter der Hamburger Kaufmannschaft, der sich in ihrem Dienst zu allen Zeiten zu Wohlhabenheit und zu besonderen Ehren erhoben habe“, läßt uns aber von seinem Geschäftsbetrieb nichts erfahren. Nicht zutreffend ist die Behauptung (28), mit „Koptein“ würden nur die „Konsorten“ angeredet. Dieser Titel kam sämtlichen Teilhabern des Quartiers zu. — Rat Dr. Voigt (Mitt. V. 488 f.) hält es bei Besprechung eines alten Kontraktes für möglich, und Dr. Obst (Hamburger Fremdenblatt 17. Nov. 1905 und „Aus Hamburgs Lehrjahren“ 135 f.) scheint geneigt, sich ihm anzuschließen, daß diese Vereinigungen aus den Knevelkarrenführern hervorgegangen sein könnten. Mir ist dies höchst unwahrscheinlich, denn zum Quartiersmannsberuf eigneten sich nur solche Leute, die mit Behandlung von Waren, Packen usw. Bescheid wußten, also schon auf Speichern gearbeitet hatten. So wenig wie etwa die Ewerführer konnten die Kneveler für solche Beschäftigung gebraucht werden, denn sie hatten nichts weiter gelernt, als ihre Karre zu beladen und zu ziehen. — Jünger 12 f. und 22 f. bringt ausführliches über die Quartiersleute.

Ich sagte vorhin, es sei zu bedauern, daß keiner aus der Mitte[S. 35] der Quartiersleute über seinen Stand geschrieben habe. Einer allerdings hat eine Ausnahme gemacht, Herr J. D. J. Pingel senior, der im Jahre 1880 ein hübsches Folioblatt „Hamburger Quartiersleute“ herausgab, das offenbar als Wandschmuck gedacht ist. Er liefert wenigstens einige Andeutungen über ihr Verhältnis zur Kaufmannschaft und die Art ihrer Beschäftigung und zählt zum Schluß etwa 80 Ökelnamen auf, die später von Dr. Borcherdt und anderen wieder abgedruckt wurden. Da die meisten, die in neuerer Zeit über den Gegenstand geschrieben haben, aus diesem Blatte ihre Kenntnisse geschöpft haben dürften (wie ihre Vorgänger aus Morasch und Schütze) und solches außerdem recht selten geworden ist, bringe ich es vollständig am Schluß dieses Heftes.

Um nichts auszulassen von dem, was ich gefunden habe, sei noch erwähnt, daß in zwei Volksstücken der Quartiersmann eine Rolle spielte. In „Hamburger Pillen“ von Schindler und Brünner (1870) trat bei Karl Schultze der 80jährige Quartiersmann Peter Bostelmann auf (Gaedertz II. 173 f.) und auf derselben Bühne im Jahre 1882 ein Quartiersmann Cords in Schreyer und Hirschels „Hamburg an der Alster“ (Gaedertz II. 262).

Diese Nachrichten sind dürftig. Es mögen noch einige weitere zu finden sein, irgendwie belangreiche aber schwerlich, es sei denn, daß Privataufzeichnungen ans Licht kämen.

Wie und zu welcher Zeit haben wir uns nun das Entstehen des ersten „Quartiers“ zu denken? Nach meiner Ansicht dürfen wir uns das ohne irgendwelche Anknüpfung an eine schon vorhanden gewesene Organisation vorstellen. Wie so manches im kaufmännischen Betriebe sich auf leisen Anstoß entwickelt, wenn die Zeit dafür da ist, so auch hier. Ein paar unternehmende tüchtige Arbeiter haben sich zunächst einmal zusammengetan, um auf Empfehlungen gestützt und auf ihr ehrliches Gesicht hin den Versuch zu machen, solche Kunden zu gewinnen, für die sich die Anstellung eigener Hausküper und Speicherleute nicht lohnte.[S. 36] Als sich gute Erfolge ergaben, haben sie allmählich Nachahmer gefunden. Ähnlich so ging es im sechzehnten Jahrhundert mit der Einführung des Maklergewerbes in Hamburg (Ehrenberg 313, 317) und in neuerer Zeit beim Stande der Warenagenten. In den vierziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts mußte man einen solchen mit der Laterne suchen. Und jetzt? Wie Sand am Meer sind sie zu finden! Abgesehen davon, daß die Umsätze früher weit kleiner waren, besaß jeder Kaufmann für Bezüge von auswärts oder Abladungen dahin seine festen Verbindungen, mit denen auch häufig für gemeinschaftliche Rechnung oder in Form von Aussendung auf eigene Gefahr gearbeitet wurde. Eines Vermittlers bedurfte man also nicht. Als die ersten schüchternen Versuche gemacht wurden, sich solcher zu bedienen, sahen die altbegründeten Firmen das beinahe als unlauteren Wettbewerb an. Ähnlich so werden anfangs die großen Kaufherrn mit eingeübtem Personal sich durchaus nicht angenehm berührt gefunden haben, als kleine neue Häuser in den „Packern“ eine Stütze fanden und ihnen nun oftmals durch Wettbewerb, wie sie ihn früher nicht gekannt hatten, das Leben sauer machten.

Wann aber dürfen wir die Entstehung des ersten Quartiers annehmen? Ich glaube der Antwort ziemlich nahe gekommen zu sein. In den Hamburger Kämmereirechnungen vom Jahre 1508 heißt es (Koppmann V. 66), daß für Erwerb des Bürgerrechts u. a. eingegangen seien 46 Pfundß de 39 packers (richtig müßte es lauten: 46 Pfund 16 ß, da der Satz 1 Pfundß der Kopf war). Koppmann vermutet, wohl mit Recht, daß Packer bis dahin überhaupt nicht Bürger zu werden brauchten, aber 1508 sämtlich auf einmal hierzu veranlaßt wurden (VII. S. XLVI.). Da in einem Vertrage von 1693 die Quartiersleute sich als „Compagnions-Packer“ bezeichnen, so ist bestimmt anzunehmen, daß die „Packer“ von 1508 ihre Vorläufer waren. Vielleicht legte man diesen den Zwang des Bürgerwerdens auf, um unliebsame Elemente fernzuhalten, wie aus ähnlichem Grunde die Hausküper und Quartiersleute später darauf bestanden[S. 37] haben, daß die Lüd’ von de Eck Hamburger Bürger sein mußten. Außerdem erfuhr möglicherweise das Institut der Packer grade um jene Zeit eine starke Ausdehnung, da infolge eines Krieges zwischen Lübeck und Dänemark „der Sunt geschlossen und die Ostsehe ganz unsicher war, daz die Hollender, Brabanter und andere nationes mit iren gutern gen Hamburg kamen; und hat auf das mal die stat an kaufmanschaft sich merklich gebessert und vermeret“ (Tratziger 252, vergl auch Lappenberg 294).

Wenn wir annehmen dürfen, die einzelne Genossenschaft der Packer habe schon 1508 aus vier Teilhabern bestanden, so wären damals bereits zehn Quartiere vorhanden gewesen: bei dem Umfange der Unternehmungen immerhin eine stattliche Zahl. Ohne Zweifel sind sie ganz allmählich entstanden. Wir irren vielleicht nicht, wenn wir die erste Gründung in das vierzehnte Jahrhundert setzen, wo infolge der großartig entwickelten Bierausfuhr sich hier in immer steigender Anzahl solche Geschäftsleute eingefunden haben mögen, die mit den rückkehrenden Schiffen Waren aller Art bezogen, deren Vertrieb ihnen die Packer ermöglichten. Die ursprüngliche Zusammensetzung der Quartiere können wir uns dann etwa so denken, daß der „Baas“, der ihnen den Namen gab, auch die Kontrakte entwarf und die Rechnung führte, ein „Scholer“ war, während seine „Konsorten“ sich aus ehemaligen „Knechten“ des Kaufmanns rekrutierten. In späterer Zeit mögen sich häufig Küper zu ihnen gesellt haben, als dies Gewerbe infolge Sinkens des Brauereibetriebes zurückging.

Übrigens sind auch Träger und Kohlenträger um die Wende des 16. Jahrhunderts veranlaßt worden, sämtlich auf einmal das Bürgerrecht zu erwerben (Koppmann IV. 343, 373), nur daß man diese zu ermäßigtem Satz zuließ. Vermutlich war ihr Verdienst ein weit geringerer als der der Packer (Koppmann VII. S. XLVI.).

In späteren Nachrichten ist, soviel mir bekannt, nichts über die Packer zu finden. Nur werden unter den zwischen 1591 und 1602 in Hamburg eingewanderten niederländischen Reformierten[S. 38] vier Packer, Paqueurs, mit Namen aufgeführt, sowie fünf weitere Paqueurs, die sich gleichzeitig in Stade niederließen (Mitt. 6. Jahrgang 35, 38).

Der älteste Kontrakt der Quartiersleute, der bis jetzt ans Tageslicht gekommen ist, findet sich Mitt. VI. 306 f. vollständig abgedruckt. Datiert vom Jahre 1693, stellt er die gemeinsame Tätigkeit der betreffenden Compagnions-Packer sowie die Tragung der Unkosten und den Anteil am Gewinn zu gleichen Teilen fest und ist sozusagen als auf ewige Zeiten geschlossen gedacht, da genaue Verabredungen getroffen sind, um vorzugsweise immer Familienmitglieder anstelle etwa Ausscheidender aufzunehmen. Ein anderer solcher Vertrag von 1716 ist auszugsweise Mitt. V. 488 f. wiedergegeben, ein dritter, von 1750, vollständig Mitt. XI. 151. Ein vierter endlich, von 1720, wurde im „Hamburgischen Correspondenten“ vom 17. März 1907 veröffentlicht und ist hier im Anhang nach der Urschrift wieder abgedruckt. Ähnliche Verabredungen für die Bedingungen bei Aufnahme neuer Mitglieder usw., wie darin zu finden, enthalten auch die anderen Kontrakte. Aus demjenigen von 1750 interessieren die Bestimmungen, daß einer der vier Maaten, der eine Ware veruntreuen würde, in schwere Strafe verfallen solle, und daß derjenige, der im Fall eines Streites unter den Teilhabern den ersten Schlag tun würde, einen Reichstaler an das Quartier entrichten müsse; verstände er sich hierzu nicht gutwillig, so sei ein Speziesdukaten (9,60 M.) „am Waysenhauß“ zu zahlen. Im Vertrage von 1716 wird für den Fall von Unstimmigkeiten angeordnet, daß notfalls zwei oder drei unparteiische Kaufleute als Schiedsrichter anzurufen sind, deren Ausspruch bei Vermeidung einer Strafe zu befolgen ist.

Selbst wenn meine Meinung nicht berechtigt wäre, daß wir die „Packer“ des Jahres 1508 als Vorläufer der „Compagnions-Packer“ von 1693 anzusehen haben, darf doch wohl jedenfalls als feststehend betrachtet werden, daß zu Ende des siebzehnten Jahrhunderts das Institut der Quartiersleute kein[S. 39] neues mehr war. Auf ein Alter von mindestens dreihundert Jahren kann es also zweifellos zurückblicken. Genaues wird sich nicht ermitteln lassen, sicher ist aber, daß in dieser langen Zeit nirgends eine Andeutung zu finden ist, wonach das Vertrauen zwischen Kaufherr und Packer je gelitten hätte. Dem Bibliothekar unserer Kommerzbibliothek, Herrn Dr. Ernst Baasch, verdanke ich die Mitteilung, er habe bis etwa 1815 bei Durcharbeitung der Akten unserer Kommerzdeputation Überhaupt keinen einzigen Fall entdeckt, wo Streitigkeiten oder Schwierigkeiten zwischen Kaufmann und Quartiersleuten erwähnt würden, während von anderen Hülfsarbeitern des Handels, z. B. den Litzenbrüdern (einer Art Transportvermittler), recht häufig aus solchem Anlaß die Rede sei. Gewiß ein glänzendes Zeugnis für alle Beteiligten. Das angenehme Verhältnis, das stets zwischen Kaufmann und Quartiersmann herrschte, wird übrigens auch dadurch gekennzeichnet, daß die Söhne des letzteren auch bei Firmen allerersten Ranges auf Wunsch sehr gern Stellung als Lehrlinge erhielten. Der junge Mann erwarb sich auf diese Weise manche Kenntnisse, die ihm beim Eintritt ins „Quartier“ seines Vaters später von großem Nutzen sein konnten. Auch dem Kaufmann konnte es im übrigen nur dienlich sein, wenn unter seinen Arbeitsübernehmern sich einer befand, der durch Einblick in den Gang des Geschäfts und die mancherlei Schwierigkeiten, die dabei zu Überwinden waren, die Befähigung erlangt hatte, sich über die peinliche Genauigkeit klar zu werden, die in jeder Hinsicht beobachtet werden mußte.

Der Name Quartiersleute (statt Packer, wie es in dem alten Kontrakte heißt) scheint zuerst im Anfange des 18. Jahrh. in Gebrauch gekommen zu sein. Man findet ihn im „Patriot“ No. 9 vom 2. März 1724 S. 4 und in No. 40 vom 5. Oktober 1724 S. 3. Mit der Zahl der Teilhaber, wie Schütze meint und andere von ihm abschrieben, hat die Benennung wohl nichts zu tun, denn Quartier bedeutet nicht vier sondern Viertel. Es ist anzunehmen, daß ihr Geschäftslokal („da wir unser Quartier haben“) den ersten Anlaß gegeben hat, nachdem sich hieraus[S. 40] die Bedeutung eines Anteils an ihrer Genossenschaft entwickelt hatte („sein Quartier verkaufen“, „in oder auf das Quartier heiraten“). Man vergleiche den Kontrakt S. 51 f. (Ob man nebenbei an die Zahl vier gedacht hat, mag dahingestellt bleiben. S. auch Goedel, Quickbornbuch 9, S. 68.)

Das Hauptarbeitsgebiet der Quartiersleute lag innerhalb der Speicherräume ihrer Kunden. Nur ausnahmsweise konnte man ihre Leute bei Transporten von Waren in den Straßen antreffen. Für Bestellungen suchte man sie in ihrem Quartier auf. Fand man dessen Tür verschlossen, so sah man auf der schwarzen Tafel, die daneben hing und in einer kleinen Lade Schwamm und Kreide barg, vielleicht die tröstliche Versicherung, „Gleich wieder“ oder „10 Uhr wieder hier“ oder sonst die Angabe der Arbeitsstelle, wo sie beschäftigt waren. (Das hieß dann: „He het sick naschreben“). Nicht immer hatte man die Gewißheit, sie dort noch anzufinden. War man nach Jakobsens Speicher, dritter Boden, hinaufgeklettert, so wurde man vielleicht nach dem vierten Boden einer anderen Stelle weiter verwiesen, wenn nicht gar nach der großen Elbstraße in Altona. Hier hatten sie regelmäßig zu tun, weil in den Speichern an der Elbe große Läger, vor allem von Kaffee, zu bearbeiten waren, die sich behufs Ersparung des Hamburger Eingangszolles von ½ v. H. dahin gezogen hatten. Ihre Gerätschaften, besonders Länge und Markputt, bewahrten sie in bestimmten Wirtschaften der Vorstadt St. Pauli und Altonas auf, in denen sie sich dann früh morgens einstellten, um auf einer großen schwarzen Tafel zu verzeichnen, wo sie zunächst bei der Arbeit zu finden sein würden. Verließen sie diese Stelle, so fanden die Fuhrleute der Eisenbahn und die Ewerführer dort neuen Nachweis. Hier besonders gingen sie nur unter ihrem „Ökelnamen“, die jeder kennen mußte, der nach ihnen herumfragte. Zum ausführlichen Verzeichnis derselben, das ich am Schlusse gebe, bemerke ich, daß diese Beinamen nicht als Spott aufgefaßt wurden, sondern als gutmütige Scherze, die niemand übelnehmen[S. 41] konnte und die schließlich haften geblieben waren. Ihre Entstehung ist nur in wenigen Fällen nachzuweisen. De Blauen hieß ein Quartier, das viel mit Indigo zu tun hatte. Böhnhasen sind unzünftige Handwerker oder Leute, die in unberechtigter Weise Geschäfte betreiben (Rüdiger in „Hamburg vor 200 Jahren“ 223 f., Korr. Bl. 23, 88). Dacklüünken war der Spitzname eines Quartiers, das ursprünglich auf dem höchsten Boden eines Speichers gehaust hatte (Lüünk = Sperling). Dunkis hießen Rabeler u. Kons., weil sie als die ersten den Versuch gemacht hatten, Waren mittels einer Dampfwinde (Donkeymaschine) aus der Schute in die Speicherböden zu heben, Eseltreckers ein anderes Quartier, dessen frühere Inhaber vor vielleicht 60 oder 80 Jahren ein störrisches Grautier für die Kinder eines der ihrigen durch ganz Altona bis nach Övelgönne gezerrt hatten. Finnkiekers sind Untersucher von Schweinen. Gnaddrig bedeutet verdrießlich. De Kaffeebrenners pflegten gegen Entlohnung für große Krämer wie Conrad Warnke und Adolph Wilmans vor deren Hause in der Steinstraße oder auch bei der nahen Jakobikirche in großen langen Trommeln Kaffee auf Holzkohlenfeuer zu rösten. Krindlers wurde ein Quartier genannt, weil die Inhaber in ihrer Knabenzeit bei der Kurrende mitgewirkt hatten, die noch um die Mitte des 19. Jahrhunderts in unseren Gassen Choräle vortrug; ihre Mitglieder hießen im Volksmunde Krintenjungs oder Krindlers. (Heckscher 32 f.) De Sackneihers wurden auch Sackjuden genannt, da sie mit Jute und Säcken zu tun hatten und nebenbei Sackleihgeschäft betrieben. Tünbüdel ist gleichbedeutend mit Drähnbartel. (Korr. Bl. 28, 73.) Die Wullkosaken arbeiteten für Kaufleute, die Wolle in großen Ballen aus Mecklenburg erhielten. Wolkenschubers dürfte ähnlich zu deuten sein wie Dacklüünken. Mit Wullmüs’ wurden ursprünglich die Fabrikmädchen bezeichnet, die auf den Speicherböden mit Aussuchen und Reinigen von Waren sich beschäftigten. (Korr. Bl. 23, 88.) Ein Klub von Baumwollarbeitern nennt sich „Wullmüs’ von 1910“. Einige weitere Erklärungen findet[S. 42] man in Anl. II. Der Ausdruck Ökelname ist übrigens alt. Er kommt schon im Jahre 1417 vor (Chroniken der niedersächsischen Städte: Lübeck, herausgegeben von Koppmann, III. 368) und will sagen Beiname, vom altsächs. ôken, ôkian, mehren, vermehren.

Alles was über die Verantwortlichkeit für Leute und Lager, über Behandlung der Waren und Warenkenntnis, über Ausrufe beim Winden, über abendlichen Besuch am Kontor usw. oben vom Hausküper gesagt ist, gilt genau so für die Quartiersleute. Auch sie pflegten eine bestimmte Anzahl von Leuten im festen Wochenlohn zu beschäftigen. Gab es mehr Arbeit, als sie damit bewältigen konnten, so waren sie ebenfalls auf Lüd’ von de Eck angewiesen, die sie dann als „Ploog“ (Rotte, Schaar) an die betreffende Arbeitsstelle abordneten. Jetzt hat sich dies geändert. Ein regelmäßiger Stamm von Lüd’ von de Eck ist nicht mehr vorhanden, man muß sich an den Hafenbetriebsverein oder an den Arbeitsnachweis der Patriotischen Gesellschaft wenden, wenn Hülfskräfte gebraucht werden.

Die frühere Tracht der Quartiersleute, schwarze Jacke mit Silberknöpfen, Zylinder und Schurzfell, ist längst abgekommen, ebenso wie die Barttracht, die Kinn und Oberlippe frei ließ, „de Köhm- un Beerglitsch“. Dagegen haben sie die alte Gewohnheit durchweg noch beibehalten, daß nur einer der Teilhaber mit Namen angeführt und für die übrigen die Bezeichnung „und Konsorten“ zugefügt wird. Einzeln hat man allerdings schon eine kaufmännische Firma errichtet. Nach meiner Meinung sollten es die Quartiersleute bei dem alten Brauch lassen, denn sie können mit Recht stolz sein auf eine Art der Bezeichnung, die sich seit Jahrhunderten, vielleicht seit mehr als einem halben Jahrtausend glänzend bewährt hat. „Konsorten“ hat überhaupt gerade so guten Klang wie das andere Fremdwort „Kompagnie“. Wie mir scheinen will, ist diese Anregung der ersten Auflage auf guten Boden gefallen, denn nicht selten findet man jetzt eine Eintragung „N. N. u. Konsorten“ in den Anzeigen des Handelsregisters.

[S. 43]

Bei Begründung des Freihafenviertels wurde angeregt, für im Staatsspeicher eingelagerte Waren auf Wunsch der Eigentümer Lagerscheine auszustellen, worauf in Art der englischen dock warrants Vorschüsse erhoben werden könnten. Das führte sich zu allseitiger Zufriedenheit ein. Es zeugt von dem großen Vertrauen, das man den Quartiersleuten zollt, daß auch viele aus ihrer Mitte dazu übergehen konnten, ihren Kunden solche Lagerscheine auszufertigen, die gleichfalls durch Banken und Bankiers bevorschußt wurden, obwohl keine weitere Garantie vorlag als die Unterschrift einer staatlich nicht bestätigten Verbindung Einzelner. Voraussetzung ist natürlich, daß die Einlagerer über solche Waren, für die sie einen Lagerschein entnommen haben, nur gegen dessen Rücklieferung verfügen können. Vor etwa zehn Jahren erregte der Fall großes Aufsehen, daß ein Quartiersmann sich durch einen langjährigen guten Kunden hatte überreden lassen, von einer Partie Waren Ablieferung vorzunehmen, ohne daß der betreffende Lagerschein bereits zur Stelle war. Der Kaufmann, den er immer als zuverlässig gekannt hatte, war durch Verluste in schlechte Verhältnisse geraten und betrog schließlich den Quartiersmann, der den Wert der anderweitig bevorschußten Ware ersetzen mußte, um sein ganzes Vermögen. Dem Vertrauen, das man den Lagerscheinen der Quartiersleute entgegenbringt, hat dieser Vorfall selbstverständlich keinen Abbruch getan. Es gibt sogar Leute, die sich schon für Ware im Wert von hundert Mark einen Lagerschein ausbitten. Übrigens gewähren einige Quartiersmannsfirmen jetzt selber Vorschüsse, wie denn dieser Geschäftszweig in neuerer Zeit sich Überhaupt mächtig entwickelt hat. Neben Mietsböden und Kontoren für Angestellte im Freihafenbezirk besitzt mancher Quartiersmann seinen eignen Speicher in der Zollstadt, ausgestattet mit elektrischen Anlagen für Warenbewegung, und betreibt ein regelrechtes Lagerungs- und Speditionsgeschäft für seine Kunden. Dazu gesellen sich zuweilen besondere Anstalten. Ich hatte Gelegenheit, bei den Herren Ockelmann und Konsorten die in vollem Betrieb befindlichen, durch[S. 44] vier Lagerböden sich erstreckenden maschinellen Einrichtungen zu besichtigen, die für Reinigung verschiedener Waren, z. B. Entstielung von Rosinen sowie für Enthülsung von solchen Kaffeebohnen bestimmt sind, die aus Mexiko, Guatemala usw. mit den Hülsen hier eintreffen, und mußte staunen, in wie sinnreicher Weise alles ineinander griff. Ohne Berührung durch Menschenhand befreiten Trommeln, Siebe, Saug- und Blasapparate den Kaffee von Steinen, Hülsen und Häutchen und lieferten ihn schließlich, nach Größe und Form in verschiedene Sorten getrennt, an die Säcke ab. Nur das Auslesen schlechter Bohnen bleibt noch langen Reihen von Frauen und Mädchen überlassen.

Gleich dem Hausküper wußte der Quartiersmann, so oft es nottat, mit großem Selbstbewußtsein für die Interessen seiner Auftraggeber einzutreten. Allgemein bekannt ist das hübsche Beispiel, das Borcherdt (II. 288 f.) erzählt, wie ein Quartiersmann kurz entschlossen selbst ins Inland reist, um einem Käufer, der eine Partie Kaffee zu Unrecht bemängelt hat, die Übereinstimmung der Ware mit dem Verkaufsmuster zu beweisen. Allerdings fehlt bei Borcherdt der besonders charakteristische Zug, daß der Quartiersmann, vom Inhaber der betreffenden Firma sehr von oben herab nach seinem Namen und seiner Legitimation gefragt, stolz erwidert: „Mein Name? Der hat nichts damit zu tun. Ich stehe hier für Johannes Bahl. Für Sie bin ich Johannes Bahl. — Übrigens heiße ich Timmann. (Die Namen sind fingiert.) Und nun lassen Sie uns mal den Kaffee ansehen.“ Andere kleine Züge sind gut wiedergegeben, besonders die Szene im Eisenbahnschuppen, wo es natürlich an Vorrichtungen fehlt, um die Proben aufzuschütten: Timmann läßt einen Taler springen und sofort ist aus Fässern und Bohlen ein Tisch hergestellt. Als dann alles in Ordnung befunden ist, meint der Kaufmann: „Wie kriegen wir nun die Proben wieder in die Säcke hinein?“ — „Die Proben? Die gehören den Arbeitsleuten!“ ist Timmanns prompte Antwort, wobei er die Bretter umstülpt. (Es war in Hamburg Brauch,[S. 45] daß Fegels den Arbeitern zukamen.) Schließlich erfolgt die Zusicherung, der Betrag der Rechnung werde noch heute beglichen werden, worauf Timmann erwidert, für seine Bemühungen und Auslagen möge man gefälligst zweihundert Taler beifügen, was denn auch zum Erstaunen von Johannes Bahl wirklich geschieht. Und so sehr hat Timmann dem Inländer imponiert, daß, als ein anderes Hamburger Haus bei ähnlichem Streitfall meldet, man werde die Sache durch Herrn Timmann untersuchen lassen, umgehend die Nachricht erfolgt, nach nochmaliger genauer Prüfung finde man an der Ware nichts auszusetzen (Vergl. Jünger, 23 f.).

Früher gab es unter einem Teil der Quartiere eine lose Vereinigung, die hauptsächlich bezweckte, in der Form einer sogenannten „Totenlade“ die Beerdigungskosten verstorbener Mitglieder aufzubringen. Da man aber unterlassen hatte, ein Kapital als Grundstock einzuschießen, so reichte der Taler Sterbegeld schließlich nicht mehr hin und die Sache ging ein. So lange sie noch in vollem Betrieb war, pflegte man sich einmal im Jahre beim Wirte Lautenberg in der Steinstraße, der über einen größeren Saal verfügte, zusammenzufinden, um einen gemütlichen Abend — ohne Damen — zu verleben. Der Gelegenheitsdichter Volgemann lieferte dazu Lieder, in denen die Ökelnamen eine große Rolle spielten. Die Sachen haben natürlich nur einen Augenblickswert gehabt. Mir liegt ein Tafellied zum 31. Januar 1863 vor, worin es nach der Melodie: „Der Papst lebt herrlich in der Welt“ u. a. heißt: „Hier seht nun unsern Bodenstein, der muß stets Alterspräses sein. Er hat die Sache angeregt, zu diesem Fest den Grund gelegt. — — Un Grootkaß von dat „fiin“ Quarteer, den makt et hüt en Barg Pläseer, denn wenn he recht vergnögt will sien, stellt he sick sicher bi uns in.“ Ebenso geht es hoch- und plattdeutsch durcheinander in einem Liede zum 4. Februar 1865 nach der Melodie: „Ich bin der Doktor Eisenbart“, z. B. „Un Pingel unse ohle Fründ is gern wo sien Konsorten sünd. Wer fiif Mal sick een Fro nehm’n kann, dat is förwahr „ein ganzer[S. 46] Mann.“ — — Auch Voß und Löding sind zwei Leut’, sie denken an die Schlafenszeit. Weil wi jem to „de Möden“ tellt, hebbt se denn Slaap hüt afbestellt.“ — In späteren Jahren hören in diesen Tafelliedern die Anspielungen auf Einzelmitglieder und ihre Ökelnamen auf, wie die nachfolgenden Proben aus den Volgemannschen Gelegenheitsgedichten zeigen, die das Hamburger Staatsarchiv in 13 starken Sammelbänden bewahrt und mir freundlichst zur Verfügung stellte.

2. Februar 1878 (Band VIII. 222), Singweise „Wohlauf noch getrunken“ Vers 2 bis 4: „Quartiersleute haben wohl schwierigen Stand, sie müssen empfangen zu Wasser und Land und oft im Geschäft machen bei dem Verkehr den Kopf und die Kräfte die Ablief’rung schwer. Wenn auf dem Komptoir kaum fertig sie sind, die Arbeit am Speicher mit Eifer beginnt. Dort müssen auf’s Winden sie gut sich verstehn und oft dabei selbst sich winden und drehn. Die Führer der Ewer, man weiß ja daß sie absichtlich Streit suchen beim Arbeiten nie! Trotzdem kann man immer nicht einig sich sein: das liegt im Geschäft so Tag aus und Tag ein.“

11. Januar 1879 (IX. 294) Vers 5: „Der Hamburger Quartiersmannsstand ist rühmlich weit und breit bekannt. Komptoir und Speicher, Quai und Fleth weiß wie er sein Geschäft versteht.“

18. Februar 1882 (IX. 317), Singweise „Was gleicht wohl auf Erden“, Vers 2: „Quartiersmann ist kundig, den Kaufmann zu ehren, zu nützen und schützen zu Wasser und Land; die Speicher zu füllen, die Speicher zu leeren, ist gern er beschäftigt im mühvollen Stand.“

30. Januar 1897 (XIII. 133). Singweise „’Ne ganze kleine Frau“: „Besett mit blanke Knöpen von Sülber mannichfach, darin umher sünst löpen Konsorten Dag för Dag: stolz drog man de bestellten, as wenn’t en Staatskleed wör. Jetzt süht man se man selten un driggt ganz wenig mehr de kotte feine Jack, de kotte feine Jack, de kotte feine, feine, feine ohl Quarteersmannsjack.“

[S. 47]

Volgemann selbst nennt sich XIII. 48 „alter Haus- und Hofpoet seit 1848“. Aus den Liedern X. 250 und 251 und XI. 91 scheint hervorzugehen, daß 1864 und 1876 Versuche stattfanden, der ersten Vereinigung von 1848 festere Formen zu geben, während erst weitere zehn Jahre später der noch heute bestehende „Verein Hamburger Quartiersleute von 1886“ endgültig gegründet wurde. Am 30. September 1911 feierte dieser Verein sein 25jähriges Stiftungsfest durch Festtafel und Ball in der „Erholung“. Das Programm, gedruckt bei Carl Griese, enthält unter anderen hübschen Zeichnungen von Johs. Ulfert drei, auf denen Quartiersleute in alter Tracht dargestellt sind.

Zum Schluß muß ich noch der Ewerföhrer gedenken. Es scheint eigentlich sonderbar, daß man den Mann in der Schute Ewerführer und nicht Schutenführer nennt, denn in Hamburg heißt Ewer ein Elbschiff mit Verdeck, Mast und Steuer, während den Schuten dies alles fehlt. Es sind eben ganz offene Fahrzeuge ohne Kiel, die nur hinten einen kleinen verschließbaren Raum haben, de Plicht, worin Arbeitszeug und dergleichen Platz findet, gelegentlich auch vielleicht, was von der Ladung abfällt. Da auch die Ewer flachen Boden haben (der Kiel wird durch ein „Schwert“ an jeder Seite ersetzt), so läßt sich vielleicht annehmen, daß sie früher nicht allein auf der freien Elbe, sondern auch für Transporte zwischen Speicher und Seeschiff verwendet wurden, und daß man erst allmählich zum offenen Leichter, der Schute, übergegangen ist. Die Bezeichnungen Ewer, Schute und Prahm kommen übrigens bereits im 14. bis 16. Jahrhundert nebeneinander vor (Koppmann I. S. LXXVII. f., VII. S. CXX.). Vom Ewerführer ist im Patriot No. 155 vom 20. Dezember 1726 S. 1 die Rede.

Zum Schutz der Ladung der Schuten gegen Regen dienten Persenninge, breite geteerte Segeltuchstreifen mit Holzrollen an beiden Enden. Doornkaat meint, der Ausdruck könne vom englischen preserving = Schutz stammen (vergl. Korr. Bl. 28 S. 48, 55. 71). Kleinere Schuten werden Bollen genannt.[S. 48] Der Eigentümer der Schuten heißt Ewerföhrerbaas. Baas will sagen „Meister“. Wenn der Lehrling dem Ewerführer eine Bestellung ausrichtete, etwa: „Sie möchten Ihrem Herrn sagen, daß er heute an der Börse vorkommt“, so erhielt er zur Antwort: „Herr — Herr? — Ick bün doch keen Köter, de ’n Herrn hett! — Ick will mien’n Baas dat seggn.“ Von den Beinamen der Ewerführerbaase hörte ich nur Baron Sachs für Hans Sachs, Kees’-Dircks für einen Dircks, der für ein Geschäft im Grimm häufig Käse fuhr und Spinn’grieperdircks für einen Namensvetter. Dessen Nachfolger im Geschäft, Ahrens, hieß Jägerahrens.

So lange es sich um den Verkehr zwischen dem alten Binnenhafen und den Fleetspeichern handelte, peekten die Ewerführer ihr Fahrzeug mittels langer Stangen weiter, indem sie deren eiserne Spitze in den Schlamm stemmten und vom Vorderende der Schute, auf deren breitem Rand, sich langsam, schiebend, nach hinten bewegten. Deshalb ihr Ökelname: „Slickschuber“. Da sie hierbei die Querleiste des oberen Endes der Stange, die Krück, zwischen Brust und Schulterknochen drückten, hießen sie auch Stakendrücker. Wenn es gerade so paßte, zogen sie sich auch wohl mit dem neben der Spitze der Stangen befindlichen Haken an Ringen der Hausmauern und Schuteneisen der Brückenwiderlager und Kaimauern entlang oder an Pfählen oder an anderen Schiffen. Da ein Steuer fehlte, wurde die Richtung durch die Art des Schiebens eingehalten, wie man das noch heute in den Fleeten wie auf der Alster gelegentlich beobachten kann. Die Speicherarbeiter pflegten dem Ewerführer wohl scherzend zu bemerken: „Du hest dat good. Du kannst di ümmer stütten bi de Arbeit. Un wenn du rüggwarts geist, kummst du doch vörruut.“ — Daß die Sprache der Wasserkante ausschließlich Plattdeutsch geblieben ist, sei hier beiläufig erwähnt. Im Zusammenhang damit stand es, daß im Verkehr zwischen Arbeitern und Vorgesetzten das trauliche du gegenseitig die Regel bildete. Das hat jetzt allerdings aufgehört. — Auf der Alster benutzt der Ewerführer zuweilen den Wind[S. 49] zur Erleichterung seiner Arbeit, indem er aus einer Stange mit daran befestigter Persenning ein Notsegel herstellt.

Während die älteren Schuten noch aus Holz erbaut sind, ist man jetzt zur Eisenkonstruktion und größerer Tragfähigkeit (300 Tons und mehr) übergegangen, auch sieht man vielfach „Kastenschuten“ mit abnehmbarem Verdeck. Da nun außerdem die Entfernungen wegen der außerordentlichen Ausdehnung unserer Hafenanlagen sehr groß geworden sind, und da infolge der Tiefe der Freihafenfleetzüge die Stangen oft nicht mehr den Grund erreichen würden, so muß der Ewerführer jetzt vielfach Schlepperhülfe in Anspruch nehmen. Einzelne Schuten findet man auch schon mit einem Motor ausgerüstet.

Wenn der Ewerführer am Speicher angelangt war, wo er Waren holen oder abliefern sollte, so rief er den Hausküper oder Quartiersmann an, z. B. „Großmann sien“ (sollte heißen „Großmann sien Lüd’“). Der Koptein meldete sich dann an der Luke: „Wat seggst du?“ und der Ewerführer teilte sein Gewerbe mit, z. B.: „Twintig Faten aflebern“. Bekannt ist der Scherz, daß der Ewerführer hinaufruft: „Tein Kisten Rabarber innehmen!“ worauf die Antwort erfolgt: „Denn — geist du dod!“ — Für die kaufmännischen Firmen, mit denen sie zu tun hatten, pflegten die Ewerführer Spitznamen und Verdrehungen anzuwenden. Ich teile hier eine Auswahl mit und füge eine kleine Anzahl bei, die den Betreffenden von anderer Seite angehängt sein mögen, ohne mich dafür zu verbürgen, daß diese Ökelnamen regelmäßig zur Anwendung gekommen sind. Es soll also geheißen haben: Andree sien Wickelkind für Andree u. Wilkerling, Baas Püttjerig für F. R. Scharfe (püttjerig = kleinlich), Biankohn klei di (kratz dich) für Biancone, Klee u. Co., billig un slecht für Brock u. Schnars, bitter wenig un slecht für B. Wencke u. Söhne, Filzlaus für F. Laeisz, Flotz un Klotz für Blohm u. Voß, Ihde sien Knecht für Sienknecht u. Ihde, Köhm un Beer für Knöhr u. Burchard oder Kruse u. Bleichwehl, links un rechts für Lütgens u. Reimers, Meier Gebrüder Lumpen angroh[S. 50] für Anton Meier, Plünnhaufen un Schulze für Lappenberg u. Müller, Muhlaap für H. L. Muhle u. Co., Püttjer für H. Ahmsetter (Püttjer = Töpfer, Ofensetzer), Sellerie un Purree für Cellier u. Parrau, tranig un ranzig für Tietgens u. Robertson, wenig un knapp oder Wien un Köhm für Wachsmuth u. Krogmann. Die Kornumstecher Bein u. Kruse hießen Arm un Been. Kornumstecher sind Arbeitsübernehmer für sachgemäße Behandlung von Getreide. Die Leute, die sie anstellen, erhalten nach beendeter Arbeit Hockerzettel und das Abholen des betreffenden Akkordlohnes wird Hockern genannt. — Für den Empfangschein, den der Ewerführer erhielt, wenn er Waren an Bord abgeliefert hatte, gibt es die Bezeichnung „Reziev“, nach dem ersten Wort der englischen Übernahmezettel: received.

In neuerer Zeit haben einzelne Ewerführerbaase angefangen, neben dem Schutenbetrieb auch Fuhrwerk zu halten. Früher löschten und luden sämtliche Schiffe im Elbstrom, es war also keine Möglichkeit, die Waren anders als zu Wasser zu befördern. Seitdem der größere Teil des Verkehrs sich an den Kais abspielt, ist es in vielen Fällen geratener, den Transport zu Lande vorzunehmen, schon weil die Gefahr einer Havarie dann wegfällt. Außerdem sind zwar die Fleete im Freihafenviertel tief genug gelegt, daß auch bei niedrigstem Wasserstand Schuten dort verkehren können, aber die alten Fleetzüge der inneren Stadt bleiben bei anhaltendem Ostwind oft tage- ja wochenlang leer gelaufen und vielfach finden die Transporte auch nach Stadtgegenden statt, wo es an Fleeten fehlt. — Das vorn beigegebene Bild nach einer Zeichnung von C. Schildt (im Besitz unserer Kunsthalle) die vor 25 Jahren für das Prachtwerk „An de Woterkant“ hergestellt wurde, gibt einen guten Begriff davon, wie es an einem Hamburger Fleet der Altstadt aussieht. Es ist das Diekstratenlock, von der Steintwietenbrücke aus gesehen, d. h. das Fleet zwischen Deichstraße (links) und Rödingsmarkt. Eine große Anzahl feiner Beobachtungen sind darauf zu finden: die Speicher mit ihren Luken, den Utleggern[S. 51] und einem außer Betrieb gesetzten Abort, die Ewerführer in ihren Schuten, die Jolle, die sich durchzwängt, der Schatten, den die hoch gestiegene Sonne auf die Speicher wirft usw.

Seit 1889 besteht ein Verein der Schutenbesitzer, der 1914 sein fünfundzwanzigjähriges Stiftungsfest feierte. Laut „Hamburger Woche“ vom 7. Mai 1914 zählte er 480 Mitglieder mit 1530 Schuten im Wert von sechs Millionen Mark.

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Anlage 1
Quartiersmannskontrakt von 1720

Laus Deo Anno 1720

Adj. 22. April

Im Nahmen der Heylichen und Hochgelobten Dreyfaltigkeit, haben wier vier als Endes-Benandte Matten, dieses angefangen eigen händig unter Zu schreiben nach Laut unßere Vor Väter ihr Verbundtniß, Für uns und unßere Nachlaßent Frauens, und Kinder, wo nicht Frau, oder Kinder, für die Negsten Bludtsverwandten, oder Erben, in fester Haltung zu bringen, Auf daß ein jeder recht wieder fahre, Auch wo nach sich die andern Matten Können richten, Gott Gebe uns seinen Seegen, und Einigkeit, daß dießes alles Mach waß wier vor schreiben, erfüllet werden möge Amen.

(S. 2) Erstl. Begiebt es sich daß einer von uns vier Matten so unten Benandt sind, sich in etwaß Könne verbessern und zwaar, daß er solche schwere Arbeit nicht Thun dürffte, so soll es Ihm frey stehen, sein Quartier zu verkauffen, aber an einen solchen Ehrlichen Man, da die Matten mit zu frieden sindt, Auch daß er sein, oder die Arbeit thun Kan, der selbe der es Kaufft soll denen andern Matten Geben zum ein Tritt fünff und Siebzig Mark Lübsch.

Zum Andern, Solt es sich zu Tragen, daß einer von uns Viern solte, bey seiner Täglichen Arbeit zu schaden Kommen,[S. 52] oder erkriegte, oder er würde sonsten von Gott mit Leibes Krankheit beleget, oder Heim gesuchet, da uns Gott vor wolle in Gnaden bewahren, oder (S. 3) er Könnte von wegen seines Alters nicht mehr Arbeiten, So soll der jenige Beschädigte, oder der Kranke, oder der Alte Man, und Matt verpflichtet, und schuldig sein, einen Man, oder Taglöhner vor sich zu halten oder mit seine drey andre Matten wißen, und willen, sich mit einem Man da die Matten mit friedlich sein, Auch der sein Arbeit thun Kan, verdingen und auch Lohnen, Biß so lange der Beschädigte oder der Kranke Matt wieder zur vorrigen Gesundheit, oder Gott den Alten Man, und Matt im Himmel hilfft.

Zum Dritten, Wan es sich dan Begiebt daß der liebe Gott Einer von uns Endes Benandte vier Matten durch den Zeitlichen Todt von Gott auß dieser (S. 4) Welt abfodert würde, und es Bliebe Frau, und Kinder nach, so soll die Witt Frau ein Gnaden, oder Thrauer Jahr vergönnet sein, Sie soll aber wehrendes Thrauer Jahr einen Taglöhner vor sich halten, da die Matten mit friedl. sein, Auch der die Arbeit thun Kan Auch soll sie verpflichtet sein wehrendes Gnaden Jahr sich alle Sonnabendt oder wan ein Feyertag ein fält, den negst vor hergehenden Tag, bey, oder da wier unßer Quartier haben ein finden, und den Taglöhner Lohnen, die andern Matten sollen aber da zu sehen, daß es der Wittwe nicht mit der Lohnung zu schwer wirdt, den Sie müßen von Gottes wegen Ihr Bestes suchen, Auch waß in daß Gnaden Jahr Verdienet wirdt (S. 5) selbiges soll Ihre vierte Portion von Ihre drey andern Matten geliefert, oder zu gestellet werden.

Zum Vierten, So es Sich begiebt, daß einer von unßre Vier Matten so endes Benandt sindt, durch den Zeitlichen Todt von Gott abgefordert würde, und es Bliebe Frau, und Kinder nach, Sie als die Wittwe gedachte nicht wieder sich im Stande der Heylichen Ehe zu begeben, so soll die Witt Frau, ein Gnaden Jahr haben, aber in daß Gnaden Jahr in allen Arbeit einen Taglöhner vor sich halten, der vor Ihr arbeitet, und den[S. 53] soll sie wie in vorrigen dritten Artikel geschrieben stehet, Am Sonnabendt oder wan ein Feyertag ein fält, den Negst vorhergehenden Tag, in unßern Quartier da wier zugegen sindt Lohnen, hat aber die Wittwe einen Sohn, oder Tochter, den Sie das Quartier über geben, und Laßen will, so soll Sie es mit ihre andern Matten Bewilligung thun, Auch daß der Sohn Tüchtig sey solche Arbeit zu verrichten, auch daß die Matten mit Ihm in allen friedtlich sein, Ihm gleichen wan die Tochter in oder auf daß Quartier Heyrathen wolte, so soll Sie einen solchen Man Heyrathen da die andern Matten mit zu frieden sein, und der ebenfals die Arbeit thun Kan, und der es Kaufft oder der es an Tritt von Sohn, oder Tochter Man, soll denen andern Matten geben Zum ein Tritt fünff und Siebzig Mark Lübsch.

Zum Fünfften, So einer von unß vier Matten mit Tode abginge und er- (S. 7) ließe eine Wittwe nach, und Sie Lust hat wieder zu Heyrathen so soll Sie ein Gnaden oder Thrauer Jahr haben, und daß selbe Jahr soll von unß andern Matten, Ihr nicht Dispotiret werden, Allein sie soll in daß Gnaden Jahr einen Man halten, der vor Ihr arbeitet und den soll Sie wie in dritten Artikel geschrieben stehet, mit Bey sein der Matten Lohnen, wan Sie freyet in daß Gnaden Jahr wie den Auch geschehen soll, So soll Sie einen Gutten Ehrlichen Man freyen der sein, oder die Arbeit thun Kan, Auch daß die andern Matten mit Ihm in allen friedlich sein, und nichts auf Ihm zu sagen wißen der Selbe der die Wittwe Heyrathet, soll denen andern Matten geben zum ein Tritt fünff und Siebzig Mark Lübsch.

(S. 8) Zum Sechsten, Wan einer von unß vier Matten mit, oder, in Tode wäre verblichen, und erließe eine Wittwe, und Kinder nach, die Wittwe aber Stürbe in daß von Ihren Matten vergönneten Gnaden Jahr, die Kinder aber so danannoch in Lebent und Männiglich erwachsen sindt, und solche Ihres Seel. Elters stelle vertretten wollen, und Können, sollen von denen andern dreyen Matten nicht von sich, Sondern mit[S. 54] allen Ernst und Eyffer, vor allen andern so nach daß Quartier stehen, zu Sie gezogen werden, Auch mit vorbeding der dreyen Matten daß ein Jeder sein, oder die Arbeit thun Kan, und Sie in allen mit Sie friedl. sein, der selbe der es (S. 9) antritt soll denen andern Matten geben zum ein Tritt fünff und Siebzig Mark Lübsch.

Zum Siebenden, Beschließen wier vier Matten, so unten Benandt sind unter unß, daß wan einer von uns solte mit Tode abgehen, und erließe eine Wittwe allein nach, die Wittwe aber Saß in den genuß des Gnaden Jahr, und Stürbe auch, ließ aber Keine Kinder nach, so soll daß Quartier nicht die Matten, sondern denen Negsten Erben zu verkauffen zu gelaßen werden, Jedoch an einen solchen Man es zu verkauffen mit dero Matten Hülff und Willen, der die Arbeit thun Kan, und die Matten mit Ihm friedl. sein, derjenige der es Kaufft soll geben zum ein (S. 10) Tritt denen andere Matten fünff und siebzig Mark Lübsch.

Zum 8ten Ist von unß vieren als endesbenandte Matten, verabredet, und bewilliget worden, daß Keiner von unßern Keller, da wier unßer Quartier, liegen, oder in haben, über die Gebürde, des Tages soll außbleiben Es sein den eine Noht wendige Sache als Hochzeit gehen, gefatter stehen, oder sonsten Begrabnißen bey zu wohnen, Auch wo er in seiner Freundschafft etwaß Noth wendiges zu verrichten hat, Solches alles soll Ihm erlaubet und frey gegeben werden, Jedoch der Jenige so solche Sachen zu verrichten hat, soll Schuldig sein, (S. 11) Seinen andern Matten zu sagen, oder Es sagen zu laßen daß wan Arbeit Kömpt Sie sich danach richten Können, Begebe es sich aber daß einer, oder der andere von unß Vieren so endesbenandt sindt, solte Auß frevel Muth oder sonsten seines eigenes gefallen Auß Bliebe, oder sonsten seines eigenes Thuns abwarten würde, so soll der selbe, der außen Bleibet und Gaar nicht zu rechter Zeit, bey unßern Keller, oder dawier unßer Quartier haben Kömmt, Von den Verdienten Lohne nichts zugerechnet werden, Sondern zur Straffe, Wo Viel auch verdienet,[S. 55] es von denen andern Matten Ihm abgezogen werden (S. 12)

Dießes alles haben wir vier Matten unß Belieben Laßen, als eines vor allen, und alle vor einen, zur festen Haltung, mit Gottes willen, eigenhändig untergeschrieben.

I E  Josias Ehlers
Johann Köster
Jochim Zingelmann
Jochim I F V Friedrich Vormerling sein eigenes gezogenes M Symbol

Jochim Dürkop. Hanß Gollehr. Jürgen Jochim Fick (S. 13). Franß Jochim Hauschild. Jochim Sebastian Graumann. Hanß Jacob Wulf. Unleserlich gemachter Name mit der Bemerkung: Ist ein Schelm geworden. Christoffer Hocker. Hanß Peter Grewe. Claas Hoops. Hinrich Döscher. Hanß Jacob Höltig. Georg Christoph Sievers. Johann Jacob Haberland. Alexander Barthold von Gevern Todt 1847. Johan Schulenburg. Wilhelm Ludewig Kähler (S. 14). Gottfried Hinrich Andreas Gätgens. Gerlieb Conrad Casper Roggeman, gest 6 Jan 1851. Hans Friederich Philipp Albers, gest 11 Juni 1847. Johann Christoph Heinrich Pfeiffer. Johann Rudolph Gätgens Ano. 1843. Heinrich Martin Ferdinand Bötger 1846. Peter Alexander Heinrich Lange 1848. gest 1854. Carl Georg Heinrich Ockelmann 1852. Johann Christian Theodor Sötebehr 1858. C. W. Heinrich Ockelmann 1876. J. H. F. Beuck 1879. A. C. H. Muhly 1883. Eduard L. A. Ockelmann 1883. Theodor C. W. Ockelmann 1891.

Vorstehender Kontrakt der Firma Ockelmann und Konsorten, zuerst veröffentlicht im Hamb. Correspondent vom 17. März 1907, ist genau nach der Urschrift abgedruckt. Er findet sich in einem Kleinquart-Schreibheft von 16 Seiten, wovon die ersten zwei unbeschrieben. Die meisten Namen sind durchstrichen, mit der Beifügung „thodt“.

„Matten“ gleich Genossen (Maat).

*

[S. 56]

Anlage 2
Abdruck des Folioblattes:
Hamburger Quartiersleute

Ein Stück echt hamburgischen Gewerbes, das nicht nur seinen uralten Charakter, seine ererbten Sitten, seine sprüchwörtlich gewordene Ehrlichkeit und Treue, sondern auch seine äußere Erscheinung, der wechselnden Mode zum Trotz, bis auf den heutigen Tag beibehalten hat, bilden die Hamburger Quartiersleute.

In schwarzer Tuchjacke mit massiven silbernen Knöpfen und rindsledernem Schurzfell repräsentieren sie immer noch den althamburgischen, wohlbewährten und zuverlässigen Arbeiter, dem der Kaufmann sein Hab und Gut, soweit dasselbe in Waren und Kaufmannsgütern besteht, unbesorgt anvertraut, in der unzweifelhaften Überzeugung, daß sein Interesse und sein Vorteil, in welcher Beziehung es auch immer sei, in gute und sachkundige Hände niedergelegt ist.

Die Quartiersleute verdanken ihren Namen dem Umstande, daß gewöhnlich vier derselben ein Konsortium bilden, das gemeinschaftlich eine kleinere oder größere Zahl von Kaufleuten zur festen Kundschaft hat, deren Speicherarbeiten sie selbst und erforderlichen Falls unter Beihilfe von Arbeitsleuten, den sogenannten Eckenstehern, verrichten.

Der Kaufmann, der eine Partie oder eine Ladung irgend welcher Güter empfängt, überläßt es seinen Quartiersleuten, dieselben von der Schute aus, vom Lastwagen, von der Eisenbahn, oder mit welchem Transportmittel sie sonst geliefert werden, ab und in seinen Speicher aufzunehmen. Doch nicht allein der Transport, die Lagerung und Ablieferung liegt dem Quartiersmann ob, beim Empfang hat er sich von der Richtigkeit der Marken und Nummern der Colli zu Überzeugen, das Gewicht derselben festzustellen, den Zustand der Emballage und den Inhalt jedes einzelnen Gegenstandes zu prüfen und eventuell stattgefundene Ramponagen und Beschädigungen zu[S. 57] konstatieren. Über alle diese einzelnen Punkte hat er ein genaues, gewissenhaft aufgenommenes Register zu führen und dem betreffenden Kaufmann aufzugeben. Bei Einkäufen und Empfangnahme von Waren muß er Proben beurteilen und mit der Ware vergleichen, bei der Ablieferung hat er ebenso genau und gewissenhaft den Abgang zu registrieren. Umpacken, Sortieren der beschädigten Teile von den guten sind alles ihm obliegende Aufgaben; in den Speichern und Warenlägern überhaupt ist er die rechte Hand des Kaufherrn, der, auf seine Zuverlässigkeit und Fachkenntnis bauend, ihn in allen einschlägigen Angelegenheiten schalten und walten läßt, wie er es am angemessensten findet.

Der Quartiersmannsdienst ist in den weitaus meisten Fällen ein einträglicher und wird es auch noch lange bleiben, weil, wenn auch neuere Unternehmungen für billige Preise arbeiten, die Kaufmannschaft nicht wegen einer Ersparung am Lohne weniger fachkundigen und vertrauenswerten Händen die von den Quartiersleuten und ihren Arbeitern vollführten Arbeiten überlassen wird. Ein Quartiersmannsdienst ist ein wertvoller Besitz, der sich vom Vater auf den Sohn, oder auf die Familie vererbt, die denselben, wenn sie ihn nicht durch einen ihrer Angehörigen fortführen kann oder will, oftmals für eine beträchtliche Summe, die die Höhe von Tausenden Marken erreicht, einem Dritten überläßt, der dann in alle Rechte des früheren Besitzers eintritt, wozu aber die Zustimmung der übrigen Teilhaber des Quartiers erforderlich ist, da ihre gemeinsame Ehre und ihr gemeinschaftliches Interesse bei der Gewinnung eines ebenso tüchtigen als ehrenwerten neuen Konsorten in Frage kommt.

Viele dieser Leute haben sich im Laufe der Zeit ein Vermögen erworben, das sie wohl befähigen würde, in glänzender Stellung ein bequemes Leben zu führen, was jedoch sehr wenige benutzen, da ein echter ergrauter Quartiersmann viel zu sehr an rastlose Tätigkeit und den Umgang mit dem Arbeiterstande, dem er entstammt und dem er lange Jahre seines Lebens angehört hat,[S. 58] gewöhnt ist, um sich in seinen alten Tagen auf die faule Bärenhaut zu legen.

Mit seinem Schurzfell und seiner Jacke kommt er ebensowohl zu seiner Arbeit, auf seinen Speicher als auf das Comptoir seines Kaufherrn oder in die Börse. Überall wird er mit gleicher Achtung, mit gleichem Ansehen gern gesehen und willkommen geheißen, sein biederes, schlichtes Wesen verschafft ihm überall gleichen freundlichen Empfang, der durch das gewöhnlich bei ihm vorhandene oder doch vorausgesetzte Vermögen umsomehr an Herzlichkeit gewinnt, als der Hamburger den materiellen Besitz als den Hauptgrundstein zur Menschenwürde zu betrachten geneigt ist.

Wie der Volkswitz überall den niederen Ständen, ist er auch in Hamburg ganz besonders dem Arbeiterstande eigen und der Hamburger Volkswitz versäumt nicht, jede Sache oder jede Person, mit der er in Berührung kommt, mit einem mehr oder minder zutreffenden, jedenfalls aber drastischen Namen zu bezeichnen. So haben denn auch die Quartiersleute dem Schicksal nicht entgehen können, ihre „Ökelnamen“ zu erhalten, die, obgleich in mancher Weise nicht mehr zutreffend, sich von Generation auf Generation vererbt haben und so populär sind, daß kaum ein Arbeitsmann oder ein Ewerführertagelöhner ein Quartier zu finden wüßte, wenn es bei dem Namen seines ältesten Inhabers, wie dies im Adreßbuch gebräuchlich, nicht aber bei seinem sogenannten „Ökelnamen“ genannt wurde.

Kein Hamburger, der mit den Quartiersleuten mehrfach zu tun hat, wird im Zweifel sein, wen wir meinen, wenn wir hier eine Reihe von Namen nennen, die nirgendwo als offizielle aufgeführt sind und dennoch jeder Einzelne ein Quartier bezeichnet.

Da sind zuerst die „Krindlers“, deren Hauptinhaber bei der Schillerfeier und der Märzfeier ebenso wie bei den Sammlungen für die Notleidenden in Ostpreußen die Leitung übernahm und überall mit gutem Beispiel voranging und der deshalb[S. 59] auch stillschweigend als der Senior des löblichen Gewerbes anerkannt worden ist.

Ein anderes Quartier, früher „Melkers“ genannt, hat sich geteilt und demgemäß die Namen „Rohmmelkers“ und „Watermelkers“ oder „Zegenmelkers“ erhalten. „Smökers“, „Puttlüd“, „Schosters“, „Stohlmakers“, „Höhnerplückers“, „Korfmakers“, „Kaffeebrenners“, „Fielers“, „Wustmakers“, „Kugelers“, „Wullkosacken“, „Theebuurn“, „Krahnlüüd“, „Kutschers“, „Slachters“, „Jägers“, „Plackenhauers“, „Nadelmakers“, „Solospeelers“, „Bültenhauers“, „Wullmüüs“ und „Sackneiers“ sind Namen, die entweder in der früheren Beschäftigung ihrer Träger, oder in dem Artikel, worin die mit diesem Namen benannten Quartiere vorzugsweise arbeiten, ihre Begründung finden mögen. Weniger harmlos sind Namen wie „Höllenjägers“, „Thünbüdels“, „de Trübsinnigen“, „de Möden“, „de Duhnsupen“, „de Heiligen“, „Grotsnuten“, „Doodsmieters“, „Minschenschinners“, „Lüttsnuten“, „Barmherzigen“ usw. Dem Tierreich entlehnt sind die Bezeichnungen „Wanzen“, von denen es gar zweierlei gibt, die „Dacklünken“, „Witten Hunn“, „Wilden-Swien“, „Löwen“, „Swienhunn“, „de Hasen“ (wovon übrigens sich alle bis auf einen schon verlaufen haben), „Bunten Höhner“, „de Bück“, „Eseltreckers“, „Imm“ (Bienen), „Müüs“ oder „Rotten“, „Luus un Floh“, „de Kreihers“ (Kräher) und „de vierspännigen Ratten“.

Der Körperbeschaffenheit, resp. dem Aussehen ihres Gesichts verdankten ihre Namen die „Magern“, „de Veerkantigen“, „de lütten Roden“, „Söte Jungs“, „de Fienen“, „de Scheeben un Graden“, „Veilchenblauen“, „dat Armenspann“, „de scheeben Hamborgers“, „Scheef un Liek“ u. a. m. — „Franzosen“, „de Engelschen“, „Möhlenbrückers“, „Coldorpers“, „Bayern“, „Hollanders“, „dat Judenspann“, „Harborgers“ un „de drögen Franzosen“ bezeichnen diejenigen, welche vorzugsweise mit dieser Nation zu tun haben; das „Dreespann“ fährt stets zu dreien, die „Manchestern“ sind an ihren Hosen von diesem Stoff und „Spring um Stender“ ihrer Gewandtheit wegen[S. 60] kenntlich. „Nagelbüdel und Consorten“, „Seelenkinners“ und „Schultenhöbers“ Namensursprung mag schwer zu entziffern sein, womit wir denn die Liste schließen wollen, ohne die „Schimmels“ zu vergessen, deren weißhaariges Oberhaupt seinem Quartier diesen Namen eingetragen hat.

Von J. D. J. Pingel Senior 1880.

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Anlage 3
Ökelnamen der Hamburger Quartiersleute

Dat Armenspann (Bodenstein u. Consorten), De Baiern (Lührs u. Cons.), De Blickern (Wilkerling u. Cons.), De-Botterbuern (Siemers u. Röpke), De Brummers (Niemann u. Cons.), De Bück (Burmeister u. Cons.), De engelschen Bück (Trier u. Cons.), De Bullenmelkers (Kruse u. Cons.), De Buntbüxen (L. Hecht u. Cons.), De Coldorpers (Hinrichs u. Cons., Weiscke u. Cons.), De Dacklüünken (Spellerberg u. Cons.), De Dodtsmieters (Thiel u. Cons, Suhr u. Cons.), De Engelschen (H. Martens u. Cons.), De Eseltreckers (Dreyer u. Cons., Hoppe u. Cons.), De Fienen (Grotkaß u. Cons.), De Finnenkiekers (Neddermann u. Cons.), De Franzosen (Kleen u. Cons.), De Graden (Bargstädt u. Cons.), De Gröhlmöllers (Möller u. Cons.), De Grotsnuten (Schwarze u. Cons.), De scheewen Hamborger (Pohlmann u. Cons.), De Harborgers (Albrecht u. Cons.), De Hasen (Reinstorf u. Voß), De ohlen Hasen (Kesler u. Cons.), De Heiligen (Stöver u. Lembcke), De bunten Höhner (Groth u. Cons.), De Höhnerplückers (Brandt u. Cons.), De Hollanders (Helmers u. Cons.), De finen Hollanders (Lüders u. Cons.), De witten Hunn (Escherich u. Cons., Parbs u. Cons.), De Jägers (Rehse u. Cons.), De Isern Arm (Daniel Jessen), Dat Judenspann (Ascher u. Cons.), De Kaffebrenners[S. 61] (Lienau u. Cons., Gädgens u. Cons.), De Knupprigen (Glimann u. Cons.), De Korfmakers (Denker u. Cons., H. W. Meyer u. Cons.), De Krahnlüd’ (Quitzau u. Cons.), De Krahntreckers (Bodenborg u. Cons.), De Kreihers (Jürgens u. Cons.), De Krindlers (Willers u. Cons., Petersen u. Pingel), De Kugelers (Fesefeld u. Cons.), De Kulers (Heeger u. Klindworth), De Kutschers (Meiners u. Cons.), De Löwen (Schultze u. Cons.), De Lüttsnuten (Krohn u. Schröder), Luus und Floh (Volmer u. Cons., D. Hinsch u. Cons.), De Magern (Suhl u. Cons.), De lütten Magern (Hellmann u. Cons.), De groten Manschestern (Rose u. Cons.), De lütten Manschestern (Prignitz u. Cons.), De Melkers (Meyn u. Cons.), De Möden (G. Voß u. Cons.), De Müs’ (Brasch u. Cons.), De Nadelmakers (Cordes u. Cons.), De Plankenhauers (Oelmann u. Cons.), De Puttlüd (Koch u. Cons.), De lütten Roden (Asmus u. Cons.), De Rotten (Leßmann u. Cons.), De Sackneihers (Wendt u. Klindworth), De Sagenfielers (Köhncke u. Cons.), Scheev un Liek (D. Möller u. Cons.), De Scheeven un Graden (Bargsted u. Genossen), De Schinners (Hinsch u. Cons.), De Schosters (Peters u. Cons.), De Schottschen (Martens u. Cons.), De Seelenkinner (Martens u. Cons.), De Slachters (Nimbach u. Cons.), De Smökers (Meyer u. Cons.), De Solospelers (Brandt u. Cons.), De Springumständer (Müller u. Pflughaupt), De Spunjers (Jürgens u. Cons.), De Stohlbinners (Ockelmann u. Cons.), De Storchen (Cords u. Cons., Gechter u. Cons.), De willen Swien (Dührkoop u. Cons., Opitz u. Cons.), De Theebuern (Schaper u. Cons.), De Trübseligen (Moritz u. Cons., Hasenbalg u. Cons.), De Tünbüdels (Gechter u. Cons, später: de Storchen), Vader un Söhn (Hinsch u. Krüger), De Veereckten (Ellerbrock u. Cons.), De Veilchenblauen (Rethwisch u. Cons.), De Wanzen (Uetzmann u. Cons.), De Wullkosacken (Gebel u. Cons.), De Wullmüs’ (Mathias Glimann), De Wustmakers (Stapelfeld u. Cons.).

[S. 62]

Eine Liste wie die vorstehende, die durch Herrn W. J. Krüger (Prignitz u. Cons.) mit Hülfe älterer Kollegen zusammengestellt worden ist, wäre nach Verlauf weniger Jahre schwerlich mehr in gleicher Vollständigkeit zu erreichen gewesen, da infolge des veränderten Geschäftsbetriebes die regelmäßige Anwendung dieser Ökelnamen schon sehr eingeschränkt ist.

Außerdem sind mir von verschiedenen Seiten, besonders von Hein Sternhagen (Verf. von „Ut Vadders Tiden“) noch eine Anzahl weiterer Ökelnamen mitgeteilt, und einige fanden sich auch in Volgemanns Tafelliedern. So weit sie nicht in vorstehenden beiden Verzeichnissen erscheinen, führe ich sie hier auf, indem ich bemerke, daß sie meistens erloschen sein mögen, zum Teil auch vielleicht nicht allgemein bekannt gewesen sind oder nur für ein Einzelmitglied eines Quartiers gegolten haben. Sie lauten, unter Weglassung einiger anstößigen:

De Altnaers. De Ängstlichen. De Bäckers. Kaptein Blitz. De Blauen. De Blotarmen. De Böhnhasen. De Böhnmeisters. De Büttenbinners. De Bullenbergers. De Demokraten. De Doben. De holten Dragoners. De Dunkis. Eisele un Beisele. De Fliedigen. De Garbers. De Gnaddrigen. Hein Granat. De Grotmonarchen. De gemütlichen Hamborgers. De Hebammen. De stolze Heringsküper. Hering un Tran. De Imkers. De Kantüffelschellers. De blauen Kreihn. De Küpers. De Kupplers. Kaptein Lebberwust. De Lohndeeners. Millionmeier. Pankoken. Kaptein Piep. De Püttjers. Rechtschaffen un Breetfoot. De groten Rotten. De lütten Rotten. De lütten Rugen. De Sackjuden. De Schaap. De Seilmakers. Siedenpudel. Schragebuck. De Stallbuern. De Stratenköters. De Strebsamen. De Teinpennkerls. De Uhrmakers. Wie’s heißen tut un so den Kram. Woddelkrut. De Wolkenschubers. De verlopen Wullkosacken.


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Bisher erschienen außer dem vorliegenden und den auf Seite 63 angezeigten folgende Bände:

 1. Holstenart. Von Johann Hinrich Fehrs. 6–10. Tausend. Mit einem Bildnis des Dichters.

 3. Schnack und Schnurren. Von Fr. Wilhelm Lyra. Mit einer Abbildung.

 4. Van Jadestrand un Werserkant. Von Theodor Dirks. Mit fesselnden Erzählungen.

 5. Cili Cohrs. Irnsthaftig Spill van Gorch Fock. Der Finkwarder Speeldeel 1. Stück. (1 Aufzug, 5 Rollen.) Umschlagbild von Ad. Möller.

 6. Briefe Über Hochdeutsch und Plattdeutsch. Von Klaus Groth. Das für die neuplattdeutsche Bewegung grundlegende Werk des Altmeisters plattdeutscher Dichtung.

 7. Plattdeutsche Straßennamen in Hamburg. Von C. Rud. Schnitger.

 9. Klar Deck überall! Deutsch-Seemännisches von Geheimrat Gustav Goedel. — Diese unterhaltenden Beiträge zur deutschen Seemannssprache sind wichtig für alle Leser John Brinckmans, Gorch Focks und anderer Seeschriftsteller.

11./12. Slusohr un anner eernste un vergnögte Vertellsels un Riemels. Von Georg Droste. Mit Bildnis des Dichters und Umschlagbild von Ad. Möller.

13. Leege Lüd. En lustig Spillwark van Hinrich Wriede. Der Finkw. Speeldeel 2. Stück. (Ein Aufzug, 9 Rollen.) Umschlagbild von Ad. Möller.


Die niederdeutsche Vereinigung Quickborn in Hamburg liefert ihren Mitgliedern in der Regel jährlich 2 Quickbornbücher und je 4 Hefte der Zeitschriften „Mitteilungen aus dem Quickborn“ und „Plattdütsch Land und Waterkant“. Mindestjahresbeitrag (ab 1. Oktober) für persönliche Mitglieder in Deutschland 4 Mark, im Auslande 6 Mark, für Vereine, Anstalten und Körperschaften 6 Mark.

In den Quickborn-Büchern erschienen von

Johs. E. Rabe

außer dem vorliegenden Werk:

Sünd ji all’ dor?

Althamburgische Kasperszenen. 6.–10. Tausend
Band 8 der Quickbornbücher. Preis 60 Pf.

Die Heimat“, Kiel, schrieb nach dem ersten Erscheinen dieses lustigen, keineswegs eng hamburgischen Buches: „Das ist eine der schönsten Gaben für unsere Brüder da draußen im Schützengraben, viel besser als so viele von Begeisterung triefende, aber gemachte Kriegsliedersammlungen. Weil es ablenkt von der blutigen Arbeit und der nicht weniger tödlichen Langeweile des Schützengrabens, weil es tief in jene Zeit hineinführt, da wir als Knaben mit aufgerissenen Mäulern vor Kaspers Putschenellekasten standen, und weil es mit dieser Erinnerung alle jene Kräfte wieder lebendig macht, die einzig aus dem Lande der Jugend uns zufließen ... Aber auch für alle Daheimgebliebenen, vor allem für unsere Jugend sind die köstlichen Schwankdichtungen mit dem Hamburger Platt, der köstlichen Komik ihres Dialogs geradezu eine Gesundkur nach unserer naturwidrigen Kintoppkinderkultur. Der Hamburger „Quickborn“, für den Rabe diese verdienstvolle Arbeit herausgab, hat mit dieser „Rettung“ einer leider bald völlig verschwundenen Form des Schauspiels sich ein bedeutendes Verdienst erworben!“

Vivat Putschenelle!

Der alten Kasperschwänke neue Folge. 1.–8. Tausend
Band 10 der Quickbornbücher. Preis 60 Pf.

Diese von den Besitzern des ersten Büchleins lang ersehnte Fortsetzung von „Sünd ji all’ dor?“ ist, wie jenes, eine Fundgrube drastischen, volkstümlichen Humors. Die wiedererwachte Freude am alten Kasper findet durch diese Stücke, die sich auch zum Vorlesen trefflich eignen, neue Nahrung.


Im Verlag von C. Boysen in Hamburg erschien früher von

Johs. E. Rabe:

Kasper Putschenelle

Historisches über die Handpuppen und Althamburgische Kasperszenen.
Mit farbigem Titelblatt von Chr. Suhr und Textabbildungen.
Geh. 5 Mark, geb. 6 Mark.

Die erste Kaspermonographie, von der literarischen und wissenschaftlichen Kritik mit Recht als „ein geradezu klassisches Werk“, als „eine unerschöpfliche Quelle für Jung und Alt“ bezeichnet. Wer Kasper lieb gewonnen hat, dem gilt daher der Ruf eines seiner Kritiker: „Schaff dir dies Buch an und du wirst dem Verfasser ebenso dankbar sein, wie es Schreiber dieser Zeilen ist.“

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