The Project Gutenberg EBook of Der Schwarzwald, by Ludwig Neumann

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Title: Der Schwarzwald

Author: Ludwig Neumann

Release Date: April 22, 2020 [EBook #61891]

Language: German

Character set encoding: UTF-8

*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER SCHWARZWALD ***




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Anmerkungen zur Transkription

Der vorliegende Text wurde anhand der 1911 erschienenen Buchausgabe so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr gebräuchliche Schreibweisen sowie Schreibvarianten bleiben gegenüber dem Original unverändert, sofern der Sinn des Texts dadurch nicht beeinträchtigt wird.

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Land und Leute

Monographien
zur Erdkunde

Land und Leute
Monographien
zur Erdkunde

In Verbindung mit Anderen
herausgegeben von A. Scobel

13

Der Schwarzwald

1911
Bielefeld und Leipzig
Verlag von Velhagen & Klasing

Titel der Buchserie

Der Schwarzwald

von

Ludwig Neumann

Mit 180 Textabbildungen, darunter 4 Kunstbeilagen
nach Gemälden von Hans Busse
und einer farbigen Karte. Deko Zweite Auflage

Verlagssignet

1911
Bielefeld und Leipzig
Verlag von Velhagen & Klasing

Buchtitel

Druck von Fischer & Wittig in Leipzig.

Inhalt.

   
Seite
  Verzeichnis der Abbildungen  
I.
Einleitung
II.
Orographische und geologische Übersicht
III.
Klima und Bewässerung
IV.
Pflanzengeographisches
V.
Die Bevölkerung des Schwarzwaldes
VI.
Die östlichen Zugänge und der Südrand
VII.
Das südwestliche Vorland von Basel bis Freiburg
VIII.
Von der Donau zur Dreisam
IX.
Freiburg im Breisgau
X.
Über Berg und Tal im südlichen Schwarzwald
XI.
Die westlichen Vorhöhen zwischen Freiburg und Offenburg
XII.
Die Schwarzwaldbahn von Offenburg nach Donaueschingen
XIII.
Die Höhenwelt des mittleren Schwarzwaldes
XIV.
Der Westrand von Offenburg bis Baden
XV.
Murg- und Kinzigtal von Rastatt bis Hausach
XVI.
Auf den Höhen des nördlichen Schwarzwaldes
XVII.
Die Umrandung des Gebietes
XVIII.
Kreuz und quer durch den östlichen Schwarzwald
  Literatur
  Register
  Karte des Schwarzwaldes  

Verzeichnis der Abbildungen.

Abb.
 
Seite
1.
Der Triberger Wasserfall. Farbiges Titelbild.  
2.
Geologisches Profil durch den nördlichen Schwarzwald vom Rhein über Offenburg nach Freudenstadt
3.
Geologisches Profil durch den südlichen Schwarzwald von Breisach bis Schaffhausen
4.
Moräne im Löffeltal bei Hinterzarten
5.
Lößlandschaft bei Kenzingen
6.
Verschneite Schwarzwaldhöfe
7.
Verschneite Schwarzwaldhäuser
8.
Sägemühle im Winter
9.
Schneewächten am Feldberg
10.
Schwarzwaldtannen im Winter
11.
Weinlese im Immental bei Freiburg
12.
Feldbestellung im Schwarzwald
13.
Holzschleifen im Zastler Tal
14.
Einzelhof im Zastler Tal
15.
Bau eines Kohlenmeilers im Zastler Tal
16.
Holzschlitten im Walde. Zastler Tal
17.
Köhlerhütte
18.
Holzsägemühle im Löffelschmiedental
19.
Strohflechterin im Herrgottswinkel
20.
Schwarzwälder Glasarbeiten
21.
Einzige Darstellung des alten Schwarzwälder Hausierers. Krug vom Jahre 1806
22.
Alte Schwarzwalduhr vom Jahre 1670
23.
Schwarzwälder Uhrmacher
24.
Stickereien vom Schwarzwald
25.
Männertracht des neunzehnten Jahrhunderts
26.
Alte Frauentracht im Hohen Schwarzwald
27.
Frauentracht im Hohen Schwarzwald
28.
Bauernhäuser des siebzehnten, achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts; der Rauferhof (bei Lenzkirch) vom Jahre 1686
29.
Wollspinnerinnen im Herrgottswinkel
30.
Waldkapelle
31.
Grabkreuze
32.
Viadukt bei Fützen
33.
Waldshut
34.
Hotzenhaus in Bergalingen
35.
Kindertracht des Hotzenwaldes
36.
Hotzenhof in Hottingen
37.
Laufenburg
38.
Säckingen
39.
Isteiner Klotz
40.
Badenweiler
41.
Marzell im Kandertal
42.
Der Belchen
43.
St. Trudpert
44.
Inneres von St. Trudpert
45.
Scharfenstein
46.
An der Schützenbrücke in Donaueschingen
47.
Die Donauquelle
48.
Die Brigachquelle mit Schwarzwaldhaus. Farbiges Einschaltbild
49.
Gutachbrücke bei Kappel-Neustadt
50.
Lothenbachklamm bei Bad Boll
51.
Die Wutachschlucht
52.
Frauentracht von Neustadt
53.
Der Titisee
54.
Titisee-Moräne
55.
Oberer Anfang des Höllentals, in die Moränen-Landschaft eingeschnitten
56.
Eingang ins Ravennatal
57.
Der Hirschsprung im Höllental
58.
Terrassen am Ausgang des Höllentals
59.
Haus im Engetobel beim Hirschsprung
60.
Auf der Wallfahrt. Giersberg bei Kirchzarten
61.
Freiburg, vom Schloßberg aus gesehen
62.
Inneres des Freiburger Münsters
63.
Das Münster in Freiburg vom Schloßberg aus gesehen
64.
Das Kaufhaus in Freiburg
65.
Rathaus in Freiburg
66.
Die Kaiserstraße mit dem Martinstor in Freiburg
67.
Mädchen aus dem Haslachtal bei Lenzkirch
68.
Zipfelhof im Bärental, mit dem Feldberg
69.
Der Feldberger Hof im Winter
70.
Bismarckdenkmal auf dem Feldberg
71.
Im tiefen Schnee
72.
Kartrichter am Feldberg und Zastler-Loch mit Zastler-Hütte
73.
Am Zeiger
74.
Der Feldsee
75.
Das Herzogenhorn im Nebelmeer
76.
Bauernhaus in Bernau
77.
Bauernhof im Schlechttal bei Schweigmatt
78.
Kurhaus Wehrawald bei Todtmoos
79.
Todtmoos
80.
Im Wehratal
81.
Partie in der Haseler Höhe (Erdmannshöhle)
82.
Straßentunnel im Albtal
83.
St. Blasien
84.
Bauernhaus im Schwarzatal bei Schluchsee
85.
Rothaus
86.
Moräne Seebruck am Schluchsee
87.
Heuernte im Tal
88.
Partie im Schlüchttal
89.
Der Schlüchtsee
90.
Am Schwedenfelsen im Schlüchttal
91.
Todtnauberger Wasserfall
92.
Schönau im Wiesental mit Blick auf den Belchen
93.
Stutz bei Schönau. Im Hintergrunde der Belchen
94.
Zell im Wiesental
95.
Breisgauerin
96.
Markgräflerinnen
97.
Hebelhaus in Hausen
98.
Lörrach
99.
Schloß Rötteln
100.
Eingang von Schloß Rötteln
101.
Belchenhaus
102.
Spinnstube im Kapplertal bei Freiburg
103.
Bei Horben
104.
Haldenwirtshaus am Schauinsland im Winter
105.
Der Feldberg, vom Schauinsland aus gesehen. Farbiges Einschaltbild
106.
Schellenmarkt an der Biereck
107.
Alte Kuhglocke
108.
Zähringer Burg
109.
Die Hochburg
110.
Steinschleiferei in Waldkirch
111.
Polieren der Achate in Waldkirch
112.
Waldkirch
113.
Frauentracht im Elztal
114.
Frauentracht im Elztal
115.
Mädchen aus dem Elztal
116.
Offenburg, Straßenbild
117.
Frauentracht im Gutachtal
118.
Straßenbild in Triberg
119.
Triberg
120.
Hornberg
121.
Brauttracht von St. Georgen
122.
St. Peter
123.
Holzschlitten im Winter
124.
Zweribachfall
125.
Festgang der Frauen in die Kirche; Bleibach
126.
Frauentracht von Schonach
127.
Frauentracht von Schonach
128.
Furtwangen
129.
Bad Sulzbach
130.
Peterstal
131.
Bauernbursch aus dem Renchtal
132.
Partie bei Griesbach im Wilden Renchtal
133.
Bad Griesbach
134.
Das Edelfrauengrab
135.
Turenne-Denkmal bei Sasbach
136.
Bühl
137.
Gertelbachfälle
138.
Oberbühlertal
139.
Die Trinkhalle in Baden-Baden
140.
Baden-Baden von der Stourdsakapelle aus gesehen
141.
Baden-Baden. In der Lichtentaler Allee
142.
Friedrichsbad in Baden-Baden
143.
Das alte Schloß Hohenbaden
144.
Fischkultur bei Baden-Baden
145.
Gernsbach
146.
Forbach im Murgtal
147.
Freudenstadt
148.
Im Rauhmünzachtal
149.
Die Schenkenburg im Kinzigtal
150.
Alpirsbach
151.
Bauernhof im Kinzigtal
152.
Wolfach
153.
Hochzeitszug im Schapbachtal
154.
Der Glaswaldsee
155.
Rippoldsau
156.
Der Kniebis
157.
Allerheiligen
158.
Der Wildsee
159.
Der Mummelsee
160.
Hornisgrinde. Hirtenstein, über dem Mummelsee
161.
Kurhaus Hundseck
162.
Herrenwies
163.
Turm auf dem Mehliskopf
164.
Herrenwieser See
165.
Wildberg
166.
Nagold
167.
Zavelstein
168.
Teinach. Auf der Höhe das Städtchen Zavelstein
169.
Calw
170.
Hirsau
171.
Der Wild- oder Hornsee. Farbiges Einschaltbild
172.
Partie am Stadtsee von Liebenzell
173.
Pforzheim, vom Römerweg gesehen
174.
Kaiser Wilhelm-Turm auf dem Hohloh
175.
Enzklösterle
176.
König Karls-Bad in Wildbad
177.
Wildbad
178.
Herrenalb
179.
Neuenbürg
180.
Frauenalb

Abb. 1. Der Triberger Wasserfall. Gemälde von Hans Busse. (Zu Seite 116.)


GRÖSSERES BILD

[S. 1]

Der Schwarzwald.

I. Einleitung.

E

Es war eine wunderbar helle Vollmondnacht im Anfang der sechziger Jahre des abgelaufenen Jahrhunderts. Der Postwagen, der am Vormittag die Bodenseegegend verlassen hatte und zwischen den Hegauer Vulkankegeln hin, dann über die Höhen des Jura der jungen Donau entgegen gefahren war, hatte die kleine Fürstenberger Residenz, in deren Nähe die Flüßchen Brigach und Brege sich zum großen Weltstrom vereinigen, längst hinter sich, und langsam ging’s nun über die einsame Hochfläche hin, bergauf, bergab die Straße entlang, die seit alters den Hauptverkehr vermittelt vom Schwabenlande zum Breisgau. Im Innern des Wagens lehnte ein kleiner Junge verschlafen an der Seite seiner Mutter. Von Zeit zu Zeit fragte er halb erwachend: „Sind wir noch nicht im Höllental?“ Aber gar oft mußte er vertröstet werden, bis es endlich flott die scharfen Kehren der Steige hinabging, und bis dann die steilen Talwände sich so nahe rückten, daß neben dem rauschenden Bach für die Straße künstlich Raum geschaffen worden war. Nun sah ich — denn ich war der Knabe — zum ersten Male im Leben einen Kohlenmeiler (Abb. 15), dessen brenzliger Geruch durch die geöffnete Fensterlücke in den Wagen hinein drang; nun starrte ich, völlig erwacht und vor Spannung auf den Anblick des oft geschilderten Bildes lebhaft erregt, auf die Felstürme des Hirschsprung, die, vom schwanken Mondlicht magisch erhellt, mir riesengroß bis in den Himmel aufzuragen schienen. Die kindliche Phantasie bevölkerte ängstlich das alte Gemäuer des Falkenstein mit ritterlichen Wegelagerern, von denen mir erzählt worden war, und ich empfand eine wohltuende Beruhigung, als mit dem Morgengrauen die enge Schlucht der „Hölle“ sich zum „Himmelreich“ des breiten Dreisamtales lichtete, und als ich nicht allzulang hernach die gute Stadt Freiburg erreicht sah.

So bin ich aus dem alten schwäbischen Reichsstädtchen, in welchem meine Wiege gestanden war, in den Schwarzwald gelangt. Fast fünf Jahrzehnte sind seither verflossen. Doch ich bin im Schwarzwald geblieben. Und wenn ich den Blick von meinem Arbeitstisch erhebe, so schauen die grünen Berge freundlich zum Fenster herein und zeigen mir das schöne Stück Welt, das meine Heimat geworden. Wer weiß, vielleicht steht es im Buche des Schicksals geschrieben, daß auch die wenigen Jahre, die mir noch beschieden sein können, sich hier abspielen sollen. Ein Unglück wäre das gerade nicht; denn daß unser südwestdeutsches Gebirge mit seiner Umrandung ein schöner Fleck Erde sei, auf dem es sich leben läßt, das hat noch niemand bestritten. So begreift es sich, daß ähnlich wie bei der stammverwandten alemannischen Bevölkerung der unfernen Schweiz auch im Leben des Schwarzwälders die Empfindung, vielleicht darf man sogar sagen die Krankheit des Heimwehes eine gar große Rolle spielt. Wie anders wäre es sonst zu deuten, daß trotz aller Wanderlust, trotz allen Dranges in die Weite, der Sohn des Gebirges keinen erhebenderen Gedanken kennt, als aus jeder Ferne zurückzukehren auf die stille, weite Höhe, oder zum Ufer des murmelnden Baches, wo das Haus der Kindheit stand? Wie mancher Uhrmacher des alten Schlages hat Jahrzehnte seines Lebens in irgendeiner der europäischen Hauptstädte zugebracht, in Paris oder London, in Petersburg oder Moskau; und in seinen alten Tagen kehrt er heim, um die Luft zu atmen, welche einst das Kind eingesogen, um die Stätten alter Erinnerungen statt in sehnsuchtsvoller Vorstellung leibhaftig um sich zu sehen, und um begraben zu werden an der Seite der Väter.

Und sicherlich ist der Schwarzwald der Liebe und Anhänglichkeit wert, die seine Söhne für ihn hegen; gar wohl begreift es sich auch, daß Jahr für Jahr Hunderte von Fremden, nicht nur etwa aus minder von der Natur begünstigten[S. 2] Gebieten unseres großen Vaterlandes, vielmehr auch solche aus allen Teilen der Welt in den bedeutenderen Orten im und am Gebirge sich dauernd niederlassen; sind doch nicht umsonst z. B. Baden-Baden und Freiburg nach der Zusammensetzung ihrer Bevölkerung fast internationale Städte geworden, in denen neben den Einheimischen Deutsche aus allen Gauen des Reiches, Balten, Niederländer, Engländer, Amerikaner usw. in großer Zahl wohnen. Sieht man aber erst die vielen Tausende und Abertausende, die in den Monaten der sommerlichen Wanderlust und Erholungszeit unser Gebirge auf bequemen Wegen durchstreifen oder seine zahlreichen vortrefflichen Kurorte bevölkern, und die seiner Schönheit nicht satt werden können und nicht nur in unserem geliebten Deutsch, sondern auch in den Lauten aller europäischen Kultur- und Halbkultursprachen das Lob des Schwarzwaldes singen, so darf man sie als ebenso viele Zeugen dafür gelten lassen, daß die Landschaft, die auf den folgenden Blättern geschildert werden soll, des eigenartig Reizvollen gar mancherlei besitzen muß.

Worin liegt nun diese Eigenart?

Blick vom Feldberg.

Zur Beantwortung dieser Frage mag es sich empfehlen, daß wir uns in Gedanken auf des Gebirges höchste Kuppe versetzen, auf den fast 1500 m hohen Feldberg, dessen Scheitel den Friedrich-Luisenturm trägt, so genannt, weil er 1856 zum Gedächtnis an die Vermählung des damaligen Landesherrn, Großherzog Friedrich I. von Baden, mit der Prinzessin Luise von Preußen, der Tochter des nachmaligen Kaisers Wilhelm I., errichtet worden ist. Bald wird das Gemäuer des Turmes, der über ein halbes Jahrhundert den scharfen Stürmen dieser Höhe getrotzt hat und allmählich etwas hinfällig geworden ist, einem stolzen Neubau Platz gemacht haben.

Abb. 2. Geologisches Profil durch den nördlichen Schwarzwald vom Rhein über Offenburg nach Freudenstadt.
Maßstab der Länge 1 : 450000, der Höhe 1 : 150000. (Zu Seite 8.)

Von dieser Hochwarte aus sehen wir zu Füßen ringsum und hinaus bis zum fernsten Horizont eine herrliche Welt ausgebreitet. Will es das Glück, so wird unser freudig strahlendes Auge aber immer wieder hingezogen in die Richtung nach Osten und Süden, wo von der trotzig und dunkel sich auftürmenden Kalkwand der Zugspitze bis zum blendend weiß schimmernden Schneedom des Montblanc, also auf eine Länge von rund 350 km ununterbrochen, als mächtiges, zusammenhängendes Ganze die Ketten der Alpen aufragen, so scharf und deutlich am Horizont sich abhebend, daß — natürlich günstigste Beleuchtung vorausgesetzt, wie sie nicht gerade immer zu treffen ist — jede Spitze, jeder Felsgrat, jedes Eisfeld unterschieden werden kann in all den Faltenzügen des Allgäu und Rhätikon, der Säntis- und Glärnischgruppe, des Tödi- und Gotthardgebietes, der Vierwaldstätter und Berner Alpen, um nur einige wenige Namen herauszugreifen. Davor ziehen sich, wenn wir den Blick in entgegengesetzter Richtung zurücklaufen lassen, von der Gegend des Neuenburger Sees ab die nach oben fast geradlinig abschneidenden, mauerartigen Ketten des Schweizer Jura, auch eines gefalteten Gebirges, das im Nordosten in die massigen Erhebungen des ungefalteten Plattenjura in Schwaben übergeht, dessen Gebirgstafeln sich verfolgen lassen bis in die[S. 3] Gegend des Hohenzollern. Aus einer Lücke des Jurazuges ragen die Vulkankegel des Hegaues auf und weisen uns die Richtung nach dem Schwäbischen Meer.

Im Westen breitet sich lang hingestreckt und tief eingesenkt die Oberrheinische Ebene aus, durchzogen von dem silberglänzenden Bande des mächtigen Stromes. Aus der Tiefebene, deren Boden von den Geschiebemassen des fließenden Wassers gebildet wird, erhebt sich inselartig das kleine vulkanische Kaiserstuhlgebirge. Und jenseits des Rheines sehen wir das Gesichtsfeld durch das Massengebirge des Wasgenwaldes begrenzt, das an Höhe dem Schwarzwald beinahe gleichkommt. Im Südwesten nähert es sich dem Schweizer Jura bis auf eine kleine Entfernung. Die Lücke zwischen beiden ist die Burgundische Pforte, ein zu allen Zeiten bedeutsamer Völkerweg, den heute die Festung Belfort beherrscht. Durch diese geschichtlich hochwichtige Niederung schweift der Blick noch weit hinüber in französisches Land.

Abb. 3. Geologisches Profil durch den südlichen Schwarzwald von Breisach bis Schaffhausen.
Maßstab der Länge 1 : 450000, der Höhe 1 : 150000. (Zu Seite 8.)


GRÖSSERES BILD

Innerhalb dieses interessanten Rahmens, der Falten-, Tafel-, Massen- und Vulkangebirge sowie eine Schwemmlandebene umschließt, erhebt sich nun, dem Beschauer unmittelbar nahe gerückt, die den Vogesen ähnliche Masse des Schwarzwaldes selbst. Welche Fülle der Formen und welcher Reichtum in der Einzelgestaltung vom Größten bis zum Kleinsten! Die breiten, sanftgeböschten Rücken der höchsten Erhebungen in allernächster Nähe sind kahl, einförmiges Weidefeld. Wo das Gefälle steiler wird, wo die windgeschützteren Flanken des Berges sich in die Täler hinabsenken, da sehen wir den herrlichsten Wald zu unsern Füßen. Die hintersten Talböden sind meist nischenartig wie Alpenkare in den Gesteinskörper hineingearbeitet, vielfach von schroffen Felswänden umrahmt, teilweise von Seen ausgefüllt, deren Abdämmung vom geübten Auge leichthin als Moränenbildungen erkannt werden. Erscheint so die jetzige Oberfläche der alten Gebirgsmasse von eiszeitlichen Wirkungen wesentlich beeinflußt, so zeigen uns die tiefen, oft schluchtartigen und schwer zugänglichen Rinnsale der nahen Bäche und weitum die vielverzweigten Talläufe aufs deutlichste die zerstörende und durch die Zerstörung neu gestaltende Wirkung des fließenden Wassers auf seine Unterlage. So können wir von unserm Standpunkte aus wertvolle Einblicke gewinnen in die Wirkungsweise der Kräfte, welche das Relief der Gebirge modellieren und ihre Vielgestaltigkeit hervorzaubern. Nicht ohne Recht hat einst Melchior Neumayr, der zu früh verstorbene Wiener Geologe, betont, daß kaum ein anderer Aussichtspunkt so geeignet sei zur ersten Einführung ins Studium[S. 4] und Verständnis der physischen Geographie und Geologie als der Feldberg im Schwarzwald.

Die Eigenart des Schwarzwaldes.

Doch, wir wollen nicht Wissenschaft treiben, wir wollen die Eigenart unseres Gebirges dem Laien verständlich zu machen suchen und uns bemühen, ihm zum freudigen Genuß der landschaftlichen Schönheit des Schwarzwaldes zu verhelfen. Lassen wir darum nochmals die Augen umherschweifen. Aus den freundlichen Tälern grüßen, von saftig grünen Wiesen und goldgelben Ackerfluren umkränzt, anmutig gelegene Gehöfte und Ortschaften herauf; gut gebaute Straßen und Bergpfade, die gelegentlich im dichten Wald verschwinden und dann beim Heraustreten ins Freie sich wieder weithin verfolgen lassen, geben uns eine Vorstellung davon, wie groß das Verkehrsbedürfnis der dicht angesiedelten Bevölkerung, und wie wohl erschlossen für jeden Verkehr das an sich verkehrsfeindliche Gebirge ist. Zwischen den Tälern ragen Bergketten auf, eine hinter der anderen, auf denen wir auch noch fast überall die Spuren menschlicher Arbeit wahrnehmen, sei es im herrlich gepflegten Hochwalde mit seinen stolz ragenden Edeltannen, sei es im freien Weidefeld mit seinen Rinderherden, die sich um einen Brunnen mit mächtigem Wasserreichtum oder um eine „Viehhütte“ lagern oder ihre Bewegung durch den Klang ihrer Glocken weithin verraten. Da und dort steigt zum tiefblauen Himmel der weiße Rauch eines Hirtenfeuers auf, über dem das einfache Mahl der sommerlichen Bergbewohner bereitet wird. Über den Hochflächen erheben sich Berge mannigfachster Gestalt, doch überwiegt die sanft gerundete Kuppe. Die Siedlungen bleiben hinsichtlich ihrer oberen Verbreitungsgrenze nur unwesentlich hinter den beherrschenden Gipfeln zurück. Da schaut ein Einzelhof unter seinem mächtigen, altersgrauen Strohdach hervor, dort streckt eine Dorfkirche oder eine einsame Kapelle ihren schlanken Turm zum Himmel auf, kurz, das Bild ist trotz der Höhe unseres Standpunktes nicht etwa menschenfremd, es überwiegt nicht, wie beim Rundblick von einer Hochzinne der Alpenwelt, das Anorganische. Im Gegenteil. Dem aufmerksamen Auge ist alles ringsum belebt, belebt nicht nur von den gegenwärtigen Bewohnern der Landschaft und den überall erkennbaren Zeichen ihrer Tätigkeit, sondern durchgeistigt von dem Walten einer vielhundertjährigen Geschichte, es ist eine herrliche Kulturwelt, über die unser Blick hier oben schweift. Gleichwie die Farben des vor uns ausgebreiteten Bildes sich abtönen vom gesättigten Dunkelgrün der nächsten Wälder durch alle Abstufungen von Grün durch Blau bis zum verhauchenden Grauviolett der weitesten Fernen, so dringt unser geistiges Auge von dem klaren Lichte der Gegenwart rückwärts zu immer weiter abliegenden Zeiten, in denen auch schon Menschen hier oben lebten und arbeiteten und sich, wenn auch nicht so sicher und dauernd wie heute, des Lichtes freuten. Lange ist es her, seit der düstere Urwald, der einst fast die ganze Fläche bedeckte und dem Gebirge den Namen gab, gerodet, seit der erste Felssteig auf die Höhen angelegt wurde. Und was haben die Bewohner des um uns ausgebreiteten Landes seit langen Jahrhunderten erlebt und geduldet, wie waren sie wirtschaftlich bedrängt, was für Elend ist über sie hereingebrochen in den Zeiten des Krieges! Wie lange hat es gewährt, bis sie sich sicher fühlen konnten in ihrem Besitz, bis mit der allmählich sich festigenden äußeren Stellung auch eine höhere Auffassung des Lebens und seiner Zwecke in die bescheidenen Häuser der Wälderleute seinen Einzug halten konnte, so daß diese aus der früheren Weltabgeschiedenheit hervortraten, an allen Betätigungen menschlichen Schaffens sich beteiligen lernten, in ansehnlicher Zahl hinauszogen in alle Welt und für die Daheimgebliebenen das wurden, was man vergleichsweise Sauerteig nennen möchte, so daß im Verlauf weniger Generationen die Schwarzwaldbevölkerung sich heraufarbeiten konnte zu einem der vorgeschrittensten und in jeder Hinsicht tüchtigsten unter den deutschen Stämmen. Auf Schritt und Tritt verraten sich unserem aufmerksamen Auge tausendfältig die Spuren der geordneten, behäbigen Lebensführung des Schwarzwälders und seines bescheidenen Wohlstandes.

[S. 5]

Abb. 4. Moräne im Löffeltal bei Hinterzarten. (Zu Seite 11.)


GRÖSSERES BILD

[S. 6]

Land und Leute.

Nirgends mehr schreckt das Düster undurchdringlichen Waldes; alles, was uns auch auf abgelegenen Pfaden vor Augen tritt, atmet Sicherheit, Behagen, Ordnung und Kultur. Dabei nirgends etwas von Aufdringlichkeit, von Protzigkeit. Die gut gearteten Menschen, ihre Bauwerke und Wege, ihr Schmuck und die Äußerungen ihres Vergnügens, alles ist der freundlichen Natur sinnvoll angepaßt. Nichts erscheint gekünstelt oder als Ergebnis plumper Effekthascherei. In allen Dingen finden wir eine wohltuende Harmonie zwischen den Bildern der Schöpfung und ihrer Belebung durch den Menschen. Und darum ist der Schwarzwald so schön, darum bereitet das Scheiden von ihm den Einheimischen so herben Schmerz, darum zieht er so viele an, die sich in unserer in allen Stücken aufs Große gerichteten Gegenwart noch den Sinn für Schlichtheit bewahrt haben. Das letztere sei hier allerdings nicht so gemeint, als ob etwa der Schwarzwaldreisende auf das verzichten müßte, was man Komfort nennt. Im Gegenteil!

Abb. 5. Lößlandschaft bei Kenzingen.
Nach einer Photographie von Prof. Dr. P. Paulcke in Freiburg.
(Zu Seite 20.)

Nicht leicht wird man in anderen Gauen auf höchster Höhe oder fern vom belebenden Schienenstrang und von der großen Heerstraße, im abgelegensten Dorfe oder Weiler so gute Unterkunft finden wie im Schwarzwald, wo kein verständiger Wunsch an Quartier oder Verpflegung unerfüllt zu bleiben braucht. Vom großen Hotel ersten Ranges der Städte, Bade- und Luftkurorte bis zum bescheidensten, aber sauberen, urbehaglichen und billigen Bauerngasthaus finden sich alle Übergänge, so daß jeder Geschmack Befriedigung finden kann.

II. Orographische und geologische Übersicht.

Wasgenwald und Schwarzwald.
U

m den Schwarzwald als Gebirgsindividuum verstehen zu können, muß er im Zusammenhang mit seiner Umgebung betrachtet werden. Und da ist nun vor allen Dingen die sich lebhaft aufdrängende Wahrnehmung von Belang, daß unser Gebirge im Wasgenwald jenseits des Rheines eine Art von Spiegelbild besitzt mit einer auffallend großen Anzahl von übereinstimmenden Zügen, die jedem aufmerksamen Beobachter den Gedanken an einen inneren Zusammenhang der beiden Erhebungssysteme nahelegen. Von Basel, das 243 m hoch liegt, bis gegen[S. 7] Mainz (82 m) hinab bildet die im Mittel 30 km breite Rheinebene auf eine Länge von 300 km die Symmetrieachse für ihre beiderseitigen Randgebirge. Im Westen steigen die Vogesen aus der Burgundischen Pforte (350 m) rasch zu ihren höchsten Gipfeln an und erreichen im Gebweiler Belchen eine Höhe von 1423 m. Weiter nach Norden nimmt die Höhenentwicklung allmählich ab, der Paß von Zabern senkt sich bis zu 404 m, und jenseits desselben steigt dann der Kalmitgipfel der pfälzischen Hart wieder bis auf 683 m an. Die genannten Gebirge fallen gegen die Rheinebene im Osten ziemlich unvermittelt ab, während sie nach der entgegengesetzten Richtung im Lothringer Stufenlande einen allmählichen Abfall aufweisen, der sich in treppenförmigen Absätzen verfolgen läßt bis zum Rande des Pariser Beckens.

Ganz entsprechend steigt vom oberen Rheintale zwischen Waldshut und Basel der Schwarzwald in kurzem Abstande zu seiner beherrschenden Kuppe, dem Feldberg (1493 m) auf, vermindert nach Norden seine Gipfel- und Kammhöhe mehr und mehr, bis das Gebirge nördlich auf der Wasserscheide zwischen Pfinz und Enz an der Straße von Karlsruhe nach Pforzheim sich auf 374 m herab senkt, um jenseits dieser Eintiefung, einer der wichtigsten ihresgleichen im Kraichgauer Hügellande, wieder zum Odenwald anzusteigen und hier im Katzenbuckel eine Höhe von 626 m zu erreichen. Auch diese rechtsrheinischen Erhebungen weisen ihren Steilabfall dem großen Strome zu und zeigen auf der ihm abgewandten Seite ein wesentlich schwächeres, ebenfalls stufenförmiges Gefälle in die Terrassen- und Hügelländer Schwabens im Süden, Frankens im Norden.

Abb. 6. Verschneite Schwarzwaldhöfe.
Nach einer Photographie von Dr. Hoek in Freiburg. (Zu Seite 22.)

Nach dieser auffälligen und klar übersehbaren Symmetrie der Oberflächenformen erscheint das ganze südwestliche Deutschland nebst dem im Westen angrenzenden Frankreich, also das Gebiet von der Maas bis zum Fichtelgebirge, von der Burgundischen Pforte bis zum Taunus als eine orographische Einheit, innerhalb welcher nunmehr der Schwarzwald nur als Glied dieses größeren Ganzen, des[S. 8] „Südwest-deutschen Beckens“, zu betrachten ist. Noch inniger als hinsichtlich der Höhenverhältnisse treten uns diese Zusammenhänge vor Augen, wenn wir sie geologisch zu ergründen suchen.

Geologischer Bau.

Jede geologische Karte des Gebietes läßt erkennen, daß der Schwarzwald wie der Wasgenwald im südlichen Gebirgsteile je einen großen, im allgemeinen südnördlich gerichteten Urgebirgskern aufweist, der im Norden unter immer weiter sich ausbreitenden Buntsandsteindecken verschwindet, wie auch die von der Rheinebene sich abwendenden Außenseiten der beiden Gebirge nach Schwaben und Lothringen zu eine starke Verbreitung des Buntsandsteins zeigen. Auf dessen fast ebene Hochflächen legen sich der Altersreihenfolge nach die jüngeren Sedimente des Muschelkalks und des Keupers, endlich die des Jura in der Weise auf, daß man von den Höhen des linksrheinischen Gebirges westwärts, des rechtsrheinischen ostwärts schreitend immer auf jüngeres Gestein stößt, während man abwärts steigt; nur der rechtsrheinische Jurazug ragt wieder in höheres Niveau auf. Auch die dem Rheine zugekehrten Innenseiten der Zwillingsgebirge sind auf lange Erstreckung hin von den genannten Sedimentbildungen in der Reihenfolge ihres Alters derart begleitet, daß man mit der fortschreitenden Entfernung von den Gebirgskernen stets auf jüngere Formationen stößt. Zumeist bilden aber hier diese Sedimentgesteine nur schmale, vielfach zerrissene und unterbrochene Streifen von Vorhöhen des eigentlichen Gebirges, die im nördlichen Schwarzwald sogar so gut wie gänzlich fehlen (s. Profil, Abb. 2 u. 3).

Das Grundgebirge des jetzigen südwestdeutschen Beckens und seiner weiteren Umgebung stellt sich als der heute vielfach in Einzelschollen zerrissene Rest eines alten Gebirges dar, das sich hauptsächlich aus Gneisen aufbaut, die aber gar mannigfach von Graniten und verwandten Gesteinen durchbrochen sind.

Abb. 7. Verschneite Schwarzwaldhäuser.
Nach einer Photographie von Dr. Hoek in Freiburg. (Zu Seite 22.)

[S. 9]

Vom Paläozoikum bis zum Tertiär.

Paläozoische Schiefer, Silur, Devon bis herauf zur Kohlenformation und dem Rotliegenden der Permformation, zeigen sich stark gestört und erscheinen als ein altes, von Südwest nach Nordost streichendes Faltensystem, dessen Erhebung in die späteren Zeiten des Paläozoikums fällt und dem der Name „Variskisches Gebirge“ beigelegt worden ist. Auf dem Rotliegenden, das noch gefaltet ist, liegen diskordant, aber unter sich wieder parallel, die Sedimente der Trias, nämlich des Buntsandsteins, Muschelkalks und Keupers, sowie die der jurassischen Bildungen Lias, Dogger, Malm, die in einer langen Zeit ruhiger Ablagerung teils festländischer, überwiegend aber mariner Natur das alte Gebirge unter sich begruben. Kreide- und ältere Tertiärschichten fehlen vollständig, das Land hat während der Zeit ihrer Bildung inselartig aus den umgebenden Meeren aufgeragt.

Abb. 8. Sägemühle im Winter.
Nach einer Photographie von Dr. Hoek in Freiburg. (Zu Seite 22.)

Das mittlere Tertiär stellt sich, wie der erwähnte Abschnitt der paläozoischen Zeit, als eine Periode großartiger Gebirgsbildung dar, der wir in unseren Gegenden nicht nur die Entstehung des Faltengebirges der Alpen, sondern vor allen Dingen die Ausgestaltung des südwestdeutschen Beckens zu seinen heutigen Formen verdanken. Hier senkten sich im Gegensatz zu den Alpen, deren Entstehung wir auf die Wirkung mächtigen Seitendruckes zurückführen müssen, längs weithin verlaufender Verwerfungslinien einzelne Schollen in die Tiefe, andere blieben stehen oder erfuhren sogar eine Hebung. Die hauptsächlichsten dieser Spalten, welche für die jetzige Konfiguration unserer Landschaft maßgebend sind, verlaufen von Südsüdwest nach Nordnordost. In der Achse des Insellandes entstand die gewaltige Grabenversenkung der jetzigen Oberrheinischen Tiefebene, deren Boden lange Zeit vom Meere überflutet war und sich erst später sehr allmählich mit ungeheueren Mengen von Flußgeschieben bedeckte, die ihm durch die Wasserläufe der umrandenden Höhen, beziehungsweise durch den Rhein zugeführt wurden. An den vom Graben abgewandten Außenseiten der früher einheitlichen Landmasse aber sanken[S. 10] die Schollen weniger tief als in dem Graben selbst, doch so, daß das Ausmaß des Absinkens mit der Entfernung von den Gebirgskernen Wasgenwald und Schwarzwald immer bedeutender wurde.

Abb. 9. Schneewächten am Feldberg. (Zu Seite 25.)

Entstehung des Reliefs.

Auf diese Weise entstanden die durch die spätere Arbeit des spülenden und fließenden Wassers in ihrem Relief immerhin noch reich gegliederten Stufenländer von Lothringen und Schwaben, auf dieselbe Weise die schmalen Zonen von Schichtgesteinen in der Vorhöhenreihe zwischen der Rheinebene und den höheren Gebirgen. Sehr tief gehende Querverwerfungen von im allgemeinen westöstlicher Richtung wurden die Veranlassung zu den Einsenkungen von Zabern und im Kraichgau, während weiter nördlich, in der Hart und im Odenwalde, das Absinken wieder in geringerem Maße stattfand. In dem Netz der Verwerfungsspalten dürfen wir die ersten Voraussetzungen für die Anlage der jetzigen Flußsysteme erblicken, zu deren weiterer Ausgestaltung freilich das fließende Wasser selbst das meiste beigetragen hat.

Die Abtragung, Denudation, setzt, wie wir überall wahrnehmen können, aus klimatischen Gründen stets um so wirksamer ein, je höher ihre Angriffsfläche liegt. So erklärt es sich, daß die Kämme und Gipfel unserer südwestdeutschen Schollengebirge da, wo das Absinken in der Tertiärzeit am geringsten war, also im Süden, von ihren alten Decken sedimentärer Gesteine allmählich entblößt wurden und nun das Grundgebirge zutage treten lassen, während jene Sedimente in den tieferen[S. 11] Lagen der umgebenden Stufenlandschaften noch erhalten sind. Vielerorts sind Grundgebirge wie ältere Sedimente in weiter Ausdehnung von diluvialen, insbesondere von eiszeitlichen Bildungen überdeckt (Abb. 4), die uns zeigen, daß unsere Landschaften in jüngerer geologischer Vergangenheit auch die Wirkungen glazialer Kräfte über sich haben ergehen lassen. Wir werden mehrfach Gelegenheit haben, die von der Eiszeit modellierten Züge im Antlitze des Schwarzwaldes wieder zu erkennen.

Abgrenzung des Gebirges.

Soll nun unser Gebirge, das nach seiner Entstehung als Massen- oder Schollengebirge zu bezeichnen ist, gegen seine mit ihm durch gemeinschaftliche Geschichte eng verwandten Nachbargebiete abgegrenzt werden, so ist das im Süden und Westen, ja auch im Norden nicht schwer. Denn hier fallen die orographischen Gesichtspunkte der Höhenentwicklung, die wir zur naturgemäßen Umgrenzung benutzen können, mit den geologischen Kriterien gut zusammen.

Im Süden bildet von der Einmündung der Wutach ab auf eine Länge von mehr als 60 km der Rhein, zu dessen rechtem Ufer das Gebirge abfällt, die Grenze des Schwarzwaldes gegen den Schweizer Jura, der jenseits des Stromes ebenso unmittelbar ansteigt. Von Basel bis in die Gegend von Durlach bei Karlsruhe (116 m) ragt der Schwarzwald längs einer scharf hervortretenden, etwa 200 km langen Linie, die von Südsüdwest nach Nordnordost verläuft, aus den Flußgeschieben der Rheinebene auf; im Norden folgt unsere Grenze der schon erwähnten Eintiefung der Pfinztalfurche, welche bei 374 m verlassen wird, um sich nach Pforzheim an der Enz (247 m) hinabzusenken. Dieser nur etwa 25 km lange Nordrand fällt annähernd mit der Grenze des waldreichen Buntsandsteins gegen die Ackerböden des Muschelkalks zusammen und bildet so eine auch dem Laienauge auffällige Scheide des vom Walde benannten Höhengebietes gegen das fruchtreiche, niedrige Hügelland im Kraichgau.

Abb. 10. Schwarzwaldtannen im Winter.
Nach einer Photographie von Dr. W. Paulcke in Freiburg. (Zu Seite 28.)

Begrenzung und Fläche.

Wollte man, wie das oft vorgeschlagen worden ist, den Ostrand des Gebirges zwischen Pforzheim und dem Rhein bei Waldshut nach dem gleichen Gesichtspunkt bestimmen und demnach möglichst an die Grenze von Buntsandstein gegen Muschelkalk legen, so würde die so zu gewinnende Linie orographisch an vielen Stellen gar nicht her[S. 12]vortreten. Sie erscheint daher in strenger Durchführung unpassend für unsere Zwecke. Besser und plastisch durchaus wirkungsvoll ist dagegen die im folgenden gezeichnete Grenze, welche durchweg Tallinien folgt, also geeignet ist, die Erhebungen, die im Westen als geschlossene Gebirgsmasse aufragen, von den niedrigern Stufenländern des Ostens zu trennen. Freilich fällt diese den Talrinnen folgende Linie nicht streng mit geologischen Formationsgrenzen zusammen, doch läßt sie in der Hauptsache die echten Schwarzwaldhöhen des Buntsandsteins westlich, und jenseits ziemlich schmaler Muschelkalk- und Keuperbänder den Jura im Osten liegen. Sie verläuft von Pforzheim dem Flüßchen Nagold entlang bis zum Städtchen gleichen Namens (452 m), überschreitet die Wasserscheide zum Neckar bei Hochdorf (511 m), senkt sich hinab nach Horb (391 m), folgt dem Neckar bis zu seiner Quelle (700 m) in der Nähe von Schwenningen und verläuft weiter über einförmige Hochflächen, auf denen sie die Rhein-Donau-Wasserscheide zum erstenmal trifft, bis nach Donaueschingen (676 m), von wo sie, immer in südlicher Richtung weiter ziehend, die Wasserscheide der Donau gegen den Rhein bei etwa 780 m wieder überschreitet und bald danach das östliche Knie der Wutach bei Achdorf (540 m) erreicht, um schließlich diesem Fluß zu folgen bis zum Rhein (319 m) oberhalb Waldshut.

Dieser rund 190 km lange Ostrand des Schwarzwaldes liegt durchweg höher als die Süd-, West- und Nordgrenze des Gebirges; man kann ihm eine Mittelhöhe von 400 m zuschreiben, während die entsprechenden Werte im Süden 270, im Westen 150, im Norden 190 m betragen.

Abb. 11. Weinlese im Immental bei Freiburg.
Nach einer Photographie von M. Ferrars in Freiburg. (Zu Seite 32.)

[S. 13]

Abb. 12. Feldbestellung im Schwarzwald. Nach einer Photographie von M. Ferrars in Freiburg. (Zu Seite 29.)


GRÖSSERES BILD

In diesen Grenzen bedeckt unser Gebirge eine Fläche von 7860 qkm, von denen 6060 qkm oder 77% auf Baden, 1800 qkm oder 23% auf Württemberg fallen. Kleine Schweizer Gebietsteile bei Basel und hohenzollerische bei Horb sind dabei nicht besonders ausgeschieden. Zum Rhein[S. 14]gebiet gehören 7350 qkm oder mehr als 93%, zum Donaugebiet 510 qkm oder weniger als 7% des Schwarzwaldareals. In der Luftlinie gemessen ist die größte Südnordausdehnung des Gebirges zwischen Säckingen und Durlach 166 km, der größte Westostabstand von Müllheim bis Achdorf 67 km, die mittlere Breite etwa 47 km; die Breite nimmt von Süd nach Nord fast stetig ab. —

Einteilung des Gebirges.

Zum Zwecke der Orientierung hat der Volksmund längst einen südlichen und nördlichen Gebirgsteil unterschieden und beide durch das Kinzigtal voneinander getrennt, ohne daß man sich aber genauere Rechenschaft darüber gegeben hätte, welches für beide Hälften die ihr Wesen bedingenden charakteristischen Merkmale seien. Geeigneter erscheint die Vierteilung in einen südlichen, mittleren, nördlichen und östlichen Schwarzwald. Erscheint die erstgenannte Teilgruppe als die Landschaft der vom Feldberg nach allen Seiten strahlenförmig auslaufenden Kämme und ihrer Verzweigungen, so haben wir in der zweiten neben einem niederen westlichen Vorlande in der Umgebung des Hünersedels zwei parallele Hauptkämme von südnördlicher Richtung und daran anschließend eine zum Donaugebiet abfallende Hochfläche; der nördliche Schwarzwald kann als das weitere Gebiet des von Süd nach Nord verlaufenden Hornisgrindenkammes definiert werden, der östliche endlich ist das überwiegend aus Buntsandstein, weiter südlich auch aus Muschelkalk aufgebaute, den Höhenunterschieden nach wenig gegliederte Hochland zwischen Pforzheim und Donaueschingen: in der Hauptsache der württembergische Schwarzwald.

Abb. 13. Holzschleifen im Zastler Tal.
Nach einer Photographie von M. Ferrars in Freiburg. (Zu Seite 44.)

[S. 15]

Abb. 14. Einzelhof im Zastler Tal. Nach einer Photographie von M. Ferrars in Freiburg. (Zu Seite 43 u.46.)


GRÖSSERES BILD

Der östliche Schwarzwald läßt sich gegen die westlichen Gruppen des Gebirges leicht abgrenzen durch das Tal der Untern Murg von Rastatt bis Freudenstadt, das der obern Kinzig von da bis Schiltach, des Schiltachflüßchens bis zu seiner Quelle am Ruppertsberg und der Brigach von hier bis Donaueschingen. Die das ganze Gebirge quer durchbrechende Kinzig trennt auf der Strecke Schiltach-Offenburg den nördlichen vom mittleren, das Tal der Dreisam, des Rot- und Höllen[S. 16]bachs und der oberen Wutach auf der Strecke Freiburg-Hinterzarten-Achdorf den mittleren vom südlichen Schwarzwald.

Orographischer Aufbau.

Wie überaus verschieden diese vier Gruppen sich in ihrem orographischen Aufbau verhalten, mögen folgende Zahlen veranschaulichen:

Schwarzwald
Südlicher
Mittlerer
Nördlicher
Östlicher
Summa
Fläche qkm
2250  
2010  
1350  
2250  
7860  
Höchster
Gipfel, m
1493  
1241  
1164  
 988  
1493  
Mittlere
Kammhöhe, m
 855  
 790  
 725  
 655  
 770  
Prozente
der
Fläche
unter
200 m
   4,6
   8,4
   2,4
   3,3
200–400
m
  16,2
  19,9
  20,9
  14,4
  17,5
400–600
m
  19,9
  17,2
  27,1
  26,4
  22,3
600–800
m
  23,1
  20,9
  26,6
  50,3
  30,9
800–1000
m
  26,8
  28,7
  15,9
   6,5
  19,6
1000–1200
m
  12,2
   8,6
   1,1
   5,9
über 1200
m
   1,8
   0,1
   0,5

Abb. 15. Bau eines Kohlenmeilers im Zastler Tal.
Nach einer Photographie von M. Ferrars in Freiburg. (Zu Seite 44.)

[S. 17]

Deutlich tritt aus dieser Zusammenstellung der Hochebenencharakter des östlichen Schwarzwaldes hervor, bei dem mehr als die Hälfte des Areals der Höhenstufe von 600 zu 800 m angehört, während über letzterer Höhe nur noch 6,5 Prozent der Fläche aufragen. Ganz anders liegen die Verhältnisse in den drei anderen Gruppen, in denen von Nord nach Süd immer mehr die Höhenentwicklung zunimmt hinsichtlich der Kämme wie der beherrschenden Gipfel. Im mittleren Schwarzwalde läßt außerdem das starke Vorwiegen der Höhenstufe zwischen 800 und 1000 m den weit verbreiteten Hochflächencharakter dieses Gebietes gut er[S. 18]kennen. Einzelheiten des Gebirgsaufbaues genauer zu schildern, wird im folgenden sich reichlich Gelegenheit bieten.

[S. 19]

Abb. 16. Holzschlitten im Walde. Zastler Tal; obere Enden der Holzriesen.
Nach einer Photographie von M. Ferrars in Freiburg. (Zu Seite 44.)


GRÖSSERES BILD

Die Gesteine und ihre Formen.

Von der Gesamtfläche des Schwarzwaldes werden etwa 24% von Gneis, 18% von Granit, 31% von Buntsandstein, 16% von Muschelkalk eingenommen. Der Rest verteilt sich mit rund 2% auf paläozoische Schiefer und 9% auf alle anderen Bildungen, also abgesehen von den vereinzelt auftretenden Porphyren auf jüngere Sedimente. Die Gneismassen nehmen die Hauptteile der westlichen Schwarzwaldgruppen ein, kommen aber in kleineren Bezirken auch sonst vor. Zumeist geben sie bei der Verwitterung fruchtbare Lehmböden, auch sind sie reich an Erzgängen, die einst einen lebhaften Bergbau auf Bleiglanz, Silber, Zinkblende, Kupferkies usw. ermöglichten, sowie an Mineralquellen. Der Granit bildet, abgesehen von kleineren Vorkommnissen, die Massive von Oberkirch und Triberg und hat seine weiteste Verbreitung zwischen Kandern, Säckingen und Villingen. Verwittert läßt er die lockereren Teile durch das Wasser an den Bergabhängen in die Tiefe führen, wo sie zu wertvollem Ackerboden werden, während oben mageres Erdreich zurückbleibt, das an den Vorhöhen dem Rebbau, im eigentlichen Gebirge dem Walde günstig ist. Auf der Neigung des Granites zur Zerklüftung beruht das Vorhandensein wertvoller Thermen, so der von Baden-Baden.

Abb. 17. Köhlerhütte.
Nach einer Photographie von M. Ferrars in Freiburg. (Zu Seite 44.)

Abb. 18. Holzsägemühle im Löffelschmiedental. Nach einer Photographie von M. Ferrars in Freiburg. (Zu Seite 44.)


GRÖSSERES BILD

Boden und Bodenformen.

Gegenüber den meist rundlichen Kuppenformen im Gneis- und Granitgebiet neigt der Porphyr, der zu verschiedenen Zeiten der Erdgeschichte da und dort im Schwarzwalde als Eruptivmasse zutage trat, zur Bildung von schroffen Felswänden und von steil aufragenden Kegelspitzen, die sich vielerorts im Landschaftsbilde ganz bestimmt hervorheben. Der Buntsandstein bildet eine im Norden bis zu 400 m mächtige Decke über dem Grundgebirge; die meisten seiner Schichten liefern bei der Verwitterung lockeren Schutt und Sand — trefflichsten Waldboden —, in welchem die Trümmer festerer Horizonte als große Blöcke in sogenannten Felsmeeren regellos angehäuft liegen bleiben. Den Muschelkalk finden[S. 20] wir, abgesehen vom Ostrand des Gebirges, längs der Rheinebene in kleineren Schollen, und im Süden, am Dinkelberg zwischen Säckingen und Basel, in ansehnlicher Verbreitung. Seine Mergel geben fruchtbare Lehmböden, er ist der Spender von Gips und Steinsalz. Keuper, Jura und Tertiärbildungen treten, wie schon erwähnt, nur in geringer Verbreitung auf, diluviale Kiese, Sande und Tone füllen die Rheinebene und die meist weiten Mündungstrichter der westlichen Schwarzwaldtäler. Die höheren Gebirgsteile weisen in ziemlich weiter Ausdehnung typisch ausgebildete Grundmoräne und Endmoränen mit gekritzten Geschieben und erratischen Blöcken, Moränenseen sowie fluvioglaziale Terrassen auf; wir werden diese interessanten Eiszeitspuren noch da und dort genauer kennen lernen. Der Löß endlich bedeckt teilweise in großer Mächtigkeit den Fuß des Gebirges, besonders am Rande der Rheinebene (Abb. 5); das Vorhandensein dieser durch das Wehen trockener Winde bedingten Bildung ist ein Beweis dafür, daß zwischen den Hauptperioden der Eiszeit und nach ihrem Ende in unseren Gegenden Steppenklima herrschte. Im Löß finden wir die Überreste der großen diluvialen Säuger, aber auch des Ren, und daneben die ältesten Menschenspuren der Rheinebene und ihrer Umrandung. Heute sind die Lößböden als wertvolle Rebgelände und Ackerböden von allerhöchster Bedeutung.

Abb. 19. Strohflechterin im Herrgottswinkel.
Nach einer Photographie von M. Ferrars in Freiburg. (Zu Seite 44.)

III. Klima und Bewässerung.

Wind und Wärme.
D

ie Ausdehnung des Schwarzwaldes ist zu gering, als daß der Unterschied der geographischen Breite zwischen den südlichen und nördlichen Gebirgsteilen einen Gegensatz der klimatischen Verhältnisse bedingen könnte. Ebenso vermag die schmale[S. 21] Ostwestausdehnung sich nicht in dem Sinne wirksam zu machen, daß etwa aus ihr heraus eine kontinentale Seite des Gebirges einer ozeanischen sich gegenüberstellen ließe. Und doch sind Ost- und Westseite klimatisch grundverschieden. Die Ursache hiervon liegt aber durchaus in der Lage der Gebirgserhebung zu den Hauptwindrichtungen. Diese wehen nördlich der Alpen entweder von Südwest und West oder von Nordost, und ihnen stellt sich in jedem Falle der Schwarzwald mit seiner vorherrschend meridionalen Richtung in den Weg, so daß dem Westgehänge überwiegend warme und wasserdampfreiche Luftströmungen zufließen, der Ostseite aber trockene, die besonders in den kälteren Jahreszeiten sich durch empfindlich niedere Temperaturen auszeichnen. Dem Westen bleiben diese rauhen Kontinentalwinde zu allermeist erspart, und entsprechend ist dem Osten der Zugang der milden Westwinde versperrt. Verschärft wird dieser Gegensatz noch ganz wesentlich durch den Umstand, daß, wie wir sahen, der Ostrand des Gebirges viel höher gelegen ist als der Westrand, welcher über der klimatisch meistbegünstigten Landschaft Deutschlands, der Oberrheinischen Tiefebene, ansteigt.

Abb. 20. Schwarzwälder Glasarbeiten. Aus der Sammlung Spiegelhalter.
Nach einer Photographie von M. Ferrars in Freiburg. (Zu Seite 45.)

Wärmeverhältnisse.

Was die Wärmeverhältnisse betrifft, so ist unser Gebiet, das der ausgedehnten Übergangprovinz Europas vom ozeanischen zum Landklima angehört, rund um 4° C wärmer, als es der Durchschnittstemperatur seiner Breitenlage entspricht. Aus langjährigen Beobachtungen ergeben sich als Normaltemperaturen der einzelnen Höhenstufen des Schwarzwaldes:

Meereshöhe
Mitteltemperatur ° C
m
Winter
Frühling
Sommer
Herbst
Jahr
 200
 1,5
10,4
19,4
10,4
10,5
 400
 0,9
 9,2
18,2
 9,5
 9,5
 600
 0,3
 8,0
17,0
 8,6
 8,5
 800
–0,4
 6,8
15,8
 7,7
 7,5
1000
–1,0
 5,6
14,6
 6,8
 6,5
1200
–1,7
 4,4
13,4
 5,9
 5,5

[S. 22]

Diese Zusammenstellung zeigt vor allem die mit der Höhe zunehmende Bevorzugung des Herbstes vor dem Frühling, welch letzterer im eigentlichen Gebirge wegen der späten Schneeschmelze wesentlich kühler ist als der Herbst, der sich häufig mit schönen Sonnenscheintagen aufs angenehmste bis tief in den November hinein geltend macht.

Von diesen Normalwerten ergeben sich im einzelnen je nach den Lageverhältnissen bedeutende Abweichungen. So ist z. B. Villingen (708 m) auf der Ostseite des Schwarzwaldes im Verhältnis zu seiner Höhenlage in den vier Jahreszeiten nach obiger Reihenfolge und im Jahr zu kalt um 1.8‒0.7‒0.5‒0.9‒1.0°, Freiburg am Westfuß (272 m) zu warm um 0.9‒0.7‒1.0‒1.0‒0.9°. Nicht leicht könnte der Gegensatz zwischen dem östlichen und westlichen Schwarzwald deutlicher vor Augen geführt werden.

Abb. 21. Einzige Darstellung des alten Schwarzwälder
Hausierers. Krug vom Jahre 1806 in der Schwarzwaldsammlung
der Stadt Freiburg. Nach einer Photographie von M. Ferrars
in Freiburg. (Zu Seite 45.)

Abb. 22. Alte Schwarzwalduhr vom Jahre 1670.
Aus der Schwarzwaldsammlung der Stadt Freiburg.
Nach einer Photographie von M. Ferrars in Freiburg.
(Zu Seite 45.)

Im äußersten Falle steigt die Wärme in Karlsruhe, am Rande der Rheinebene, auf 37 ° C, in Villingen auf 32°, in dem 1004 m hoch und nach allen Seiten frei gelegenen Höhenschwand auf 29°, während die entsprechenden niedersten Werte -27, -33, -23° C sind. Gegenüber der hohen Sommerwärme in der Rheinebene und der exzessiven Winterkälte auf der östlichen Hochebene erweist sich hiernach der eigentliche hohe Schwarzwald als eine Landschaft, in welcher die Wärmegegensätze nicht allzu schroff sind.

Temperaturumkehr.

Der Winter ist auf den Höhen mehr durch seine langdauernde Schneedecke (Abb. 6, 7 und 8) und die hierdurch bedingte Schwierigkeit des Verkehrs lästig als durch übermäßige Kälte. Die freien Höhen erfreuen sich viel häufiger, als[S. 23] man das in den Niederungen ahnt, der winterlichen Temperaturumkehr, bei welcher es in höheren Lagen wärmer ist als in niedrigeren, besonders in muldenartigen Eintiefungen von größerer räumlicher Ausdehnung, wo sich bei hohem Luftdruck und dauernder Windstille die kalten, schweren Luftmassen ungestört ansammeln und nur schwierig einen Abfluß verschaffen können.

Abb. 23. Schwarzwälder Uhrmacher.
Nach einer Photographie von M. Ferrars in Freiburg. (Zu Seite 45.)

An den sanften Böschungen der frei aufragenden Erhebungen strömt die kalte, schwere Luft fast unmerklich langsam ab und gelangt mit beinahe unveränderter Temperatur in die Tiefen. Zu ihrem Ersatz sinken die oberen Luftschichten rasch vertikal abwärts, wobei sie sich stark verdichten, erwärmen und gleichzeitig ihre relative Feuchtigkeit ganz wesentlich vermindern. Daher haben wir oben ansehnliche Luftwärme, die unter dem herrlichsten blauen Himmel tagsüber durch die Wirkung der Strahlungswärme am Boden noch bedeutend gesteigert wird; gleichzeitig erfreuen wir uns der entzückendsten Klarheit der Luft, die uns die wunderbarsten Fernsichten gestattet. Unten in den Niederungen dagegen herrscht gleichzeitig meist grimmige Kälte unter bleierner Nebeldecke, die bei den Bewohnern der Tallandschaften meist nicht ahnen läßt, daß weiter oben der Winter so gut wie wirkungslos ist. Dieses Hochdruckswetter mit Temperaturumkehr ist in unserer Gegend erst seit dem strengen Winter 1879/80 allgemeiner bekannt geworden. Wie in solchem Falle die Wetterlage sich gestaltet, mag ein Beispiel veranschaulichen. Die mittlere Tagestemperatur war 1898 am

16.
Januar:
in
Höchenschwand
+3,9°,
in
Karlsruhe
-2,0°
17.
+2,7°,
-3,3°
18.
+1,9°,
-3,8°
19.
+2,7°,
-3,9°
20.
+3,9°,
-0,6°

[S. 24]

Der Unterschied steigt also bis auf 6,6° an. Noch bezeichnender ist folgende Zusammenstellung aus dem Jahre 1888:

 
Monatsmittel
des Dezember, ° C
18. Dezember
 
Normal
1888
Größte
Wärme,
° C
Niedrigste
relative
Feuchtigkeit
Todtnauberg, 1022 m
–1,4
+3,3
+11,1
25%
Schopfheim, 385 m
–0,9
–0,4
+ 1,9
74%
Karlsruhe, 127 m
+0,8
+0,2
– 2,5
78%

In neuerer Zeit hat sich nicht zum wenigsten auch unter der Einwirkung der Wärmeumkehr ein lebhafter Winterhöhensport, besonders der des Schneeschuhlaufens, mächtig entwickelt, und die früher monatelang vereinsamten Berggasthäuser haben jetzt vom Dezember zum März vielfach mehr Besuch als vor zwei Jahrzehnten noch im Juli und August.

Abb. 24. Stickereien vom Schwarzwald. Aus der Sammlung Spiegelhalter.
Nach einer Photographie von M. Ferrars in Freiburg. (Zu Seite 46.)

Niederschläge.

Die Niederschlagsmenge im Schwarzwald und seiner Umgebung nimmt wie überall mit dem Ansteigen nach oben bedeutend zu. Sinkt sie im Wind- und Regenschatten der Vogesen und des Hartgebirges in der Rheinebene, z. B. in der Gegend von Colmar und im Kaiserstuhlgebirge, auf rund 500 mm im Jahre herab, so wächst sie unter dem Einfluß der vorherrschenden Südwest- und Westwinde mit der Annäherung an das Gebirge auf 800 und 900 mm und nimmt in der Umgebung der höchsten Gipfel um so rascher zu, je steiler und unmittelbarer[S. 25] sich diese aus der Ebene erheben. So haben wir in der Höhenregion des südlichen Gebirgsteiles 1800 mm und mehr, in der Hornisgrindengegend über 1600 mm jährliche Niederschlagsmenge, im mittleren Schwarzwald aber nur etwas über 1400 mm; an der Ostabdachung, im Gebiete stärkerer und häufigerer Ostwinde, sinkt die Regenmenge wieder rasch auf 700 mm und weniger herab. Von diesem Mittelwerte stellen sich gelegentlich starke Abweichungen ein. So hatte der Feldberg 1892: 2523, 1891 aber nur 1584 mm. Etwa die Hälfte aller Tage des Jahres bringen Niederschlag. Die Hauptmenge desselben fällt in den wärmeren Jahreszeiten, während der Winter als relativ trocken bezeichnet werden kann. Im Zusammenhang mit dem im Winter ziemlich häufigen Hochdruckswetter erklärt sich hieraus auch, daß das schönste Zeichen klarer Luft, die Alpenfernsicht, im Sommer an 13, im Frühling an 22, im Herbst an 28, im Winter endlich an 41% aller Tage erwartet werden darf.

Abb. 25. Männertracht des
neunzehnten Jahrhunderts.

Abb. 26. Alte Frauentracht im
Hohen Schwarzwald.

Abb. 27. Frauentracht im Hohen
Schwarzwald.

Aus der Sammlung Spiegelhalter. Nach Photographien von M. Ferrars in Freiburg. (Zu Seite 46.)

Regen und Schnee.

Umfaßt die Zeit vom ersten bis zum letzten Schneefall eines Winters am Rand der Rheinebene im Mittel 140 Tage, so steigt sie am Feldberg auf 246 Tage an (22. September bis 26. Mai), und die Schneedecke, welche da oben bis 2,6 m mächtig wird und an steilen Gehängen ganz prachtvolle Wächten bildet (Abb. 9), dauert natürlich mit Unterbrechungen im Herbst und Frühwinter rund 200 Tage; in karartigen Nischen des hohen Gebirges, die der Sonnenstrahlung unzugänglich sind, schmilzt der letzte Schnee manchmal erst Ende Juli.

Die Bewässerung.

Die so stark schwankende Niederschlagsmenge ist in Verbindung mit der geologisch bedingten Veränderlichkeit in der Durchlässigkeit des Bodens eine der[S. 26] bestimmendsten Ursachen für die Menge und räumliche Verteilung des fließenden Wassers. So erklärt es sich, daß die Flußdichte, d. h. die Länge der Wasserläufe, auf die Flächeneinheit bezogen, am Westabhange des Schwarzwaldes viermal so groß ist als am Ostabhang. Der abtragenden und zerstörenden Wirkung des fließenden wie des abspülenden Wassers ist also auf der dem Rhein zugekehrten Seite des Gebirges ein viel größerer Spielraum gewährt, woraus es sich wesentlich mit erklärt, daß diese Westseite reicher gegliedert und in ihrem Relief mannigfaltiger gestaltet ist als die Ostseite. Daß viele Wasserläufe der Westseite ihre Quellregion an den Ostabhang der Haupterhebungen vorgeschoben haben und ihre Täler im Oberlauf als Durchbruchstäler erscheinen lassen, ist mit auf diese Ursache zurückzuführen. Auf diese Weise wird der scheinbar unregelmäßige Verlauf der hauptsächlichsten Wasserscheiden, das Überspringen derselben von einem Kammstück auf ein anderes verständlich. Am interessantesten in dieser Hinsicht ist der Anteil des Schwarzwaldes an der europäischen Hauptwasserscheide zwischen Rhein und Donau oder Nordsee und Mittelmeer.

Abb. 28. Bauernhäuser des siebzehnten, achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts.
In der Mitte der Rauferhof (bei Lenzkirch) vom Jahre 1686.
Nach einer Photographie von M. Ferrars in Freiburg. (Zu Seite 46.)

Während die Wutach vom Feldberg erst weit nach Osten fließt, um dann bei Achdorf nach Südwesten umzubiegen, und während auch die Nebenflüsse der Kinzig, nämlich Gutach und Schiltach, ihre Quellgebiete östlich von bedeutenden Hauptkämmen des mittleren Schwarzwaldes liegen haben, drängt sich zwischen diese Flußsysteme das der Donau stark nach Westen, so daß die vorgeschobensten Punkte, von denen das Wasser dem Schwarzen Meer zueilt, vom Rand der Rheinebene keine zwanzig Kilometer entfernt liegen. Eigentlichen Gebirgskämmen von ansehnlicher Höhe folgt diese Wasserscheide nur auf der ziemlich kurze Strecke vom Höchst bei Neustadt bis zur Sommerau über Triberg, vorher und nachher ist sie mancherorts kaum nachweisbar, so unmerklich zieht sie über einförmige Hochflächen von verschwindend kleiner Neigung.

[S. 27]

IV. Pflanzengeographisches.

A

ls ursprüngliche Vegetationsform des Schwarzwaldes im großen und ganzen ist für die Zeit, in welcher der Mensch zuerst anfing, die natürlichen Verhältnisse des Gebietes zu beeinflussen, ebenso wie im übrigen nordalpinen Europa der Wald zu betrachten. Aber selbstverständlich ist heutzutage, nachdem zahlreiche Generationen von Bewohnern über unsere Landscholle hingegangen sind, die Dichte und Art der Bewaldung im einzelnen nicht nur von der Höhe, Bodenform und Bodenbeschaffenheit, vom Klima und der Bewässerung abhängig, sondern auch von der Dauer und Intensität der menschlichen Besiedlung. Wenn nun in Baden 37% und in Württemberg 31% der Landesfläche bewaldet erscheinen, so sind das schon recht hohe Werte. Unser Gebirge ist aber noch wesentlich besser daran.

Sind doch von dem Buntsandsteingebiet seines Nordens und Ostens 60 bis 65% der Fläche bewaldet, am Westabhang und im Zentrum 40 bis 45%, während in der Muschelkalkzone des Ostens die Waldfläche auf 35 bis 25% des Areals herabsinkt. Den Verwitterungsböden des Buntsandsteins mit der, wie oben angegeben, stärksten Waldbedeckung kommen die des Granites mit etwa 50%, des Gneises mit rund 45% noch ziemlich nahe; alle anderen Bodenarten bleiben hinter diesen Anteilwerten mehr oder weniger stark zurück.

Abb. 29. Wollspinnerinnen im Herrgottswinkel.
Nach einer Photographie von M. Ferrars in Freiburg. (Zu Seite 46.)

Der Wald.

Im Osten mit seinen breiten und die Talauen meist nur wenig überragenden Höhenzügen sind im allgemeinen nur diese waldbedeckt, während sich am Wasser weite Feld- und Wiesenfluren ausdehnen. Im höheren Schwarzwald steigen die Waldungen vom Rande des Rheintales ab an den Vorhügelreihen, den Talwänden und Berglehnen, vielfach durch Auenland unterbrochen, zu den Wasserscheiden[S. 28] hinauf, deren höchste Kuppen im Süden von etwa 1350 m ab über die Baumgrenze aufragen, während flache Hochmoore gelegentlich noch die Krummholzkiefer (Legföhre) gedeihen lassen.

Abb. 30. Waldkapelle.
Nach einer Photographie von M. Ferrars in Freiburg. (Zu Seite 46.)

Im Gebiet dichterer Bevölkerung ist der Wald zu den obersten Hängen hinaufgedrängt; wo tief und eng gefurchte Täler vorherrschen, da deckt er alle felsfreien Stellen der Gehänge bis zum Bachufer und überläßt den Menschen die Hochebene zu Anbau und Siedlung. Steilheit, Bewässerung und Exposition der Böschungen bedingen im kleinen die mannigfachsten Verschiedenheiten in Lage und Ausdehnung der Gebirgswaldungen.

Zu 75% ist der Schwarzwald mit Nadelholz, zu 25% mit Laubholz bestockt, doch so, daß mehr als die Hälfte des Ganzen als Mischwald bezeichnet werden muß. Esche, Ahorn, Ulme, Pappel, Birke, Akazie treten kaum waldbildend auf, die zahme Kastanie bildet an den milden Vorhügeln des Westfußes ab und zu kleinere Komplexe und reift köstliche Früchte, die Erle bewaldet nasse Talböden, die Eiche kommt in der Vorhügelzone gelegentlich waldbildend vor, häufiger aber tritt sie, besonders im mittleren und nördlichen Gebirgsteile bis zu einer Höhe von 700 m als Schälwald und in den Reutefeldern auf, die in mehrjährigen Perioden durch Abbrennen vorübergehend dem Anbau von Getreide dienstbar gemacht werden. Der verbreitetste Laubholzbaum ist in reinen wie gemischten Beständen die Buche, die an vielen Orten bis zur Baumgrenze, ja gelegentlich sogar höher aufsteigt als das Nadelholz, freilich nur noch verkümmert und von den Südweststürmen windschief nach Nordosten gebogen.

Am Nadelwald (Abb. 10) beteiligen sich abgesehen von der Lärche und Weymutkiefer und außer der Legföhre der sumpfigen Hochmoore zu allermeist die Fichte oder Rottanne, dann die Edel- oder Weißtanne, endlich die Kiefer. Die Fichte steigt im ganzen Gebiet bis über 1200 m und zwergartig bis zur Baumgrenze auf, die Weißtanne ist besonders in den westlichen Gebirgsteilen, die Kiefer auf dem Buntsandstein häufig.

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Bedeutung des Waldes.

Indem der Wald an den Gehängen überall den Boden befestigt und so die Entblößung des nackten Felsgesteines verhindert, indem er die Schneeschmelze reguliert, die Quellbildung und den Wasserablauf möglichst gleichmäßig auf alle Zeiten des Jahres verteilt und so die Hochwassergefahr vermindert, ist er, ganz abgesehen von dem Bargewinn einer rationellen Holzwirtschaft, die in Baden jährlich mehr als zwanzig Millionen Mark ergibt, von unberechenbarster Bedeutung. Die ausgedehntesten Waldungen besitzen der Staat, einzelne Städte, wie Freiburg, Baden und Villingen, ferner zahlreiche kleinere Gemeinden, viele Stiftungen und Großgrundbesitzer, wie z. B. der Fürst von Fürstenberg, sowie endlich die schon seit dem achtzehnten Jahrhundert bestehende Murgschifferschaftsgesellschaft (s. unten). Die Waldkultur und Holzverarbeitung jeglicher Art beschäftigt viele Kräfte. Sägemühlen gehören im Schwarzwalde zu den meist charakteristischen Erscheinungen. Die einst viel geübte Flößerei hat beinahe ganz aufgehört, seit das dichte Straßennetz und die Eisenbahnen die ihr einst gestellte Aufgabe erfüllen.

Was der Wald im Landschaftsbild bedeutet, was er Tausenden von Erholungsbedürftigen und Frieden Suchenden an Erquickung, Trost und Erhebung spendet, das empfinden wir alle dankerfüllt. Was er gerade ob dieses zunächst freilich nur psychologisch zu messenden Wertes für die moderne Welt geworden ist, das spielt allerdings auch in unserem neuzeitlichen Wirtschaftsleben mit seiner hochentwickelten Fremdenindustrie eine hochwichtigte Rolle.

Abb. 31. Grabkreuze.
Nach einer Photographie von M. Ferrars in Freiburg. (Zu Seite 46.)

Viehzucht und Ackerbau.

Mit der zunehmenden Besiedlung ist natürlich seit Jahrhunderten vom ursprünglichen Waldareal ein gut Teil gerodet worden; die Orts- und Flurnamen Rütte und Reute und ihre Verbindungen, ebenso Schwand, Schwende, Schweine deuten an sehr vielen Stellen auf die einst bei weitem größere Waldverbreitung hin. Wo auf den Höhen der Ackerbau (Abb. 12) nicht mehr lohnt und regelmäßige Wiesenwässerung undurchführbar ist, da dehnen sich weitum grüne, im Frühsommer[S. 30] blumengeschmückte Weideflächen aus, die, solange es die Jahreszeit erlaubt, großen Viehherden als Tummelplatz dienen. Der regelmäßige Ackerbau ragt bis zu 1000 m Meereshöhe auf, ja an manchen Stellen finden sich in der Umgebung der am weitesten nach oben vorgeschobenen Bauernhöfe und Tagelöhnerhäuschen noch bei 1200 m spärliche Hafer- und Kartoffeläcker. Daß aber in solchen Höhen der ausschließliche Feldbau nicht mehr lohnt, ist selbstverständlich; daher spielt auf dem Schwarzwalde die Viehzucht, gestützt auf großen Weide- und Wiesenbesitz, eine viel wichtigere Rolle, und neben ihr die Waldarbeit und Industrie, ohne welche viele Existenzen durch die Kargheit der Natur schwer gefährdet wären.

Viele Bergweiden, auch Wiesen und Ackerland manches allzu rauh gelegenen Bauerngutes sind seit der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts vom Staate angekauft und aufgeforstet worden, so daß wir inmitten eines dicht bevölkerten Gebietes, das im allgemeinen den Boden immer intensiver auszunutzen gezwungen ist, die Waldfläche stetig sich vergrößern sehen. Um etwa 14% ist sie gegenüber dem Bestand von 1850 gewachsen, ein Umstand, der von manchem als wirtschaftlich unerfreulich hingestellt wird, der aber zweifelsohne als eine Verbesserung gelten muß, wenn man die dürftigen Zustände erwägt, unter welchen die durch die Aufforstung zu Orts- und Berufsänderung veranlaßten Bergbewohner einst gelebt haben.

Neben dem nicht sehr ausgedehnten Getreidebau — eigentlicher Großgrundbesitz fehlt fast ganz — ist die Anpflanzung von Kartoffeln im Schwarzwalde wichtig, Handelsgewächse (Tabak, Zichorie, Raps) haben nur in den tiefgelegenen, milden Tälern des Westens Bedeutung; dagegen ist der Obstbau von Belang. Unter dem Steinobst kommt den Kirschen ein ganz besonders hoher Wert zu; zahlreiche Gemeinden gewinnen durch großartigen Versand von frischen Kirschen, aber auch Pflaumen, Zwetschgen, Mirabellen usw., alljährlich viele tausend Mark, ganz abgesehen von der Edelbrauerei des berühmten Schwarzwälder Kirschen- und Zwetschgenwassers. Der herrliche Nußbaum ist einer der verbreitetsten Charakterbäume, und daß die Edelkastanie da und dort noch fast waldbildend auftritt, ist schon erwähnt worden.

Abb. 32. Viadukt bei Fützen.
Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg. (Zu Seite 52.)

[S. 31]

Abb. 33. Waldshut. Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 53.)


GRÖSSERES BILD

Den Waldbewohnern geben die massenhaft verbreiteten Heidelbeeren und die auf rauhere Höhen beschränkten Preißelbeeren erfreuliche, von Jahr zu Jahr[S. 32] wachsende Einnahmen; aus der großen Erdbeerkultur in Staufenberg bei Gernsbach im Murgtal kommen während des Sommers viele Eisenbahnwagen voll der köstlichen Früchte zur Versendung nach allen Richtungen.

Weinbau.

Von unschätzbarer Bedeutung für das Wirtschafts- und Kulturleben des Schwarzwaldes ist der Weinbau (Abb. 11). Bis über 400 m hoch steigt von Süden und Westen her die edle Rebe aufwärts; sie wird sorgfältig gepflegt und gibt zwar schwankende, aber im Durchschnitt doch lohnende Ernten. Das Rheintal von Waldshut bis Basel, das Markgräflerland von hier bis Staufen, die Gegend von Freiburg, das Glottertal, das untere Kinzigtal, die Offenburger Gegend, die Landschaft von Bühl, sie alle geben zum Teil ganz vortreffliche Weinsorten. Markgräfler, Glottertäler, Durbacher, Klingelberger, Mauerwein, Affentaler und manche andere sind mit Recht weitum berühmt als freundliche Tröster im Ernst des Lebens und als bewährte Sorgenbrecher.

Abb. 34. Hotzenhaus in Bergalingen.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 54.)

Die Flora.

Den vielen Freunden der scientia amabilis mag es erwünscht sein, einiges wenige über das Vorkommen seltener oder besonders interessanter Kinder Floras zusammengestellt zu finden. Man unterscheidet im Schwarzwalde bis zu 850 m, an welcher Höhenlinie von unten her der Kirschbaum und von oben her das Bergwohlverleih (Arnica) ihre Grenzen finden, eine untere Bergregion, bis zu 1300 m, wenig unter der Baumgrenze, eine obere und darüber die Voralpen- oder die subalpine Region, welche nur noch den Feldbergstock und die Belchenkuppe umfaßt.

Florengebiete.

Während Nadelholzwälder auf trockenem Sandboden meistens fast frei von Unterholz und Krautpflanzen sind, findet sich am Boden feuchter Wälder eine um so üppigere Vegetation. Adenostyles albifrons (Alpendost) und Mulgedium alpinum (Alpenmilchlattich) finden sich hier häufig mit dem blauen und gelben Eisenhut (Aconitum), mit dem Wald- und Alpenfrauenfarn (Athyrium filix femina und alpestre), den Schildfarnarten Aspidium spinulosum, lobatum und Braunii, alle häufig zu wahren Riesenexemplaren entwickelt. Dazwischen bildet der große, mit den Bächen in die Täler hinabsteigende Ranunculus aconitifolius (eisenhutblätteriger Hahnenfuß) eine willkommene Abwechslung.

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Zwischen Felsblöcken beherbergen feuchte, moosige Waldstellen an schönen Orchideen gelegentlich Listera cordata (herzblätteriges Zweiblatt) und Coralliorrhiza innata (eingewachsene Korallenwurz). Ähnliche Standorte liebt Trientalis europæa (Siebenstrahl); in Gesellschaft von Maianthemum bifolium (Schattenblümchen) finden sich mehrere Pirola-Arten (Wintergrün), darunter Pirola uniflora. Dem Feldberg ist eigen Streptopus amplexifolius (stengelumfassender Knotenfuß), während Empetrum nigrum (Almenrausch) im südlichen Schwarzwald nur am Belchen vorkommt, im nördlichen dagegen häufiger ist.

Abb. 35. Kindertracht des Hotzenwaldes.
Nach einer Photographie von M. Ferrars
in Freiburg. (Zu Seite 54.)

Auf Bergwiesen und Weiden herrscht in der Blütenzeit strahlende Farbenpracht. Da duftet im Juni und Juli die leuchtend gelbe Arnica montana (Bergwohlverleih), wir finden die großblütige Glockenblume (Campanula Scheuchzeri), das Bärkraut (Meum athamanticum, seltener Meum mutellina), ferner das Leinblatt (Thesium montanum und alpinum).

Abb. 36. Hotzenhof in Hottingen. Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 54.)

An Orchideen gehören hierher Gymnadenia albida (Nacktdrüse) und von der Platanthera (Waldhyazinthe) die Arten montana und bifolia. Dazu kommt noch die Kugelorchis (Orchis globosa), sowie[S. 34] auf feuchten Bergwiesen nicht allzu selten Geum rivale (Ufernelkenwurz) und Trollius europæus (Trollblume).

Florenregionen.

Wir sind hiermit in die obere Bergregion eingetreten, in welcher Höhenstufe die Schwarzwälder Hochmoore liegen, im Süden seltener, im Norden und Nordosten auf den fast ebenen Buntsandsteinbänken ausgedehnter. Die Legföhre oder Latsche (Pinus pumilio) findet sich in der Feldberg-Umgebung nur am Schluchsee, während sie an der Hornisgrinde, auf dem Holoh usw. häufig auftritt. Allgemeiner kommt die Hackenkiefer (Pinus uncinata) vor. Als Leitgewächs der Moorlandschaften kann das Wollgras (Eriophorum vaginatum, seltener alpinum) gelten. Auf Torfmoos- (Sphagnum-) Polstern haben sich verschiedene Arten des insektenfressenden Sonnentaues angesiedelt, so Drosera rotundifolia, anglica, intermedia und Bastarde unter ihnen. Dazwischen liegen die fadenförmigen Stengel der Moosbeere (Vaccinium oxycoccos), und von Bärlapparten kriecht das seltene Lycopodium inundatum am Boden hin. Sumpffettblatt (Sedum villosum), Sumpfheide (Andromeda polifolia) sind selten, während das Fettkraut (Pinguicula vulgaris) häufiger ist. Trockenere Stellen lieben die Sumpfheidelbeere (Vaccinum uliginosum) und das Heidekraut (Calluna vulgaris). Riedgräser (Carices) kommen reichlich vor, und Erwähnung verdienen hier noch Comarum palustre (Sumpffingerkraut), Phyteuma nigrum (schwarze Rapunzel), Parnassia palustris (Sumpfherzblatt), Menyanthes trifoliata (dreiblätteriger Fieberklee).

Die subalpine Schwarzwaldflora, deren seltene Vertreter zumeist an abgelegenen, schwer zugänglichen Stellen der höchsten Bergregion nur mühsam gefunden werden können, ist das Lieblingskind unserer Botaniker. Ganz vereinzelte Vorkommnisse sind meist nur wenigen Auserwählten bekannt, und ihre Standorte werden ebenso geheim gehalten wie einige künstliche Hegungen von Alpenrosen, alpinen Steinbrecharten und anderen dem Mittelgebirge an sich fremden Gästen, die von Freunden solcher Versuchspflanzungen aus den nahen Schweizerbergen gebracht worden sind.

Auf den höchsten kahlen Gebirgskämmen bildet Borstengras (Nardus) eine dünne Bodendecke, von Geröllschutt, Heidelbeerbüschen und Heidekraut unterbrochen. Gnaphalium supinum (Ruhrkraut), findet sich nur, und zwar selten auf dem Feldberg. Weiterhin mögen Saxifraga aizoon und stellaris (Steinbrech), Primula auricula (Aurikel), von Kryptogamen der Schildfarn (Aspidium montanum und lonchitis), das Zwergbärläppchen (Selaginella selaginoides), der Alpenbärlapp (Lycopodium alpinum) als besonders interessant genannt werden, ebenso das Goldfingerkraut (Potentilla aurea) und der bei den Viehhütten verbreitete Alpenampfer (Rumex alpinus). Der gelbe Enzian (Gentiana lutea), der Türkenbund (Lilium martagon), die Bergflockenblume (Centaurea montana), die dornenlose Rosa alpina, seltene Hieracium- und Crepis-Arten (Habichtskraut, Pippau) erregen unser Interesse nicht minder als der Alpenlattich (Homogyne alpina), die Gänseblümchenaster (Aster bellidiastrum) und am Rande der erst im Hochsommer schmelzenden Schneefelder das Alpenglöckchen (Soldanella alpina). Schließlich mögen noch Erwähnung finden Sweertia perennis (ausdauernder Tarant), Bartschia alpina, Campanula pusilla, Alchemilla alpina (Alpenfrauenmantel), Allium victoriale (Siegwurz), Silene rupestris (Felsenleinkraut).

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Abb. 37. Laufenburg. Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg. (Zu Seite 55.)


GRÖSSERES BILD

Diese so interessante Reliktenflora aus der Eiszeit weist auf einstige Beziehungen zu den Florengebieten der Alpen hin, und es erscheint auch wohl begreiflich, daß sie viel Gemeinschaftliches mit den Hochvogesen hat. Manche Einzelheit ist aber doch nicht aufgeklärt. Warum fehlt z. B. die Soldanella in den Vogesen, und warum sind die hier ansehnlich verbreiteten Arten Anemone alpina und narcissiflora, Viola alpestris, Androsace carnea dem Schwarzwalde fremd? Vielleicht ist es berechtigt, die Vogesen noch lange nach ihrer orographischen Trennung vom Schwarzwalde als im floristischen Ausstrahlungsgebiet der Pyrenäen gelegen anzunehmen, während für unser Gebirge die Annahme einer derartigen Verbindung nicht zulässig erscheint. Wie dem auch sei — der Wanderer, der auf unsern Höhen nicht acht[S. 36]los Fuß vor Fuß setzt, wird viel Befriedigung daran finden, wenn er seinen Blick nicht nur in die Ferne schweifen läßt, sondern auch dem Nächsten, was sein Auge trifft, den zarten Kindern Floras, freundliche Aufmerksamkeit schenkt, und das um so mehr, als er unter ihnen wirklich seltene und in ihrer eigenartigen Verbreitung höchst beachtenswerte Erscheinungen treffen kann, wenn er nur mit dem nötigen Eifer und einigem Geschicke sucht und gelegentlich sich das Abweichen von den gebahnten Wegen der Allgemeinheit nicht verdrießen läßt.

V. Die Bevölkerung des Schwarzwaldes.

Bevölkerung bis zur Römerzeit.
D

ie Ortslagen prähistorischer Fundstätten gestatten ziemlich sichere Schlüsse über die Besiedlungsgeschichte des Schwarzwaldes. Aus der älteren Steinzeit stammen die im Löß der Rheinebene bei Munzingen, im Keßlersloch bei Schaffhausen und am Schweizersbild ebendaselbst gefundenen, zum Teil unveränderten, zum Teil bearbeiteten Renknochen und -geweihe, sowie Steinwerkzeuge, Tonscherben und Holzkohlen. Neben diesen zeitlich ersten Spuren des menschlichen Daseins nahe dem Schwarzwaldrande sind die zahlreicheren Reste aus der jüngeren Steinzeit und der älteren Metallzeit bedeutungsvoll, die aus den Pfahlbauten nicht nur des Bodensees, sondern auch aus denen der Baar auf uns gekommen sind, jener Hochfläche an der jungen Donau, deren ausgedehnte Ried- und Moorbildungen für Pfahlbauniederlassungen gut geeignet erscheinen mußten. Waffen, Geräte und Schmucksachen derselben Art wie in den Pfahlbauten, aber fern von solchen gefunden, z. B. bei Unadingen im Westen von Donaueschingen, bei Istein unfern Basel, bei Ettlingen in der Karlsruher Gegend, sind beweiskräftig für die Auffassung, daß die jüngere Steinzeit den Schwarzwaldrand besiedelt sah, und zwar von einem Volke mit nicht zu verachtendem Kulturbesitz. Welcher Rasse dasselbe angehörte, wird nicht mit Bestimmtheit zu sagen sein, und auf Hypothesen einzugehen, ist hier nicht der Ort.

Die vorrömische Metallzeit, die wir aus Ringwällen, Hochäckern, Urnenfeldern, Flach- und Hügelgräbern kennen, läßt uns in der geographischen Verbreitung ihrer nicht seltenen Spuren den Fuß und die Vorhöhenzone des Gebirges fast in seiner ganzen Grenzlänge verhältnismäßig dicht besiedelt erscheinen; wir finden die Bewohner dieser Zeit, die wir als Kelten bezeichnen, vergleichsweise hoch entwickelt nach der Art, wie sie Ackerbau, Viehzucht, Gewerbe, Handel und Verkehr trieben. Beim Eindringen der Römer sehen wir die Kelten zum größten Teil durch jene Germanen vertrieben, die unter Ariovist durch Cäsar vom linken auf das rechte Rheinufer zurückgedrängt worden waren, aber bald nachher mit Marbod nach Nordosten abzogen, um der drohenden römischen Vergewaltigung zu entrinnen.

So war, als die Römer anfingen, sich häuslich im Lande einzurichten, dessen Bewohnerzahl sehr gering. Doch bestand damals schon der Gegensatz zwischen einer kleinen, brünetten, schwarzhaarigen, dunkeläugigen Rasse und einer großen, blonden hellhäutigen, blauäugigen. In der ersteren erkennen wir unschwer die verscheuchten Keltenreste, die soweit als möglich in die Täler des Gebirges eingedrungen waren und so den Grundstock zur späteren eigentlichen Schwarzwaldbevölkerung abgeben konnten, in der anderen die Germanen.

[S. 37]

Abb. 38. Säckingen. Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg. (Zu Seite 55.)


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Römische Reste in großer Zahl geben Kunde von den zum Teil glanzvollen Niederlassungen der südlichen Eroberer, die bis ins vierte Jahrhundert hinein in unseren Gebieten weilten. Längs der Heerstraße von Vindonissa (Windisch) an der Aare nach Arae Flaviae (Rottweil) am Neckar, die den Rhein bei Zurzach überschritt, dann im oberen Rheintal von Waldshut bis Basel, am westlichen Gebirgsrande von hier bis Ettlingen und Pforzheim haben wir an Straßen, Brücken, Befestigungen, Militärstationen, Kultusstätten, Bädern, Ziegeleien, Villen eine so große Menge, daß wir uns von der römischen Machtentfaltung und Kultur im Ober[S. 38]rheingebiet ein deutliches Bild machen können. Das Gebirge hieß Silva Abnoba und war der Diana Abnoba geweiht; einer ihrer Altäre steht im wohlerhaltenen Römerbade zu Badenweiler, das an Glanz den Thermen von Aquae Aureliae (Baden-Baden) wohl nur wenig nachgestanden hat.

Alemannen und Franken.

Das innere, höhere Gebirge war von den Römern nicht besetzt, vielmehr ist erst die nachrömische, alemannische Besiedlung der Ausgangspunkt der heutigen Volksverteilung geworden. Des Frankenkönigs Chlodwig Sieg zwang 496 die Alemannen, sich auf das Gebiet im Süden der Murg und Oos zu beschränken und die fränkische Hoheit anzuerkennen. Bis zur heutigen Stunde wirkt jene Katastrophe mit ihren Folgen nach; im Norden von Baden und Rastatt, im „Unterlande“, herrscht die fränkische Mundart, im Süden, dem „Oberlande“, die alemannische, die durch den trefflichen Johann Peter Hebel, einen Sohn des Schwarzwälder Wiesentals, in die Literatur eingeführt wurde und vom nördlichen Schwarzwalde ab über den Rhein hinüber durch die ganze deutsche Schweiz bis zum Fuße des Monte Rosa gesprochen wird, freilich mit mancherlei, nur dem vertrauten Ohre merkbaren Abänderungen. Die Schwaben im Osten des Gebirges sind mit ihren westlichen Nachbarn, den Alemannen, als eine größere ethnographische Einheit aufzufassen, deren Glieder sich eigentlich nur mundartlich unterscheiden.

[S. 39]

Abb. 39. Isteiner Klotz.
Nach einer Photographie von Dr. Hoek in Freiburg. (Zu Seite 64.)

Aus der Zeit der Frankenherrschaft stammt die Einteilung in Gaue: Pfinzgau, Ortenau, Breisgau, Albgau, Klettgau, Baar; Siedlungen und Kultur jener Tage kennen wir aus den fränkisch-alemannischen Reihengräbern, die in der Baar, auf den Randhöhen des südöstlichen und südlichen Schwarzwaldes und in der westlichen Vorhügelzone weit verbreitet sind. Doch auch in dieser Periode war der hohe Schwarzwald noch unbewohnt. Interessant ist, daß unter 100 Schädeln der entsprechenden Gräberfunde 69 reine Langköpfe (Germanen), 9 Rundköpfe (Kelten) und 22 Misch- oder Übergangsformen gefunden werden, während das heutige Geschlecht nur noch 16% Lang-, dagegen 32% Rundköpfe und 52% Zwischenstufen auf[S. 40]weist. Der Schwarzwald erscheint hiernach als Ausstrahlungspunkt von keltischen Rundköpfen, deren Träger seit der Periode der Reihengräber sich stark vermehrten, aus dem Gebirge heraustraten und sich mit den langköpfigen Germanen, den jüngeren Ansiedlern, vermischten.

Abb. 40. Badenweiler. Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 66.)


GRÖSSERES BILD

Besiedlung im Mittelalter.

In die Zeit gegen das Ende der fränkisch-alemannischen Reihengräberperiode fällt die Einführung und Ausbreitung des Christentums auf Schwarzwälder Boden und mit ihr die Errichtung zahlreicher Klöster, zumeist nach der Regel des heiligen Benedikt von Nursia. Zunächst spielte sich diese Kolonisation noch in den schon bis zu gewissem Grad besiedelten Randzonen ab, dann aber bald, nämlich vom zehnten Jahrhundert an, auf neugerodetem Waldlande, so in St. Trudpert im Münstertal, in St. Blasien an der oberen Alb. Nach dem Jahre 1000 folgten in bisher völlig unbewohnten Einöden St. Georgen, St. Peter, St. Märgen, Friedenweiler, St. Ulrich. Der Klostergründung folgte die Urbarmachung und Besiedlung weiter Flächen, deren Waldesdickicht sich nun rasch lichtete und im Verhältnis zur Rauheit des Klimas und zur anfänglich noch recht geringen Wegsamkeit fast nur allzuviele bäuerliche Niederlassungen auf den Grundstücken der Klöster entstehen sah. Der gelehrte Fürstabt Gerbert von St. Blasien hat nicht unrecht, wenn er in seiner Historia nigræ silvæ (1783 bis 1788) den Schwarzwald eine Colonia Sancti Benedicti nennt. In der Tat muß ein großer Teil des hohen Schwarzwaldes als junges Kolonialland angesehen werden, das erst vor neunhundert und weniger Jahren besiedelt worden ist, und zwar mit dem Überschuß von Menschenmaterial, welches sich in den leichter zugänglichen, seit alter Zeit bewohnten Tälern fand. So erklärt sich auch die starke Vermehrung der dunklen keltischen Rasse, von der vorhin die Rede war.

Abb. 41. Marzell im Kandertal.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 68.)

Abb. 42. Der Belchen.
Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg. (Zu Seite 70.)

Abb. 43. St. Trudpert.
Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg. (Zu Seite 70.)

Volksverteilung.

In späteren Zeiten sind durch die Bedürfnisse der Waldarbeiter, Glasbläser usw. gelegentlich wohl noch da und dort kleinere Orte neu entstanden, aber im großen und ganzen hat sich die Volksverteilung seit lange nur noch der Zahl nach verschoben, aber nicht mehr hinsichtlich des Bildes ihrer geographischen Ausbreitung.[S. 41] In bezug auf diese geographische Verteilung der Schwarzwaldbevölkerung muß vor allen Dingen eines Verwunderung erregen, nämlich ihr weites Vorrücken nach oben. Während in den Vogesen das höchstgelegene Dorf, Altweiler, sich zwischen 800 und 900 m ausbreitet, zieht sich Hofsgrund im Schwarzwald bis gegen 1150 m hinauf, und abgesehen von dem das ganze Jahr bewohnten Touristenhaus des Feldberger Hofes mit 1278 m ist der Rinkenhof in dessen Nähe mit 1200 m Meereshöhe die höchstgelegene alte Siedlung des Gebirges. Im Gegensatz zu den Vogesen mit ihrem ausgeprägt schmalen, steilabfallenden, darum auch verkehrs[S. 42]feindlichen Hauptkamm neigt der Schwarzwald weithin zur Hochflächenbildung; er setzt hiernach dem Verkehr wie der Bewohnbarkeit nach seiner orographischen Gestaltung keine allzugroßen Hindernisse in den Weg. Längst ist er darum zu einem straßenreichen Durchgangsland geworden, und wie sich die Volkszahl zur Höhenlage der Wohnsitze verhält, ist aus folgender Zusammenstellung ersichtlich:

 
Einwohner
überhaupt
in Proz.
auf 1 qkm
unter 200 m
 17000
  4,5
300
 200–400 m
221000
 56,4
165
 400–600 m
 60000
 16,0
 43
 600–800 m
 41000
 11,0
 37
 800–1000 m
 40000
 10,7
 37
1000–1200 m
  5000
  1,4
 13
Summa
374200
100,0
 69

Diese einer Untersuchung aus dem Jahre 1892 entnommenen Angaben beziehen sich nur auf den badischen Schwarzwald; entsprechende Zahlen für den württembergischen Gebirgsanteil würden die höheren Stufen noch schwerer ins Gewicht fallen lassen.

Abb. 44. Inneres von St. Trudpert.
Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg. (Zu Seite 70.)

Siedlungsverhältnisse.

Erwerbsleben.

Leicht wird den zahlreichen Bewohnern des hohen Schwarzwaldes der Kampf ums Dasein nicht, und er ist es auch niemals gewesen. Schon früh machten sich die Folgen der zu dichten Besiedlung, wie sie von den Klöstern nach und nach durchgeführt worden war, in zu geringem Ausmaß der bäuerlichen Lehen unangenehm fühlbar, und manche schwere Katastrophe im Wirtschaftsleben führte allmählich zur Einführung des Anerbenrechtes, das sich zum Hofgüterrecht ausbildete, wonach im Interesse der Erhaltung des Besitzes und um die zu weitgehende Parzellierung zu verhindern,[S. 43] der bäuerliche Hof (Abb. 14) vom Vater auf den jüngsten Sohn oder die älteste Tochter übergeht, während die übrigen Geschwister mit Abfindungsgeldern sich begnügen müssen. Sie werden Knechte, Mägde, Tagelöhner, heiraten auf andere Höfe oder wenden sich der Industrie zu, und diese hat auf dem Schwarzwalde längst eine ruhmvolle Heimstätte erworben. Ohne sie wäre seine heutige dichte Bevölkerung undenkbar. Hinsichtlich des Erwerbslebens der Schwarzwälder mag daran erinnert werden, daß neben dem naturgemäß längst nicht mehr genügend ergiebigen Ackerbau — Brotfrucht wird überall gekauft — die Viehhaltung eine hohe Bedeutung erlangt hat. Milch, Butter und Käse geben sichere Einnahmen, deren Wertschätzung die Schwarzwälder Viehzucht durchweg auf eine mustergültige, weitum anerkannte Höhe brachte, die zu erhalten die Organe des Staates, der Kreise und Gemeinden aufs lebhafteste bemüht sind.

Die Jagd kann zumeist als eine gute bezeichnet werden. Sie erstreckt sich auf Rot- und Damwild, Rehe, Hasen, auch Füchse, Dachse, Marder, Wildschweine, Fischottern, auf Auer- und Birkhähne, Fasanen, Rebhühner, Enten usw. Die Fischerei gewinnt im Oberrhein den vielbegehrten Lachs, die vielen Gebirgsbäche mit ihrem beweglichen reinen Wasser beherbergen die muntere Bachforelle, wohl den köstlichsten aller Fische, dessen Erhaltung durch die Wirksamkeit mehrerer Fischzuchtanstalten gewährleistet wird.

Abb. 45. Scharfenstein.
Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg. (Zu Seite 70.)

Der Schwarzwälder Bergbau spielte früher eine wichtige Rolle. Mancherlei Gänge im Urgestein, gern an dessen Verwerfungsspalten geknüpft, spendeten Kupfererze, z. B. im Kinziggebiet, silberhaltigen Bleiglanz an sehr vielen Orten, so bei Badenweiler, Sulzburg, im Wiesen- und Münstertal, bei Freudenstadt; Eisenerze verschiedener Art wurden einst abgebaut bei Pforzheim und Kandern, an der Oberen Alb und im Wutachtal; Kobalt gab es im Kinzigquellgebiet, Nickel bei St. Blasien usw. Eisenschmelzen bestanden in ansehnlicher Zahl, doch gingen sie seit etwa fünfzig Jahren alle ein bis auf die von Friedrichstal und Christophstal bei Freudenstadt.[S. 44] Am Erzkasten (Schauinsland) bei Freiburg, der von seinen alten Gruben den Namen hat, ist seit kurzem ein in großem Stil betriebenes Erzwerk auf Zinkblende und silberhaltigen Bleiglanz wieder eröffnet worden. Steinkohle (Anthrazit) lieferte bis zur jüngsten Zeit in bescheidenem Umfang das einzige Kohlenbergwerk Badens bei Berghaupten (Offenburg). Salz spendet in reichem Maß die Saline Dürrheim im Muschelkalk bei Villingen.

Abb. 46. An der Schützenbrücke in Donaueschingen.
Nach einer Photographie von H. Schönbucher in Donaueschingen. (Zu Seite 72.)

Nicht hoch genug kann der Wert des Schwarzwaldes an Mineralquellen und Thermen angeschlagen werden. Seit den Römerzeiten haben sie Erholungsbedürftige von allen Seiten angezogen und durch die Geheilten ihren Ruhm und den der landschaftlichen Schönheit ihrer Umgebung nach allen Richtungen der Windrose getragen. Ihnen verdankt unser Gebirge zweifellos die ältesten Anregungen, die allmählich zur Entwicklung der jetzt so blühenden Fremdenindustrie führten und heute Hunderttausende anziehen, sei es in den Zaubergarten des Weltbades, das unserem Lande den Namen gab, sei es in irgendein anderes der kleineren, aber um so anheimelnderen Bäder im stillen Waldesfrieden ihrer lauschigen Landschaft.

Daß schon früh die Knappheit der natürlichen Lebensbedingungen den Schwarzwälder zu gewerblicher Tätigkeit zwang, ist bereits angedeutet worden. Waldarbeit, Holzflößerei, Kohlenbrennen (Abb. 13, 15, 16, 17), Harzgewinnung, Betrieb von Sägemühlen mit dem typischen oberschlächtigen Wasserrad (Abb. 18), Küblerei und Verfertigung kleiner Holzgeräte allerart, auch Strohflechterei (Abb. 19), das waren die nächstliegenden Beschäftigungen von alters her. Das Flößen, Brennen und Harzen ist fast völlig verschwunden, die vielbesungenen kleinen Sägewerke am rauschenden Wildbach sind an vielen Orten von großen fabrikmäßig betriebenen Schneidemühlen abgelöst worden, zu denen sich leider nur allzu häufig Zellstoffabriken gesellt haben. Die „Holzschneflerei“ wird immer noch viel geübt, besonders in Bernau und überhaupt in der weiteren Umgebung von St. Blasien. Mit der Zeit entstand die Industrie der Zunderbereitung und Bürstenherstellung, hauptsächlich am Südfuße des Feldberges, dazu kommen Blechlöffelschmieden, an[S. 45] die das „Löffeltal“ bei Hinterzarten schon durch seinen Namen gar deutlich erinnert, ferner Glasbläsereien — der Ortsname „Glashütten“ ist stark verbreitet (Abb. 20) —, Granatschleifereien u. a. m. Am berühmtesten ist aber die Schwarzwälder Uhrenmacherei geworden.

Der Glashändler Lorenz Frey brachte 1683 eine Holzuhr von der Wanderschaft nach Hause, und seither entstand aus kleinsten, ärmlichsten Anfängen auf den Höhen von Waldau und Umgebung eine Hausindustrie, die sich durch ihren überall hin tätigen Hausierhandel (Abb. 21) seit etwa 1750 Weltruhm verschaffte. Jetzt sind an Stelle der Holzwerke (Abb. 22) längst die feinsten Präzisionsuhren getreten. Die Hausindustrie (Abb. 23) ist mehr und mehr in den Dienst großer Fabriken getreten. Das Gebiet der Uhrmacher dehnt sich von Triberg und Schramberg bis nach Neustadt und Lenzkirch aus, beschäftigt Tausende von fleißigen Händen und setzt dem Werte nach alljährlich viele Millionen Mark um. Aus den Spieluhren entwickelten sich die Orchestrions, die heute in großer Zahl von den stillen Schwarzwaldhöhen ihren Weg in die weite Welt, besonders nach Rußland und Amerika einschlagen; auch die Herstellung von physikalischen, besonders elektrischen Apparaten und anderen Erzeugnissen der Feinmechanik ist hoch entwickelt.

Abb. 47. Die Donauquelle.
Nach einer Photographie von H. Schönbucher in Donaueschingen. (Zu Seite 72.)

Seit dem achtzehnten Jahrhundert hat man die bedeutenden Wasserkräfte, die in den Schwarzwaldbächen und -flüssen mit ihrem starken Gefälle aufgespeichert sind, dem Gewerbe dienstbar zu machen angefangen; es entstanden zahlreiche Spinnereien und Webereien für Baumwolle und Seide, die in der Gegenwart sich zumeist zu sehr bedeutenden Betrieben ausgestaltet haben. Dazu kommen noch alle erdenklichen anderen Industrien, die auch nur annähernd aufzuzählen hier nicht der Ort ist. Nehmen wir endlich die hochentwickelte Gold- und Silberwarenherstellung in Pforzheim und Umgebung, so sehen wir, daß die Schwarzwald[S. 46]bevölkerung es gut verstanden hat, sich Erwerbsquellen vieler Art zu erschließen, die es ermöglichen, auf an sich nicht allzu ergiebigen Heimstätten in auskömmlicher Weise zu leben. Daß diese Industriebetriebe nicht auf wenige städtische Hauptpunkte sich zusammenhäufen, sondern vielfach als Hausindustrie in denkbar größter Auflockerung über weite Gebiete des Gebirges ausgebreitet sind, daß sehr viele Kleinbauern einzelne ihrer Familienangehörigen in der Fabrik tätig sein lassen, während anderseits die eigentliche Arbeiterbevölkerung gern nach Erwerb von Grundbesitz strebt, wenn es auch nur ein kleines Stückchen Garten oder Ackerfeld ist, all das hat von unserem Schwarzwalde die sozialen Schädigungen einseitig gesteigerten Industriegebietes bis zu gewissem Grad fern gehalten. Möchte das für alle Zeit so bleiben!

Tracht. Wohnung. Sitten.

Tritt uns die Schwarzwälder Bevölkerung in körperlicher Kraft und geistiger Gesundheit gegenüber, so zeigt auch ihre Kleidung und Wohnung die Freude an Schmuck und Farbenpracht, den Sinn für Behäbigkeit. Noch werden in vielen Gegenden, von den Frauen mehr als von den Männern, besonders an Sonn- und Feiertagen, sowie bei festlichen Anlässen, malerische Trachten getragen, deren Herstellung viele Kräfte beschäftigt (Abb. 24) und deren Erhaltung sich neuerdings rührige Vereine zur Aufgabe machten (Abb. 25, 26, 27). Die Volkstrachten sind nicht überall schön, aber in ihrer von Tal zu Tal wechselnden Eigenart erregen sie das Interesse des Beschauers. Als Ausdruck eines gesunden Bauernstolzes und einer verständig konservativen Gesinnung haben sie eine nicht zu unterschätzende Bedeutung, ja man darf wohl sagen, einen gewissen moralischen Wert. Freilich erscheint die da und dort versuchte Wiedereinführung der untergegangenen Volkstracht völlig als nutzloses Bemühen. Nennenswerten Erfolg hat sie selbstverständlich auch nirgends gehabt.

Das alte, echte Schwarzwaldhaus (Abb. 14, 28 u. 48), das leider aus feuerpolizeilichen Gründen nicht mehr als Neubau entsteht, gewährt einen überraschend stattlichen Anblick. Unter dem gewaltigen, weit vorspringenden Stroh- oder Schindeldach glänzen die zahlreichen kleinen Fenster des wettergebräunten Holzbaues freundlich hervor, die in der guten Jahreszeit nie eines reichen Blumenschmuckes entbehren. Ein gedeckter Gang mit dem Brunnen führt meist einer Hausflucht entlang, das obere Stockwerk hat eine Holzgalerie. Gern wird das Haus so an die Berglehne gebaut, daß man von der Rückseite unmittelbar in die große Scheune unter dem Dach einfahren kann. Als Nebengebäude gesellen sich oft noch eine Säge- oder Mahlmühle, ein Backhaus und bei den stolzen Einzelhöfen eine kleine Kapelle bei. In der geräumigen Wohnstube fehlt niemals der gewaltige Kachelofen als wonniger Wärmespender, mit der Ofenbank, auf der es sich so gut sitzen und plaudern läßt, und mit der „Kunst“, einer Wärmeanlage, die mit dem Küchenherd in Verbindung steht; es fehlt auch nie das immer mit Blumen eingefaßte Kruzifix in der Kante zwischen den zwei Fensterwänden. Es ist das der „Herrgottswinkel“, unter welchem der von Bänken und Stühlen umstellte, große Tisch seinen Platz findet (Abb. 29). Auch in den hellen und blanken Gaststuben der Bauernwirtshäuser fehlt der Herrgottswinkel nicht leicht. Der Schwarzwälder ist eben streng religiös und trotz eines hohen Grades von Tüchtigkeit fürs praktische Leben, vielfach darf man sagen auch von Aufgeklärtheit, spielt sich das Dasein des einzelnen wie der Familie und der Landgemeinde in den altüberlieferten Sitten und Gebräuchen ab, wie sie das Kirchenjahr und seine Feste in bestimmte Regeln gebracht haben, von denen nicht abgewichen wird (Abb. 30, 31). Und zwar besteht hierin zwischen der katholischen und evangelischen Bevölkerung kaum ein Unterschied.

Abb. 48. Die Brigachquelle mit Schwarzwaldhaus. Gemälde von Hans Busse. (Zu Seite 72 u. 123.)


GRÖSSERES BILD

Zum weitaus größten Teile herrscht in unserm Gebiet der Katholizismus, evangelisch sind in der Hauptsache nur die Landschaften der früheren Markgrafschaft Baden-Durlach und die altwürttembergischen Lande, aber diese Gebiete machen zusammengenommen viel weniger aus, als die der seit 1803 mediatisierten[S. 47] Fürstentümer, Herrschaften allerart, Bistümer, Abteien, freien Reichsstädte und der einst vorderösterreichischen Lande, besonders im Breisgau. Wie die politischen Verhältnisse früher waren, mag aus dem Hinweis hervorgehen, daß noch zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts auf dem 60 km langen Weg von Freiburg nach Basel zehn Grenzen zu überschreiten waren zwischen mehrfach wechselnden Parzellen österreichischen und badischen Gebietes, zwischen Ortschaften unter bischöflich baslerischer, unter reichsritterschaftlicher und unter der Hoheit des Deutschordens; anderswo sah es auch nicht viel besser aus.

Abb. 49. Gutachbrücke bei Kappel-Neustadt.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 76.)

Sitten und Volkscharakter.

Von diesen Zuständen, die wir ja in Thüringen noch erhalten sehen, ist im Volksbewußtsein kaum noch da und dort eine Spur übriggeblieben. Höchstens, daß die Bewohner der einstigen Markgrafschaft Baden, des Markgräflerlandes, von den Nachbarn als „Altbadische“ bezeichnet werden, und daß die altbadischen, protestantischen Frauen in der Tracht von ihren katholischen Freundinnen im Breisgau sich etwas unterscheiden, besonders hinsichtlich der Form der Flügelhaube und im Tragen des Spitzenbrusttuches. Sonst aber ist der Schwarzwälder, ohne sich darüber Sorge zu machen, unter welchem Herrn seine Vorfahren vor hundert oder mehr Jahren einst standen, gut badisch beziehungsweise württembergisch, was ihn nicht hindert, von Herzen ein guter Deutscher zu sein. Wenn auch durch politisch verschieden gefärbte Brillengläser, so schaut er doch lieber arbeitsfreudig und zuversichtlich in die Zukunft als weltschmerzlich in eine Vergangenheit, die ihm in allen Stücken das Leben schwerer gemacht hat, als er es heute lebt. Sicherlich wird er, was auch die rasch umgestaltende Zeit bringen mag, stets den Kopf oben behalten und immer einer der tüchtigsten unter seinen deutschen Stammesbrüdern sein und bleiben.

[S. 48]

Der südliche Schwarzwald.

VI. Die östlichen Zugänge und der Südrand.

U

nter der Konstanzer Brücke entströmt dem Schwäbischen Meer der smaragdgrüne Rheinstrom, so schön und rein wie nur irgendeiner seinesgleichen. Wer sich ihm auf dem Schaffhauser Dampfschiff anvertraut, dem bietet sich bei der Fahrt eine ungeahnte Fülle prächtiger Landschaftsbilder. Aus der Spiegelfläche des Untersees winkt das liebliche Eiland der Reichenau mit seinen Erinnerungen an alte Kultur, und das reiche Grün der Rebgelände und Obstgärten, die satte Farbenpracht der Blumenbeete vor den Wohnstätten des Inselvölkchens zaubert uns die Erinnerung herauf an Rudimann den Kellermeister, an Heribald und seine Gäste, an die Gesandtschaft des Kämmerers Spazzo und alle die lebenswahren Gestalten, denen Scheffel in seinem Ekkehard eine so wohlverdiente Auferstehung bereitet hat. Über der Insel grüßt der trotzige Hohentwiel herüber und trägt auch seinerseits dazu bei, uns auf ein Viertelstündchen hinüberdämmern zu lassen in luftige Träume im Rundbogenstil.

Am schweizerischen Ufer haben wir den Arenenberg Napoleonischen Andenkens, darüber auf steiler Höhe das Schlößchen Salenstein, weiter unten engt sich der Fluß wieder in eine schmale Rinne ein, und zu beiden Seiten wechselt in rascher Folge ein malerisch freundliches Bild mit dem andern, bis man am Fuß des fernsichtgesegneten Burgberges von Hohenklingen, an dem der feurige „Beerliwein“ wächst, das alte Stein am Rhein, ein malerisches Nürnberg im kleinen, erreicht.

Abb. 50. Lothenbachklamm bei Bad Boll.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 76.)

Der Rhein von Stein bis Waldshut.

Die Fahrt geht zwischen freundlichen Hügeln weiter unter einer mächtigen Eisenbahnbrücke und später unter der alten Holzbrücke von[S. 49] Dießenhofen durch, bis zum Landeplatz der ansehnlichen, viel Altertümliches bietenden Stadt Schaffhausen, die vom Bodensee her auch mittels zweier Eisenbahnlinien zu erreichen ist. Wenig unterhalb Schaffhausen hat sich der Rhein seinen Weg in weltberühmtem Falle über die harten Bänke des Jurakalkes hinab gegraben, dann umschlingt er in spitzig ausgezogener Schleife die Halbinsel mit dem alten Kloster Rheinau, geht bei Eglisau, wo er von der gewaltigen Hochbrücke der Eisenbahn Schaffhausen-Zürich überschient wird, von der südlichen wieder in die Westrichtung über, und strömt nun friedlich rauschend in weltabgeschiedener Einsamkeit an dem alten, steilgebauten Städtchen Kaiserstuhl und an den Wasserstelzschlössern vorbei, die mit ihrer lieblichen Umgebung durch Gottfried Kellers „Hadlaub“ unserem Empfinden so wertvoll geworden sind. Wer stille Gänge und Wasserfahrten liebt und gern mit seinen Gedanken allein ist, dem sei diese wenig bekannte Strecke des Oberrheinlaufes zu behaglichem Schlendern ganz besonders warm empfohlen. Auf der unfernen Küssaburg mag sich der Wanderer weiten Umblicks und schöner Alpenaussicht erfreuen, das Städtlein Zurzach aber weckt ihm die Erinnerung daran, daß hier dereinst die in der Peutingerschen Tafel verzeichnete Römerstraße von Vindonissa (Windisch bei Brugg) an der Aare nach Arae Flaviae (Rottweil) am Neckar den jungen Strom überbrückte. Eine kurze Strecke noch, und wir haben bei Koblenz = Confluentes den Zusammenfluß der Aare mit dem Rhein, und jenseits, auf hoher Flußterrasse, das Städtchen Waldshut (340 m) erreicht. Damit sind wir ins Schwarzwaldgebiet eingetreten, und zwar auf einem der schönsten Zugänge, die sich machen lassen. Auf alle Fälle ist dieser Weg jedem, der nicht mit seiner Zeit zu geizen braucht, warm zu empfehlen.

Abb. 51. Die Wutachschlucht. (Zu Seite 77.)

Donau und Rhein.

War bisher der Rhein unser Begleiter, so kann bei vielen, die von Osten und Nordosten kommen, auch die Donau die Führerrolle übernehmen. Von Ulm her, wo mancherlei Straßen zusammenstreben, folgen wir dem Fluß durch Ober[S. 50]schwaben nach dem malerisch gelegenen Sigmaringen, der schmucken Hohenzollernresidenz, dann ziehen wir durch das obere Donautal bis Immendingen und bewundern auf dieser Strecke ebenso die Natur, die dem Fluß einen fast rätselhaft scheinenden Weg durch wilde Felsschluchten mit weißschimmernden Kalkwänden gebahnt hat, als die Kunst, welche diese Engen dem Straßen- und Bahnbau zugänglich machte. Von unersteiglich scheinenden Schrofen schauen das Bronnener Schlößchen, Werrenwag und die Feste Wildenstein herab, in einer grünen Talweitung liegt das kunstsinnige Benediktinerheim Beuron, bei der gewerbereichen Stadt Tuttlingen nimmt unsere Linie die von Stuttgart her auf, und bei Immendingen (658 m), wo die Donau unterirdisch einen großen Teil ihres Wassers durch die Klüfte des Jura an die Hegauer Aach und damit an den Rhein abgibt, schneidet unser Weg den, welcher vom Bodensee nach Donaueschingen und weiter über den Schwarzwald in die Rheinebene führt. Wir aber streben Waldshut zu und benutzen darum die sogenannte strategische Bahn, die gegen Ende der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts zur Umgehung des rechtsrheinischen Schweizer Gebietes bei Schaffhausen gebaut worden ist. Im breiten und einförmigen Aitrachtal haben wir bald Zollhaus (702 m) und damit eine der auffälligsten Stellen der Donau-Rhein-Wasserscheide erreicht.

Abb. 52. Frauentracht von Neustadt.
Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg.
(Zu Seite 78.)

[S. 51]

Etwa 40 km westlich von hier sammeln sich im Feldsee (1113 m) am Fuße des Feldbergs die Quellbäche eines Flüßchens, das erst Seebach, vom Titisee ab Gutach und weiter abwärts Wutach heißt. Bei Achdorf (540 m), ein kleines Stündchen von Zollhaus entfernt, aber rund 160 m tiefer gelegen, biegt die Wutach aus ihrer bisherigen Ostrichtung nach Südwest um und erreicht den Rhein nahe der Aaremündung oberhalb Waldshut. In alter Zeit aber hat sie ihren Lauf weiter nach Osten genommen und ist durch das Tal der Aitrach der Donau zugeströmt, welch letztere also ihr Stromgebiet bis zu den höchsten Schwarzwaldbergen ausgedehnt hatte. Wir erkennen diese Tatsache an dem Vorhandensein reichlicher Schwarzwaldgeschiebe im Aitrachtal, dessen Breite und Form außerdem zu dem kleinen Wasserlauf der Gegenwart in gar keinem Verhältnis steht. Die hochgelegenen Flußterrassen über der Wutach westlich von Achdorf zeigen ebenso deutlich, daß der Fluß einst in einem Bett strömte, das höher lag als die jetzige Wasserscheide bei Zollhaus. Was hat ihn aus der alten Bahn abgelenkt? Das war die allmähliche Tieferlegung des Rheines im Schiefergebirge unterhalb Bingen, wodurch alle Zuflüsse im oberen Rheingebiet zur Steigerung des Gefälles und damit zu verstärktem Einschneiden in ihre Unterlage veranlaßt wurden. Ein Wasserlauf, der in der Richtung Stühlingen-Waldshut strömte, nagte sich darum immer tiefer nach rückwärts in den Gebirgskörper ein und zapfte schließlich in der Gegend des jetzigen Achdorf die hoch oben nach Osten fließende Wutach an. Indem sie nun in steilem Gefäll ihr Wasser nach Südwesten abgab, entstand im alten Tallauf eine Wasserscheide; die unterste Strecke der alten Wutach, die heutige Aitrach, behielt die frühere Richtung[S. 52] und das alte, schwache Gefälle bei, der Oberlauf aber suchte sein Gefälle auszugleichen und nagte sich deshalb tief ein zum jetzigen Schluchtlauf. Das wurde ihm durch das meist leicht zerstörbare Gestein der Juraschichten dieser Gegend erleichtert, und so haben wir bei Zollhaus in breitem Hochtal eine erst in jüngster geologischer Vergangenheit entstandene Verschiebung der europäischen Hauptwasserscheide. Wir haben aber noch mehr, nämlich eine Unterbrechung derselben durch eine Wassergabelung oder Bifurkation, die freilich nicht so großartig ist wie die des Cassiquiare in Südamerika. Der Quellbach der jetzigen Aitrach läßt sich nämlich durch eine Schleuse unfern von der Bahnstation Zollhaus nach Westen ableiten und ergießt sein Wasser dann in das „Schleifenbächlein“, das an dem alten, ruinenüberragten Blumberg vorbei eiligen Laufes zur Wutach hinunterstürzt.

Abb. 53. Der Titisee. Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 78.)


GRÖSSERES BILD

Abb. 54. Titisee-Moräne. (Zu Seite 78.)

Die strategische Bahn.

Um den bedeutenden Höhenunterschied zum Rhein hinab zu überwinden, muß unsere strategische Bahn, die in Rücksicht auf die Schnelligkeit und Sicherheit großer Truppentransporte in der Richtung auf die burgundische Pforte kein stärkeres Gefälle als 1 : 100 hat, eine Luftlinienentfernung von 9,6 km auf eine Streckenlänge von 23 km ausdehnen, sie macht also, bis sie die Talsohle der untern Wutach gewinnt, ungeheure Schleifen, darunter in dem 1700 m langen Stockhalden-Kehrtunnel eine solche über sich selbst weg. Die Strecke bis nach Weizen hinab ist eine Gebirgsbahn allerersten Ranges und steht an Schwierigkeit der technischen Probleme, welche der Bau in den hier weit verbreiteten weichen Tonen und Schiefern der Juraformation stellte, kaum der Albula- oder Gotthardbahn nach. Die Viadukte bei Epfenhofen und Fützen (Abb. 32), die Wutachbrücke unterhalb Blumegg, die überraschenden Ausblicke über weite Hochflächen und dann wieder in die schauerliche Gebirgswildnis, die bei den zahlreichen Richtungsänderungen der Linie ununterbrochen wechseln, machen diese im höchsten Grade interessant.

Bei Weizen zweigt die neue, bei dem Städtchen Stühlingen, das von dem Schlosse Hohenlupfen überragt ist, die alte Landstraße nach Bonndorf und damit auf den hohen Schwarzwald ab, deren Fortsetzung um den Juraklotz des Randen herum nach Schaffhausen gerichtet ist; vor der Eisenbahnzeit war diese Straße[S. 53] eine der wichtigsten von Freiburg und der Rheinebene her nach Südosten. In dem nun einförmiger gewordenen Wutachtal ist bald die Station Oberlauchringen an der Linie Konstanz-Schaffhausen-Basel, und bald darauf das Städtchen Thiengen erreicht, von wo es nun hoch über dem nahen Rhein nach Waldshut geht (Abb. 33), nachdem man kurz vor der Einfahrt in den Bahnhof gerade gegenüber der Aaremündung einen schönen Blick in die Schweiz hatte, bei klarem Wetter auch einen solchen auf die Eishäupter der Alpen.

Waldshut.

Von Waldshut führen Bahnlinien über Winterthur in die Ostschweiz, über Baden im Aargau nach Zürich und am linken Flußufer hin nach Basel, wozu natürlich noch die rechtsrheinische, direkte Linie Konstanz-Basel kommt. Da außerdem die Wutach und ihre Zuflüsse, sowie manche kleinere Tälchen eine ansehnliche Zahl von Zugängen zum inneren Schwarzwald eröffnen, so ist Waldshut, das heute gegen 4300 Einwohner zählt, seit alters ein wichtiger Mittelpunkt für die Umwohner geworden und hat neben den drei anderen „Waldstädten“ am Oberrhein, Laufenburg, Säckingen und Rheinfelden, in der Geschichte der Landschaft stets eine bedeutsame Rolle gespielt. Die Hauptstraße macht einen sehr malerischen, altertümlichen Eindruck, der durch Türme und Tore, Stadtmauer und Graben noch stark gehoben wird. Die freien Ausblicke von den bequem zugänglichen Höhen der Umgebung, besonders auch der Niederblick auf die grünen Fluten des mächtig hinströmenden Rheins in seinem tiefgegrabenen Bette, bieten eine Fülle schönster Bilder.

Abb. 55. Oberer Anfang des Höllentals, in die Moränen-Landschaft eingeschnitten. (Zu Seite 80.)

Hauenstein.

Das Hauensteiner Land; „Hotzenwald“.

Immer dem Strom entlang führt uns die rechtsuferige Land- und Schienenstraße über Albbruck, wo das Albtal ausmündet, zu der Burg Hauenstein, an deren Fuß die kleinste Stadt des Deutschen Reiches liegt. Sie trägt mit der Burg den gleichen Namen, zählt wenig über 200 Einwohner und besteht aus den Häuserreihen einer einzigen Gasse, die hart am Rheine hinzieht. Einst war sie Hauptort der weit über den südlichen Schwarzwald ausgedehnten Grafschaft Hauenstein.[S. 54] Das Hauensteiner Land war Jahrhunderte hindurch der Schauplatz schwerer Kämpfe zwischen der Bevölkerung und ihren Herrschaften. Das Gebiet war schon bald nach seiner ersten Besiedlung bei der Kargheit des Bodens und der Rauheit des Klimas nicht imstande, die zu dichte Bevölkerung auch nur halbwegs auskömmlich zu ernähren (Abb. 34). Zur Einführung des Hofgüterrechts ist es in der Gegend nie gekommen, und so war es die wirtschaftliche Not, welche das Volk zu blutigen Aufständen, besonders gegen die reiche und mächtige Abtei St. Blasien, trieb. Nach kurz wirkenden Erfolgen steigerten sich die Unterdrückungen nur um so mehr, kleinliche Maßregelungen verbitterten das Volk von Jahrzehnt zu Jahrzehnt in steigendem Maße; Verschlossenheit, Unnahbarkeit, heimtückisches Wesen wurden allmählich die herrschenden Charakterzüge der Hauensteiner, und immer wieder gelang es fanatisierten Führern, die Massen zu rohen Gewaltakten fortzureißen. Religiöses Sektenwesen gesellte sich dazu, und so hatten, seit den Zeiten des Bauernkrieges bis in die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, die Behörden schweren Stand gegenüber dem kaum auszurottenden Mißtrauen der Hauensteiner gegen alles, was man Staatsraison nennt, ja gegen offenen Aufruhr. Nur das „Haus Österreich“ und der Papst wurden als Obrigkeiten anerkannt, gegen die vom Freiburger Erzbischof gesandten Geistlichen war der Widerstand ebenso groß wie gegen die badischen Beamten. Von dem Führer in einem der vielen Aufstände, dem Salpetersieder Peter Albiez, nannten sich die Sektierer Salpeterer oder Albiezler; sie sind heute noch nicht ganz ausgestorben, obwohl es in der Hauptsache endlich gelungen ist, der Bewegung Herr zu werden, und zwar auf friedlichem Wege. Scheffels „Trompeter“ gibt uns eine Schilderung der Verhältnisse im „Hauensteiner Rummel“, und aus der großen einschlägigen Literatur mag wenigstens auf eine neuere, hierher gehörige Arbeit des Schwarzwälder Volksschriftstellers Hansjakob hingewiesen werden. Die alte Hauensteiner Tracht (Abb. 35) ist fast ganz abgekommen und nur noch gelegentlich zu treffen. Zu ihr gehören bei den Männern vor allen Dingen kurze, schwarze Pumphosen, welche „Hotzen“ heißen und der Bevölkerung den Namen „Hotzen“, ihrem Wohngebiet die Bezeichnung „Hotzenwald“ eingebracht haben (Abb. 36).

Abb. 56. Eingang ins Ravennatal.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 81.)

[S. 55]

Die Laufenburger Enge.

Unfern Hauenstein — wir haben soeben einen kurzen Tunnel durchfahren — stellt sich unsern Augen ein wirkliches Juwel prächtigster Landschaftsschönheit dar (Abb. 37), das freilich zurzeit wesentlich verändert wird und sich starke Einbußen gefallen lassen muß. Es ist das badische Städtchen Klein-Laufenburg, durch eine zur Hälfte gedeckte Brücke mit dem aargauischen Groß-Laufenburg verbunden, eine der früher österreichischen „Waldstädte“, die von dem Schloß Laufenburg-Habsburg überragt ist. Die Stromschnelle des Laufen, gerade zwischen den zwei Städtchen, in welche sich der Rhein auf etwa 20 m einengt, aber bis zu 30 m tief ist, kommt dadurch zustande, daß sich hier der Fluß durch ein nach Süden vorspringendes Stück Schwarzwaldgneis durchgenagt hat. Die grauen Felswände mit ihren vom Wasser gerundeten Formen und ihren Strudellöchern bilden groteske Gestaltungen phantastischster Art, zwischen denen der Gischt des Gewässers in wildem Aufruhr sich tosend durchzwängt. Große Anlagen zum Salmenfang, der hier sehr ergiebig ist, sind in den Strudel kunstvoll hineingebaut. Jetzt aber ist man damit beschäftigt, die gewaltigen Wasserkräfte durch elektrische Übertragung der Industrie dienstbar zu machen. Die Flußenge wird kanalisiert, kahle, gerade Uferwände werden aufgesetzt, Schleusen eingebaut, Fabrikanlagen fangen schon an, den Fluß beiderseits einzusäumen, und in kurzer Zeit wird das malerische Laufenburg dem industriellen Platz gemacht haben. Vom Standpunkt des Naturfreundes mag das herzlich bedauert werden; aber schließlich, wer kämpft gegen den Strom der Zeit?

Abb. 57. Der Hirschsprung im Höllental.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 81.)

Säckingen.

Wieder ein Stück flußabwärts liegt die dritte der Waldstädte, das trompeterberühmte Säckingen (Abb. 38), dessen Scheffelerinnerungen heute sicherlich mehr Anziehungskraft in alle Welt hinaus üben, als die geschichtliche Bedeutsamkeit des Ortes. Über der schmucken Stadt, die industriell lebhaft aufgeblüht ist und mehr als 4600 Einwohner zählt, breitet sich trotz ihrer großen Fabriken ein feuchtfröhlicher Hauch von poetischer Verklärung aus. Kein Deutscher, besonders keiner, der einst die Wonnen des Burschenlebens auf hohen Schulen gekostet hat, wird[S. 56] ohne einen Anflug von Rührung auf der alten holzverschalten Brücke stehen und nach dem Schönauer Schlößchen hinblicken, keiner das Grabdenkmal Werners und Margaretens am hohen Fridolinus-Münster sehen, vor welchem sich nun das wohlgelungene Denkmal des Dichters erhebt, der sich vor mehr als fünfzig Jahren in die Herzen von Hunderttausend hinein zu trompeten angefangen hat. Und wer von Heimat, Liebe, Jugendtraum schwärmen will, der findet dazu leicht Gelegenheit und Stimmung nicht nur im grünen Tannendunkel am unfernen Waldsee, sondern auch beim Schoppen — und ohne den dürfen wir uns Josef Viktor Scheffel und seine guten Säckinger nicht denken — in der Margaretenlaube, im Trompeter, im Schwarzen Walfisch oder im Goldenen Knopf mit seiner Rheinterrasse. Alles atmet Scheffel, und die Säckinger sind nicht umsonst dem Rechtspraktikanten, der hier 1850 bis 1852 amtierte, dichtete und trank, von Herzen dankbar. Jedenfalls sind in der weiten Welt draußen die Säckinger Badequelle und sogar der heilige Fridolin, der Apostel des Oberrheingebietes, dessen Fest am ersten Sonntag im März für das Landvolk ringsum allerdings hohe Bedeutung hat, weniger berühmt als der „Trompeter“.

Abb. 58. Terrassen am Ausgang des Höllentals. (Zu Seite 81.)

Von Säckingen nach Rheinfelden.

Bei Brennet mit seinem forellenberühmten Gasthause mündet die Wehra in den Rhein, weiter abwärts spiegelt sich das Gebäude der einstigen Deutschordens-Kommende Beuggen in den Fluten des Stromes, dann wird Rheinfelden erreicht. Die alte, einst wohlbefestigte Waldstadt, die überaus malerisch auf dem hohen Schweizer Ufer liegt, spielte einst eine bedeutende Rolle in der Geschichte der Gegend, besonders während des Dreißigjährigen Krieges, der ihr 1638 eine Belagerung durch Bernhard von Weimar brachte. Das Rheinfelder Solbad erfreut sich berechtigten Ansehens und lebhaften Besuches.

[S. 57]

Abb. 59. Haus im Engetobel beim Hirschsprung. Nach einer Photographie von M. Ferrars in Freiburg. (Zu Seite 81.)


GRÖSSERES BILD

Badisch-Rheinfelden.

In der Umgebung des Bahnhofes Badisch-Rheinfelden hat sich seit wenig Jahren eine Umwandlung des ganzen Landschaftsbildes vollzogen, wie sie im Rheintal mit seiner alten Besiedlung und Kultur weniger zu erwarten war[S. 58] als etwa im fernen Westen Amerikas. Es ist nämlich hier eine neue Stadt „Badisch-Rheinfelden“ entstanden in einer so kurzen Zeit, daß man meinen möchte, sie sei aus dem Boden herausgezaubert worden. Wohnten doch auf der Fläche der beiden anstoßenden Dorfgemeinden Nollingen und Karsau mit ihrer bisher ausschließlich Landwirtschaft treibenden Bevölkerung 1890: 1534 Einwohner, 1905 aber 3915. Dieses außerordentliche Wachstum erklärt sich dadurch, daß die Stromschnellen bei Rheinfelden in umfangreichster Weise nutzbar gemacht worden sind, um der weiteren Umgebung bis tief in die Schweiz und ins badische Markgräflerland hinein durch elektrische Übertragung Licht und Kraft zu übermitteln. Das hat nun zur Anlage großer Fabriken in unmittelbarster Nähe geführt; bedeutende elektrochemische Fabriken, Aluminiumwerke usw. sind rasch entstanden, und um sie die neue Stadt „Badisch-Rheinfelden“ mit gegen 2500 Einwohnern. Zum Zwecke ihrer einheitlichen Verwaltung ist kürzlich die Gemarkungsgrenze zwischen den zwei obengenannten Landgemeinden verlegt und eine ganz neue Organisation geschaffen worden. Ein größerer Gegensatz als der zwischen diesem neuen Rheinfelden und seiner graben- und turmumwehrten älteren Schwester drüben über dem Rhein ist kaum denkbar. Am Schweizer Ufer efeuumranktes, malerisches Altertum in ruhiger Beschaulichkeit, und auf der anderen Seite der Brücke der kräftigste Pulsschlag allermodernsten Lebens.

Wyhlen.

An Wyhlen vorbei, wo die letzten größeren Stromschnellen des Rheines ebenfalls der Technik dienstbar gemacht werden und wo ein Salzwerk betrieben wird, ist nunmehr, indem wir weiter am Fuße des steil ansteigenden Dinkelberges mit seinen großen Muschelkalkbrüchen entlang fahren, bald Basel erreicht und damit die Südwestecke des Schwarzwaldes.

Abb. 60. Auf der Wallfahrt. Giersberg bei Kirchzarten.
Nach einer Photographie von M. Ferrars in Freiburg. (Zu Seite 81.)

[S. 59]

Abb. 61. Freiburg vom Schloßberg aus gesehen. Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg. (Zu Seite 89.)


GRÖSSERES BILD

[S. 60]

VII. Das südwestliche Vorland von Basel bis Freiburg.

Basel.
B

asel gehört seit 400 Jahren dem Bunde der Eidgenossen an und ist heute mit rund 135000 Einwohnern das zweitgrößte Gemeinwesen der Schweiz. Sein Dasein ist aber mit dem der nahen Schwarzwaldgebiete durch so vielerlei Fäden so innig verbunden, daß wir seiner an dieser Stelle gedenken müssen, und das um so mehr, als es im Verkehrsleben der angrenzenden deutschen Landschaften eine geradezu beherrschende Stellung einnimmt. Mündet doch hier nicht nur die Bahn vom Bodensee und die Wiesentalbahn vom Feldberg her; wir haben auch die rechtsrheinische badische Hauptbahn über Freiburg nach Heidelberg und weiter nach Mittel- und Norddeutschland, sowie die linksrheinische, elsässische Linie nach Mülhausen, wo der kürzeste Weg durch die Burgundische Pforte und über das Plateau von Langres nach Paris abzweigt, nach Straßburg, zum Niederrhein und nach England. Hunderttausende von Reisenden nach der Schweiz, nach Südfrankreich und nach Italien, denen sich in Basel nach diesen Zielen zahlreiche Linien zur Verfügung stellen, berühren alljährlich die Stadt und legen hierdurch glänzendes Zeugnis ab von ihrer hervorragend günstigen Verkehrslage.

Abb. 62. Inneres des Freiburger Münsters.
Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg. (Zu Seite 89.)

Diese Lage hatte schon seit dem Jahre 27 v. Chr. die unferne Römerkolonie Augusta Rauracorum ausgenutzt. Nach der Zerstörung durch die Alemannen entstand seit 374 n. Chr. Basilea = Basel auf hoher geschützter Flußterrasse unmittelbar über dem Rheinknie und beherrschte von nun ab zu allen Zeiten seine Umgebung in Handel und Verkehr, Politik und geistiger Kultur, und wurde neben Straßburg, Speier, Worms, Mainz und Köln eine der wichtigsten Städte längs der rheinischen „Pfaffengasse“. Trotz der Nähe Frankreichs war es immer eine[S. 61] deutsche Stadt nach Bauweise, Sprache und Sitte, nach seinen Betätigungen auf künstlerischem und wissenschaftlichem Gebiet. Und auch heute noch ist Basel deutsch, woran manche französischen Geschäftsaufschriften und andere derartige Äußerlichkeiten nichts ändern.

Abb. 63. Das Münster in Freiburg vom Schloßberg aus gesehen.
Verlag der Neuen Photographischen Gesellschaft in Berlin-Steglitz. (Zu Seite 89.)

Dem Verfasser dieser Zeilen ist Basel oft als ein unschöner, ja widerwärtiger und sogar unausstehlicher Ort bezeichnet worden. Genauere Nachfrage nach der Begründung dieses Urteils ergab in allen Fällen, daß diejenigen, die es fällten, von der Stadt nichts kannten als die zwei Bahnhöfe und ihre Schienenverbindung, daß sie von nichts zu sagen wußten, als von der Hast des Umsteigens und des[S. 62] Gepäckschleppens, dem Ärger der Zollplackerei, dem Gedränge am Fahrkartenschalter und der Widerwärtigkeit des Geldwechselns. Nun, diese Dinge sind gerade keine Annehmlichkeiten, sie kommen aber an jeder Grenze vor und sind nicht der Mühe wert, den Gebildeten aus seinem geistigen Gleichgewicht zu bringen. Vor allem geben sie kein Recht, eine Stadt zu beurteilen, von der man nichts anderes kennt als diese negativen Zugaben zum Reisevergnügen.

Alle, die den Rat befolgten, nicht bei jeder Schweizerreise und Italienfahrt nur durch Basel durchzustürmen, sondern der Stadt auch einmal einen eingehenden Besuch zu machen, sind bald Verehrer und Freunde derselben geworden. In der Tat gewähren die drei stattlichen Rheinbrücken den Ausblick auf eines der packendsten Städtebilder, das wir genießen können; die Aussicht von der Pfalz oben am gotischen Münster unmittelbar auf den herrlichen Strom hinab und hinüber auf die nahen Schwarzwaldhöhen ist entzückend, der Kreuzgang am Münster mit seinen lauschigen, spitzbogenumrahmten Höfen und seinen Denkmälern aus mehreren Jahrhunderten ist einer der schönsten seinesgleichen. Steigen wir dann eines der steilen Gäßchen hinab in die belebten Straßen, die nach dem Marktplatz mit seinem alten, glücklich erneuerten Rathaus und weiter kreuz und quer zu dem massigen Bau des Spalentores führen, so bekommen wir den stimmungsvollsten Eindruck einer Stadt mit alter, hoher Kultur, in der aber das moderne Leben darum doch nicht minder lebhaft pulsiert. Das historische Museum, in der ehemaligen Barfüßerkirche aufs glücklichste und unter geschickter Anpassung an die gegebenen Räume trefflich untergebracht, wird den Altertumsfreund lebhaft fesseln; die Kunstsammlungen im Museum sind bekannt in ihrer hohen Bedeutung für die ältere deutsche Malerei, in erster Reihe für Holbein. Daß von dem Basler Böcklin, der in jungen Jahren die Wände im Treppenhaus mit großen Gemälden schmückte, nicht wenige seiner Schöpfungen in einem eigenen Saale vereinigt sind, verleiht der Galerie in neuerer Zeit eine besondere Anziehungskraft.

Abb. 64. Das Kaufhaus in Freiburg.
Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg. (Zu Seite 89.)

Die naturwissenschaftlichen Sammlungen sind mit denen der Kunst unter einem[S. 63] Dach untergebracht, ebenso eine ethnographische Sammlung; der sehr schön angelegte und an seltenen Tierformen reiche zoologische Garten befindet sich im Südwesten vor der Stadt.

Abb. 65. Rathaus in Freiburg.
Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg. (Zu Seite 89.)

All das und vieles andere von hervorragendem Wert ist entstanden durch den hoch entwickelten Bürgersinn der Basler, die ihre Stadt schon früh zu einer sehr reichen gemacht haben, indem sie die Vorzüge ihrer glücklichen Lage für Handel und Verkehr zu allen Zeiten auszunützen verstanden. Von dem in weitem Umkreis sprichwörtlich gewordenen Basler Reichtum zeugt auch die 1460 gegründete, blühende Universität, die bis zur Stunde von der Stadt allein erhalten wird; von ihm zeugen die zahllosen Wohltätigkeitsanstalten jeder Art und die in der ganzen Welt tätige Basler Mission. Von der Basler Gediegenheit bekommt aber schließlich nur der die richtige Vorstellung, dem gelegentlich ein Blick in eines der stolzen Patrizierhäuser zu tun vergönnt wird. Da ist nichts zu sehen von modernem Firlefanz, alles atmet altüberkommene, gewichtige Pracht. Kein Wunder darum, daß die Stadt für die Umgebung der Inbegriff des Großen und Vornehmen ist, daß sie anzieht wie ein Magnet. Waren doch 1888 schon von den Bewohnern nur 28% Stadtbürger, dagegen 37% sonstige Schweizer und 35% Ausländer, von denen weit über die Hälfte aus Baden stammte, und seither hat sich diese Zuwanderung, besonders aus dem Schwarzwald, noch wesentlich verstärkt. Schon vor hundert Jahren war Basel für den weitesten Umkreis schlechtweg „die Stadt“ und es entspricht ganz dem Empfinden von Tausenden, wenn der alemannische Dichter Johann Peter Hebel, der übrigens bei einem vorübergehenden Aufenthalt seiner Eltern 1760 in Basel geboren wurde, in einem seiner Gedichte sagte:

Isch Basel nit e schöni, tolli Stadt?
’s sin Hüser drin, in mengem Dorf isch d’Chilche nit so groß,
Un Chilche, ’s sin in mengem Dorf nit so viel Hüser.
Leopoldshöhe. Lörrach.

Kaum haben wir den badischen Bahnhof der Grenzstadt, der zurzeit seiner Verlegung und Vergrößerung entgegensieht, verlassen, um uns in nördlicher[S. 64] Richtung wieder dem eigentlichen Schwarzwalde zuzuwenden, so erreichen wir sofort wieder Reichsgebiet und damit die Station Leopoldshöhe, am Fuße einer mächtigen Terrasse diluvialer Geschiebe gelegen, die uns vor Augen führt, wie hoch einst der Rhein den Graben zwischen Schwarzwald und Wasgenwald mit von ferne hergebrachten Gesteinsmassen auffüllte, und wie tief er sich später sein Rinnsal in diese selbst gebildeten Ablagerungen einsägte. Von hier führt eine Bahnlinie westwärts über den Strom zu der ehemaligen Reichsfestung Hüningen, um dann an das Elsässer Bahnnetz anzuschließen, und eine ebensolche östlich unter dem Tüllinger Berg (409 m) durch nach Lörrach im Wiesental, um weiterhin von Schopfheim aus und durch das untere Wehratal nach Säckingen zu gelangen. Sie umgeht das Schweizer Gebiet bei Basel und bildet ein Glied jener strategischen Linie, die den Zugang von Osten her auf Belfort und die Burgundische Pforte erschließt.

Abb. 66. Die Kaiserstraße mit dem Martinstor in Freiburg.
Verlag der Neuen Photographischen Gesellschaft in Berlin-Steglitz. (Zu Seite 89.)

Abb. 67. Mädchen aus dem Haslachtal bei Lenzkirch.
Nach einer Photographie von M. Ferrars in Freiburg.
(Zu Seite 95.)

Abb. 68. Zipfelhof im Bärental mit dem Feldberg.
Nach einer Photographie von Dr. Hoek in Freiburg. (Zu Seite 95.)

Der Isteiner Klotz.

Nun geht es weiter durch eine kleine weingesegnete Ebene voll stattlicher Ortschaften, alles beliebte Ausflugsziele für die Basler, bis sich im Jurakalkrücken des Isteiner Klotzes (Abb. 39) das Gebirge unmittelbar zum Rhein vorschiebt und[S. 65] die Bahnlinie zwingt, in drei Tunnels die weißen Felsen zu durchbrechen. Mancherlei Sagen und Legenden knüpfen sich an diesen Punkt, die stimmungsvollste verarbeitete Scheffel zu seinem „Hugido“. Seit etlichen Jahren ist die Felszinne des Isteiner Klotzes in eine starke Befestigung umgewandelt worden, die das Rheinknie und Oberelsaß beherrscht. Damit ist auch die Zugänglichkeit dieses einst so gefeierten Aussichtspunktes unmöglich gemacht worden. Früher gab es hier ein genußreiches Wandern und Klettern, und niemand, der sich Zeit lassen konnte, hat es bereut, von Istein aus den malerischen Felssteig zu benutzen und zu der in die senkrechte Kalkwand hineingehauenen Veitskapelle und weiter in die Höhe hinaufzusteigen, wo seiner die herrlichste Aussicht harrte. Unmittelbar zu Füßen strömt der majestätische Rhein in seinem kanalisierten Bett, läßt aber in zahlreichen Altwassern und Verlandungen sein früheres Überschwemmungsgebiet und zugleich den Gewinn der großen Flußkorrektion erkennen. Darüber hinaus breitet sich das Elsaß aus, überragt vom Wasgenwald und vom nahen Schweizer Jura. Über dem Klotz erhebt sich in nächster Nähe der eigentliche[S. 66] Schwarzwald mit seinen dunklen Waldbergen, an deren Fuß, soweit das Auge blickt, reiche Rebgelände sich anschmiegen.

Abb. 69. Der Feldberger Hof im Winter.
Nach einer Photographie von Dr. Hoek in Freiburg. (Zu Seite 96.)

Müllheim.

Noch geht’s eine kurze Zeit hoch über dem Rhein hin, dann tritt das Gebirge und mit ihm die Bahnlinie allmählich mehr nach Osten zurück und bald ist Müllheim erreicht, ein behäbiges Landstädtchen, ganz in den rebenbewachsenen Lößhügeln und etwas höher ansteigenden Vorbergen versteckt, zwischen denen sich eine Nebenbahn durchschlängelt, die uns in einem halben Stündchen durch das Klembachtal hinauf nach Badenweiler (427 m) führt.

Das ist nun einer der bevorzugtesten, fast möchte man sagen gottbegnadetsten Punkte des Schwarzwaldes (Abb. 40). Er liegt 200 m über der nahen Rheinebene windgeschützt auf einer Terrasse des höher ansteigenden Gebirges derart, daß gar häufig die herbstlichen und winterlichen Nebel der Niederung nicht bis zu ihm hinauf dringen, und daß schon hier sich die Wärmeumkehr der Höhen geltend macht. Dazu kommen die Thermen von 26 bis 28° C, die an der hier durchlaufenden Hauptverwerfungsspalte des Schwarzwaldes austreten und schon vor 1800 Jahren zur Anlage des Römerbades und einer nicht unbedeutenden Siedlung geführt haben. Auch der Bergbau, hauptsächlich auf silberhaltigen Bleiglanz, der längs eines weithin zu verfolgenden Quarzitganges durch lange Jahrhunderte lebhaft[S. 67] blühte, hat einst zur Hebung des Ortes beigetragen. Heute erinnern daran nur noch die den Sammlern von Mineralien bekannten Halden an der Sophienruhe, am Felsen des Alten Mannes über der freundlich gelegenen Kuranstalt Haus Baden und an anderen Orten.

Badenweiler.

Das Landschaftsbild von Badenweiler und Umgebung ist berückend schön. Wandert man durch den wohlgepflegten Kurpark mit seiner überraschenden Fülle von herrlichen Baumgestalten, unter denen viele Vertreter ferner Florenreiche nicht fehlen, wie z. B. prachtvolle Zedern, Wellingtonien, überhaupt Nadelhölzer allerart, so wird man die Geschicklichkeit bewundern, mit welcher hier die an sich schon so schöne Natur wahrhaft künstlerisch noch gehoben worden ist. Bald ist der Hügel erstiegen, auf dem sich weit nach Westen vorgeschoben die Schloßruine erhebt. Das altbadische Herrenhaus wurde 1678, wie so viele andere am Oberrhein in jenen schweren Zeiten, von den Franzosen zerstört und bietet von seiner obersten Warte einen entzückenden Blick auf den gesegneten Gau zu Füßen. Im Osten das Klembachtal, von hohen Waldbergen umrahmt, unter denen der nahe Blauen bis zu 1165 m aufragt, nach Süden die fruchtbare Vorbergzone, unten das Tal mit seinen in Obstgärten verhüllten Ortschaften, dann die weite Rheinebene, der silberglänzende Strom, drüben im Westen das Elsaß mit den schön gezeichneten Bergkonturen der Vogesen.

Abb. 70. Bismarckdenkmal auf dem Feldberg.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 96.)

Badenweiler selbst ist ein kleiner Ort, der aber mit seinem schmucken großherzoglichen Schloß, seinen Villen und Gasthäusern, alles in schöne Parkanlagen und Gärten zerteilt, einen unendlich lieblichen Eindruck macht. Sehenswert ist — nahe bei dem im Kurpark gelegenen offenen Schwimmbassin — das nach dem Vorbilde altrömischer Bäder gebaute „Markgrafenbad;“ es umfaßt ein Marmorschwimmbad, dessen bezaubernde Lichteffekte, welche durch die gefärbten Glasscheiben der Decke hervorgebracht werden, jeden Besucher bestricken, und Einzelbäder. Die Ruine des Römerbades führt uns die Anlage einer der hervorragendsten unter den nordalpinen Römerbauten vor Augen und gibt eine Vorstellung von der Art, wie das große Kulturvolk seine Heil- und Luxusbäder einzurichten pflegte. Sie ist 1784 entdeckt und freigelegt worden und hat 66 m in der Länge, 19,5 m in der Breite. Neben Vorhöfen und kleineren Räumen, wie Warte- und Salbzimmer, Schwitz-, Dampf- und Einzelbäder, finden wir[S. 68] große Schwimmbäder (Piscinen), kalte Bäder (Frigidarien), warme Bäder (Tepidarien). Alle Einrichtungen sind doppelt vorhanden, offenbar um die Benutzung gleichzeitig für Männer und Frauen zu ermöglichen. Ein Altarstein im Vorhof trägt eine Widmung an die Diana Abnoba.

Umgebung von Badenweiler.

Über dem Dorf betreten wir den herrlichsten Hochwald mit seinen wunderbar gepflegten Wegen, die sich jeder Art von Bewegungsbedürfnis anpassen, vom kurz dauernden Gang ohne jede Steigung bis zur lohnendsten Hochwanderung, die stundenlang ausgedehnt werden kann. Von der Überfülle schöner Ausflugsziele mögen nur zwei genannt werden, der Sirnitzsattel (1072 m) am Wege zum Belchen, der durch das felsen- und wasserfallreiche Klembachtal entweder auf neuer prachtvoll angelegter Kunststraße oder auf dem alten Wege längs des rauschenden Bergbaches erreicht werden kann, sodann der Gipfel des aussichtsreichen Blauen (1165 m), auf den eine Fahrstraße und ein ganzes Labyrinth von prächtigen Fußpfaden führt.

Überaus lohnend ist auch das langsame und behagliche Schlendern durch die Vorbergzone, etwa nach Bürglen (667 m), einer ehemaligen Propstei des Stiftes St. Blasien, und weiter nach dem freundlich gelegenen und ansehnlich gebauten Industriestädtchen Kandern, einst berühmt durch seine Hochöfen, welche die Bohnerze der Gegend verarbeiteten, jetzt durch seine Brezeln, seine Tonwarenfabriken und seine blühende Kunsttöpferei. Im Kandertal aufwärts liegt über dem freundlichen Dorfe Marzell (Abb. 41) die Lungenheilanstalt Friedrichsheim, das Tal hinab führt eine Nebenbahn an der malerischen Felslandschaft der Wolfsschlucht vorbei und durch mehrere schmucke Dörfer in der Richtung auf Basel.

Abb. 71. Im tiefen Schnee.
Nach einer Photographie von Dr. Hoek in Freiburg. (Zu Seite 97.)

[S. 69]

Abb. 72. Kartrichter am Feldberg und Zastler-Loch mit Zastler-Hütte.
Nach einer Photographie von Dr. Hoek in Freiburg. (Zu Seite 97.)


GRÖSSERES BILD

Wie im Süden von Badenweiler, so haben wir auch im Norden dieses Kurortes einen reichen Wechsel von lieblichen Landschaftsbildern voll freundlicher Ortschaften in ihrem reichen Garten-, Obst- und Rebenschmuck mit ernsteren Wald- und Berggegenden, die vom Rande der Ebene bis zu den höchsten Kämmen des Gebirges ansteigen. Der Blick, den die Eisenbahnfahrt von Müllheim bis Freiburg auf den Schwarzwald gewährt, ist an manchen Stellen geradezu großartig, besonders von Heitersheim bis Krotzingen, wo die mächtige Kuppe des Belchen (1413 m) gewaltig aufragt, mit dem südlich anstoßenden Horn des Hochkelch eine imponierende Berggestaltung. Zu diesen Höhen erschließen kurze und im oberen Teil steil[S. 70] ansteigende Täler prächtige Zugänge. So gelangen wir von Heitersheim mit seinem Deutschordensschloß aus dem Jahre 1524 nach dem eng zwischen die Berge geschobenen Sulzburg, einem alten Bergwerksstädtchen am Fuße des weinberühmten Kastelbergs, dessen Ruine vielfach als die eines Römerturmes angesehen worden ist. Etwas weiter oben im traulichen Waldtale liegt das Sulzburger Bad, für Ruhe- und Erholungsbedürftige wie geschaffen, aber auch ein Stützpunkt für Wanderungen nach allen Richtungen.

Das Münstertal.

Bei Krotzingen mündet das vom Neumagen durchströmte Münstertal in die Ebene; eine Nebenbahn, deren Verlängerung durch das reich gesegnete Hügelland nach Sulzburg führt, läßt uns in kurzer Fahrt das hübsche Städtchen Staufen erreichen, dessen Hauptstraße und Marktplatz einen malerisch-altertümlichen Eindruck machen. Vom rebenumpflanzten Schloßberg grüßt altes Gemäuer auf das frische Leben der Gegenwart herab. Die Aussicht, die sich uns oben erschließt, steht in nichts der von der Burg Badenweiler nach. Hinter Staufen ragt der Belchen in unmittelbarer Nähe dräuend auf, die Höhen-Differenz von mehr als 1100 m wirkt fast erschreckend (Abb. 42); aus anderen Mittelgebirgslandschaften läßt sich der Anblick mit dem der Schneekoppe vom Riesengrund aus vergleichen. Vor dem Fuße des Bergkolosses gabelt sich das Münstertal, dessen früherer Bergwerkssegen sich erschöpft zu haben scheint. Der eine Talast, Untermünstertal, führt zum Sattel am Haldenhof (931 m), nicht weit von der Sirnitz, und dann ins Gebiet des mittleren Wiesentals; der andere, Obermünstertal, am alten Kloster St. Trudpert (Abb. 43, 44) vorbei zum mächtig aufragenden Porphyrfelsen des Scharfensteins (Abb. 45) und auf die Wiedener Eck (1137 m), von wo ins obere Wiesental abgestiegen wird.

Rasch ist nun von Krotzingen ab Freiburg im Breisgau erreicht, die natürliche Hauptstadt des Schwarzwaldes. Auch diese Fahrtstrecke wird jeden befriedigen, der sich offenen Sinnes und frischer Genußfähigkeit erfreut. Denn die gartengleich angebaute, dicht besiedelte Landschaft, welcher die Ebene, sanft geböschte Lößhügel und kräftiger modellierte Vorberge stets wechselnde, aber immer schöne Züge verleihen, hat etwas unendlich Liebliches, am meisten in den Frühlingstagen der Obstbaumblütenpracht, wo besonders die anderwärts selteneren Pfirsichbäume mit ihrem entzückenden, zarten Rot ganz bezaubernd zur Geltung kommen.

Abb. 73. Am Zeiger.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 98.)

[S. 71]

Abb. 74. Der Feldsee. Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 97.)


GRÖSSERES BILD

[S. 72]

VIII. Von der Donau zur Dreisam.

Donaueschingen.
U

m auch die vierte Seite der Umrandung des südlichen Schwarzwaldes kennen zu lernen, begleiten wir von dem früher erwähnten Eisenbahn-Knotenpunkt Immendingen ab die windungsreiche Donau talaufwärts, treten bald aus dem Gebiete des Juradurchbruches in die Niederung des botanisch hochinteressanten Donauriedes und gelangen in kurzer Frist nach Donaueschingen (677 m). Das ist eine in vielen Beziehungen höchst interessante, kleine Residenzstadt mit fast 4100 Einwohnern. Der Hofhalt der besonders in Böhmen begüterten Fürsten von Fürstenberg, die bis 1806 souverän waren und jetzt noch zwischen Bodensee, Feldberg und Kinziggebiet große Besitzungen haben, gibt dem Orte ein besonderes Ansehen (Abb. 46). Von dem furchtbaren Brand, der im August 1908 einen großen Teil der Stadt einäscherte, ist keine Spur mehr zu sehen. Schmucke Neubauten ersetzen aufs vorteilhafteste die ehemals viel unansehnlicheren Stadtteile. Der weit ausgedehnte Schloßpark mit seinen herrlichen Baumgruppen wird jeden Besucher entzücken, und keiner unterläßt es, an der hübsch gefaßten Donauquelle (Abb. 47) seine Betrachtungen über den weiten Weg anzustellen, den das Wasser von hier bis zum Schwarzen Meere zurückzulegen hat. Die frühere Sitte, wonach jeder Gast des Fürstenhauses einen Sprung in das Becken tun und im Wasser stehend den Becher leeren und einen Sinnspruch sagen mußte, hat uns Scheffel, der nach seiner Säckinger Zeit als Archivbeamter hier lebte, in seinem Juniperus köstlich geschildert. Mit dieser Donauquelle ist es aber eine eigene Sache. Sie gibt ihr Wasser in die Brigach (farbiges Einschaltbild Nr. 48) ab, die nahe beim Städtchen nach 40 km langem Lauf sich mit der[S. 73] Brege vereinigt, welche auch schon eine Lauflänge von 45 km hinter sich hat. So bleibt doch wohl der Schwarzwälder Spruch berechtigt:

Brig und Breg
Bringen die Donau z’weg.

Abb. 75. Das Herzogenhorn im Nebelmeer.
Nach einer Photographie von Dr. Hoek in Freiburg. (Zu Seite 98.)

Abb. 76. Bauernhaus in Bernau.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 98.)

Abb. 77. Bauernhof im Schlechttal bei Schweigmatt.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 98.)

Der Renaissancebau des Schlosses ist sehr ansehnlich, nicht wenige sonstige Bauwerke verdienen außerdem Beachtung. Die Sammlungen sind in hohem Grade[S. 74] wertvoll; es gilt das von den naturwissenschaftlichen wie von der Kupferstich-, Münz- und Waffensammlung, vom Archiv und der Bibliothek, unter deren reichen Schätzen die Laßbergsche Handschrift C des Nibelungenliedes sich wohl der größten Berühmtheit erfreut.

Die Baar.

Die Höhenluft und das Solbad ziehen viele Sommergäste an, und jedem ist der Aufenthalt bekömmlich. Manchem mag das Landschaftsbild der weiteren Umgebung einförmig erscheinen. Und doch entbehrt die Baar — so heißt die Hochfläche zwischen dem eigentlichen Schwarzwald und dem Jura —, der Reize durchaus nicht. Die Blicke über fruchtbare Kornfelder, im einzelnen hübsche Flußszenerien, malerische Baumgruppen, schmucke Ortschaften, all das macht die reiche Gegend zu einer freundlichen, anheimelnden.

Wutachtal.

Der Weg nach Westen, den wir nun einschlagen, ist einer der meistbegangenen im Schwarzwald. Im unfernen Hüfingen erinnert ein nicht schlecht erhaltenes Römerbad an die Bedeutung der Heerstraße von Vindonissa nach Arae Flaviae, bald überschreitet sodann die im Herbst 1901 eröffnete Bahnlinie im Dögginger Tunnel bei 749 m Meereshöhe die Donau-Rhein-Wasserscheide, und zieht nun in vielen Krümmungen, die uns manch wechselvollen Blick, gelegentlich auch auf die Alpen, gewähren, über das Hochland hin; gewaltige Viadukte überschienen einzelne Talfurchen; weiterhin halten wir uns zumeist nahe dem Steilrande der tief eingenagten Wutach, die hier nach Osten fließt, und gelangen an Löffingen (803 m) vorüber ins Waldtal des Röthenbaches. Damit verlassen wir die Fruchtbreiten der Kalkregion; bald haben wir auch die hier schmale Buntsandsteinzone durchschnitten und befinden uns im Granitgestein des eigentlichen Gebirges.

Abb. 78. Kurhaus Wehrawald bei Todtmoos.
Nach einer Photographie von G. Hahn in Todtmoos. (Zu Seite 99.)

[S. 75]

Abb. 79. Todtmoos. Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 99.)


GRÖSSERES BILD

Vier Tunnels werden durchfahren, dazwischen haben wir herrliche Niederblicke in die enge Schlucht unmittelbar zu unseren Füßen; auf einer mächtigen Steinbrücke von 57 m Spannweite geht’s über die Runse des Schwändebachtobels und auf noch grandioserer Brücke, der größten ihrer Art in Deutschland, überschreiten wir schließlich die Wutach, genauer gesagt die Gutach, wie der Waldstrom hier noch heißt, um bald danach die weit vom gleichnamigen Dorf abliegende Station Kappel-Gutachbrücke[S. 76] zu erreichen. 64 m spannt der mächtige Brückenbogen, der das Wildwasser 34 m tief unter sich läßt. Die Umgebung dieser Brücke kann zu den eigenartigsten Landschaften des Schwarzwaldes gerechnet werden (Abb. 49). In tiefer Rinne, deren Querschnitt die für Erosionsschluchten charakteristische V-Form hat, tost der Bach über mächtige Gerölle; die Abhänge sind dicht bewaldet wie die umgebenden, sanft geformten Höhenzüge, von deren Tannendunkel das helle Grün eingestreuter Wiesenflächen sich kräftig abhebt. Über allem der Hauch ungetrübter Ursprünglichkeit, der Friede der Einsamkeit. Und mitten in diese stille Bergwelt ist nun die gewaltige Gutachbrücke mit ihrem kühn geschwungenen Bogen hineingestellt, über den scheinbar ganz langsam der Wagenzug hinrollt, um auch diese abgelegene Bergwelt ans Netz des Weltverkehrs anzuschließen. Der Gegensatz zwischen der Landschaft und dem mächtigen Werk der Ingenieurkunst wirkt vielleicht am stärksten, wenn man den Fußpfad unter der Brücke zum rauschenden Wildwasser hinabsteigt und aus der Tiefe herauf blickend das wunderbare Bild in sich aufnimmt.

Das Tal der Gutach-Wutach war bis 1904 das einzige des Gebirges, dem kein Weg der ganzen Länge nach folgte. Seither hat es der Schwarzwaldverein durch Anlage neuer Wege und durch teilweise Benutzung älterer Wegstücke möglich gemacht, zunächst von der Kappeler Brücke ab bis zur Schattenmühle zu gelangen, indem man dem eben erwähnten Fußpfad folgt und auf und ab, bald nahe am Fluß, bald hoch über demselben, mit wechselnden Blicken in die Schlucht und ihre Felseinrahmung sich zur großartig einsamen Einmündung des Röthenbaches und weiter zum Räuberschlößchen durcharbeitet, von wo die Schattenmühle, in einer freundlichen Talweitung am Fuß gelegen, erreicht wird. Von hier ist ein Abstecher in die an alpine Szenerien erinnernde Lothenbachklamm (Abb. 50) überaus lohnend, und bald ist dann das kleine Bade- und Kurhaus Boll erreicht, ein behaglicher Rastort mitten in der einsamen Wildnis der ernsten Bergwelt.

Abb. 80. Im Wehratal.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 100.)

[S. 77]

Weiter bis zur Wutachmühle aber fehlte einst jede Möglichkeit des Durchkommens. Der Fluß macht mäandrisch zahlreiche Biegungen zwischen den beiderseits senkrecht aufragenden Kalkwänden und unterspült an der konvexen Seite der Krümmungen die Felsen meist so stark, daß zwischen diesen und dem Wasserlauf ein Vordringen völlig undenkbar war. Nur dem mutigen und ausdauernden Wagehals, der sich nicht scheute, vielleicht zwei dutzendmal das Wasser zu durchwaten und sich zwischen je zwei Furten mit Mühe durch wildes Gestrüpp von urwaldartiger Dichte durchzuzwängen, enthüllte das interessante Schwarzwaldtal seine geheime Schönheit. Dem verschwiegenen Botaniker und dem Geologen bietet dieses jungfräuliche Stück Land eine seltene Fülle des Interessanten. Auch ein Stück Trockental ist vorhanden, indem der Fluß an einer Stelle in den Kalkfelsen eindringt, unterirdisch weiterläuft und erst in größerer Entfernung wieder als mächtiger Wasserschwall aus einem Felsentor hervorrauscht (Abb. 51).

Abb. 81. Partie in der Haseler Höhle (Erdmannshöhle).
Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg. (Zu Seite 100.)

Der neue Schwarzwaldvereinsweg von Boll abwärts — er trägt den Namen des Verfassers dieses Büchleins — hat endlich die Wutachschlucht der Allgemeinheit erschlossen und kann jedenfalls beanspruchen, die großartigste und interessanteste Weganlage zu sein, die aus touristischem Interesse in unserem Gebirge geschaffen worden ist. Der Weg führt bald hoch über den senkrechten Kalkwänden hin und gewährt herrliche Niederblicke auf Talboden und Fluß, bald zieht er durch grüne Auen am Stromufer hin, eingerahmt von dichtem Niederholz und fast tropisch üppiger Kräutervegetation, unter der die Riesenblätter des Huflattich stark vorherrschen, dann überschreitet er wieder — es geschieht das viermal — den Wildstrom auf hohem, sicherem Eisensteg. So geht es etwa anderthalb Stunden weit in ununterbrochenem Wechsel von neuen, immer schönen Landschaftsbildern bis zu einem Holzsteg, über den nach Norden ein Pfad durch die wilde Gauchachschlucht abzweigt, der dem Wutachtalweg an Schönheit nicht viel nachgibt. Er führt zur Eisenbahnstation Döggingen (s. S. 74) hinauf, und eröffnet so einen bequemen[S. 78] Zugang zum Wutachtal, das auch von zwei anderen Stationen der Donaueschinger Linie, nämlich Bachheim und Reiselfingen, mühelos zu gewinnen ist.

Wenig östlich vom Einfluß der Gauchach, unmittelbar an dem erwähnten Steg, liegt die Wutachmühle; von hier führen Straßen auf die umgebenden Höhen hinauf, nördlich nach Donaueschingen, südlich nach Bonndorf; im sich freundlich erweiternden Tal selbst geht ein bequemer Fahrweg nach Achdorf, wo der Fluß nach Südwesten umbiegt, und zur Eisenbahn nach Zollhaus oder Fützen (s. S. 50 und 52). Auch hier, in der Gegend des Wutachknies, haben neue, schöne Wege viel zur Erschließung der interessantesten Landschaft beigetragen.

Kehren wir zur Kappeler Brücke zurück, so erreicht von hier ab unsere Bahnlinie zwischen hohen fluvioglazialen Terrassen hinziehend bald das über 3600 Einwohner zählende Industriestädtchen Neustadt (805 m), das, von seiner hochgelegenen Kirche mit ihrem schlanken Turm überragt, einen ansehnlichen Eindruck macht. In der Neustadter Gegend kleiden sich Frauen und Mädchen noch allgemein in der alten, malerischen Tracht (Abb. 52).

Titisee.

Weiter biegt unser Schienenweg, stets der jungen Gutach entlang, um den 1188 m hoch ansteigenden Hochfirst herum, den ein Aussichtsturm krönt, und in wenig Minuten fahren wir in die Station Titisee (858 m) ein. Noch einen Augenblick, und wir stehen am Ufer des stillen, dunkelen Bergsees, eines wertvollen Kleinodes im reichen Schmucke der Schwarzwaldlandschaften.

Der Titisee (Abb. 53) ist etwa 2 km lang und 0,5 km breit. Seine größte Tiefe mißt 39 m. Er wird gespeist vom Seebach, der aus dem Feldsee am Feldberg kommt; sein Abfluß ist die mehrfach genannte Gutach, später Wutach genannt. Seine Umgebung ist eine echte Moränenlandschaft (Abb. 54), aus der typische Moränenblöcke nahe am Bahnhof zu einem kleinen, aber lehrreichen Gletschergärtchen vereinigt worden sind. Die Moräne, welche den See abdämmt, ist am Hirschbühl hinter dem Bahnhof und nahe dem Gutachabfluß aufs schönste angeschnitten.

Abb. 82. Straßentunnel im Albtal.
Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg. (Zu Seite 101.)

[S. 79]

Abb. 83. St. Blasien. Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 100.)


GRÖSSERES BILD

Doch was kümmert die meisten unter den Tausenden von Besuchern die Entstehungsgeschichte dieses Fleckes Erde? Lassen darum auch wir in erster Reihe seine Schönheit auf uns wirken. Und was könnten wir Lieblicheres in uns aufnehmen, als das[S. 80] Bild des strahlenden Sees, aus dessen klarem Spiegel die ihn umrahmenden Berghöhen nochmals unser Auge treffen? Wie wohlig ist es uns zumute, wenn wir hinausrudern in die friedliche Fläche und dann den Kahn ruhig treiben lassen, um ungestört umherblicken zu können in der freundlichen und doch ernsten Gebirgswelt mit ihren stillen Höhen, den dunkeln Wäldern, den saftigen Matten mit ihrem weidenden Vieh, dessen fernes Glockengetön allein die friedliche Ruhe unterbricht. Fehlen auch die schroffen Formen des Hochgebirges, die uns die Umgebung so manches Alpensees als etwas unvergleichbar Herrliches vor das Gedächtnis zaubern, so wird es der Titisee in seiner einfachen Lieblichkeit doch immer unserm Herzen antun, gleichviel ob die glänzenden Lichter der Mittagssonne aus ihm widerstrahlen, ob düstere Wolken über ihn jagen und ihn fast schwarz erscheinen lassen, oder ob die Ruhe der Nacht sich schweigend über ihm ausbreitet. Ein bißchen an Ursprünglichkeit hat er allerdings verloren, seit die Lokomotive mehrmals des Tages an ihm vorbeischnaubt. Wo früher ein kleines, ärmliches Wirtshäuschen stand, sonst aber von Menschenspuren nicht viel zu sehen war, da ist jetzt eine stattliche Siedlung entstanden, und eine starke Kolonie von Kurgästen bevölkert allsommerlich die großen Gasthöfe. Straßen und Fußwege laden zu lohnenden Wanderungen ein, die von hier aus bequem nach allen Richtungen ausgeführt werden können.

Abb. 84. Bauernhaus im Schwarzatal bei Schluchsee.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 101.)

Zur Dreisam.

Höllental und Himmelreich.

Uns aber führt die Bahn weiter nach Westen. In der typischen Torfmoorlandschaft von Hinterzarten überschreiten wir bei 893 m Meereshöhe — es ist das die höchste Stelle, welche die badischen Eisenbahnen erreichen — die Wasserscheide der Wutach gegen die Dreisam, und nun geht’s rasch in die Tiefe hinab. Nur 11 km sind es bis zum Himmelreich, aber 438 m Höhenunterschied müssen auf dieser kurzen Strecke überwunden werden; zu diesem Zwecke ist bis zur Station Hirschsprung der Zahnradbetrieb eingeführt, der ein Gefälle bis 1 : 18 gestattet, freilich bei sehr langsamer Fahrt. Noch geht es zunächst durch schön aufgeschlossene Moränen (Abb. 55), dann im anstehenden Gneis hoch über dem Löffeltal hin,[S. 81] dann durch einige Tunnels und auf 144 m langem Viadukt 37 m hoch über die wilde Ravennaschlucht (Abb. 56), an deren Ausgang ins Höllental gerade unter der Bahnlinie die alte St. Oswaldskapelle neben dem großen, weitum bekannten Sternwirtshaus liegt. Das Tal zeigt sich zunächst noch freundlich und lieblich. Durch grüne Wiesen plätschert der Rotbach neben der Talstraße, während die Bahn sich oben an der Berglehne hält. Das ändert sich erst unter der Station Hirschsprung, wo die Felsen von beiden Seiten sich so nahe treten, daß die Straße nur durch Sprengungen neben dem Bach Raum gewinnen konnte, während die Bahnlinie die Bergwand in drei Tunnels durchbricht. Diese Enge, der Hirschsprung, ist die großartigste Stelle des Tales und darf sich den wildesten Talschluchten aller Mittelgebirge an die Seite stellen (Abb. 57). Freilich ist sie nur kurz, doch wahrt das Tal auch unterhalb dieses Engpasses noch den schluchtartigen Charakter (Abb. 59); ist seine Sohle doch beiderseits von 400 bis 600 m hohen Flanken eingefaßt, so daß es sich gut begreift, wie die Raubritter der Feste Falkenstein von ihrem Felsnest aus dem Berufe des Wegelagerertums erfolgreich obliegen konnten, bis sie schließlich ihr Schicksal ereilte, und ihre Burg 1390 zerstört wurde.

Abb. 85. Rothaus.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 101.)

Bei Himmelreich (455 m), wo mächtige Flußterrassen die Talhänge flankieren und uns zeigen, wie die Geschiebeführung nach dem Abschmelzen der Gletscher auch hier eine viel mächtigere war als in der Gegenwart (Abb. 58), öffnet sich plötzlich die Landschaft zum weiten sonnigen Taltrichter der Dreisamebene, die eine größte Breite von 6 und bis Freiburg eine Länge von 14 km hat. Der Gegensatz gegen die Enge der soeben noch durchmessenen Talstrecke ist wirklich ein großer und erklärt genugsam die Benennungen: Himmelreich und Höllental. An der alten Keltenniederlassung Tarodunum (Zarten) vorbei, die schon Ptolemäus erwähnt, und die eine ausgesucht günstige Lage auf hoher Terrasse innehat, wird das am Fluß des vielbesuchten Giersberger Wallfahrtshügels (Abb. 60) frei gelegene Kirchzarten erreicht, von wo mehrere Straßen nach Nord und Süd ins Gebirge abzweigen, und bald darauf nähern wir uns der natürlichen Schwarzwaldhauptstadt, Freiburg im Breisgau (271 m).

Straßen von Schwaben ins Breisgau.

Der Gebirgsübergang Donaueschingen-Freiburg ist einer der wichtigsten im Schwarzwalde; er hat oft eine große Rolle im Krieg und Frieden gespielt. Das Schwabentor in Freiburg weist durch seinen Namen schon auf die Bedeutung der Straße hin, welche die obere Rheinebene mit der Bodenseegegend, dem Donautal und Neckargebiet in Verbindung setzt. Freilich umging sie früher das Höllental, das bis 1755 nur einen Saumpfad, dann einen holperigen Fahrweg besaß, welcher 1770 in Rücksicht auf Maria Antoinettens Brautfahrt von Wien nach Paris besser[S. 82] ausgebaut wurde; 1857 ward die jetzige Kunststraße, 1887 die Eisenbahn Freiburg-Neustadt angelegt. Die alte Heerstraße vermied die Schlucht, sie hielt sich möglichst auf den Höhen und erreichte von Donaueschingen aus durchs Bregach- und Urachtal die Wasserscheide auf der „Kaltenherberge“ (1030 m), stieg auf dem wallartigen Kamm zwischen dem Wildgutach- und Joostal noch bis 1102 m zum „Schwabenstutz“ hinauf, 208 m höher als die Paßhöhe von Hinterzarten, ging dann über den oft verschanzten Hohlen Graben zum Turner (1035 m), von wo ein zwar steiler aber unschwieriger Abstieg durch das Spirzental und die Wagensteige ins Dreisamtal ebensowenig ein Hindernis bot als die Fortsetzung des Höhenwegs über die Klöster St. Märgen (890 m) und St. Peter (722 m) und durch das Eschbacher Tal nach Freiburg, oder durch das Glottertal etwas weiter nördlich in die Rheinebene. Dieser Höhenweg war auch von Rottweil-Villingen oder von Neustadt her leicht zu gewinnen. Er bildete durch mehrere Jahrhunderte die Hauptstraße von Schwaben ins Breisgau und ist viel umstritten worden, besonders auch im Dreißigjährigen und im spanischen Erbfolgekrieg, sowie in den Tagen von Moreaus Rückzug aus Bayern und Schwaben, 1796.

Abb. 86. Moräne Seebruck am Schluchsee.
Nach einer Photographie. (Zu Seite 101.)

IX. Freiburg im Breisgau.

Lage und Alter Freiburgs.
K

[S. 83]

ommen für die Lebensfähigkeit ländlicher Siedlungen im wesentlichen nur die Bedingungen der Örtlichkeit an sich in Frage, also das Vorhandensein von Gebrauchswasser, die Ernährungsmöglichkeit durch das, was der Boden spendet,[S. 84] und der Schutz vor schädlichen Naturgewalten, so tritt bei Städten neben diesen Rücksichten und neben dem Bedürfnis nach Schutz im Kriege vor allen Dingen das nach möglichst vielseitiger Verkehrsbegünstigung hinzu. Bei Städtelagen ist also neben der Topographie der nächsten Umgebung auch, wie wir das bei Basel sahen, das Verhältnis zum weiteren Umkreis in hohem Grade maß- und ausschlaggebend für Dasein und Entwicklung. Freiburgs Lage nun kann in jeder Hinsicht als eine ideal günstige bezeichnet werden.

Abb. 87. Heuernte im Tal; Gewitterstimmung. Nach einer Photographie von M. Ferrars in Freiburg. (Zu Seite 43 u. 101.)


GRÖSSERES BILD

Die Straßen, die vom Arlberg her, aus Italien und Südfrankreich in Basel zusammenlaufen, finden ihre rechtsrheinische Fortsetzung in der vor Sumpf und Hochwassergefahr der Rheinebene geschützten Bergstraße am Fuß des Schwarzwaldes und Odenwaldes hin nach Mittel- und Norddeutschland. An jeder Stelle, wo auf diesen Hauptweg aus dem Gebirge heraus ein Nebenweg mündet, entstand früh eine Siedlung, deren Bedeutung derjenigen des Nebenweges und seines Hinterlandes entspricht. Fast jeder Ort an der Straße Basel-Frankfurt bestätigt dieses Gesetz. Als Hinterland der Höllentalstraße dürfen große Teile des Schwarzwaldes und ganz Schwaben gelten; beachten wir dazu die bedeutsame westliche Fortsetzung dieser Straße nach Breisach, dem einzigen festen Rheinübergang weitum, so ist damit die Verkehrslage Freiburgs mehr als genügend gekennzeichnet.

Den nötigen Schutz fand die Stadt in kriegerischen Jahrhunderten dadurch, daß sie sich unmittelbar an ihren Schloßberg anlehnt, der durch lange Zeiten mit der Stadtumwallung zu einem wirkungsvollen Befestigungssystem vereinigt war. Freilich war dieser Schutz dringend nötig, da die Lage an so wichtigen Straßen sich nur zu häufig strategisch als höchst gefahrvoll erwies.

Abb. 88. Partie im Schlüchttal.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 102.)

[S. 85]

Abb. 89. Der Schlüchtsee. Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 101.)


GRÖSSERES BILD

Auf dem Freiburger Schloßberg hat man einen römischen Mosaikboden gefunden, die älteste bekannt gewordene Besiedlung des Platzes geht hiernach recht weit zurück. Die jetzige Stadt aber ist wesentlich jüngeren Ursprungs, indem sie[S. 86] ihre Gründung erst den Herzogen von Zähringen verdankt, von denen Berthold II. 1091 nicht weit südlich von der Zähringer Stammburg ein Jagdschloß, und sein Bruder Konrad, dem ein hoher geographischer Scharfblick nicht abgesprochen werden darf, 1120 eine Markstätte errichtete. Diese erhielt Stadtrechte nach Kölner Muster, entwickelte sich zum blühenden Gemeinwesen und ist durch all die folgenden Jahrhunderte der Hauptmarkt geblieben für das große Gebiet vom Bodensee über den Schwarzwald bis zur Ortenau, ganz wie das seiner Lage entspricht.

Wasserversorgung, Kanalisation.

Zur glücklichen Entwicklung der Stadt tragen aber auch, besonders in neuerer Zeit, die Verhältnisse der nächsten Umgebung wesentlich bei, und zwar zunächst der Umstand, daß die Stadt auf dem Schuttkegel liegt, welchen die Dreisam bei ihrem Austritt aus dem Tal in die Ebene abgelagert hat. Das natürliche Gefälle des Stadtbodens von Ost nach West ist ein für den Wasserabfluß und damit für die Reinigung der Stadt überaus günstiges. Oberhalb der Stadt liegt der Boden des Dreisamtales 300 m hoch, der Münsterplatz hat 278 m, der Bahnhof 268 m, und etwa 2 km weiter westlich haben wir nur noch 258 m. Dazu kommt der außerordentliche Reichtum an Wasser; die städtische Leitung verfügt über den fast unerschöpflichen Reichtum des Grundwassers im oberen Dreisamtal, das durch die mächtigen Kies- und Sandlager, die es durchströmt, in so weitgehender Weise filtriert wird, daß es fast als chemisch rein bezeichnet werden kann. Über 250 Liter des wertvollen Wassers stehen jetzt bei über 83000 Einwohnern täglich für den Kopf der Bevölkerung zur Verfügung. Die ganze Stadt ist kanalisiert, alle Abwasser werden mit größter Geschwindigkeit den städtischen Rieselfeldern im Mooswald der Rheinebene zugeführt und erfahren auf dem Wege dahin und bei ihrem weiteren Ablauf wieder eine fast vollständige Reinigung, wie eingehende chemische und bakteriologische Untersuchungen längst und immer wieder nachgewiesen haben.

Abb. 90. Am Schwedenfelsen im Schlüchttal.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 102.)

Freiburgs Klima.

Nicht leicht dürfte es eine andere Stadt geben, bei der die[S. 87] natürlichen Bedingungen für das Schwemmsystem so günstig sind wie bei Freiburg, das hiernach als eine der gesündesten Städte gelten darf. Zu dieser sanitären Begünstigung wirken auch klimatische Vorzüge mit, und zwar kommen zu den allgemeinen Klimavorzügen der Rheinebene noch spezielle, welche ihren Grund wieder in den topographischen Verhältnissen der näheren Umgebung haben.

Abb. 91. Todtnauberger Wasserfall.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 103.)

Dreisam- und Höllental, die sich bei geringer Länge von den höchsten Schwarzwaldhöhen zur Ebene herabsenken, geben, wie bei ähnlichen Voraussetzungen überall, Veranlassung zu einem regelmäßigen Wechsel von Berg- und Talwinden, deren erster tagsüber ins Gebirg hineinweht, während der letztere in der Nacht von oben herab strömt. Dieser Höllentalwind, wie er heißt, setzt nach Sonnenuntergang ein und hat zur Folge, daß auch im höchsten Sommer die Nächte niemals drückend schwül sind und der Abkühlung mangeln, wie das z. B. in Straßburg, Karlsruhe oder Mannheim der Fall ist. Diese nächtliche Luftbewegung in der warmen Jahreszeit ist einer der größten Vorzüge des Freiburger Klimas. Subjektiv erscheint die Strömung freilich kühl, und das abendliche Sitzen im Freien ist auch im heißesten Sommer nicht gerade häufig rätlich, denn die Abkühlung durch Hautverdunstung bei der starkbewegten Luft wird empfindlichen Naturen leicht unangenehm. Objektiv aber liegt die Sache so, daß der Talwind als Fallwind nach Art des Föhn sogar eine kleine Temperaturerhöhung bringt; ergibt doch die abendliche Neunuhr-Ablesung am Thermometer regelmäßig höhere Werte als an den übrigen meteorologischen Stationen der Rheinebene. Diese bewegte Luft hat etwas überaus Erfrischendes für den menschlichen Organismus, und in ihr liegt wohl der Hauptreiz des Freiburger Lokalklimas, das im übrigen, was geringe Wärmeschwankung, relative Feuchtigkeit und gemäßigte Winter betrifft, kaum wesentlich hinter den gefeiertsten Orten am Genfer See zurücksteht. Die Frühlingsblüte in ihrer herrlichen Pracht tritt gegenüber dem nördlichen und gar nordöstlichen Deutschland um zwei bis vier Wochen früher[S. 88] ein, die schönen Herbsttage mit ihren wunderbaren Färbungen der Laubwälder dauern zumeist bis tief in den November hinein. Die Nähe der ausgedehntesten Bergwaldungen mit ihrem dichten Netz trefflich gepflegter Fahr- und Gehwege bis zu den höchsten Gebirgsgruppen hinauf — all das sind Dinge, die nicht leicht eine andere Stadt in ähnlich glücklicher Weise zu bieten imstande ist.

Abb. 92. Schönau im Wiesental mit Blick auf den Belchen.
Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg. (Zu Seite 103.)

Bevölkerung, Bauweise.

Kein Wunder darum, daß Freiburg eine große Anziehungskraft übt. Hatte die Stadt 1812 erst 10100 Einwohner, so war sie bis 1864 auf 19200, d. h. jährlich um 1,2 Prozent angewachsen, seither aber stieg ihre Bevölkerungszahl durchschnittlich um 3,3 Prozent im Jahre, so daß sie an der Jahrhundertwende 61500 und 1910 über 83000 betrug, von denen rund 70 Prozent katholisch sind. Bei dieser starken Zunahme muß aber ganz besonders beachtet werden, daß wir es in Freiburg nicht mit einer Industriestadt im eigentlichen Sinne zu tun haben. Blühen auch Gewerbe und Handel lebhaft, so treten sie doch nicht als beherrschend in den Vordergrund, Fabrik- und Arbeiterviertel fehlen ebenso wie enge, winkelige Stadtteile nach der Art anderer alter Städte, und das, was man Proletariat zu nennen pflegt, das gibt es im landläufigen Sinne nicht in Freiburg. Um den alten, kleinen Kern der Stadt, der sich um das herrliche Münster kreisförmig ausbreitet und dessen Umgrenzung vom Schloßberg aus an den steilen Dächern der älteren Häuser leicht zu erkennen ist, dehnen sich die weit und luftig gebauten neuen Stadtteile in großem Umfang nach allen Seiten. Meist sehen wir hier elegante Villenstraßen mit wohlgepflegten Gärten; die zweistöckigen Häuser überwiegen dabei und bedingen, daß der Raum der Stadt im Verhältnis zu ihrer Volkszahl ein unverhältnismäßig großer ist. Baum- und rasenbepflanzte Plätze sind überall zwischen den Häuserblöcken zerstreut, unter ihnen nimmt der schöne Stadtgarten die erste Stelle ein. Diese weite, luftige Bauweise ist ein weiterer sanitärer und vor allen Dingen auch sozialer Vorzug der Stadt, der uns deutlich[S. 89] zeigt, daß ihr Volkszuwachs wesentlich durch Zuzug besserer Gesellschaftsklassen zu erklären ist. In der Tat darf Freiburg als ein Pensionopolis bezeichnet werden, in welchem Beamte jeder Kategorie, Offiziere, Gelehrte, Kaufleute aus aller Herren Länder sich ein Heim geschaffen haben. Durch diesen Zuzug und seine Bedürfnisse hat sich das Ansehen der Stadt in den letzten Jahrzehnten sehr stark verändert und nicht minder auch der Geist, der in ihr waltet.

Abb. 93. Stutz bei Schönau. Im Hintergrunde der Belchen.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 103.)

Freiburgs Bauten.

In all diesem Wandel der Verhältnisse ist aber neben der landschaftlich so unvergleichbar schönen Umgebung mit der weiten, gesegneten Ebene, der wein- und obstreichen Vorbergzone und dem formenreichen, stolz aufragenden Waldgebirge (Abb. 61) eines stets unverändert geblieben, das ist das wunderbare Wahrzeichen dieser Stadt, ihr frühgotischer Dom mit seiner himmelanstrebenden, durchbrochenen Pyramide, die weder in Straßburg noch in Köln, nicht in Ulm und nicht in Wien ihresgleichen findet an Anmut und Zierlichkeit des Aufbaues bis hinauf zur Spitze, die 120 m über dem Boden sich in den Äther verliert (Abb. 62 u. 63).

Bauten, geistiges Leben.

Von anderen alten Gebäuden mögen das Kaufhaus (Abb. 64) und das Kornhaus am Münsterplatz mit seinem volkstrachtenbelebten Samstagsmarkt, die Franziskanerkirche und das geschmackvoll restaurierte Rathaus ihr gegenüber genannt werden (Abb. 65), ferner der Basler Hof (Bezirksamt), das Falkensteinische Haus u. a. m. Das Schwaben- und Martinstor (Abb. 66) sind kürzlich stilvoll umgebaut und dabei wesentlich erhöht worden. Sonst sind nicht gerade sehr viele alte Gebäude da, die Belagerungen von 1644, 1713 und 1744 scheinen damit gründlich aufgeräumt zu haben, so daß trotz neuerlicher Bestrebungen einer altertümlichen Bauweise Freiburg tatsächlich überwiegend den Eindruck einer modernen Stadt macht. Hauptverkehrsader ist die Kaiserstraße, die von Nord nach Süd läuft; ihre Brunnen und das hervorragend schöne Siegesdenkmal für 1870/71 beleben sie aufs günstigste. Die alte Universität, ein unansehnliches Gebäude, dem man das ehemalige Jesuitenkloster auch ohne die danebenstehende Barockkirche deutlich anmerkt, wird in kurzem verlassen werden. Der stattliche Prachtbau, der sie ersetzen wird, geht seiner Vollendung entgegen; zusammen mit dem Bibliotheksbau und dem eben vollendeten neuen Stadttheater hat er dem Platz an der Werderstraße ein ganz[S. 90] hervorragendes monumentales Gepräge verliehen. Sehr ansehnliche Bauwerke sind auch die neueren Schulgebäude, die zahlreichen medizinischen und naturwissenschaftlichen Anstalten, das Diakonissenhaus, die St. Johannes- und die Herz-Jesukirche. Die romanische Ludwigskirche verdient dadurch Interesse, daß sie einst als Thennenbacher Klosterkirche in weltabgeschiedenem Waldtal hinter Emmendingen stand, nach Aufhebung der Abtei abgebrochen und um 1830 in Freiburg neu aufgebaut wurde.

Freiburg ist der Sitz zahlreicher Behörden, sowie des Erzbistums für die oberrheinische Kirchenprovinz; es liegen hier ein Infanterie- und ein Artillerieregiment, die Stäbe einer Infanterie- und einer Artilleriebrigade sowie der Stab der 29. Division. Ihren größten Schatz aber birgt sie in ihrer Universität, der Alberto-Ludoviciana, die 1456 von Erzherzog Albrecht von Österreich gegründet und nach dem Anfall der Stadt an Baden 1806 durch Großherzog Ludwig erneuert wurde. Vor vierzig Jahren zählte sie kaum mehr als 200 Studierende, und man fürchtete für ihr Bestehen. Da führte ihr seit 1871 die Gründung des Deutschen Reiches neues Leben zu, und jetzt haben wir im Sommer schon 2900 Studenten gehabt.

Abb. 94. Zell im Wiesental.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 103.)

Hand in Hand mit diesem Aufschwung ging der der Stadt selbst. Und damit ward auch der alte, etwas kleinliche Geist, wie ihn enge Verhältnisse überall mit sich im Gefolge haben, endgültig gebannt. Heute ist Freiburg nicht nur unbestreitbar die schönste der deutschen Universitätsstädte, sondern sie ist auch, was ihr Name sagt, eine freie Burg der Forschung, der Geistesarbeit auf allen Gebieten, ein Hort des Deutschtums, ein fruchtbarer Boden für jegliche Betätigung des bürgerlichen Gemeinsinnes, des Fortschrittes. Daß sie auch für die Bedürfnisse der Geselligkeit alles Wünschenswerte bietet, dafür sorgen in reichlicher Weise Theater und Konzerte, Vorträge und Vereinsveranstaltungen jeglicher Art.

Freiburgs Umgebung.

Und was schließlich bei aller Verschiedenheit der Neigungen und Ansprüche Bewohner und gelegentliche Besucher gleichermaßen beglückt, das ist die herrliche nähere und weitere Umgebung der Stadt, zu der elektrische Straßenbahnen und Wege allerart hinausführen. Auf dem Lorettoberg steht eine Kapelle, in deren[S. 91] Außenwand eine Stückkugel eingemauert ist, die 1744 den Franzosenkönig Ludwig XV., als er von hier aus die Belagerungsarbeiten besichtigte, fast getötet hätte. Wer von dieser Stelle oder vom Schloßberg Umschau hält in die gottbegnadete Landschaft, dem wird das Scheiden nicht leicht werden, nachdem er sein Herz erfüllt hat mit den wechselvollen Eindrücken, die ihm der Rundblick gewährt auf die münsterüberragte Stadt im Kranz ihrer Villen, Gärten und Berge, nachdem er über der weiten Ebene das Vulkangebirge des Kaiserstuhls und dahinter den langen Zug des Wasgenwaldes erschaute, und über dem reichen Grün der nächsten Nähe seinen Blick erhob zu den schöngeschwungenen Berglinien des Schwarzwaldes, die ihn einladen zum Wandern, Schauen und Bleiben. Ob er dann die Schritte ins Revier des Schönberges oder zum Roßkopf mit seinem Aussichtsturm oder zum Stammschloß des badischen Herrscherhauses, der Zähringer Ruine, oder nach dem idyllischen St. Ottilien oder zum Waldsee oder nach dem ewig lieblichen Günterstal lenkt, es ist immer eines, was ihn beglückt, nämlich der Genuß unvergänglicher Naturschönheit, wie sie auf engem Raum nicht leicht in gleicher Fülle und Lieblichkeit anderswo sich ausgestreut findet.

Abb. 95. Breisgauerin.
Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg.
(Zu Seite 103.)

Abb. 96. Markgräflerinnen.
Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg. (Zu Seite 103.)

[S. 92]

X. Über Berg und Tal im südlichen Schwarzwald.

Wegsamkeit des südlichen Schwarzwaldes.
V

on jedem Punkt der Umrandung des südlichen Schwarzwaldes, zu allermeist aber von Freiburg aus, führen bequeme Wege ins Innere des Gebirges. Die Haltestellen der Höllentalbahn zwischen Kirchzarten und Titisee, die von der Breisgaustadt höchstens bis zu anderthalb Stunden Fahrzeit erfordern, lassen den 1493 m hohen Feldberg in drei Gehstunden oder nur wenig mehr ersteigen; da ferner von Basel aus durch das Wiesental bis nach Todtnau, das unmittelbar am Südfuße des Feldberges liegt, ebenfalls ein Schienenstrang führt, so ist auch von dieser Seite her die höchste Gebirgserhebung mühelos und in kürzester Frist erreichbar. Die eisenbahnfernste Gegend zwischen Freiburg und Waldshut, Basel und Zollhaus, die Umgebung von St. Blasien, liegt in der Luftlinie nur etwa 15 km von der nächsten Bahnstation ab; es können daher bequem Tageswanderungen quer durch das ganze Gebirge ausgeführt werden, die es gestatten, am Abend wieder zum Ausgangspunkt zurückzukehren. Dazu kommt,[S. 93] daß die Landschaft trotz ihrer bedeutenden Höhenunterschiede die Eigenschaft der Durchgängigkeit in hervorragendem Maße besitzt. Ist doch der Schwarzwald im ganzen, dank seiner Neigung zur Plateaubildung, auffallend hoch hinauf stark besiedelt; die Folge davon ist selbstverständlich auch ein dichtes Netz von Verbindungswegen jeder Art. Zu den prachtvoll gebauten Landstraßen längs der Wasserläufe der Täler, über die Pässe von einem Talgebiet zum anderen und über die aussichtsreichen Höhen hin — ein Dorado für die Radfahrer — kommen wohlangelegte Fahrwege auch zu dem in tiefster Einsamkeit oder auf höchster Höhe gelegenen Bergdorfe, sowie sehr gute Forststraßen, die zur Verbilligung der Holzabfuhr aus den Waldungen in wachsender Ausdehnung gebaut werden. Und endlich haben wir eine reiche Fülle von Gehwegen, die entstanden sind als Ver[S. 94]bindungen von Einzelgehöften, Weilern und Dörfern, als Hutpfade im Interesse der Forstwirtschaft, oder im Dienste der Wanderlust an sich.

Abb. 97. Hebelhaus in Hausen.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 103.)

Abb. 98. Lörrach.
Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg. (Zu Seite 104.)

Abb. 99. Schloß Rötteln.
Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg. (Zu Seite 104.)

Abb. 100. Eingang von Schloß Rötteln.
Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg. (Zu Seite 104.)

Abb. 101. Belchenhaus.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 104.)

Der Schwarzwaldverein.

In letzterer Hinsicht hat seit 1864 der Schwarzwaldverein, der sich den Zweck setzt, die Kenntnis des Schwarzwaldes zu erweitern und zu verbreiten, das Reisen und den Aufenthalt in ihm zu befördern, sowie dessen Naturschönheiten bekannt und zugänglich zu machen, ungeheuer viel geleistet. Jede noch so tief im Wald versteckte Felsschlucht ist zugänglich gemacht worden, ebenso jeder Berggipfel und Aussichtsfels, und zwar nicht etwa durch gefährliche, schwindelerregende Steige, sondern durch kunstvoll angelegte, mit Tausenden von Wegweisern und Farbzeichen versehene, sichere Wege, durch Brücken und Stege, die das Wandern erst recht genußreich machen. Nehmen wir dazu noch das reichliche Vorhandensein von offenen Schutzhütten und Aussichtstürmen, so haben wir in diesen Dingen die dankenswerten Ergebnisse einer segensreichen, praktischen Arbeit, durch die im Laufe der Jahre tatsächlich die ganze Physiognomie des Gebirges eine andere geworden ist.

Wer die moderne Touristik nur nach etwaigen Äußerlichkeiten und Nebensächlichkeiten beurteilen wollte, die ja allen menschlichen Bestrebungen und Einrichtungen anhängen, ohne ihr Wesen auszumachen, der täte ihr unrecht. Es steckt in den Touristenvereinen, und im Schwarzwaldverein ganz besonders, ein gutes Stück von deutschem Idealismus. Durch ihre Wegbauten und Wanderfahrten locken sie gar manchen, dessen Auge sonst nie für die Natur erschlossen worden wäre, hinaus in Wald und Flur, über Berg und Tal; indem sie auf die Schönheit der Heimat hinweisen, bereiten sie der Liebe zur Heimat und zum Vaterland eine Stätte im Herzen und wirken so im besten Sinne des Wortes erzieherisch. Indem endlich durch ihre Tätigkeit Gebiete, die früher abseits von der Heerstraße lagen, auch Fremden gegenüber ihre Anziehungskraft ausüben lernen, hebt sich Handel und Wandel nach vielen Richtungen. Die glänzenden Erfolge der heimischen Fremdenindustrie sind nicht denkbar ohne die Vor- und Mitarbeit des Schwarzwaldvereins, des badischen wie des württembergischen, die beide ihren Vereinszweck auch noch dadurch zu fördern suchen, daß sie der Landes- und Volkskunde, sowie der Touristik dienende Veröffentlichungen herausgeben[1].

[S. 95]

Die Höhenwege.

Bei all den vielen Tausenden, die beruflich jahraus, jahrein das wirre Getriebe der Städte über sich ergehen lassen oder gar tätig in dasselbe eingreifen müssen, erscheint der Wunsch, gelegentlich den Niederungen der Menschen möglichst vollständig zu entfliehen, nur allzu begreiflich und berechtigt. Ihnen kommen seit kurzem im Schwarzwald einheitlich mit roter Raute bezeichnete Höhenwege zugute, die von Pforzheim einerseits bis Basel (Höhenweg I), anderseits bis Waldshut (Höhenweg II) so weit es immer angeht, stets den Gebirgskämmen folgen und diese nur dann verlassen, wo es unvermeidlich ist. Zu den Haupthöhenwegen führen von allen Talstationen aus Zugangswege, die mit blauer Raute und entsprechenden Nummern (1, 2, 3...) ausgezeichnet sind. Den südlichen Schwarzwald erreicht der 1901 vollendete Höhenweg I von Norden her beim Titisee. Indem wir ihm folgen, überqueren wir ohne Beschwer die stolzesten Gipfel des Gebirges und gewinnen dabei die lohnendsten Blicke über dasselbe.

Immer im Zeichen der roten Raute steigen wir von den Gasthäusern am See die schöne Straße längs seiner Ostseite hinan und freuen uns der glitzernden Grüße, die die Spiegelflut durch das Geäst der schwarzen Tannen heraufwinkt. Wo die Straße nach Lenzkirch (802 m) umbiegt (Abb. 67), einem schmucken Industrieorte mit großer Uhrenfabrik, um weiterhin den Bahnhof Kappel bei der großen Gutachbrücke zu erreichen oder über die einsamen Höhen im Süden der Wutach gegen Bonndorf weiterzuziehen, da verlassen wir sie und folgen einem entzückenden Waldweg mit gelegentlichen Niederblicken auf den stillen Bergsee und seine stimmungsvolle Umgebung. Die Verkehrsbedeutung der herrlichen Straße Titisee-Lenzkirch-Bonndorf ist neuerdings vermindert worden, seit nämlich von der Station Kappel-Gutachbrücke (s. S. 76) der Linie Donaueschingen-Freiburg eine Nebenbahn abzweigt, die nach Lenzkirch führt, aus dessen Kopfstation sie sich ostwärts wendet, um hoch über dem tief eingeschnittenen Wutachtal Bonndorf zu erreichen. Diese neue Gebirgsbahn erleichtert den Zugang nach Boll und zur Wutachschlucht wesentlich, nicht minder auch den zu den südlichen Schwarzwaldtälern der Schwarza, Steina, Schlücht (s. unten).

Abb. 102. Spinnstube im Kapplertal bei Freiburg.
Nach einer Photographie von M. Ferrars in Freiburg. (Zu Seite 107.)

Der Feldberg.

Beim Sattel von Bärental (Abb. 68) erreicht der Höhenweg die Straße, die von der Westseite des Titisees und von Hinterzarten herkommt, geht auf ihr[S. 96] in herrlichstem Hochwald bequem aufwärts, tritt bei der Jägersmatte (1230 m) aus dem Wald und gelangt dann in kurzem zum großen, aber urbehaglichen Gasthaus des Feldbergerhofes (Abb. 69), der in einer Meereshöhe von 1279 m gelegen ist. Von hier braucht man zum mächtig aufragenden Bismarckdenkmal (Abb. 70) auf dem Seebuck (1450 m) und zum Friedrich-Luisenturm auf dem Feldberg (1493 m) noch ein kleines Stündchen.

Abb. 103. Bei Horben.
Nach einer Photographie von M. Ferrars in Freiburg. (Zu Seite 107.)

Von der herrlichen Welt, die sich vor den Augen des Feldbergbesuchers ausbreitet, ist schon die Rede gewesen. Die Schönheit des Feldbergs liegt darin, daß wir in ihm nicht einen räumlich engbegrenzten Gipfel haben, sondern einen[S. 97] Bergstock von ansehnlichem Umfang, dessen Fuß nördlich an der Sohle des Höllentals und südlich an der des oberen Wiesentals liegt, während er westlich durch den Straßenzug Todtnau-Kirchzarten, südöstlich durch die Linie Todtnau-Titisee begrenzt werden kann. Auf diesem großen Raume bietet sich nun eine reiche Fülle von landschaftlicher Schönheit, deren Wechsel nie eintönig wird, wie auch ein fröhlich-sorgloses Umherschlendern auf den freien Höhen des Feldberggebietes nie ermüden wird. Tage-, ja selbst wochenlang bleibt der Feldbergerhof als Standquartier eine Fundgrube immer wieder neuer Entdeckungen im luftigen Revier seiner Umgebung. Auch die Zastlerhütte (Abb. 72) in dem großartigen Kartrichter am Nordgehänge oder die Todtnauerhütte an der sonnigen Südflanke des Berges oder das neue Gasthaus am Sattel des Zeiger sind keine schlechten, wenn auch einfache Raststätten.

Das Wegnetz ringsum ist sehr dicht und bietet Befriedigung für jeden Geschmack. Wie herrlich ist nicht der kühn angelegte Felsenweg hoch über dem Felstrichter des Feldsees (1113 m), wie lauschig der Niederstieg zu dem stillen Wasserspiegel durch die üppigste Fülle kraftstrotzender Waldvegetation (Abb. 74). Und all die Pfade, die vom Höllental, von Kirchzarten her durchs Zastler- oder St. Wilhelmstal oder über die Höhen zwischen diesen Einschnitten heraufführen, wie sind sie schön, wie wohlig wandert es sich auf ihnen! Nicht minder lohnend sind die Abstiege nach Osten und Süden in die Gebiete des Schluchsees, ins Alb- oder Wiesental. Sehr bevorzugt ist der Feldberg jetzt auch im Winter, wo er zum Schneeschuhsport einlädt, dem seit Jahren im Schwarzwalde sehr energisch obgelegen wird (Abb. 71). Tage mit Wärmeumkehr auf den blendend weißen Höhen — und sie sind ja viel häufiger, als man unten im Tale ahnt — gehören zum Genußreichsten, was das Gebirge bieten kann.

Abb. 104. Haldenwirtshaus am Schauinsland im Winter.
Nach einer Photographie von Dr. Hoek in Freiburg. (Zu Seite 107.)

[S. 98]

Der Höhenweg I.

Am Feldbergerhof gabelt sich unser Höhenweg I in zwei Äste, die das Wiesental westlich und östlich umfassen, um schließlich in Basel wieder zusammenzustoßen. Wir schlagen zunächst den östlichen der beiden Hochpfade ein und steigen vom nahen Sattel des Zeiger (1234 m), an dem die Wiese nach Westen, die Alb nach Osten abfließt (Abb. 73), zwischen den Tälern dieser Flüsse zum 1415 m hohen Herzogenhorn auf (Abb. 75), von wo, ganz abgesehen von der herrlichen Alpenaussicht, der Niederblick über die schroffen Felsabstürze hinab ins grüne Bernauer Tal unendlich lieblich ist. Die weit zerstreute Gemeinde Bernau mit ihren zahlreichen Weilern und Gehöften (Abb. 76) ist ein Hauptsitz der Schwarzwälder Holzschneflerei, die hier in genossenschaftlichem Betrieb ausgeübt wird und wirtschaftlich für die Talschaft segensreiche Bedeutung gewonnen hat.

Weiter senkt sich unser Kammweg zum Sattel der Wacht (975 m), wo die Straße vom Wiesental nach St. Blasien geschnitten wird, steigt dann wieder auf zum Blößling (1309 m), geht zum Hohen Zinken (1243 m), Hochkopf (1263 m) und Weißenbachsattel (1086 m), von wo bequem nach Todtmoos im oberen Wehratal abgestiegen werden kann. Auf der Höhe gelangt man vom Weißenbachsattel bald zu dem von St. Anton (1054 m), über den wie über den ersteren ein Übergang vom Wehra- ins Wiesental führt. Zumeist durch prachtvollen Wald zieht unser Weg weiter und läßt uns schließlich die Hohe Möhr (983 m) mit ihrem steinernen Aussichtsturm erreichen, der weiten Umblick gewährt über den schmucken Kranz der hohen Waldberge im Westen, Norden und Osten, über die fruchtbaren Auen des nahen Wiesentals, die hügeligen Gelände des Dinkelbergs, hinab zum grünen Rhein und darüber hinaus auf den Schweizer Jura und die strahlenden Häupter der Alpen. Das unmittelbar am Fuße des Berges gelegene Kurhaus Schweigmatt (750 m) gewährt nach der eigenartig schönen aber etwas anstrengenden Höhenwanderung willkommene Rast (Abb. 77).

Die Fortsetzung des Höhenpfades über den Muschelkalkrücken des Dinkelbergs dürfte in ihrer ganzen Ausdehnung vielleicht etwas ermüdend sein. Doch bietet der periodische Eichener See nicht alltägliches Interesse als eine Erscheinung, die auf Kalkböden nicht selten ist, wie wir ja von den Karstlandschaften her wissen. Vom Aussichtsturm auf dem Hohen Flum (535 m) ist die Nahsicht auf das Rheintal besonders schön, von der St. Chrischonahöhe (523 m), auf der die Basler Missionsgesellschaft einen Teil ihrer Anstalten unterhält, nicht minder der Niederblick auf die nahe Großstadt und ihre Umgebung.

Talbildungen.

Im Osten der eben durchwanderten Höhenlinie ist der orographische Aufbau unseres Gebirges im Gegensatze zu seinen übrigen Teilen dadurch ein ganz eigenartiger, daß die dem Rhein zueilenden Flüsse Wehra, Murg und Alb, sowie die Wutachzuflüsse Schwarza, Mettma, Schlücht, Steina abweichend vom normalen Flußgefälle, das vom Ober- zum Unterlauf immer geringer wird, ausnahmslos in ihrer Quellregion durch sanftgeböschte, freundliche Wiesenauen oder breite, friedliche Waldtäler strömen und erst weiter abwärts sich tiefer, vielfach geradezu cañonartig in den Gebirgskörper einnagen. In steilem Gefälle arbeitet sich das Wildwasser mächtig rauschend zwischen senkrechten Felswänden durch, die sich oft so nahe treten, daß von oben herab sein Lauf nicht mehr gesehen, sondern nur noch durch weithin vernehmbares Tosen vermutet werden kann. Die meisten dieser Talbildungen, deren Formen manchen ähnlichen Erscheinungen des Hochgebirges durchaus ebenbürtig an die Seite gestellt werden dürfen, haben es erst der neuzeitlich fortgeschrittenen Wegbautechnik zu verdanken, daß sie dem Verkehr erschlossen wurden. Die alten Wege vom Rheintal nach Norden ins Innere des Gebirges führen alle über die Höhen, die auch allein besiedelt erscheinen, während die finstern Schluchten auf lange Strecken unbewohnt sind und höchstens an den seltenen Stellen, wo einer der wenigen Ost-Westwege sie schneidet, ein einsames Wirtshaus oder eine klappernde Sägemühle aufweisen. Zwischen Neustadt und Waldshut erschließt der Höhenweg II viele dieser bisher wenig[S. 99] besuchten, einsamen, aber durch ihre weiten, herrlichen Fernsichten besuchenswerten Gebiete.

Abb. 105. Der Feldberg, vom Schauinsland aus gesehen. Gemälde von Hans Busse. (Zu Seite 107.)


GRÖSSERES BILD

Abb. 106. Schellenmarkt an der Biereck.
Nach einer Photographie von Prof. Dr. Längin in Karlsruhe. (Zu Seite 109.)

Die eben erwähnte, zunächst befremdende Eigentümlichkeit im Talbau des südöstlichsten Schwarzwaldes ist derselben Ursache zu danken, die wir schon für die Verlegung des Wutachlaufes und die Entstehung der Talwasserscheide bei Zollhaus verantwortlich machten. Als der Rhein allmählich das Schiefergebirge zwischen Bingen und Bonn durchnagte, schnitt sich sein Bett auch im Oberlaufe d. h. von Basel ostwärts tiefer ein. Die Folge davon war notwendig eine verstärkte Erosion der Nebenflüsse, die in den unteren Strecken derselben zuerst und zumeist ansetzte und den Oberlauf bis zur Stunde noch nicht erreicht hat. Die Wasserläufe von der Wehra bis zur Wutach tragen daher alle die Merkmale des Jugendlichen, Unfertigen in hohem Grade an sich, und das Haupterkennungszeichen dieser Eigenschaften ist eben das Nichtausgeglichensein des Gefälles, seine Verstärkung unten, seine Abschwächung oben. All die genannten Täler haben als Ergebnis derselben Entstehungsursache auch eine unverkennbare Ähnlichkeit ihres landschaftlichen Charakters. Es ist darum nicht nötig, hier eine vollständige Beschreibung derselben zu geben. Damit soll aber nicht gesagt sein, daß sie zu durchwandern nicht ein hoher Genuß sei. Im Gegenteil! Wem es darum zu tun ist, denkbar wechselvolle Bilder großartiger Felsszenerien auf sich einwirken zu lassen, dem kann nur dringend geraten werden, die Kunststraßen längs der Wehra, Murg, Alb, Schwarza, Schlücht behaglich schlendernd zu begehen oder, wenn es ihm mehr Freude macht, sie abwärts zu radeln oder im offenen Wagen zu befahren. Er wird sich reichlich belohnt finden.

Talbildungen. Todtmoos.

Wehra.

Vom Höhenweg I aus haben wir schon den Abstieg nach Todtmoos an der Wehra (821 m) kennen gelernt. Dieses große, weitzerstreute Dorf mit vielbesuchter Wallfahrtskirche liegt vor rauhen Winden geschützt und ist daher ein sehr empfehlenswerter Luftkurort geworden (Abb. 79). Das vornehme Sanatorium Wehrawald mit seiner vortrefflichen Einrichtung arbeitet unter ähnlich günstigen Bedingungen für Lungenkranke wie Davos oder Arosa (Abb. 78). Unterhalb des[S. 100] waldumrahmten friedlichen Talbodens von Todtmoos schließen sich die Talgehänge bald näher zusammen, und etwa drei Wegstunden lang windet sich nun die Straße durch die Schlucht, immer nahe über dem tosenden Wildwasser. Bei der Ewaldbrücke und dem nicht weit davon entfernten Straßentunnel ist die Landschaft am großartigsten geworden (Abb. 80). Oberhalb Wehr, einem Industrieorte mit gegen 3700 Einwohnern, hat sich das Tal wieder freundlich geöffnet, und bald ist von hier mit der Eisenbahn das Rheintal bei Brennet erreicht. Die Bahnstrecke Säckingen-Brennet-Wehr findet ihre westliche Fortsetzung nach Schopfheim im Wiesental; nahe unterhalb des Kurhauses Schweigmatt und des Eichener Sees durchbricht sie den Kalkrücken des Dinkelberges in dem 3169 m langen Großherzog Friedrich-Tunnel; neben dem Tunnel bei Kochem an der Mosel ist dies der längste im Deutschen Reich. Beim Ostausgang des Tunnels liegt die Haseler Tropfsteinhöhle, auch Erdmannshöhle genannt, deren interessante Unterwelt mit ihren vielfach recht phantastisch gestalteten Kalkgebilden verschiedensten Namens (Abb. 81) einen Besuch auch dann verdiente, wenn Scheffel seinen Trompeter nicht hierher geführt und den stillen Mann in ihr nicht so schöne Lieder hätte singen lassen. Die Höhle hat seit kurzem elektrische Beleuchtung.

Murg, Alb St. Blasien.

Auch das Tal der Oberen Murg, das am bequemsten von Todtmoos aus erreicht wird und mitten durch den Hotzenwald führt, verdient Beachtung, besonders im wilden Unterlauf, wo die Umgebung des Harpolinger Schlosses uns hervorragend schöne Landschaften vors Auge zaubert. In noch höherem Maße ist das der Fall beim Albtal. Vom Sattel der Wacht oder vom Feldbergerhof führen angenehme Wege durch die Täler von Bernau oder Menzenschwand, der letztere durch eine großartige Moränenlandschaft, nach St. Blasien, das wir auch vom Herzogerhorn auf aussichtsreichem Höhenzugangsweg erreichen können.

Abb. 107. Alte Kuhglocke.
Aus der Sammlung Spiegelhalter.
Nach einer Photographie von M. Ferrars
in Freiburg. (Zu Seite 109.)

St. Blasien (772 m), ein Städtchen von über 1700 Einwohnern, ist in junger Vergangenheit entstanden um die alte, vornehme Benediktinerabtei, die 1806 aufgehoben worden ist. Sie war von den südwestdeutschen Klöstern weitaus das bedeutendste und hatte ausgedehnten Landbesitz, von dem die Sage ging, daß der Fürstabt während der Reise vom Schwarzwald nach Rom jede Nacht auf eigenem Grund und Boden Quartier nehmen könne.

Das glänzendste Denkmal des alten Reichtums ist die Kuppelkirche, die unter Abt Gerbert 1768–83 als Nachahmung des Pantheons in Rom gebaut wurde. Der Rundbau hat eine Höhe von 64 Metern, die gewaltige, kupfergedeckte Kuppel mißt 35 Meter im Durchmesser. Es ist eines der wunderbarsten Bilder, die man genießen kann, wenn die Abendsonne die mächtige, tannenwaldumhüllte Kuppel zauberisch beleuchtet. Der Kontrast zwischen der himmlisch wohligen Waldeinsamkeit des stillen Hochtales und dem Wunderbau der Gerbertschen Kuppelkirche ist ein völlig überwältigender (Abb. 83). Das Klostergebäude ist Baumwollfabrik geworden, der Ort im ganzen aber dient fast ausnahmlos modernsten Kurzwecken.[S. 101] Das vornehme Kurhaus, einige Sanatorien, zahlreiche Villen und Fremdenpensionen haben eine internationale Fremdenkolonie erstehen lassen, deren Mitglieder das Lob der Schönheit und des günstigen Klimas von St. Blasien dankbar in alle Welt verbreiten.

Je weiter abwärts, desto schöner und interessanter wird das Albtal; besonders zwischen Tiefenstein und Albbruck, wo es in das Rheintal ausmündet, wird seine felswilde Großartigkeit derart, daß sie sich im Schwarzwald nicht leicht Vergleichbares an die Seite stellen läßt (Abb. 82).

Schwarza, Mettma.

Zu den Talschluchten östlich der Alb gelangt man von Norden her am bequemsten vom Titisee aus. Von der Lenzkircher Straße zweigt hoch über dem See eine andere ab, die über Alt-Glashütten (993 m) zum waldeinsamen, stillen Schluchsee (899 m) führt, über welchem der gleichnamige Luftkurort erhöht gelegen ist. Der Schluchsee nimmt bei etwas größerer Länge aber geringerer Breite fast genau die gleiche Fläche ein wie der Titisee. Sein unteres Ende ist durch einen gewaltigen Moränenwall abgedämmt (Abb. 86), der die Schwarza zwingt, nach Süden abzuströmen, während der ehemalige Ablauf in der Talrichtung des Sees, die Mettma, jetzt als selbständiger Fluß erscheint.

Abb. 108. Zähringer Burg.
Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg. (Zu Seite 110.)

Schlücht.

Über dem rechten Ufer der tief eingesägten Schwarza zieht eine prächtige Straße durch die Granitlandschaft nach Häusern und St. Blasien. Eine Abzweigung steigt nach Höchenschwand (1010 m) hinauf, dem frei gelegenen Luftkurort, dessen meteorologische Station wertvolles Material zur Kenntnis des Höhenklimas im Schwarzwald beigebracht und dessen umfassende Alpenaussicht manchen Reisenden glücklich gemacht hat. Von hier ziehen stille Wege über die Höhen (Abb. 87) und durch das Felstal der Schwarza (Abb. 84), ebenso ist vom Schluchsee aus der in herrlicher Waldumgebung gelegene Kurort Rothhaus leicht zu erreichen, der neben der Staatsbrauerei gleichen Namens (972 m) allmählich erwachsen ist (Abb. 85). Unfern liegt der kleine Schlüchtsee (Abb. 89) in träumerisch einsamer Umgebung. Aus ihm entspringt die Schlücht, die ebenso wie die etwas weiter westlich fließende Mettma nach unten sich tief in den Felskörper des Gebirges eingesägt hat, so daß nahe ihrer Vereinigungsstelle oberhalb der Witznauer Mühle (437 m), von der das Städtchen Thiengen bei Waldshut in kurzer Zeit[S. 102] zu erreichen ist, das Gebirge uns eine seiner sehenswertesten Landschaften vor Augen führt (Abb. 88, 90). Noch ein wenig weiter östlich hat sich das Steinaflüßchen seinen Weg gebahnt. Das Steinatal wird am besten von Bonndorf aus besucht, wobei uns zuerst das freundliche Steinabad in seiner Waldumrahmung fesselt, dann werden die Ruinen der Roggenbachschlösser die Aufmerksamkeit erregen, und nun geht’s das stille Tal hinab, das wenig oberhalb des Schlüchttals bei Thiengen ins Wutachtal ausmündet. Die Höhen zwischen diesen Tälern sind ihrer orographischen Gestaltung nach etwas einförmig, aber das machen sie gut durch ihre herrlichen Fernblicke. Um diese, besonders auf die Alpen, genießen zu können, empfiehlt es sich, von Nord nach Süd zu wandern, sei es etwa auf der Straße von Höchenschwand nach Waldshut oder auf der von Schluchsee über den Beerauer Berg nach der Witznauer Mühle, also im wesentlichen der Richtung der Höhenwege II zu folgen.

Abb. 109. Die Hochburg.
Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg. (Zu Seite 110.)

Steina und Wiese.

Im Westen der Linie Feldberg-Schweigmatt ist der Charakter des Gebirges ganz verschieden von dem, wie wir ihn eben kennen lernten. An die Stelle der Hochflächen, die durch schmale Schluchten voneinander getrennt sind, treten wohlausgebildete Bergformen in reichgestaltiger Einzelmodellierung, dazwischen liegen normalgebaute Täler, die ihr Gefälle nach unten abschwächen und gleichzeitig ihre Breite vergrößern, bis sie schließlich sich mit weiten Mündungstrichtern dem Rhein zu öffnen. Das größte und in seiner Art schönste dieser Täler ist das der Wiese, die am Zeiger beim Feldberg (1234 m) entspringt und unmittelbar unterhalb Basel den Rhein erreicht.

Das Wiesental.

Johann Peter Hebel, ein Sohn des Wiesentals, hat dem Flusse seiner Heimat eines seiner besten Gedichte in alemannischer Mundart gewidmet und ihn darin begleitet von der Quelle bis zu dem Punkt, wo des Feldbergs liebliche Tochter freudebebenden Herzens dem stattlichen Schweizerburschen Rhein in die Arme fliegt. Desselben Dichters stimmungsvoller „Geisterbesuch auf dem Feldberg“ führt uns auch in die Gegend an der Wiesenquelle. Es ist darum nicht mehr als recht und billig, daß der neue schöne Weg vom Zeiger längs der jungen[S. 103] Wiese ins Tal hinab „Hebelweg“ heißt, und daß durch sinnige Verse an seinem Anfang und Ende des heimischen Dichters dankbar gedacht ist.

Die Städte des Wiesentals: Todtnau, Schönau, Zell, Schopfheim und Lörrach, die der Reihe nach 2300, 1900, 3600, 3900, 14700 Einwohner zählen, sowie fast alle zwischen ihnen liegenden, zum Teil sehr volkreichen Dörfer treiben lebhafte Industrie. Zur Zunder-, Bürsten- und Bürstenholzfabrikation im obersten Tal gesellt sich vor allen Dingen die lebhaft betriebene Baumwollspinnerei und -weberei, wozu noch zahlreiche andere Betriebe jeder Art kommen, die in ihrer Gesamtheit das Tal zum bedeutendsten Industriebezirk des Schwarzwaldes machen.

Abb. 110. Steinschleiferei in Waldkirch.
Nach einer Photographie von M. Ferrars in Freiburg. (Zu Seite 110.)

Westlicher Ast des Höhenwegs. Belchen.

Die landschaftliche Schönheit leidet aber durch die Fabriken kaum, und es ist wirklich eine helle Freude, mit der Bahn von Todtnau nach Zell und Basel zu fahren, all die wechselvollen Bilder voll Felswildnis, Einsamkeit, gartengleichen Anbaues und dichter Besiedlung an sich vorbeiziehen zu sehen. Auch der längere Aufenthalt in den freundlichen Talorten ist lohnend, da er an jedem von ihnen gestattet, eine Fülle abwechslungsreicher Ausflüge nach allen Richtungen zu machen. Todtnau (643 m), nach dem Brand 1876 in schmucker Frische neu erstanden, hat seinen herrlichen Wasserfall (Abb. 91) und darüber den sonnebegnadeten Kurort Todtnauberg (1021 m); Schönau (542 m) liegt in lieblicher Talweitung vielleicht am günstigsten im ganzen Tal (Abb. 92) und hat den großen Vorzug bequemster Wegverbindungen ins Wehragebiet, zum Belchen, ins Münstertal und in der Richtung auf Badenweiler. Besonders die Höhen auf der linken Talseite gewähren entzückende Aussichten (Abb. 93). Unterhalb Zell (Abb. 94), von wo Schweigmatt und die Hohe Möhr leicht zu erreichen sind, grenzt das einst St. blasianisch-vorderösterreichische an das altbadische Gebiet. An dieser Stelle trennt sich auch heute noch scharf und bestimmt Konfession, Tracht (Abb. 95, 96) und Mundart. Hebels Heimatsdorf Hausen ist der erste Ort der einstigen Markgrafschaft (Abb. 97). In[S. 104] das nunmehr breite, überaus freundliche Tal mündet bei Schopfheim das der Kleinen Wiese, die vom Belchen herkommt und manchen stillen Waldpfad erschließt. Etwas wenig oberhalb der lebhaften Stadt Lörrach (Abb. 98) grüßt vom grünen Bergwald herab die ernste Ruine des großen Röttler Schlosses, das wie so manches andere im Rheingebiet um 1680 von den Franzosen zerstört worden ist (Abb. 99, 100).

Abb. 111. Polieren der Achate in Waldkirch.
Nach einer Photographie von M. Ferrars in Freiburg. (Zu Seite 110.)

[S. 105]

Der westliche Ast des großen Höhenweges I ist in mancher Hinsicht noch lohnender als der im Osten des Wiesentals. Zu allermeist fällt da ins Gewicht, daß er in der Hauptsache ziemlich nahe dem Fuß des Gebirges hinzieht, so daß die relativen Höhenunterschiede, die man unmittelbar überblickt, bis zu 1200 m anwachsen. Dazu kommt der lebhaftere Formenreichtum dieser westlichen Gebiete, von dem schon die Rede war. So gewährt es hohen Genuß, vom Feldberg bald aussichtsreich, bald durch herrlichen Hochwald über die Todtnauer Hütte (1321 m) und den Stübenwasen (1388 m) bis zur Straßenhöhe des Notschrei (1121 m) zu wandern, deren Denkstein uns anschaulich macht, wie lange die beteiligten Gemeinden mit ihrem „Notschrei“ die Behörden bestürmen mußten, bis endlich die Straße von Todtnau hinüber nach Oberried und Kirchzarten im Dreisamtal gebaut wurde. Nun geht’s zur Wiedener Eck (1037 m), der Paßhöhe zwischen Wiesen- und Münstertal, weiter zum Sattel der Krinne (1119 m), wo der kürzeste Weg von Schönau nach Staufen geschnitten wird, und endlich hinauf zum Belchen (1413 m). Der Belchen bildet mit seiner von allen Seiten sich schroff erhebenden, die weite Umgebung stolz überragenden Kuppe die ausgeprägteste Berggestaltung im Schwarzwald und wird darum von vielen auch als die schönste aufgefaßt. Mag man nun in dieser Hinsicht denken, wie man will, herrlich ist es auf alle Fälle, von dem freien Gipfel ringsum in die Tiefe zu blicken, zu welcher sich der Koloß in schön geschwungenen Linien hinabsenkt, und von fernher Vogesen, Jura und Alpen grüßen zu sehen. Vom Wiesental, von Badenweiler, Sulzburg und Staufen führen eine Menge guter Wege herauf, von Schönau insbesondere eine herrliche Kunstfahrstraße, oben lockt das Rasthaus zu behaglicher Einkehr (Abb. 101). Auch längerer Aufenthalt auf der luftigen Höhe wird keinem gereuen, dem es Freude macht, statt in hastiger Eile kurz nacheinander möglichst vielerlei zu sehen, in stiller Ruhe sich einsam zu sonnen. Der[S. 106] kraftstrotzende Hochwald am steilen Nordwesthang, die Felswelt des Hochkelch, die Abhänge gegen Schönau hinab und manche andere Stelle an dem schönen Berg bieten des Besuchenswerten gar mancherlei für viele Tage.

Abb. 112. Waldkirch. Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg. (Zu Seite 110.)


GRÖSSERES BILD

Abb. 113.
Frauentracht im Elztal. Aus der
Sammlung Spiegelhalter. Nach einer
Photographie von M. Ferrars in
Freiburg. (Zu Seite 112.)

Westlicher Ast des Höhenwegs. Blauen.

Unser Höhenweg senkt sich zum Haldenhof bei Hinterheubronn (931 m), wo die Straße von Staufen nach Schopfheim geschnitten wird, folgt dann der Sirnitzstraße, die nach Badenweiler und Müllheim führt bis auf den Kreuzwegsattel (1072 m), von wo der nahe, tief im Walde versteckte Nonnmattweiher besucht werden kann, und zieht sich weiter auf dem schön bewaldeten Kamm zwischen Kander- und Klembachtal zum Ringwall des Stockberges und zum Blauen (1165 m) über Badenweiler. Der Niederblick auf das Markgräflerland und die vielgestaltige Landschaft um das Basler Rheinknie, auf das Oberelsaß und die Burgundische Pforte ist entzückend, selbst wenn die Kämme des Wasgauwaldes und die Eishäupter der Alpen von einem tückischen Dunstschleier verhüllt sein sollten.

Vom Aussichtsgerüste und dem nahen Gasthaus führt eine bequeme Fahrstraße nach dem unfernen Badenweiler; unter den zahlreichen Wegen, die sonst nach allen Seiten einladen, wählen wir den mit der roten Raute nach der Ruine Sausenburg und nach Kandern, von wo die Bahn über Haltingen oder das Schlußstück des Höhenweges über Rötteln und Tüllingen nach Basel führen.

Abb. 114. Frauentracht im Elztal.
Nach einer Photographie von G. Röbcke
in Freiburg. (Zu Seite 112.)

Von den Abstiegen, die uns aus der erquickenden Höhenwelt zu den Niederungen der Menschen gelangen lassen, sind schließlich noch die zu erwähnen, die in Freiburg endigen. Leicht wird vom Feldberggebiet jede Station des Höllen- und Dreisamtales erreicht; die Straße vom Notschrei nach Kirchzarten gehört zu den schönsten im Gebirge, da sie uns aufs denkbar bequemste den lohnenden[S. 107] Anblick duftigster Waldlandschaft mit rauschenden Wasserfällen und wilden Felsgebilden gewährt.

Der Schauinsland.

Vom Notschrei führt in alter Verkehrsrichtung, aber ganz neu gebaut, eine Kunststraße zum Haldenwirtshaus (Abb. 104) über Hofsgrund (1156 m) und am Schauinsland hin zum Bohrertal hinab nach Günterstal und Freiburg.

Eine kurze Abzweigung läßt uns den Gipfel des Erzkasten oder Schauinsland (1284 m) erreichen, der nur drei Gehstunden von der Stadt entfernt liegt und es ermöglicht, einen hervorragend lohnenden Einblick in die Gestaltung des hohen Schwarzwaldes, seine Natur und Besiedlung zu gewinnen (Abb. 105), zugleich aber auch das Auge schweifen zu lassen von der Gegend von Straßburg bis zum Montblanc und Gärnisch.

Abb. 115. Mädchen aus dem Elztal.
Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg.
(Zu Seite 112.)

Die Nähe des Schauinsland mit seinen waldreichen Gehängen und an diesen mit seinem trefflich gepflegten Netz prachtvollster Wege — es sei nur noch an die durch das erzreiche Kapplertal (Abb. 102) und über Horben (Abb. 103) erinnert — darf füglich als einer der allergrößten unter den großen Vorzügen Freiburgs gelten.

Abb. 116. Offenburg, Straßenbild. (Zu Seite 112.)

[1] Unter diesen verdienen die schönen Karten in 1 : 50000 besondere Anerkennung.

[S. 108]

Der mittlere Schwarzwald.

XI. Die westlichen Vorhöhen zwischen Freiburg und Offenburg.

D

er mittlere Schwarzwald steigt in dem Gneisgebirge zwischen Dreisam und Kinzig noch bis zu 1241 m auf, das Granitmassiv in der Umgebung von Triberg bleibt hinter dieser Höhe um fast 200 m zurück. Der Abfall zu den Donauquellflüssen senkt sich in der Buntsandstein- und Muschelkalkhochebene der Baar ganz allmählich bis auf 700 m herab, während der Nordwestfuß des Gebirgsteiles am Austritt des Kinzigtales in die Rheinebene etwa 160 m über dem Meere liegt. Durch die Täler der Gutach und Brege längs der Linie Hausach-Escheck-Donaueschingen werden zwei nordsüdlich gerichtete Haupterhebungsmassen voneinander getrennt; eine niedere Vorhöhenzone, die im Hünersedel 744 m kulminiert, wird durch das untere Elztal und den Sattel zwischen Elzach und Haslach im Westen des höheren Gebirges abgeschnürt. Diese Vorhöhen bestehen in der der Rheinebene zugekehrten Seite zumeist aus Buntsandstein und jüngeren Sedimenten; eine größere Anzahl von typisch geformten Porphyrkegeln geben der Landschaft größeren Formenreichtum.

Abb. 117. Frauentracht im Gutachtal.
Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg. (Zu Seite 116.)

Siedlungen. Schellenmarkt.

Während südlich von der Dreisam und obern Wutach die Dorfschaften und Weiler in geschlossener Bauweise überwiegen, wie das ganz besonders im Südosten des Feldbergs der Fall ist, findet sich im mittlern Schwarzwald und auch noch im nördlichen bis zur Rench und Acher das Hauptverbreitungsgebiet der einzeln liegenden Hofgüter mit ihrem Anerbenrecht, das erst neuerdings wieder gesetzlich festgelegt worden ist unter möglichst enger Anlehnung an die alte Überlieferung, sowie sie sich den Bedürfnissen zweckentsprechend angepaßt hat. Da auf manche Gemeinden über 200 Einzelhöfe kommen, und jeder Hof wenn möglich inmitten seines Acker-, Wiesen-, Weide- und Waldlandes liegt, so begreift sich die große räumliche Ausdehnung solcher Gemeinden, die häufig nur einen einzigen nennenswerten Häuserkomplex mit Kirche, Schule, Pfarrhaus und Wirtshaus aufweisen. Einstündige und noch wesentlich größere Schulwege sind für die Kinder nichts Seltenes, und was das in einem kalten und schnee[S. 109]reichen Winter für die Kleinen von wenig über sechs Jahren zu bedeuten hat, bedarf keiner weiteren Darlegung. Welche Stählung aber für Körper und Geist der Bevölkerung in der frühgewohnten Überwindung solcher Schwierigkeiten liegt, darf man anderseits auch nicht hoch genug anschlagen. Die Amtsbezirke Freiburg, Waldkirch, Emmendingen, Wolfach und Offenburg zeichnen sich in ihren gebirgigen Teilen besonders durch zerstreut liegende Einzelsiedlungen aus. In denselben Gegenden nimmt auch die Weidefläche einen ansehnlichen Raum ein, und die „Hirtenbuben“ mit ihren Herden bilden im Sommer die häufigste Staffage des Landschaftsbildes. Freilich erfüllt die Poesie des Hirtenlebens auch im Schwarzwald nicht ganz die Erwartungen, welche sich auf das Studium der Schäferdichtung stützen, es entspricht nicht den Vorstellungen, welche durch die Schäferbilder einer bekannten Richtung in der Malerei erweckt werden. Die Lehrer unsrer Hirtenschulen schildern gern die Kehrseite der Medaille. Und wenn die jugendlichen Hirten gar häufig nicht allzuviel Rühmendes von der Güte und vom Wohlwollen ihrer bäuerlichen Brotherren zu sagen wissen, so haben sie doch in der langen Sommerszeit mit ihrer Einsamkeit und schweren Arbeit, mit ihren mannigfachen Unbilden der Witterung, mit ihrer oft recht kärglichen Nahrung und mangelhaften Unterkunft einen schönen Tag, den Schellenmarkt an Pfingsten (Abb. 106). Da kommt mit den Hirtenbuben und ihren Bauern viel Volk von weither aus den Talschaften zwischen Kinzig und Elz beim hochgelegenen Wirtshaus auf der Biereck zusammen und es werden nun bei fröhlichem Gelage die Glocken des Weideviehes (Abb. 107) auf ihren Ton geprüft, und durch Kauf und fortgesetztes Tauschen wird zu erreichen gesucht, daß jede Herde ein möglichst melodisches Geläute erhält. Bei dem klingenden Geschäfte geht es hoch her, und die Hirtenbuben mögen noch lang nachher, wenn ihnen der hungrige Magen knurrt, sich der Erinnerung an die reiche Atzung beim Schellenmarkt freuen.

Abb. 118. Straßenbild in Triberg.
Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg. (Zu Seite 116.)

Von Freiburg bis Waldkirch.

Die freundliche Bergwelt der Hünersedelgruppe, wie unsere Vorhöhenzone nach ihrem höchsten Gipfel zweckmäßig benannt werden kann, ist bequem zugänglich. Von der Hauptbahnlinie Basel-Heidelberg führen zwischen Freiburg und Offenburg[S. 110] mehrere Nebenbahnen ins Innere des Gebirges, so von Denzlingen ins Elztal bis Elzach hinauf, von Orschweier ins Ettenbachtal nach Ettenheimmünster, von Dinglingen nach Lahr und im Schuttertal aufwärts bis Seelbach. Dazu kommt noch für die uns interessierende Landschaft die Kinzigtalbahn von Offenburg bis Haslach und Hausach. Alle Stationen dieser Linien können als Ausgangspunkte lohnender Wanderungen benutzt werden.

Am Westrand des Gebirges hinfahrend kommen wir von Freiburg, das sich gerade von dieser Seite her in hervorragend günstigem Lichte zeigt, unmittelbar am Fuß des Burgberges von Zähringen vorbei, auf dem sich die Ruine des Stammschlosses unseres badischen Fürstenhauses erhebt (Abb. 108). Dann öffnet sich der Blick ins weingesegnete Glottertal, bei Denzlingen mit seinem höchst eigentümlichen alten Kirchturm mündet das Elztal aus, vom Hünersedel kommt der Brettenbach her, hinter der großen Ruine der Hochburg (Abb. 109) liegt tief im waldumrandeten Wiesengrund Thennenbach versteckt, dessen romanische Klosterkirche vor achtzig Jahren abgetragen, Stein für Stein nach Freiburg gebracht und hier als evangelische Ludwigskirche wieder aufgebaut worden ist.

Bald erreichen wir Emmendingen, eine Stadt mit 8300 Einwohnern und lebhafter Industrie. Dem Goetheverehrer ist sie dadurch ans Herz gewachsen, daß des Dichters geliebte Schwester Cornelia hier als Gattin des badischen Oberamtmanns und Hofrats Schlosser lebte und starb. Ihr Grab ist unbekannt, doch erinnert an sie eine Gedenktafel auf dem alten Friedhof. Der Marktplatz soll, wie manche meinen, Goethe, der seine Schwester wiederholt hier besuchte, das Vorbild gegeben haben für die Szenerie im ersten Gesang von Hermann und Dorothea.

Von dem unfernen Riegel, einer wichtigen Fundstätte römischer Altertümer, zweigen zwei Äste der Kaiserstuhlbahn ab und gestatten bequem, das interessante Vulkangebirge des Kaiserstuhls zu besuchen. Weiterhin erreichen wir das Städtchen Kenzingen, von wo eine Straße ostwärts ins Bleichtal abzweigt, dann Herbolzheim, den aufstrebenden Mittelpunkt der oberbadischen Tabakindustrie, hinter Orschweier liegt auf einzeln aufragendem Basalthügel höchst malerisch das alte Mahlberg, und bald jenseits Dinglingen geht es auf stattlicher Brücke über die Kinzig nach Offenburg.

Auf der ganzen Fahrt stellt sich uns das fruchtbare und dichtbesiedelte Vorhügelland und über ihm das waldige Gebirge mehr lieblich als großartig vor Augen. Auch wenn wir die Hauptbahn verlassen, um taleinwärts vorzudringen, bleibt der erstere Charakterzug vorwaltend. Nur das untere Elztal macht da eine bemerkenswerte Ausnahme. Denn über seinem Eingang ragt der unmittelbar von der Talsohle aufsteigende Kandel zu 1241 m Höhe empor und erinnert in seinem kühnen Aufbau an die gewaltigsten Berggestalten des südlichen Schwarzwaldes. Der beste Ausgangspunkt zu seiner Besteigung ist die Stadt Waldkirch (Abb. 112). Sie zählt mit dem anstoßenden Kollnau zusammen etwa 8300 Einwohner und bildet einen der bedeutendsten Mittelpunkte der Breisgauer Industrie. Unter den zahlreichen Fabriken werden den fremden Besucher der Gegend in erster Reihe die Steinschleifereien interessieren. Sie sind aus den früher hier wie auch in Freiburg häufigen Granatschleifereien, die aber überall sonst zu bestehen aufhörten, hervorgegangen und verarbeiten Halbedelsteine jeder Art zu Schmuck und den verschiedensten Gerätschaften. Die Betriebe wie die Fabrikate sind in höchstem Grade sehenswert (Abb. 110, 111).

[S. 111]

Abb. 119. Triberg. Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg. (Zu Seite 116.)


GRÖSSERES BILD

Elztal. Lahr.

Über die hervorragend schöne Lage Waldkirchs gewinnt man den besten Überblick von der Höhe der Kastelburgruine jenseits der Elz, von wo zahlreiche prächtige Wege nach allen Seiten führen, besonders auch nordwärts zum Hünersedel, dem gern besuchten Zentralpunkt unserer Vorhöhenregion. Von ihm ist durchs Brettental oder über die aussichtsreichen, besonders in der Obstbaumblütenzeit entzückenden Höhen von Ottoschwanden und über Thennenbach die Stadt[S. 112] Emmendingen, oder durchs Bleichtal das im prächtigsten Buchenwald versteckte Bad Kirnhalden hinter Kenzingen, oder das ehemalige Kloster St. Landolin bei Ettenheimmünster und weiter Ettenheim, endlich im nordwärts streichenden, wohlangebauten Schuttertal die bedeutende Fabrikstadt Lahr zu erreichen. All diese Wanderungen sind lohnend in jeder Hinsicht, nicht minder empfiehlt sich das trachtenfreudige Elztal selbst dem Besuch (Abb. 113, 114, 115), besonders seit die Bahn bis zum freundlichen Städtchen Elzach (383 m) hinaufführt und es ermöglicht, von hier zum Hünersedel oder über die Heidburg nach dem forellenberühmten Gasthaus zu den drei Schneeballen in Hofstetten und weiter nach Haslach im Kinzigtal abzusteigen, wenn man nicht ostwärts die Haupthöhen des mittleren Schwarzwaldes gewinnen will.

Lahr wird schon vor dem Jahre 1300 als Stadt bezeichnet; es war zuerst im Besitz der Herren auf der nahen Burg Geroldseck, später gelangte es unter nassauische Hoheit und erst 1803 wurde es badisch. Heute zählt die Stadt über 15000 Einwohner und nimmt mit ihren zahlreichen blühenden Industrien unter den gewerbtreibenden Orten Badens eine hervorragende Stelle ein. Wer kennt nicht den Lotzbeckschen Schnupftabak, wer nicht den Kalender des Lahrer hinkenden Boten, der nun schon auf mehr als hundert Jahrgänge zurückblickt? Nicht nur hat der Hinkende mit seinen Erzählungen aus der einfachen Welt des Bauern und Kleinbürgers Millionen von Herzen gerührt und erbaut, er hat auch das literarische Verdienst, Geist, Gesinnung und Stil des Altmeisters Hebel, wie wir sie in den Erzählungen des Rheinländischen Hausfreundes schätzen, erhalten und den jüngeren Geschlechtern wertvoll gemacht zu haben. Auf die Anregung des Hinkenden ist auch, und das gereicht seinem Fühlen und Streben zur hohen Ehre, das Bestehen des ersten Reichswaisenhauses zurückzuführen, jener echt humanen Anstalt, die vom Abhang des Altvaterberges freundlich in die Stadt herabgrüßt. Lahr eignet sich seiner Lage nach ganz ausgezeichnet als Stützpunkt für eine große Anzahl lohnender Ausflüge in die Berg- und Waldlandschaft zwischen dem untern Kinzigtal und der Rheinebene. Von der Straße, die aus dem Schuttertal über den niedern Schönbergsattel (569 m) nach Biberach an der Kinzig führt, zweigt bei der Paßhöhe ein Pfad nördlich zum burggekrönten Porphyrkegel der aussichtsreichen Geroldseck ab, zahlreiche Wege verzweigen sich von hier aus ins Gebiet des Steinfirst und gegen Gengenbach zu oder in die Richtung zu dem Kohlenbergwerk bei Diersburg-Berghaupten, dem einzigen, das der Schwarzwald aufweist. Westlich in der Ebene liegt das Dorf Meißenheim, das die Goetheverehrer zu einer Wallfahrt auf das Grab der hier 1813 entschlafenen Friederike von Sesenheim einlädt.

XII. Die Schwarzwaldbahn von Offenburg nach Donaueschingen.

Offenburg.
O

ffenburg liegt gegenüber dem mächtigen Straßburg an der Stelle der rechtsrheinischen Bergstraße, wo diese die Kinzig überbrücken muß. Von diesem 95 km langen Flusse wissen wir schon, daß er an der Ostseite des Schwarzwaldes entspringt, also einen natürlichen Weg quer durch das ganze Gebirge eröffnet. Die Lage unserer Stadt, dazu noch auf einer natürlichen Terrasse hoch über dem Überschwemmungs-Lande des vor seiner Korrektion einst sehr wilden Flusses, ist demnach eine in jeder Hinsicht günstige, und so begreift es sich, daß aus dem schon im zehnten Jahrhundert genannten „Kinzigdorf“ allmählich ein bedeutender Ort, der erste der Ortenau, lange Zeit freie Reichsstadt, erwachsen mußte. Heute zählt Offenburg beinahe 17000 Einwohner und blüht in lebhaftem Gewerbebetrieb, Handel und Verkehr. Seine belebten Straßen mit stattlichen Gebäuden jeder Art lassen die Stadt recht schmuck erscheinen (Abb. 116). Daß wir auf dem Marktplatz ein Standbild des Seefahrers Francis Drake finden, dem Europa in der Hauptsache die Einführung der Kartoffel verdankt, ist auf einen freundlichen Zufall zurückzuführen. Der Schöpfer des Denkmals, Bildhauer Friedrich in Straßburg, hat nämlich sein Werk der Stadt geschenkt.

[S. 113]

Abb. 120. Hornberg. Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 116.)


GRÖSSERES BILD

[S. 114]

Große Bedeutung hat Offenburg als Weinmarkt für die reichen Rebgelände der Ortenau. Eine Weinfahrt an der gotischen Kirche von Weingarten, ganz in Obstbäumen und Rebhügeln versteckt, vorüber nach den Dörfern Zell, Weierbach, Ortenberg, Fessenbach und besonders Durbach ist jedem dringend zu empfehlen, der gern an der Quelle nippt. Im Frühling, zur Zeit der Obstbaumblüte, gibt es nichts Schöneres als diese reich gesegnete, unendlich liebliche Landschaft; im Oktober, wenn die Geister des „Neuen“ in den Fässern umgehen, kann die Sache etwas gefährlich werden, selbst wenn einem die schöne Melusine am Staufenberg nicht erscheint, deren Sage hier lokalisiert ist. Die prächtigen Waldberge, die über dem Vorhügelland aufragen, das Hohe Horn und der Brandeckkopf (692 m) gewähren von ihren Aussichtstürmen schöne Blicke, besonders auch auf die weite Ebene zu beiden Seiten des Rheines, auf Erwins Wunderbau und die zartgeschwungenen Linien des Wasgenwaldes, ganz abgesehen von dem unendlich lieblichen Vordergrund.

An Ortenberg vorbei, dessen um 1840 neu hergestelltes Schloß die Talwacht hält, bringt uns die Schwarzwaldbahn rasch nach Gengenbach, einem reizenden kleinen Städtchen, das ob der reichen Fruchtbarkeit seiner Äcker, Gärten und Reben, hauptsächlich aber wegen seines überaus geschützten, gleichmäßig milden Klimas nicht ganz mit Unrecht das badische Nizza heißt. Noch stehen Tore und Türme wie einst, als die Stadt reichsfrei war, noch ragt die mächtige Basilika der alten Benediktinerabtei auf. Jedenfalls darf Gengenbach, das heute rund 3200 Einwohner zählt, zu den schmucksten unter den altertümlichen Städten des deutschen Südens gerechnet werden und lohnt in jeder Hinsicht auch längeren Aufenthalt. Josef Viktor Scheffels Vater stammte von hier, wie eine Hausinschrift uns belehrt. Sollte etwa gar der Genius Loci Gengenbachs dem Dichter seine feuchtfröhlichen Gesänge eingegeben haben?

Abb. 121. Brauttracht von St. Georgen.
Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg. (Zu Seite 118.)

Im Kinzigtal.

Längs der Kinzig geht’s nun im breiten, lichtüberfluteten Tal weiter. Bei Biberach schaut von Westen die Geroldseck von ihrem Porphyrfels herab, ostwärts führt eine Nebenbahn ins Harmersbacher Tal hinauf, und zwar zunächst zu dem unfernen Städtchen Zell am Harmersbach, auch einer alten „Reichsstadt“ mit manchem sehenswerten Bau aus früherer Zeit. Hier zweigt das Nordrachtal ab,[S. 115] dessen oberer Teil seit einigen Jahren vielbesuchte Lungenheilanstalten birgt. Die Bauernschaft von Harmersbach war bis zum Anfang des neunzehnten Jahrhunderts gleich den benachbarten Städten Offenburg, Gengenbach und Zell reichsfrei und bildete den Stand des „Reichstales Harmersbach“. In die seltsamen Verhältnisse und Zustände dieses bäuerlichen Kleinstaates, die des Interesses wahrlich nicht entbehren, erhalten wir lohnenden und wertvollen Einblick durch die Erzählung des Volksschriftstellers Heinrich Hansjakob: „Der letzte Reichsvogt.“

Rasch führt uns die Bahn von diesen Orten, in denen sich dereinst ein gut Teil der Kleingeschichte und Not des alten Reiches abspielte, nach Haslach, das neuerdings durch seinen eben genannten Sohn, den katholischen Stadtpfarrer Hansjakob bei St. Martin in Freiburg, in weiteren Kreisen berühmt geworden ist. Wer die Schwarzwälder Kleinbürger und Bauern in ihrem Denken und Fühlen kennen lernen will, und zwar nicht durch die Brille einer dem Volke fremden Sentimentalität, der lese Hansjakob. Gewiß wird man sich gelegentlich über die oder jene sonderbare Ansicht des Verfassers ärgern oder zum mindesten wundern, aber trotzdem sind seine Erzählungen und Schilderungen eine gesunde Kost, besonders für jeden, der gewillt ist, wahr zu sehen, und der mit der Wahrheit auch gern einmal etwas Derbes in Kauf nimmt, das jedenfalls echter ist als erlogenes Einlullen in Zimperlichkeiten.

Abb. 122. St. Peter.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 121.)

Von Haslach, ebenfalls einem sehr freundlichen Städtchen des ob seines zu allen Zeiten lebhaften Verkehres städtereichen Kinzigtales, führen Wege über Biereck, Heidburg oder Mühlenbach nach Elzach; unsere Bahn aber gelangt in kurzem nach Hausach (241 m), am Fuß einer Burg malerisch gelegen, wo wir nun die Kinzig verlassen, um im Tal[S. 116] der Gutach den Höhen zuzustreben, über welche wir wieder zur Donau hinüber gelangen.

Die Schwarzwaldbahn.

Hier beginnt die eigentliche Schwarzwaldbahn, 1867–1873 erbaut. Ist man von Offenburg bis Hausach bei 34 km Bahnlänge nur um 82 m gestiegen, so lassen uns 9 weitere Kilometer bis Hornberg schon auf 384, also um 143 m steigen. Von hier ab muß bis zur Wasserscheide bei der Station Sommerau (832 m) ein Höhenunterschied von 448 m überwunden werden. Um das zu ermöglichen, wird die Länge des Weges von 14 auf 26 km vergrößert, was durch weitausgezogene Schleifen der Bahnlinie ermöglicht wird. 9,5 km, also mehr als ein Drittel der ganzen Strecke, werden innerhalb der 38 Tunnels zurückgelegt, von denen der letzte, der Sommerautunnel, mit rund 1700 m der längste ist. Hat man ihn verlassen, so senkt sich die Bahn längs der Brigach bis Donaueschingen auf 677 m herab, also bei 31 km Entfernung nur ein Gefälle von 155 m. Wieder tritt uns in diesen Zahlen der Gegensatz zwischen dem West- und Ostabfall des Schwarzwaldes deutlich vor Augen. Kinzigtal und Baar sind zwei ganz verschiedene Welten, der sie verbindende Schienenstrang aber ist eine Gebirgsbahn, die nach der Bedeutung der von ihr überwundenen technischen Schwierigkeiten nicht nur neben oder über die Linien Freiburg-Donaueschingen und Immendingen-Waldshut gestellt werden darf, sondern auch den Vergleich mit den berühmtesten Alpenbahnen kühnlich aushält. Die Windungen der Linie bringen es mit sich, daß man gelegentlich vom Zugfenster aus jenseits des Tales zwei Äste des Bahnkörpers übereinander sieht, und zwar mit entgegengesetztem Gefälle. Eine Orientierung ist hier nur mit guter Karte möglich[2].

Triberg.

Oberhalb Hausach wird das Tal enger, dabei ändert sich sein Charakter fast plötzlich. An Stelle des Lieblichen, Freien tritt das Wilde, Eingeengte. Oberhalb Gutach mit seinem trachtliebenden Völkchen (Abb. 117) und seiner Malerkolonie erreichen wir jenseits eines 150 m langen und 24 m hohen Viadukts den Bahnhof Hornberg, von dem wir einen schönen Blick auf das unter uns in engem Tal eingeschlossene und von hohem Schloß überragte malerische Städtchen genießen, das sich lebhaften Gewerbebetriebes jeder Art erfreut und ein Hauptpunkt des Schwarzwälder Fremdenverkehrs geworden ist, für den es die denkbar günstigsten Bedingungen bietet (Abb. 120). Nun wird bald das Tal überbrückt, die Kurven und Tunnels beginnen, der großartige Bahnbau fesselt unser ganzes Interesse, jeder Ausblick zwischen je zwei Tunnels zaubert ein neues, überraschendes Bild vor unser Auge, gleichgültig, nach welcher Seite wir blicken. Die Landschaft wird von Minute zu Minute großartiger, wilder. So erreichen wir fast nur zu rasch den Bahnhof Triberg (616 m), von dem aus das gleichnamige Städtchen, welches jetzt 4000 Einwohner zählt, sich steil hinaufzieht bis zur 120 m höher gelegenen Wallfahrtskirche Maria in der Tanne. Zwischen drei Bergen liegt der seit dem Brande 1826 freundlich neu erbaute Ort (Abb. 118 u. 119), dessen Uhrenindustrie hoch bedeutsam und dessen Gewerbehalle eine Sehenswürdigkeit ist. Doch mehr lockt neuerdings die windgeschützte, hohe Lage mitten im Walde, der prachtvolle Wasserfall, der die Gutach in mehreren Absätzen 120 m hoch über die phantastischen Granitfelsen heruntertosen läßt (Abb. 1), die Fülle herrlich gepflegter Wege nach allen Seiten. All das hat Triberg zu einem stark besuchten Sommerkurort werden lassen, dessen modernes Leben eigentümlich absticht gegen die Stille und Abgeschiedenheit in den Tagen vor der Bahneröffnung. Alle diese Wandlungen sind in letzter Reihe Robert Gerwig, dem genialen Erbauer des kühnen Schienenstranges, zu verdanken. Sein Denkmal ziert darum mit Recht den Stadteingang.

[S. 117]

Abb. 123. Holzschlitten im Winter. Nach einer Photographie von M. Ferrars in Freiburg. (Zu Seite 121.)


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Von Triberg steigt die Bahn in gleicher Weise wie bisher weiter, und wiederum gewährt sie uns an schönen Landschaftsbildern und technischen Problemen[S. 118] des Überraschenden fast mehr, als wir bei der schnellen Fahrt geordnet aufnehmen können. Der Sommerautunnel, wie schon gesagt der größte von allen, durchschneidet die Rhein-Donauwasserscheide. Über ihm, an der alten Straße, steht das große Wirtshaus auf der Scheitelhöhe derart, daß die Traufe der einen Dachseite zum Rhein, die der anderen zur Donau abfließt.

St. Georgen.

Vom Bahnhof Sommerau geht es nun im waldumsäumten Wiesenhochtal gemächlich abwärts, bald wird die Brigach erreicht, über die hoch am Berg hinauf gebaut die blühende Industriestadt St. Georgen (806–864 m) mit fast 4600 Einwohnern liegt. Sie entstand um eines der vielen Benediktinerklöster des Schwarzwaldes, das in diesen Gegenden lange Zeit hindurch eine ähnliche Bedeutung hatte, wie weiter im Süden St. Blasien, das aber wie dieses längst nicht mehr besteht. Die Schwarzwälder Uhrenfabrikation und die Herstellung von Uhrenbestandteilen, Werkzeugen allerart, auch die Stroh- und Strohhutflechterei hat in St. Georgen einen ihrer wichtigsten Mittelpunkte, wie der Besuch der interessanten Gewerbehalle deutlich lehrt. Auch hier hat sich die alte Tracht der Frauen und Mädchen noch erhalten (Abb. 121).

Unfern der Station Peterzell liegt mitten im herrlichsten Hochwalde eingeschlossen die erst 1806 gegründete Herrenhuter Kolonie Königsfeld (763 m) mit geschätzten Erziehungsanstalten für Knaben und Mädchen. Die staubfreie Höhenlage und die Waldesnähe haben auch hier einen vielbesuchten Luftkurort entstehen lassen.

Abb. 124. Zweribachfall.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 121.)

[S. 119]

Villingen.

Nun tritt man allmählich aus dem Waldrevier des Grundgebirges und des Buntsandsteines, das weitum den Reichtum der Stadt Villingen ausmacht und vor mehreren Jahren das prachtvoll gelegene Kurhaus Villingen hat entstehen lassen, hinaus auf die Muschelkalkebene der Baar, die wir weiter im Süden schon früher kennen lernten. Umgeben von wogenden Fruchtfeldern liegt hier die alte Stadt Villingen (704 m), die neben Freiburg lange Zeiten hindurch die erste war für ein weites Gebiet. Die schon besprochene alte Hochstraße vom Breisgau durchs Dreisamtal[S. 120] und über den Hohlen Graben ins Bregtal fand einst ihre nordöstliche Fortsetzung hierher und weiter nach Rottweil am Neckar. Sie ist jetzt vereinsamt, weil durch andere abgelöst. Aber Villingen hat sich in seinem zweitürmigen Münster, seinen Toren und anderen Bauten die Spuren seines alten Wertes erhalten und nimmt heute mit rund 11000 Einwohnern als reiche, blühende Stadt am modernen Leben tätigen Anteil. Das Klima ist mit dem der Rheinebene verglichen wohl etwas rauh, aber die tüchtige Bevölkerung ist daran gewöhnt und findet in ihm Kräftigung und Stählung.

Abb. 125. Festgang der Frauen in die Kirche; Bleibach. Nach einer Photographie von M. Ferrars in Freiburg. (Zu Seite 121.)


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Noch eine kurze Bahnstrecke durch das breite, reich angebaute Brigachtal, aus dem mittels einer kurzen Nebenbahn das im Osten nahe gelegene Dürrheim mit Saline und Solbad leicht zu erreichen ist, und wir haben in Donaueschingen (676 m) wieder bekannten Boden betreten.

[2] Als beste empfiehlt sich das Blatt Triberg des badischen topographischen Atlas im Maßstabe 1 : 25000.

XIII. Die Höhenwelt des mittleren Schwarzwaldes.

Der Turner.

St. Peter.
W

ie im südlichen Teile des Gebirges lernen wir auch hier wieder die Höhenregion am besten kennen, wenn wir dem mit roter Raute bezeichneten Hauptkammweg folgen, den wir vom Titisee bis Basel und Waldshut schon gewandert sind, und der uns in entgegengesetzter Richtung schließlich bis nach Pforzheim gelangen läßt. Vom Titisee führt uns der Höhenweg I nordwärts auf die Weißtannenhöhe (1190 m), von wo die imposante Berggestalt des Feldbergs im Süden und der scharf gezeichnete, schartenartige Einschnitt des Höllentales im Westen als besonders auffällige Einzelbilder unsere Aufmerksamkeit erregen. Dann erreichen wir die Hochfläche des Turner (1035 m) mit seinem viel besuchten und aussichtsreichen Gasthaus in typischer Schwarzwaldumgebung. Von hier führen Wege nach allen Himmelsrichtungen, so durch das stille Joostal nach Neustadt, über die Höhe nach Breitnau und weiter unmittelbar zur Höllentalbahn, oder hoch über dieser hin und mit großartigen Niederblicken über den Hohwart und die Nessellache nach Himmelreich hinab, oder endlich ebendahin auf dem alten Heerweg durch das Spirzen- und Wagensteiger Tal. Überaus lohnend ist vor allen Dingen aber die[S. 121] schöne Hochstraße auf der Wasserscheide zwischen dem Wildgutach- und dem Dreisamgebiet nach den ehemaligen Klöstern St. Märgen (890 m) und St. Peter (722 m), deren zweitürmige Kirchen weither sichtbar sind. In St. Peter (Abb. 122) liegen mehrere Herzöge von Zähringen begraben, der große Klosterbau ist jetzt katholisches Priesterseminar. Zahlreiche Wege führen von da zur Dreisam hinab (Abb. 123), ein herrlicher Waldpfad hält sich auf den Höhen und senkt sich schließlich vom Roßkopf und Schloßberg direkt nach Freiburg. Er kann jedem wanderfrohen Naturfreund aufs beste empfohlen werden, ebenso der Abstieg von St. Peter durch das im oberen Teil wildfelsige, im unteren Teil liebliche und mit Obst wie herrlichem Wein reich gesegnete Glottertal, dessen Mädchen und Frauen sich ähnlich kleiden wie ihre Schwestern im Elzgebiet; der gelb lackierte Zylinderhut wird dem Fremden an der sonst nicht unkleidsamen Tracht am sonderbarsten erscheinen.

Abb. 126. Frauentracht von Schonach.
Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg. (Zu Seite 122.)

Der Kandel.

Endlich können wir von St. Märgen und St. Peter aus bequem den Kandel (1241 m) besteigen, den weit nach Westen vorgeschobenen höchsten Gipfel im mittleren Schwarzwald. Er ragt von der Rheinebene und von dem unteren Elztal ähnlich schroff auf wie weiter südlich der Belchen und erscheint darum in seiner massigen Gestalt auch als ein Berggewaltiger ersten Ranges. Oben finden wir im Rasthaus gute Unterkunft, beim Signal der internationalen Erdmessung eröffnet sich uns eine unvergleichlich schöne Rundsicht, im Süden bis zu den Alpen. Zumeist wird nach Waldkirch abgestiegen, wohin zahlreiche bequeme Wege uns in kurzer Frist gelangen lassen.

Abb. 127. Frauentracht von Schonach.
Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg. (Zu Seite 122.)

Simonswälder Tal.

Der Nordostfuß des Höhenzuges Turner-Kandel liegt an der Sohle des Simonswälder Tales, das mit seinen freundlichen Gehöften, seinen malerischen Baumgruppen und seiner stolzen Bergumrahmung vielen als eines der allerbesuchenswertesten des Gebirges gilt. Der Abstiege gibt es mancherlei. Es sollen nur genannt sein der nach Glashütten und zum forellenberühmten Dreistegenwirtshaus in Wildgutach, sowie der zum mächtigen Wasserfall des Zweribaches in seiner Felsschlucht (Abb. 124). Durch das Tal zieht seiner ganzen Länge nach eine prachtvolle Kunststraße, die schließlich bei der Bahnstation Bleibach (Abb. 125) ins Elztal ausmündet.

Auf unserem Haupthöhenweg liegt in kurzem Abstand vom Turner der Hohle Graben (1033 m), eine die Kämme und Täler weithin beherrschende Stelle, die[S. 122] darum früher, als die Hauptverbindung von der Donau nach dem Breisgau hier durchführte, auch strategisch bedeutsam war. Im Dreißigjährigen Krieg und in den Tagen des Prinzen Eugen war der Punkt stark verschanzt und viel umkämpft, gewaltige Heeresmassen sind gar oft über diese einsamen Höhen gezogen, in schlechter wie in guter Jahreszeit. Beim Lachenhäusle (1077 m) überrascht der Niederblick in das tief eingeschnittene Wildgutachtal, auf der anderen Seite liegt in weltabgeschiedenster Einsamkeit das stille Pfarrdorf Waldau. Bei der „Kaltenherberg“ (1030 m) — der Name bezeichnet den Klimacharakter der Lokalität wohl deutlich genug — senkt sich das Gebirge sanft der Donau zu, und auf abgelegenen Waldpfaden längs der Wasserscheide kann man von hier ab zum Höchst (1033 m), der Paßhöhe an der schönen Straße gelangen, die von Neustadt ins Tal des Eisenbächle und nach Hammereisenbach führt; auch der Höhenkurort Friedenweiler (902 m), eine frühere Klosterniederlassung, liegt in diesem Revier.

Kaltenherberg. Brend.

Wir halten uns von der Kaltenherberg ab in rein nördlicher Richtung, stets auf der Rhein-Donauwasserscheide; jenseits Neukirch, bei der Neueck (985 m) schneiden wir die neue prachtvolle Kunststraße, die von Simonswald über Gütenbach herauf und dann östlich abwärts nach Furtwangen führt, bei der Alten Eck (1070 m) den früheren Kilpenweg vom Rheintal über Waldkirch zum Bregegebiet, der neben der Ostweststraße über den Hohlen Graben einer der ältesten im Schwarzwalde ist. Nun geht’s auf die aussichtsreiche Höhe der Brend (1148 m) und hinab zum Sattel am Forsthof der Martinskapelle (1090 m), von wo zahlreiche Wege nach Ost und Nord und West abzweigen. Erwähnung verdient unter ihnen vor allen der eine über die aus alten Kriegszeiten verschanzten Höhen des Rohrhardsberges zum Tafelbühl und zur Wallfahrtskapelle auf dem Hörnleberg (987 m), der weither als Landmarke gilt, und von hier steil hinab ins Elztal bei Bleibach.

Abb. 128. Furtwangen.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 123.)

Schonach.

Nahe der Martinskapelle, am Briglirain (Brücklerain) entspringen dicht beieinander die Brege, die nach Süden, und die Elz, die nach Norden fließt. Wir gehen zwischen diesen Flußursprüngen durch und folgen dem Kamm rechts von der Elz in nördlicher Richtung, lassen den Luftkurort Schönwald (994 m) mit seinen großen Gasthäusern und das stillere Schonach (Abb. 126 u. 127), von wo es bequem nach Triberg hinab geht, rechts unter uns liegen, gelangen dann zu[S. 123] der schon wesentlich tiefer liegenden Büchereck (653 m) zwischen Elzach und Gutach an der Schwarzwaldbahn, steigen nochmals empor zum Farrenkopf (789 m), dem aussichtreichen Eckpfeiler zwischen Gutach- und Kinzigtal, und nun geht’s rasch abwärts zur Bahn, die wir bei Hausach erreichen in dem freudigen Bewußtsein, eine der lohnendsten Höhenwanderungen im Schwarzwald glücklich durchgeführt zu haben.

Abb. 129. Bad Sulzbach.
Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg. (Zu Seite 126.)

Furtwangen. Stöcklewald. Galgen.

Wer auf etwas bequemere Weise in die eigenartig reizvolle, stille Welt dieser Höhen eindringen will, der mag von Donaueschingen aus die Nebenbahn befahren, die über Hüfingen und Bräunlingen nach Hammereisenbach und dann nach Vöhrenbach (799 m) führt, einem wichtigen Mittelpunkt der Uhren- und Orchestrionfabrikation, um schließlich in Furtwangen zu endigen. Diese hochgelegene Industriestadt (872 m) mit mehr als 5400 Einwohnern ist der Hauptort der Schwarzwälder Uhrenindustrie (Abb. 128) und durch sie groß geworden. Besuche in den vielen verschiedenartigen Betrieben, in der Gewerbehalle, der Schnitzereischule usw. sind höchst lehrreich und lohnen ganz abgesehen von der erquickenden Luft des Hochtales den längeren Aufenthalt reichlich. Von Furtwangen führt eine aussichtsreiche Straße auf die Höhe der Escheck (1057 m), von wo bald Schönwald und kurz danach der obere Anfang des Triberger Wasserfalles erreicht wird. An ihm führt ein herrlicher Schluchtweg hinab zum blühenden Kurort.

Stöcklewald. Galgen.

Die Gegend zwischen den Tälern der Brege und Brigach ist im südlichen Teile einförmig. Erst nördlich der Straße Villingen-Vöhrenbach nimmt sie gebirgigen Charakter an. Von Villingen durchs Kirnachtal oder von St. Georgen der Brigach entlang, deren Quelle hübsch gefaßt ist (Abb. 48), gelangen wir auf die Höhe des Stöcklewaldes (1069 m) mit ihrem stolzen Aussichtsturm, von dem der Blick besonders weit nach Osten zu den Höhen der Schwäbischen Alb trägt. Schöne Abstiege führen nach Furtwangen, Schönwald und Triberg. Doch wird keiner diese luftigen Höhen verlassen, ohne den nahen Galgen, ein Denkmal alter Zeit und überwundener Justizformen, zu besichtigen, und am Galgenhof vorbei dem hochgelegenen Wirtshaus zur Fuchsfalle einen Besuch zu machen. Nach Norden zu ist bald die uns schon bekannte Paßhöhe der Sommerau erreicht, von wo[S. 124] wir über die Benzebene den Fohrenbühl (787 m) erreichen und von hier in der Richtung auf Hausach oder Wolfach oder Schiltach an der Kinzig absteigen können. Auf dem Fohrenbühl, der ganz wie die Biereck am Pfingstsonntag seinen Schellenmarkt hat, schneiden wir unmittelbar an der badisch-württembergischen Grenze die Straße, die von Hornberg nach Lauterbach mit seinen gern besuchten Kuranstalten und weiter abwärts nach Schramberg gelangen läßt.

Sind wir von der „Kaltenherberg“ bis Schiltach in der Hauptsache dem Höhenweg II gefolgt, so darf doch nicht vergessen werden, daß auch die Täler dieses Gebietes zu lohnenden Wanderungen einladen. So führt nach Schramberg auch die interessante Straße von St. Georgen über den Ruppertsberg (902 m) und weiter abwärts dem obersten Schiltachtal entlang nach Thennenbronn, dann durch die in ihren wilden Felsgestaltungen landschaftlich hervorragend schöne Schlucht des Bernecktales mit dem Berneckbad und der Ruine Falkenstein, an welche sich die von Uhland dichterisch verarbeitete Geschichte und Sage des Herzogs Ernst von Schwaben anknüpft. Schramberg (416 m), am Fuße der Nippenburg anmutig gelegen, ist eine sehr lebhafte Industriestadt mit über 11200 Einwohnern, der nördlichste und zugleich wohl der bedeutendste Ort der Schwarzwälder Uhrenindustrie, die sich von hier südlich bis Lenzkirch ausbreitet, und auf deren hohe Bedeutung für große Teile unseres Gebirges oft hingewiesen werden mußte. Auch Porzellan-, Steingut- und Strohhutfabrikation blühen in Schramberg, von wo eine Nebenbahn nach Schiltach an der oberen Kinzig die Verbindung mit der Außenwelt herstellt.

Der nördliche Schwarzwald.

XIV. Der Westrand von Offenburg bis Baden.

Schramberg. Von Offenburg bis zur Murg.
V

om südlichen und mittleren Schwarzwald unterscheidet sich der nördliche vor allen Dingen dadurch, daß er innerhalb der von uns gewählten Grenzen — Rheinebene, Kinzig- und Murgtal — nur aus einem einzigen von Süd nach Nord streichenden Hauptkamm besteht, der in der Hornisgrinde mit 1164 m seine höchste Erhebung hat und nur ziemlich kurze Querrücken nach Westen und Osten aussendet. Die Täler liegen alle sehr tief, die relativen Höhenunterschiede sind daher bedeutend, trotz der mit dem südlichen und mittleren Schwarzwald verglichen geringern absoluten Höhen. Abgesehen von der Gneislandschaft zwischen der Kinzig und dem Oberlauf der Rench findet der Granit hier eine sehr große Verbreitung, die Kämme sind zu allermeist von Buntsandstein bedeckt, dessen Blockmeere vielerorts Erstaunen und Bewunderung erregen, während er anderwärts zu ausgedehnten Moor- und Sumpfbildungen Veranlassung gegeben hat. Eine nicht unbedeutende Anzahl von kleinen Hochseen verleiht dem Gebirgsteile mehrfach ein ganz eigenartiges Gepräge. Da in der Umrandung nur auf die ziemlich kurze Strecke von Forbach bis Kloster Reichenbach im Murgtal die Eisenbahnverbindung fehlt, während in die Täler der Rench, Acher, Bühlott und Oos Nebenbahnen führen, ist die Zu- und Durchgängigkeit dieses Gebirgsabschnittes eine hervorragend günstige. Das wird uns an der dichten Besiedlung der Täler, an der glänzenden Wegsamkeit der Höhen und an dem lebhaften Verkehr der Niederungen wie der eigentlichen Gebirgsregionen deutlich zur Anschauung gebracht, ein Verkehr, zu dem die nahen Großstädte Straßburg und Karlsruhe und auch das etwas ferner liegende aber leicht zu erreichende Stuttgart natürlich sehr viel beitragen.

[S. 125]

Abb. 130. Peterstal. Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg. (Zu Seite 128.)


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Ortenau.

Auf der Fahrt von Offenburg nach Norden haben wir bis zur Untern Murg hinab — die Obere Murg lernten wir im Hauensteiner Land kennen — ununterbrochen die prächtigsten Aussichten auf das Gebirge. So oft man auch diese Strecke durcheilen mag, immer wieder fesselt die schöne Landschaft zur Rechten[S. 126] mit ihrem in reichster Kultur prangenden Hügellande, das von den dunklen Waldhöhen überragt wird. Jeden Augenblick entdecken wir neue, überraschende Formen; die zahlreichen Täler, in die der flüchtige Blick vom Wagenfenster aus eindringt, erschließen in schneller Folge ungeahnte landschaftliche Schönheiten. Zunächst haben wir das gesegnete Obst- und Weinland der Ortenau vor uns, vom Ortenberger Schloß steigt das Gebirge in stolz geschwungener Linie zum Brandeckkopf mit seinem Turme auf, dann öffnet sich das Tal von Durbach mit dem Staufenberg, und bald ist die Station Appenweier erreicht. Hier mündet die große Westoststraße Paris-Wien von Straßburg her ein, nachdem sie bei Kehl den Rhein überbrückt hat, um die Hauptlinie, der wir folgen, erst bei Karlsruhe wieder zu verlassen und über Pforzheim nach Schwaben, Bayern und Österreich weiter zu ziehen.

Abb. 131. Bauernbursch aus dem Renchtal.
Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg. (Zu Seite 128.)

Renchtal.

In Appenweier zweigt eine Nebenbahn ins Renchtal ab, dessen Mineralbäder — meist Stahlwasser — seit lange eine große und berechtigte Anziehungskraft ausüben. Wir kommen zunächst nach Oberkirch (191 m), einem hübschen Städtchen von 4000 Einwohnern in ganz entzückender Lage. Die Schlösser Schauenburg, Ullenburg und Fürsteneck grüßen ins Tal hinab auf all den schwellenden Reichtum an Gartenland, Ackerfeld, Obsthainen und Rebhügeln. Die Kirschen des Renchtales sind weitum berühmt und geben in halbwegs guten Jahrgängen Ernten, die selbst in den kleineren Orten der Umgebung sich auf viele Tausende von Mark bewerten, die Kirschenmärkte von Oberkirch sind daher eine sehr wichtige Sache, und von dem vielen, guten Kirschwasser, das überall im Schwarzwalde gebrannt wird, ist das Renchtaler wohl das am meisten geschätzte. Die Oberkircher Weine endlich erfreuen sich im ganzen Lande berechtigten Rufes, und es kann nur empfohlen werden, selbst Probe zu halten, sei es an Klingelberger oder Clevener, sei es im Städtchen selbst oder in den freundlichen Landorten ringsum, in Ringelbach, Waldulm oder sonstwo.

[S. 127]

Abb. 132. Partie bei Griesbach im Wilden Renchtal. Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 128.)


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Weiter aufwärts verengt sich das Tal bald; an Lautenbach mit seiner spätgotischen, neuerdings glücklich restaurierten Kirche vorbei gelangen wir nach der einsamen Haltestelle Hubacker, wo ein schöner Weg nach dem in stillem Seitentälchen gelegenen Bade Sulzbach (Abb. 129) und weiter nach Allerheiligen abzweigt. Dann gelangen wir nach dem Städtchen Oppenau, dem Endpunkt der Bahn. Eine herrliche Straße führt von hier nach dem freundlich gelegenen Bade Antogast (484 m), eine andere durch das felsenge Lierbachtal nach Allerheiligen, wieder eine andere[S. 128] auf die Höhe des Kniebiskammes, der bei den Schanzen an der Zuflucht erreicht wird; die Talstraße endlich läßt uns am schäumenden Flüßchen entlang Bad Freiersbach und bald darauf das stattliche Dorf Peterstal erreichen (Abb. 130), den Hauptpunkt des oberen Renchtales, mit seinen Bädern, Gasthäusern, Kuranlagen und trefflich gepflegten, weit verzweigten Spazierwegen ein behaglicher Ruheplatz (394 m). Die Bevölkerung von Peterstal und seiner weiteren Umgebung hängt noch fest an der alten Tracht des Tales, und es gilt dies hier im Gegensatz zu manchen anderen Schwarzwaldgebieten nicht nur für die Frauen und Mädchen, sondern auch für die Männer (Abb. 131). Wie schmuck sieht es aus, wenn bei festlichen Anlässen die Peterstaler Miliz mit ihrer trefflichen Musik, in Tracht gekleidet, ausrückt! — Noch weiter oben im Tal, da wo die Wilde Rench von Norden herabgesprungen kommt (Abb. 132), liegt in ernster Talenge Bad Griesbach (Abb. 133), wo 1818 Großherzog Karl die Badische Verfassung gab. Auf dem nahen Kreuzkopf steht der „Habererturm“, ein Denkmal für den einst im Tale tätigen und um seine Bäder sehr verdienten Medizinalrat Dr. Haberer. Von allen Orten im Renchtal führen gute und interessante Waldwege auf die Höhen, die später zusammenhängend geschildert werden sollen.

Abb. 133. Bad Griesbach.
Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg. (Zu Seite 128.)

Abb. 134. Das Edelfrauengrab.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 128.)

Kapplertal.

Sasbach. Bühl. Affental.

Gertelbachschlucht.

Nordwärts Appenweier wird an Renchen vorbei, wo der Dichter des Simplicissimus, Christoph von Grimmelshausen, als bischöflich Straßburger Schultheiß amtete und nun ein Denkmal besitzt, die Stadt Achern mit fast 4900 Einwohnern erreicht, die sich aller Vorzüge einer ebenso schönen als fruchtbaren Umgebung erfreut. Ins freundliche Kapplertal führt eine Nebenbahn nach Kappelrodeck am Fuß der Burg Rodeck und des Käferwaldkopfes mit seinem Aussichtsturm, und weiter bis Ottenhöfen (311 m), einen für Ausflüge jeder Art sehr günstig gelegenen und beliebten Sommerfrischort. Die nahe Schlucht des Edelfrauengrabes im Gottschlägtal (Abb. 134) und zahlreiche andere Punkte der näheren Umgebung bieten die lohnendsten Ziele, die man sich denken mag. Die mancherlei Wege zum Mummelsee, nach Allerheiligen und auf oder über die Kammhöhe, welche die Wasserscheide gegen das Murggebiet bildet, laden zu weiteren Wanderungen ein. Diese Höhen in der Umgebung der Hornisgrinde können von Achern aus auch[S. 129] sonst auf verschiedenen Pfaden erreicht werden, so an Illenau, der unendlich friedlich und stimmungsvoll gelegenen Heil- und Pflegeanstalt für Geisteskranke, vorbei über Sasbachwalden, durch die Schlucht der Gaishölle und über die hoch aufragende Ruine des Brigittenschlosses, oder über Sasbach und Lauf. Der Platz bei Sasbach, auf welchem 1675 Marschall Turenne fiel, ist seit lange französisches Nationaleigentum. Ein französischer Invalide hütet das Denkmal des Gefallenen (Abb. 135). Das unfern stehende alte Denkmal trägt die Inschrift: „Hier ist Turennius vertödtet worden“, sowie deren lateinische und französische Übersetzung. Ob wohl ein deutscher Invalide auf französischem Boden auch ganz unbehelligt deutsche Heldengräber hüten dürfte? — Zwischen Achern und Bühl ist der Anblick des Gebirges geradezu großartig. Die mächtige Höhe der Hornisgrinde liegt in der Luftlinie kaum 10 km von der Bahn entfernt, ragt aber 1030 m über ihr empor und gewährt in ihrem massigen, steilen Aufbau ein imposantes Bild, besonders durch den schroffen Gegensatz gegen die unendliche Lieblichkeit des reich angebauten und dicht besiedelten Hügellandes im Vordergrunde. Bei Ottersweier mündet das freundliche Neusatzer Tal aus, durch das wir am hoch aufragenden Immenstein vorbei zum Hauptkamm gelangen können. Das hübsche Städtchen Bühl (Abb. 136) mit 3600 Einwohnern, das als Wein- und Obstmarkt ähnliche Bedeutung hat, wie Offenburg oder Oberkirch, ist besonders berühmt durch seine Frühzwetschgen. Welchen Wert dieselben im Wirtschaftsleben der Gegend haben, mag aus der Tatsache anschaulich werden, daß schon im Jahre 1900 die Bahnstation Bühl allein an Fracht für den Versand dieses Obstes den Betrag von Mk. 108328 einnahm; seither ist dieser Betrag ganz wesentlich gestiegen. Vom waldigen Berghang winkt die zweitürmige Ruine Windeck hernieder, zu der entzückende Wege durch die reichen Fluren des gesegneten Landes uns ansteigen lassen. Eine Nebenbahn führt nahe an Affental vorbei, wo der gefeiertste badische Rotwein wächst, ins schöne und reiche Bühlertal (Abb. 138), durch dessen obere Ver[S. 130]zweigungen, besonders durch die großartig wilde, wasserfallreiche Gertelbachschlucht (Abb. 137), die prachtvollsten Wege zum Kamm hinauf führen, der hier in weitester Ausdehnung wunderbaren Hochwald trägt und seit einigen Jahren mit einer großen Anzahl von trefflichen Höhenkurhäusern geschmückt ist. Wir werden diese unvergleichliche Höhenwelt noch zu würdigen haben.

Abb. 135. Turenne-Denkmal bei Sasbach.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 129.)

Am Bühler Rebland hin führt uns die Bahn nach dem Städtchen Steinbach. Seinem größten Sohn Erwin, dem Schöpfer des Straßburger Münsters, ist bei dem Ort, am Fuß der Yburg, die auf spitzem Porphyrkegel thront, ein Denkmal errichtet, von dessen Fuß der Blick hinüber schweift über die Ebene des Hanauerlandes zum Rhein, über den Erwins Wunderbau aufragt als Wahrzeichen deutschen Geistes und deutscher Kunst, weither sichtbar von den Höhen des Wasgaues, wie von denen des Schwarzwaldes, und so recht bestimmt dazu, das Symbol zu sein für die Einheit des ganzen gesegneten Oberrheingebietes zu beiden Seiten des Stromes von Basel bis Mainz. Wie ganz anders wirkt das Zeichen heute auf uns ein, als vor 1870, wo es nur an Schande und Schwäche gemahnte und in deutschen Herzen eine reine Freude an der herrlichen Welt zwischen Schwarzwald und Vogesen niemals recht aufkommen ließ.

Wenige Augenblicke, und wir befinden uns in Oos, von wo eine kurze Nebenbahn uns in einigen Minuten nach dem im Oostale gelegenen Weltbade gelangen läßt, das dem Lande Baden den Namen gab.

Baden-Baden.

Die heißen Quellen von Baden (Bahnhof 152 m, Neues Schloß 220 m) oder Baden-Baden, wie die Stadt zur Unterscheidung von anderen ihres Namens bei vielen heißt, kommen aus den Tiefen des Granits und spenden im Tag über 8500 hl Thermalwasser, das in der Brunnenstube 62,5° C mißt und als indifferente Therme mit geringem Gehalt an Kochsalz und anderen Mineralbestandteilen bezeichnet werden muß. Sie sind früh entdeckt und zu Heilzwecken benutzt worden; das römische Aquae, der Hauptort der civitas Aurelia aquensis, war, nach den Ruinen unter der Stiftskirche zu schließen, eine sehr ansehnliche Niederlassung, auf die vom nahen Waldberge, der heute noch den Namen Merkur trägt (670 m), ein Tempel des Handelsgottes herabsah. Das Merkur-Relief neben dem modernen[S. 131] Aussichtsturm erinnert an diese fern liegende erste Blütezeit unserer Bäderstadt. Diese kam nach mancherlei Geschicken um 1110 unter zähringische Herrschaft und gab dem Staate, dem sie seither ununterbrochen zugehörte, den Namen. 1689 ward sie von den Franzosen gründlich zerstört, und es dauerte danach über hundert Jahre, bis das gänzlich zerfallene Bad wieder aufzuleben anfing. Von 550 Gästen um 1790 stieg deren Zahl bis 1820 etwa aufs Zehnfache, 1860 waren es 40000, jetzt sind es über 70000 im Jahre; die Stadt zählt heute mit dem kürzlich eingemeindeten Lichtental 22000 Einwohner und steht an Trefflichkeit der Kureinrichtungen unerreicht und an Schönheit der umgebenden Landschaften unerreichbar da (Abb. 140). Das Klima ist überaus milde, die Wärmeschwankungen sind, mit anderen Orten des Rheingebietes verglichen, auffallend gering, rauhe Winde fehlen fast ganz, da sie durch die umgebenden Höhen abgehalten werden; die mäßig feuchte Luft — wohl eine Wirkung der ausgedehnten Wälder weit umher — ist weich und köstlich zu atmen. Daß ein von der Natur so glänzend ausgestatteter Kurort auch alles bietet, was ein aufs höchste verfeinerter Geschmack verlangt und was dem internationalen Badepublikum nun einmal geboten werden muß, das versteht sich von selbst. Aber neben den großen Palasthotels, die auch die unsinnigsten Ansprüche zu befriedigen in der Lage sind, besteht doch die Möglichkeit, auch bei bescheidenen Mitteln sich des Aufenthaltes in Baden zu freuen; und gerade hierin mag ein Hauptvorzug des Ortes liegen, der neben den wertvollen Kurmitteln und neben der reizvollen Lage das Geheimnis des stets wachsenden Besuches erklärt.

Abb. 136. Bühl.
Nach einer Photographie von A. Lohmüller in Bühl. (Zu Seite 129.)

Abb. 137. Gertelbachfälle.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 130.)

Am Wege vom Bahnhofe in die Stadt, dem jetzt die elektrische Trambahn nach Lichtental folgt, fällt uns an einer rechts abzweigenden Nebenstraße zuerst die Trinkhalle auf (Abb. 139), unmittelbar am Walde gelegen, aus dessen Düster die goldstrahlende Kuppel der griechischen Kirche hervorschimmert. Die Gegenstände der vierzehn Fresken in der offenen Säulenhalle sind dem Sagenschatze von Badens näherer und weiterer Umgebung entnommen. Das Konversationshaus mit seinen vornehmen Gesellschaftsräumen, vor ihm die Anlagen der Promenade und die an der Oos hinziehende Lichtentaler Allee (Abb. 141) mit ihren wunder[S. 132]bar schönen alten Bäumen, meist Ahorn und Linden, aber auch Eichen, bilden den eigentlichen Mittelpunkt des eleganten Badelebens. Dem Heilzweck dienen das im Inneren nach dem Muster altrömischer Badeanlagen gehaltene und nur von Männern zu benutzende Friedrichsbad (Abb. 142), im Jahre 1877 vollendet, und das noch jüngere Kaiserin-Augustabad (für Frauen). Beide Bauten sind Vertreter der italienischen Renaissance, hervorragend schön und in ihrer inneren Einrichtung so trefflich ausgestattet, daß sie jedem Bedarf und Anspruch entsprechen. Auch das Landesbad und das Ludwig-Wilhelm-Pflegehaus dienen Kur- und Erholungszwecken. Dazu kommen nicht wenig Privatsanatorien mit Einrichtungen allerart für jede Form von Heilmethoden. Baden ist eben tatsächlich nicht nur der Luxusort, als der es einem flüchtigen Besucher erscheinen könnte, es ist wirklich eine Kurstätte allerersten Ranges. Daß dem Kranken die zahlreichen, prächtig gepflegten Wege zum Fahren und Gehen zwischen den ungezählten schönen Villen und ihren Gärten, in der Talebene wie an den sanften Gehängen ihrer Einrahmung, in Anlagen voll reichster künstlicher Vegetation vielfach ganz südlichen Charakters, endlich im stillen, majestätischen Wald und auf den aussichtsreichen Höhen zu allen Seiten mit ein Hauptgenesungsfaktor sind, wie sie dem nicht erholungsbedürftigen Gaste dieses Paradieses zur unerschöpflichen Fundgrube immer neuer, immer schönerer Landschaftsbilder werden — das versteht sich von selbst. Ob wir vom Garten des Großherzoglichen Schlosses oder vom Turm der alten Burg Hohenbaden (Abb. 143) ins Tal herniederblicken, ob wir durchs Labyrinth der Felsen steigen, die Umgebung der Engels- und Teufelskanzel oder den höheren Merkur besuchen, um von hier ins nahe Murgtal abzusteigen, ob wir im Wald am Friesenberg umherschlendern oder uns über den Beutig zum Fremersberg oder zur Yburg wenden, um etwa durch die villenbesäten Tälchen von Tiergarten oder Gunzenbach zurückzukehren, ob wir Kloster Lichtental und die waldeinsame Fischkultur (Abb. 144) aufsuchen, oder irgendeinen anderen der vielen abwechslungsvollen Pfade einschlagen, überall ist dieselbe milde Schönheit über die Welt vor unseren Augen ausgebreitet, und je öfter wir all das genießen, desto lebhafter wird der Wunsch nach der Wiederkehr in diese lieblichen Gefilde. Ob Baden sich in der milden Herbstfärbung oder in strahlender Sommerpracht oder im Blütenschmuck des Frühlings am herrlichsten offenbare, wer wollte das entscheiden? Glücklich, wem es vergönnt ist, ab und zu still beglückte Tage oder auch nur Stunden in diesem Eden zu verleben und die Reize der einzelnen Jahreszeiten und ihrer Stimmungen gegeneinander abzuwägen.

[S. 133]

Abb. 138. Oberbühlertal. Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 129.)


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[S. 134]

XV. Murg- und Kinzigtal von Rastatt bis Hausach.

Rastatt. Murgtal.
V

on Oos gelangen wir in kürzester Frist nach Rastatt, das vom Markgrafen Ludwig Wilhelm von Baden-Baden, dem als Türkenlouis berühmt gewordenen Waffengefährten des Prinzen Eugen, nach der Zerstörung der nahen Bäderstadt durch die Franzosen zur Residenz erhoben, um 1700 mit dem im Stil jener Zeit erbauten Schloß geschmückt, 1841 zur deutschen Bundesfestung bestimmt und seit 1893 als fester Platz aufgelassen und geschleift wurde. Gegen Straßburg hatte es Wert zum Schutz der Murgtalstraße und ihrer Gebirgspässe, sowie der nördlichen Rheinebene, mit Straßburg aber nicht mehr. Heute zählt die Stadt gegen 15000 Einwohner; seit der Erbauung der Bahn über den Rhein in der Richtung auf Straßburg und Metz hat sie erhöhte Verkehrsbedeutung gewonnen. Nicht weit unterhalb Rastatt mündet die Murg in den Rhein.

Wir dringen nun längs ihres Laufes ins Gebirge ein, und gelangen so, da sie auf der Ostseite entspringt und sich in nördlicher und nordwestlicher Richtung durch den Buntsandstein, Gneis und Granit des Schwarzwaldes durcharbeitet, ohne Übersteigung einer Wasserscheide von der Rheinebene an den Ostfuß des Hornisgrinden-Kammes. Die Murglinie hatte, eben weil sie ein Durchbruchstal benutzt, von jeher hohen Wert als Straße nach Schwaben, und so erklärt sich auch die Wahl von Rastatt zur Festung gegen das einst allzunahe Frankreich.

Die Talbahn, die bei Forbach endigt, erreicht das Gebirge bei Kuppenheim, in dessen Nähe das Schlößchen der Favorite mancherlei Erinnerungen an den Türkenlouis und seine asketische Gemahlin Sibylla Augusta birgt; dann fährt man unter dem Eichelberg und dem Mahlberg (613 m) mit seinem Karlsruher Turm hin an den großen Orten Rotenfels, Gaggenau — Glasfabrik, Eisenwerk — und Ottenau vorbei, nach Hörden, wo das Tal sich so einengt, daß neben dem Fluß der Raum für Straße und Bahn dem Fels abgetrotzt werden mußte. Eine oft zitierte Denkstein-Inschrift spricht das recht hübsch aus:

Ex rupe fracta
Haec via facta.
Diesen Felsen sprengte man
Und legte einen Fahrweg an.
1786.
Aetate peracta
Haec ferrea tracta.
Später ging man wieder dran
Und baute eine Eisenbahn.
1869.

Abb. 139. Die Trinkhalle in Baden-Baden. (Zu Seite 131.)

Abb. 140. Baden-Baden von der Stourdsakapelle aus gesehen.
Verlag der Neuen Photographischen Gesellschaft in Berlin-Steglitz. (Zu Seite 131.)


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Nun kommt man bald nach Gernsbach[S. 136] (Bahnhof 160 m), einem allerliebsten, steil am Berg hinaufgebauten Städtchen von etwa 2800 Einwohnern, dem alle Vorzüge, die z. B. von Gengenbach oder Oberkirch gerühmt wurden, in reichem Maße auch zukommen (Abb. 145). Die Lage an einem größeren Fluß, inmitten prächtig geformter Höhenzüge auf beiden Talseiten, an prachtvollen Wegen in der Richtung auf das Badener Revier und ostwärts nach Württemberg hinüber, unvergleichlich schöne Hochwaldungen in weitester Ausdehnung, all das macht Gernsbach zu einem günstigen Standquartier für bequeme wie bergfreudige Ferienwanderer. Die in ihrer Art einzig dastehende Kunststraße durch den herrlichsten Wald der Welt hinauf zum Ebersteiner Schloß und von hier über das Müllenbild zur Fischzucht bei Lichtental und nach Baden gehört zum Schönsten, was man an Wegen wandern oder fahren mag. Auch der Blick vom Eberstein aufs enge Tal hinab und seine Waldumrahmung ist ganz einzig schön. Das Schloß, Eigentum des Großherzogs von Baden, zeigt über dem Tor das Wappen, von dessen Symbolen Uhland singt:

Ich kenne wohl den Eber, er hat so grimmen Zorn,
Ich kenne wohl die Rose, sie hat so scharfen Dorn.

Abb. 141. Baden-Baden. In der Lichtentaler Allee. (Zu Seite 131.)

Die Dörfer im Tal treiben alle viel Holzindustrie. Neben den zahlreichen Sägewerken finden wir leider auch Holzstoffabriken. Die Bahn befördert, ebenso wie zahlreiche Fuhrwerke auf der Straße, zumeist nur Holz. Das Flößen hat aufgehört, nachdem es durch lange Jahrhunderte für das Tal charakteristisch war. Ihm verdankt die alte Genossenschaft der „Murgschifferschaft“ ihre Entstehung; sie besteht heute noch mit ihrem enormen Waldbesitz, den vielen Sägemühlen, mit eigenem Forstpersonal und dem Stolze einer mehrhundertjährigen Tradition.[S. 137] Hinter Weisenbach wird das Tal auf lange Strecken zur wirklichen Felsschlucht und gehört da zu den schönsten im Schwarzwalde, die vor kurzem erst fertig gestellte Bahnlinie bis Forbach mit all ihren Kunstbauten zu den sehenswertesten Gebirgsbahnen. Oberhalb Forbach mit seiner zweitürmigen, hochgelegenen Kirche, seiner alten gedeckten Holz- und seiner elegant geschwungenen neuen Eisenbrücke über den Fluß (Abb. 146) wird das Tal einsamer. Bei Rauhmünzach kommt der gleichnamige Bach (Abb. 148) aus engem Waldtal von der Hornisgrinde, bei Schönmünzach jenseits der württembergischen Grenze (434 m), einem sehr beliebten Sommerfrischort mit großer Glasfabrik, mündet die Schönmünzach ebendaher.

In der Gneisregion, in die man nun eingedrungen ist, überragen die seitlichen Höhen die Talsohle nicht mehr allzuhoch, der Charakter der Landschaft wird darum einförmiger. Man gelangt durch mehrere Ortschaften schließlich nach Kloster-Reichenbach (520 m) mit einer schönen romanischen Kirche der ehemaligen Benediktinerabtei, und von hier wieder mit der Eisenbahn nach dem Hauptorte der weit zerstreuten, rund 6700 Einwohner zählenden Gemeinde Baiersbronn (583 m), von wo eine schöne Straße ins Tal der Roten Murg, zum Ruhstein und nach Ottenhöfen führt.

Abb. 142. Friedrichsbad in Baden-Baden.
Nach einer Photographie von G. Salzer in Baden. (Zu Seite 132.)

Freudenstadt.

An den stattlichen Eisenwerken Friedrichstal und Christophstal vorbei gelangen wir — die Bahnlinie hat hier Zahnradbetrieb — auf die Höhe der interessanten Stadt Freudenstadt (Markt 732, Bahnhof 664 m) mit über 8500 Einwohnern. Sie ist 1599 von Herzog Friedrich I. von Württemberg gegründet worden, liegt auf einem Plateau, das sich nordwärts zur Murg, östlich zum Glattbach (Neckar) und nach Süden zur Kinzig abdacht, beherrscht also weithin die Wege und damit[S. 138] die ganze Gegend. Da sie auch nach Westen den Kniebispaß und seine Übergänge zur Rench und Acher deckt, begreift man, daß einst geschwankt wurde, ob Freudenstadt oder Rastatt Bundesfestung werden sollte. Ganz eigentümlich ist der Bauplan der Stadt. Um einen sehr großen quadratischen Hauptplatz breiten sich nach dem Muster des „Neuntelsteinbrettes“ angelegt die Straßen- und Häuserreihen aus. Auf dem Platze steht die Kirche mit zwei rechtwinklig zusammenstoßenden Langhäusern, in deren Winkel Altar und Kanzel steht, so daß der Geistliche wohl die Männer und Frauen, diese aber, streng in die beiden Schiffe verteilt, gegenseitig sich nicht sehen können. Seit etwa zwanzig Jahren ist Freudenstadt ein besuchter Höhenkurort geworden, zahlreiche Gasthäuser und Pensionen sind entstanden, neue Anlagen wurden hergestellt, so im „Palmenwald“ und unter dem Friedrichsturm am Kienberg, von wo der Blick auf die Rauhe Alb besonders schön ist; der weit ausgedehnte Stadtwald ist von prächtigen Wegen durchzogen, Murg und Kinzigtal, sowie die Höhen des Kniebis laden zu weiteren Wanderungen ein, Stuttgart und Offenburg sind in weniger als zwei Stunden zu erreichen. Kurz, Freudenstadt hat große Vorzüge und unzweifelhaft eine noch größere Zukunft (Abb. 147).

Abb. 143. Das alte Schloß Hohenbaden. (Zu Seite 132.)

Alpirsbach.

Nach Süden senkt sich die Bahn an den steilen Wänden des Kinzigtales hinab nach Alpirsbach (433 m) mit der herrlichen Basilika seines einstigen Benediktiner-Klosters, einem Kleinod romanischen Stils von höchstem Wert (Abb. 150). Das prachtvolle Bild des wunderbaren Baues wird noch wesentlich verschönert durch die ernste Landschaftsumgebung des stillen Gebirgstales. Bei Schenkenzell mit seiner malerischen Schenkenburg (Abb. 149) mündet das Tal der Kleinen[S. 139] Kinzig, in dessen Gebiet das ehemalige Nonnenkloster Wittichen liegt. Diese ganze Gegend trieb einst sehr viel Bergbau, besonders auch auf Kupfer. Doch hat das längst aufgehört, und die Reinerzau, wie das Tal der kleinen Kinzig auch heißt und so durch seinen Namen die Erinnerung an den alten Bergbau festhält, gehört heute, obschon zu den schönsten, doch zu den abgelegensten und einsamsten des Gebirges.

Abb. 144. Fischkultur bei Baden-Baden.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 132.)

Abb. 145. Gernsbach.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 136.)

Das Kinzigtal.

Bei Schiltach (325 m) mündet das Tal des gleichnamigen Flüßchens von[S. 140] Schramberg her ein, dann kommen wir an den zahlreichen Einzelhöfen der Gemeinden Kinzigtal und Lehengericht vorbei (Abb. 151) nach Wolfach (262 m), am Zusammenfluß der vom Kniebis herabkommenden und das Schapbacher Tal durchströmenden Wolfach mit der Kinzig hübsch gelegen (Abb. 152), und gleich danach ist Hausach an der Schwarzwaldbahn Offenburg-Donaueschingen erreicht, so daß nunmehr der ganze nördliche Schwarzwald längs seiner Umrahmung umschrieben ist.

Abb. 146. Forbach im Murgtal.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 137.)

Abb. 147. Freudenstadt.
Nach einer Photographie von J. Zimmermann in Freudenstadt. (Zu Seite 138.)

[S. 141]

XVI. Auf den Höhen des nördlichen Schwarzwaldes.

D

ie schöne Bergwelt zwischen Kinzig und Oos lernen wir am besten kennen, wenn wir wieder wie im südlichen und mittleren Schwarzwald dem mit der roten Raute bezeichneten Kammwege I folgen, der jegliches Verirren völlig unmöglich macht. Bei Hausach, wo alte Verschanzungen am Nordgehänge des Tales ebenso wie die Befestigungen am Farrenkopf und weiter südlich an die strategische Bedeutung des Kinzigtales erinnern, steigen wir nordwärts an und erreichen bald die Wasserscheide zwischen dem Schapbacher und Harmersbacher Tal, der wir nun 34 Kilometer weit folgen bis zum Kniebis. Dieser Weg wird nicht nur durch seine prächtigen Fernblicke entzücken und durch den herrlichen Hochwald, den er stundenlang durchschneidet; er wird vielmehr dem Wanderer, der gern allein geht und sich trotz der größten Weltabgeschiedenheit nicht einsam fühlt, weil er sich am allerbesten mit sich selbst unterhält, ganz besondere Befriedigung gewähren; denn dieser Hochpfad trifft in seiner ganzen Länge kein Wirtshaus, ja sogar nicht einmal ein Wohnhaus. Ringsum großartige, himmlische Ruhe, so wohlig und erquickend wie nichts sonst auf der Welt! Abstiege in die Täler rechts und links sind leicht zu machen, und so läßt die Wanderung mancherlei Variationen zu.

An der Littweger Höhe (845 m) können wir westwärts abzweigen zum Löcherbergwasen (658 m) auf der Straßenhöhe zwischen Kinzig- und Renchtal, mit oft ganz phantastischen Bildungen gewaltiger Sandstein-Blockmeere, und weiter auf die waldige Kuppe des Mooskopfes (873 m) mit ihrem Aussichtsturm, der weithin über den wogenden Wald und seine schöne Bergwelt zu schauen gestattet. Zahlreiche Wege lassen uns von hier wieder die Niederungen der Menschen gewinnen, sei es in Oppenau, Oberkirch oder Durbach, in Gengenbach, Ortenberg, oder endlich am Fuße des Brandeckkopfes in Offenburg.

Abb. 148. Im Rauhmünzachtal.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 137.)

Rippoldsau. Der Kniebis.

Unser Rautenweg gewinnt am Hundskopf hin (950 m) die See-Ebene[S. 142] (943 m), von wo wir östlich den stillen Glaswaldsee 100 m unter uns in träumerischem Frieden schimmern sehen (Abb. 154). Wir schneiden hier einen beliebten, durch neue Wege verbesserten Übergang von Peterstal nach Schapbach, erreichen dann die Holzwälder Höhe (966 m), wo wir auf den vielbegangenen Pfad Griesbach-Rippoldsau stoßen, und dann geht’s immer im stolzesten Hochwald hinauf zum Kniebis, den wir bei der Alexanderschanze (971 m) erreichen.

Wem es auf diesem Wege der Einsamkeit zu viel werden möchte, der fahre von Wolfach durch das belebte, sonnige Schapbach- oder Wolfachtal nach dem eleganten, trefflich eingerichteten Bad Rippoldsau (566 m, Abb. 155). Die Talbewohner in ihrer Tracht, die besonders am Sonntag das farbenfreudige junge Mädchenvolk recht hübsch erscheinen läßt, werden dem Besucher viel Freude machen (Abb. 153). Das wenig unterhalb des Bades gelegene „Klösterle“ war einst ein Priorat des Benediktinerstiftes St. Georgen, jetzt ist es Pfarrkirche für das obere Talgebiet. Ganz wunderbar schöne Wege zum Gehen und Fahren lassen uns durch den prachtvollen Wald nach dem unfernen Freudenstadt hinüber und hinauf auf den Kniebis gelangen.

Abb. 149. Die Schenkenburg im Kinzigtal.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 138.)

[S. 143]

Abb. 150. Alpirsbach. Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg. (Zu Seite 138.)


GRÖSSERES BILD

Der Kniebis ist ein 8 km langer, rund 950 m hoher, wallförmiger Kamm; er nimmt im orographischen Aufbau des Schwarzwaldes eine ganz eigenartige Stellung ein, die nur noch ein einziges Mal ähnlich vorkommt, nämlich an der früher besprochenen, über 1000 m hohen Wasserscheide von der Kaltenherberge bis zum Turner. Während nämlich auf der über 160 km langen Strecke von Waldshut bis Durlach überall sonst im Schwarzwalde Flußläufe, die von Nord nach Süd oder von Süd nach Nord laufen, die so wichtige Ostwestverbindung von Schwaben nach der Rheinebene unmöglich machen oder doch ganz wesentlich erschweren, treten am Hohlengraben wie am Kniebis, durch welche Punkte die Längsausdehnung des Schwarzwaldes in drei nicht ganz gleiche Teile geteilt wird, östliches und westliches Gefälle unmittelbar aneinander heran; daher im ersteren Falle die oft umkämpfte Straße von der Donau nach Freiburg, im zweiten die[S. 144] aus dem Herzen des Neckarlandes nach Straßburg. Auf dem Kniebis (Abb. 156) treffen sich zwei Straßen aus dem Renchtal von Oppenau und Griesbach, eine aus dem Kinzigtal von Rippoldsau, und endlich die von Freudenstadt und dem schwäbischen Hügelland her. Daß man vor zwei Menschenaltern daran dachte, Freudenstadt zur deutschen Bundesfestung zu machen, erscheint hiernach ebenso verständlich wie die Tatsache, daß wir an der Stelle, wo die Griesbacher Straße die Kammhöhe gewinnt, die nach ihrem Erbauer Alexander von Württemberg genannte Alexanderschanze (1734) finden, während die Oppenauer Straße auf dem Kamm durch die im Dreißigjährigen Kriege erbaute Schwedenschanze und durch die aus dem Jahre 1796 stammende Schwabenschanze geschützt ist.

Durch ernste Hochmoor- und Legföhrenlandschaft zieht die Straße längs der badisch-württembergischen Grenze auf dem Kamm hin, erreicht bei der Zuflucht am Roßbühl das in einer Bastion der Schwabenschanze stehende neue Aussichtsgerüste, fast 200 m über dem zur Murg abfließenden Kartrichter des Buhlbachsees, während die etwas weiter östlich liegenden Kessel des Sankenbach- und Elbachsees trocken gelegt worden sind.

Abb. 151. Bauernhof im Kinzigtal.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 140.)

Allerheiligen.

Unsere Höhenwanderung setzen wir vom Kniebis durch schönen Wald nach Norden fort, bis wir unmittelbar über der Murgquelle und nahe dem Schliffkopf (1056 m), auf dem ein von Pionieren errichtetes Aussichtsgerüste steht, ins Freie treten, um, nachdem wir über das weite Waldmeer Umschau gehalten, nach Allerheiligen (620 m) abzusteigen.

Diese wertvolle Perle unter den Schwarzwaldlandschaften können wir, wie schon früher angedeutet worden ist, bequem auch von Ottenhöfen, von Oberkirch, Sulzbach oder von Oppenau durchs Lierbachtal erreichen. Letzterer Weg führt uns an den Fuß des prachtvollen Wasserfalles der Sieben Bütten, an dem wir mit wechselvollen Blicken in die grause Schlucht mit ihrem tosenden Wasserschwall ansteigen, um plötzlich auf waldumrahmtem Wiesenplan die grauen Trümmer der gotischen Abteikirche des einstigen Prämonstratenserstiftes Allerheiligen vor uns zu sehen. Das Bild der malerischen Ruine im stillen Bergesfrieden ist eines der stimmungsvollsten, die der Schwarzwald aufweist (Abb. 157). Kein Wunder, daß der Besuch des jetzigen Kurplatzes ein sehr starker ist, nachdem der Ort, als das Kloster 1803 aufgehoben und bald danach abgebrannt war, mit seiner Umgebung durch vierzig Jahre eine tatsächlich unzugängliche Wildnis gebildet hatte.

[S. 145]

Abb. 152. Wolfach. (Zu Seite 140.)


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[S. 146]

Abb. 153. Hochzeitszug im Schapbachtal.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 142.)

Mummelsee. Hornisgrinde.

Vom Schliffkopf, zu dem man von Allerheiligen wieder ansteigt, oder auf direktem Weg ist nun bald der Sattel am Ruhstein (Ruchstein = Rauher Stein, 916 m) erreicht, auf dem ein vielbesuchtes Kurhaus steht, dem Wanderer auf unserem Höhenweg wie dem, welcher von Ottenhöfen nach dem Murgtal strebt, erwünschte Rast gewährend. Ein kurzer Anstieg läßt uns zur Halde über dem malerischen Wildsee (Abb. 158), aus dem die Schönmünz abfließt, und weiter, meist der 1000 m-Höhenkurve entlang zum Eckle (958 m) gelangen, wo zahlreiche Pfade aus dem Murg- und Achergebiet zusammenlaufen. Wir folgen dem zum Mummelsee (1036 m), einem melancholischen, waldeinsamen Wasserbecken, dessen Nixen den Hirten und etwaigen Sonntagskindern freilich heutzutage ebensowenig mehr erscheinen als die des Wildsees. Lauschige Plätzchen vor dem Seegasthaus geben Gelegenheit zum behaglichen Genuß der ernsten Landschaft (Abb. 159). Die schönen Wege, die über das Kurhaus Wolfsbrunnen oder über den aussichtsreichen Hohfelsen nach Ottenhöfen oder über Kurhaus Breitenbronn nach Achern abzusteigen gestatten, führen uns nicht in Versuchung; wir halten uns oben und haben in kurzem die Höhe der Hornisgrinde gewonnen (1164 m), wo wir vom neuen, fast allzu stattlich dreinschauenden Aussichtsturm wesentlich besser als von dem etwas weiter nördlich aufragenden Signalturm der internationalen Erdmessung Umschau halten können bis zum Feldberg im Taunus, zum Donnersberg in der Pfalz, zum Melibokus im Odenwald, zum Neuffen und Teck im Schwabenland und zum Elsässer Belchen. Im Süden sehen wir die Burgundische Pforte und die Ketten des Schweizer Jura. In seltenen Fällen, besonders bei winterlicher Wärmeumkehr, sind auch die Alpen sichtbar vom Piz Linard bis zur Jungfrau.

[S. 147]

Abb. 154. Der Glaswaldsee. Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 142.)


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[S. 148]

Abb. 155. Rippoldsau.
Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg. (Zu Seite 142.)

Abb. 156. Der Kniebis.
Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg. (Zu Seite 144.)

Wintersport.

So unschön die traurige Hochmoorfläche der Hornisgrinde mit ihren kümmerlichen Legföhren an sich auch sein mag (Abb. 160), der Berg ist als Aussichtspunkt einer der allerlohnendsten, die wir uns denken können. Und bei der geradezu[S. 149] glänzenden Wegsamkeit des Gebietes ist seine Besteigung dutzendfacher Variation zugänglich; daher erklärt sich auch die große Zahl der Hornisgrindenfreunde in Straßburg, Karlsruhe und anderwärts, die den Berg ähnlich oft voll Liebe besuchen wie die Freiburger ihren Feldberg. Neuerdings sind die Höhen um die Hornisgrinde auch für den Wintersport sehr beliebt geworden; Zeugnis davon geben mehrere „Skihütten“ der Karlsruher Sportvereine.

Abb. 157. Allerheiligen.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 146.)

Höhenkurorte.

Über dem alten Seebecken des Biberkessels hin gelangen wir, immer nordwärts weiter schreitend, an die Wegscheide der Unterstmatt (930 m), dann auf dem bequemen „Mannheimer Weg“ zu dem Kurort Hundseck (886 m), mitten im Walde ganz wunderbar schön gelegen (s. Abb. 161). Haben wir vom Kniebis bis hierher schon eine nicht geringe Anzahl von stattlichen Gasthäusern angetroffen, so sind wir jetzt in ein Gebiet gelangt, das auf weite Erstreckung geradezu als ein Dorado der empfehlenswertesten Höhenkurorte gelten muß.

Karseen.

Wo vor dreißig Jahren am Sattel des Sand erst ein kleines Wirtshäuschen sich aufgetan hatte und weit umher die hehre Waldeinsamkeit durch nichts gestört war, da liegen jetzt, jeweils kaum eine halbe Stunde voneinander entfernt, die vornehm und im Sommer von Hunderten erholungsbedürftiger Gäste besuchten Anwesen von Unterstmatt, Hundseck, Wiedenfels, Sand, Bärenfels, Herrenwies (Abb. 162), Plättig, Schwanenwasen, alle zwischen 645 und 930 m hoch gelegen, eines in seiner Art immer wieder verlockender als das andere. Welches wir auch zu kürzerem oder längerem Aufenthalt wählen mögen, wir werden uns glücklich fühlen, in diesem weiten Hochrevier voll Wald und Frieden zu weilen und auf kurze Frist zu vergessen, was uns unten in den Niederungen quält. Durch die Gertelbachschlucht kommen wir ins Bühlertal, längs des Hundsbachs oder Schwarzenbachs ins Murgtal bei Rauhmünzach, über Geroldsau mit seinem Wasserfall nach Lichtental und Baden hinab. Der Mehliskopf (1009 m) mit seinem auch architektonisch hübschen Turm (Abb. 163) gewährt einen prachtvollen Rundblick, die Badener Höhe (1002 m) mit ihrem 30 m hohen Großherzog Friedrich-Turm ebenso. Durch typische Hochmoor- und Legföhren[S. 150]landschaft ist von der Badener Höhe der fast genau ebenso hohe Seekopf zu erreichen, unter dessen steilem Felsabsturz der kleine Herrenwieser See 170 m tiefer fast ganz versteckt im Walde liegt (Abb. 164). All diese kleinen Wasserbecken vom Glaswaldsee bis hierher, und auch die ganz ähnlich beschaffenen bei Schönmünzach, der Schurm- und der Hutzenbacher See, haben ganz den Charakter echter Karbildungen, und es erscheint zweifellos, daß sie eiszeitlichen Wirkungen ebenso ihr Dasein verdanken, wie der Feldsee im südlichen Schwarzwald.

Der Höhenweg führt von Hundseck nach Sand, zur Badener Höhe und dann in raschem Abstieg nach Forbach im Murgtal; von hier werden wir seine Fortsetzung über Wildbad nach Pforzheim später kennen lernen. Was er uns, besonders auf der Strecke vom Glaswaldsee über den Kniebis bis zur Badener Höhe, an Schönheit erschlossen, das gehört zum Besten, was der Schwarzwald bieten kann. Jedenfalls wird man herrlicheren und vor allen Dingen ausgedehnteren Hochwald auf trefflich gebahnten Wegen nicht leicht anderswo ebenso antreffen wie hier.

Abb. 158. Der Wildsee.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 146.)

Der östliche Schwarzwald.

XVII. Die Umrandung des Gebietes.

Östlicher Schwarzwald.

Charakter des östlichen Schwarzwaldes.
A

ls östlichen Schwarzwald haben wir den von Süd nach Nord langgestreckten, von West nach Ost aber recht schmalen Landstreifen bezeichnen gelernt, der, abgesehen von dem gegen das Kraichgau zu konvexen Bogen Rastatt-Pforzheim, von den Linien Donaueschingen-Rastatt und Donaueschingen-Pforzheim eingefaßt wird, Linien, welche durch die sie bildenden Flußläufe auf jeder Karte deutlich in die Erscheinung treten. Nun umfassen aber diese Grenzen zwei gänzlich verschiedene[S. 151] Landschaften, deren Trennungslinie zusammenfällt mit dem Höhenrücken Freudenstadt-Nagold oder, was fast gleichbedeutend ist, mit der Wasserscheide zwischen dem Neckar und dem Nagold-Flüßchen. Die südliche dieser Landschaften ist im wesentlichen eine meridional verlaufende Buntsandsteinplatte, die gegen das westliche Grenztal Freudenstadt-Schiltach-St. Georgen-Villingen einen mehr oder weniger scharf ausgeprägten Steilrand bildet, nach Osten schwach geneigt ist und bald unter einer Muschelkalkfläche verschwindet, die ihrerseits gegen den Neckar zu wieder von Lettenkohle überlagert wird. Die Höhenunterschiede sind nirgends ansehnliche, von einem ausgeprägten Gebirgscharakter kann eigentlich nicht mehr gesprochen werden, so daß wir, wenn dies Gebiet auch aus topographischen Gründen dem Schwarzwald zugerechnet werden muß, doch sagen dürfen, es sei nach seiner ganzen Physiognomie viel eher eine Art Übergangsland zur Rauhen Alb. So mag es begründet erscheinen, auf diese Landschaft hier, wo der spärlich zugemessene Raum ohnehin schon zur Beschränkung auf das Wesentlichste und zur größten Knappheit in der Darstellung zwingt, nicht weiter einzugehen und die Besprechung auf die Gegenden zwischen Murg- und Nagoldtal einzuengen, die überall echteste Schwarzwaldnatur zur Schau tragen. Haben wir es doch auf dem ganzen Raum zwischen Rastatt-Freudenstadt-Nagold-Pforzheim mit einer ausgesprochenen Buntsandsteinlandschaft zu tun. Und da hier die Flußtäler noch tief einschneiden und die Höhen im Hohloh bis 988 m ansteigen, so ist das Relief des Bodens noch ein ansehnlich gegliedertes, wenn auch nicht bestritten werden kann, daß im Gegensatz zu den drei Westgruppen des Gebirges der Aufbau im östlichen Schwarzwald einen etwas einförmigen Eindruck macht. Allein die weit ausgedehnten Hochwälder und in sie eingeschnitten die freundlichen Wiesentäler mit ihren Städten, Heilbädern und alten Klöstern — man denke nur an Pforzheim und Calw, Wildbad, Teinach und Liebenzell, Frauenalb, Herrenalb, Hirsau — bieten so viel, daß diese vom großen Verkehr abgelegenere Landschaft freundliche Beachtung in reichstem Maße verdient.

Abb. 159. Der Mummelsee.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 146.)

Die Bahnlinien Kloster-Reichenbach-Freudenstadt-Hochdorf-Nagold-Pforzheim-Karlsruhe-Rastatt-Forbach, Nagold-Altensteig, Pforzheim-Wildbach, Karls[S. 152]ruhe-Herrenalb öffnen zahlreiche Einfallstore in das Gebiet, das im übrigen an Wegsamkeit den anderen Teilen des Schwarzwaldes nicht nachsteht.

Das Heckengäu.

Von Freudenstadt aus benutzen wir die Stuttgarter Bahn, um in östlicher Richtung auf hohen Viadukten über die Quellbäche der Glatt nach dem hoch und frei gelegenen Landstädtchen Dornstetten (630 m) zu gelangen, und weiter die fruchtbaren Muschelkalkflächen des Heckengäues zu durchfahren, die uns nach Südosten prächtige Blicke auf die Rauhe Alb gewähren. In Hochdorf kommt die wichtige Bahnlinie aus dem Neckartal von Horb herauf, deren südliche Fortsetzung nach Immendingen und von hier zum Bodensee oder in die Schweiz führt. Nahe bei Horb, also an der äußersten Grenze des Gebietes, das man hier dem Schwarzwald noch zurechnen darf, liegt Nordstetten, wo Berthold Auerbach 1812 geboren wurde, dessen Schwarzwälder Dorfgeschichten unserm Gebirge einst viel Freunde geworben haben.

Nagold.

Der Höhenrücken, welcher bei Hochdorf Neckar und Nagold scheidet, wird von einem fast 1300 m langen Tunnel durchschnitten; sind wir aus seinem Nordtor ausgetreten, so nimmt uns ein stilles Waldtal auf, und in kurzer Frist ist der Bahnhof von Nagold (452 m) erreicht. Wir sind nun wieder und bleiben im Buntsandstein.

Abb. 160. Hornisgrinde. Hirtenstein, über dem Mummelsee.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 148.)

Das alte Städtchen (Abb. 166), das neben manchem interessanten Haus aus früheren Zeiten auch noch Teile der ehemaligen Befestigung zur Schau trägt, liegt unten im Tal und gewährt von dem hochgelegenen Bahnhof einen ebenso freundlichen als stattlichen Anblick. Es zählt etwa 4000 Einwohner und erfreut sich einer ansehnlichen Gewerbetätigkeit, besonders in Woll- und Goldwaren, auch blüht der Holzhandel aufs lebhafteste, was bei der weiten Ausdehnung der herrlichsten Waldungen weit umher nicht zu verwundern ist. Überragt wird das Tal von der alten Feste Hohennagold, die, abgesehen von der prächtigen Aussicht, die sie gewährt, unser Interesse mit Recht dadurch fesselt, daß sie einen lehrreichen Einblick in die Bauweise solcher mittelalterlichen Befestigungsanlagen gestattet.

Abb. 161. Kurhaus Hundseck.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 149.)

Abb. 162. Herrenwies.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 149.)

Das Nagoldtal.

Die Nagold, die auf den Höhen östlich von Schönmünzach unfern des Murgtales entspringt, ändert bei dem nach ihr genannten Städtchen ihre bisher über[S. 153]wiegend östliche Laufrichtung, biegt scharf nach Norden um und behält diese Richtung bei bis zu ihrer Vereinigung mit der Enz bei Pforzheim. Ihr Tal ist seinem landschaftlichen Charakter nach ein typisches Buntsandsteintal, wie wir sie z. B. in großer Zahl im Odenwald antreffen. Die Talsohle ist im allgemeinen schmal, der Fluß beschreibt in ihr ähnlich dem Neckar oberhalb Heidelberg oder der Tauber in ihrem Unterlauf zahlreiche Serpentinen; die zwischen ihnen spornartig gelegenen Berghalbinseln müssen von der Bahn in nicht wenig Tunnels durchschnitten werden. Trotz der überall gleichen Grundelemente der Landschaft:[S. 154] freundliche Wiesenau in der Niederung und ernster Hochwald an den Talflanken und auf den Höhen, wechseln die Einzelbilder doch in lebhafter und anmutiger Weise, so daß die Fahrt das Tal hinab bis zur Porta Hercyniae eine höchst lohnende ist.

Wildberg.

Zunächst kommen wir nach dem kleinen Städtchen Wildberg, das, auf drei Seiten vom Fluß umströmt, an einer der eben erwähnten Berghalbinseln steil hinaufgebaut ist und mit seinen engen Gassen, alten Häusern und seinem noch bewohnbaren Schloß aus früheren Jahrhunderten — das Forstamt ist darin untergebracht — uns in anschaulichster Weise ein Stückchen Mittelalter vor die Augen zaubert (Abb. 165). Eine ganz ähnliche Lage nimmt die große Feste Waldeck, eine richtige Talsperre, ein, die aber von der Bahn nicht sichtbar ist. Der Schienenstrang führt unter der weiträumigen Ruine durch. Die Anlage der einst sehr wirksamen Befestigung ist auf Rudolf von Habsburg zurückzuführen, in Trümmer gelegt wurde sie 1692 durch Melac, der drei Jahre vorher auch Heidelberg zerstört hatte.

Teinach.

Nahe dem Nordausgang des Waldecker Tunnels erreicht man die Station Teinach (349 m), von wo die Straße zunächst mittels einer gewaltigen Steinbrücke den Fluß überschreitet, um den Eingang in ein enges Seitentälchen zu gewinnen, in welchem bald Dorf und Bad Teinach aus dem Grün herauswinkt (Abb. 168). Die Mineralquellen des Ortes, im ganzen vier, aber von verschiedener Beschaffenheit, haben das Calwer Wildbad, wie es einst genannt wurde, früh bekannt gemacht. Heute sind die Kureinrichtungen in jeder Hinsicht modernen Bedürfnissen angepaßt, und wie bei den Bädern zu beiden Seiten des Kniebis ist auch hier als Hauptheilfaktor die friedliche Ruhe der Landschaft mit ihrem wunderbar schönen, wegereichen Wald hoch anzuschlagen. Josef Victor Scheffel, der öfters und auch noch ein Jahr vor seinem Tode hier weilte, hat in launigen und ernsten Versen Teinachs Lob gesungen und durch sein dem „Gaudeamus“ einverleibtes Gedicht „Zavelstein“ auch dem nahen Städtchen dieses Namens zur literarischen Unsterblichkeit verholfen.

Abb. 163. Turm auf dem Mehliskopf.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 149.)

[S. 155]

Abb. 164. Herrenwieser See. Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 150.)


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Zavelstein.

Zavelstein (Abb. 167) liegt 587 m hoch, also ganz ansehnlich über der Talsohle, über die es ebenso wie über das weite Land ringsum einen schönen Blick gewährt, besonders von der nahen Burgruine aus. Zavelstein ist die kleinste Stadt Württembergs, überragt aber mit seinen annähernd 300 Einwohnern[S. 156] seine badische Schwester Hauenstein an Größe doch noch ansehnlich. Die vom Dichter verewigte Krokus-Wiese übt ihren Farbenzauber natürlich nur in den allerersten Frühlingstagen, aber auch zu anderen Zeiten lohnt sich der Besuch des kleinen Bergnestes, von welchem aus Pfade nach allen Seiten führen. So kann man auch unmittelbar nach Calw absteigen, wenn man nicht zur Bahn zurückgehen und mit ihr nordwärts weiterfahren will.

Abb. 165. Wildberg.
Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg. (Zu Seite 154.)

Calw.

Calw (348 m) ist eine sehr hübsche und lebhafte Stadt (Abb. 169). Sie zählt 5600 Einwohner und nimmt seit lange unter den württembergischen Gewerbe- und Handelsstädten eine bedeutende Stellung ein. Wenn auch die alten Handelskompanien nicht mehr wirksam sind, so besteht doch neben zahlreichen Betrieben anderer Art immer noch blühend die alte Wollindustrie, tätig in Spinnerei, Weberei und Färberei. Besonders sind Wolldecken eine Calwer Spezialität. Auch des sehr tätigen Calwer Missionsschriftenverlages ist hier zu gedenken. Die Stadt teilte 1692 das Schicksal der nahen Feste Waldeck und hat aus der dann folgenden Bauperiode um 1700 eine größere Anzahl hervorragender Gebäude, die ihr ein ganz bestimmtes architektonisches Gepräge geben. Dazu kommen noch die alte gotische Stadtkirche und die malerische Nagoldbrücke mit ihrer Kapelle, kurz, Calw ist ein ganz interessanter Ort. Modern sind das Georgenäum, eine Stiftung zu Belehrungs- und Volksbildungszwecken, und der Stadtpark, von dessen höher gelegenen Teilen der Niederblick auf Stadt, Tal und Umgebung viel Anmutiges hat. An der Ostseite der Nagold steigt die Stuttgarter Bahn hinauf, ihre Windungen sind ähnlicher Art und erscheinen, von Calw aus gesehen, fast ebenso unverständlich wie die der großen Schwarzwaldbahn zwischen Hornberg und Sommerau, oder jene der strategischen Linie zwischen Zollhaus und Stühlingen.

[S. 157]

Abb. 166. Nagold. Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg. (Zu Seite 152.)


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Hirsau.

Die Fortsetzung des Weges durch das Nagoldtal hinab läßt uns bald unterhalb Calw in einer lieblichen Talweitung die wahrhaft großartigen Ruinen der einstigen Benediktinerabtei Hirsau erreichen (Abb. 170), deren bedeutsamem Eindruck sich nur ein sehr oberflächlicher Geist wird entziehen können, etwa ein solcher, der auch acht- und stimmungslos an St. Blasien oder Allerheiligen vorüberginge. Lange war Hirsau das mächtigste Kloster nördlich der Alpen; in seiner Blütezeit, dem elften Jahrhundert, entstand die gewaltige Peterskirche, fast so groß wie der[S. 158] Dom zu Ulm. Ihre Umfassungsmauern sind in den letzten Jahren freigelegt worden, so daß der Grundplan des mächtigen Baues gut zu erkennen ist. Von den Westtürmen steht noch der nördliche ungebrochen, ein wertvolles Denkmal romanischer Architektur. Die aus dem Anfange des sechzehnten Jahrhunderts stammende gotische Marienkapelle ist jetzt Ortskirche und birgt in ihrem Obergeschoß eine Sammlung von Hirsauer Altertümern und Erinnerungen. In der Reformationszeit wurde das Kloster aufgehoben, die Räume dienten später lange einem protestantischen Seminar; das um 1592 erbaute herzoglich württembergische Jagdschloß war ein zierlicher, eleganter Renaissancebau. All der monumentalen Herrlichkeit bereitete Melac 1692 ein furchtbares Ende. Aber wie die Ruinen des Heidelberger Schlosses durch die zauberhafte Schönheit ihrer efeuumrankten Romantik dem deutschen Gemüt einen tieferen und reichhaltigeren Eindruck machen als ein kraftvoller Herrschersitz, so hat es auch die Trümmerwelt von Hirsau Tausenden von bewußten und unbewußten Romantikern unseres Volkes angetan. Wer könnte, den Blick auf das schöne Bild von Hirsau gerichtet, Ludwig Uhlands vergessen, welchem die das Jagdschloß überschattende Ulme so schöne Rhythmen zurauschte?

Abb. 167. Zavelstein.
Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg. (Zu Seite 154.)

Heute ist Hirsau ein sehr besuchter Sommerfrischort. Wer hier zur Erholung weilt, wird sicherlich sein Hauptvergnügen darin finden, in den freundlichen Anlagen der weiträumigen Klosterruine weilend deren Schönheit in sich aufzunehmen und den Geistern längst vergangener Jahrhunderte nachzuspüren.

Liebenzell.

Wieder etwas weiter talabwärts liegt in freundlicher Umgebung das Bad Liebenzell (319 m). Die Thermalquellen haben eine Temperatur von 25–28° C, sie kommen aus dem vom Buntsandstein überlagerten Granit, dem auch die Thermen von Baden und Wildbad entquellen. Daher hat der im weiteren Umkreis bekannte Spruch: „Baden, Wildbad, Liebenzell — kommen all aus einem Quell,“ seine tatsächliche Berechtigung. Vom linken Talgehänge schaut die mächtige, noch gut erhaltene Burg Liebenzell auf Fluß, Dorf und Bad hinab, ein beliebtes Ausflugsziel mit schöner Aussicht (Abb. 172).

Pforzheim.

Die Weiterfahrt nach Norden durch das waldumsäumte, stille Nagoldtal läßt an Weißenstein mit seinem künstlichen, hochüberbrückten Flußdurchstich vorbei durch mehrere Tunnels, deren letzter ins Enztal hinüberleitet, Brötzingen, einen stark bevölkerten (etwa 7500 Einwohner) Vorort der Industriestadt Pforzheim, erreichen, in deren Bahnhof (280 m) unsere Schwarzwaldostgrenze ihren nördlichen Endpunkt findet.

[S. 159]

Abb. 168. Teinach. Auf der Höhe Zavelstein. Nach einer Photographie im Verlag von L. Schaller in Stuttgart. (Zu Seite 154.)


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[S. 160]

Abb. 169. Calw.
Nach einer Photographie im Verlag von L. Schaller in Stuttgart. (Zu Seite 156.)

Das Würmtal.

Pforzheim hat eine hervorragend günstige Verkehrslage. Von der Rheinebene im Westen kommt die bequeme Straße, die den Schwarzwald nördlich umgeht und ihre naturgemäße Fortsetzung ins Schwabenland längs der unteren Enz zum Neckar bei Bietigheim findet. In die Täler der oberen Enz und der Nagold verzweigen sich Nebenstraßen, eine ebensolche folgt der Würm, welche kurz vor der Enz-Nagold-Vereinigung in nächster Nähe der Stadt dem letztgenannten Fluß von Südosten zuströmt. Wenn der Name der Stadt aus Porta Hercyniae abgeleitet wird, so ist das wohl sinn-, aber nicht wahrheitsgemäß. Er kommt vielmehr von Portus, bedeutet Hafen und erinnert an alten und wichtigen Schiffs- wie Floßverkehr. Römische Funde verschiedener Art bezeugen die früh erkannte Bedeutung des Ortes, der im sechzehnten Jahrhundert vorübergehend badische Markgrafen-Residenz war, bis diese nach Durlach verlegt wurde. Heute ist Pforzheim (Abb. 173), dessen Straßen sich vom hochgelegenen Bahnhof 30 m bis zur Enz hinabsenken, mit seinen 69000 Einwohnern die viertgrößte Stadt Badens und einer der wichtigsten Fabrikorte Süddeutschlands. Seine blühende Goldwarenindustrie geht auf das Jahr 1767 zurück, beschäftigt in der Stadt selbst sowie in den angrenzenden Nachbarorten gegen 30000 Arbeiter und erzeugt Waren im Wert von vielen Millionen Mark. An sogenannten Sehenswürdigkeiten bietet die Stadt außer der alten Schloßkirche nicht allzuviel; ihr Charakter ist der eines modernen Gemeinwesens mit lebhaft pulsierendem Geschäftsleben. Das stattliche neue Rathaus, die ebenfalls ganz neue Stadtkirche in dem vor kurzem erst erschlossenen Baugebiet unten an der Enz, Stadtpark und Festhalle sind beredte Zeugen des lebhaften Aufblühens der Stadt. Zahlreiche Ausflugsziele laden zu lohnenden Wanderungen nach allen Seiten ein, so im Norden der nahe Wartberg (377 m) mit seiner weiten Aussicht, im Süden der Kupferhammer an der Vereinigung von Nagold und Würm, und viele andere, unter denen besonders der Ausflug ins Tal des letztgenannten Flüßchens Beachtung finden möge, weil er uns in der gotischen Kirche zu Tiefenbronn wohl die größte Monstranz in Deutschland und einen künstlerisch hochbedeutsamen Altar finden läßt.

[S. 161]

Abb. 170. Hirsau. Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg. (Zu Seite 156.)


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[S. 162]

Der Eisenbahnweg von Pforzheim nach Durlach bietet nichts von Belang für eine Schwarzwaldschilderung. Durlach selbst und die nahe badische Hauptstadt Karlsruhe liegen außerhalb des Rahmens, der hier gesteckt ist, und die Strecke Karlsruhe-Rastatt kann für uns nur insofern von Bedeutung sein, als sie in den Bahnstationen Ettlingen und Malsch wichtige Eingangspforten des Gebirgsteiles erschließt, dessen Inneres noch der Besprechung harrt.

XVIII. Kreuz und quer durch den östlichen Schwarzwald.

Der Höhenweg II. Mahlberg.
A

ls orographische Hauptachse des östlichen Schwarzwaldes muß naturgemäß die unmittelbar über der Murg verlaufende, durch keine nennenswerte Einsenkung unterbrochene Höhenlinie gelten, deren Ostgehänge sich in die Quellgebiete der Unteren Alb — die Obere Alb haben wir im südlichen Schwarzwald kennen gelernt — der Enz und Nagold hinabsenken. Um sie kennen zu lernen, folgen wir in der Hauptsache dem nördlichsten Stücke des Höhenweges II, der zwar nirgends so hoch ansteigt wie die ihm entsprechenden Wegstrecken in den drei westlichen Gruppen unseres Gebirges. Aber an einzelnen entzückenden Fernblicken und an schweigender Einsamkeit prächtiger Waldlandschaften steht er den schon bekannten Höhenwegen nicht nach. Auf lange Wanderstunden berührt er keine menschliche Siedlung, dagegen hat er den Vorzug, daß die Abstiege zu den Raststätten des Murgtales ausnahmslos nur kurz sind. Von Karlsruhe aus wird diese stille Bergwelt viel und gerne besucht. Und es ist ein bedeutender Vorzug der hinsichtlich ihrer allernächsten Landschaftsumgebung etwas stiefmütterlich ausgestatteten badischen Residenz, daß die Bahnen nach Rastatt und ins Murgtal, sowie ins Albtal es mühelos gestatten, in kürzester Frist Hitze, Staub und Lärm der Stadt zu vertauschen mit der kühlen Frische und Ruhe des friedlichen Bergwaldes. Von der 8700 Einwohner zählenden Industriestadt Ettlingen, die mit dem unfernen Karlsruhe durch zwei Bahnlinien verbunden ist, kann über die mitten im Walde versteckten Dörfer Schluttenbach und Völkersbach, und von der Station Malsch kann auf noch kürzerem Wege das luftig auf der Höhe liegende Freiolsheim (500 m) erreicht werden, und dann erfordert der Anstieg zum Karlsruher Turm auf dem Mahlberg (613 m) nur noch geringe Zeit und Mühe. Oben erfreut uns ein weiter, schöner Ausblick über ein Meer von Wald, über das dörferreiche Murgtal gerade zu Füßen, auf die Badener Berge, die Rheinebene, Wasgau und Hart. Bequeme Abstiege lassen die Bahn in Rothenfels oder Gaggenau wieder erreichen. Weiter gelangen wir fast stets der badisch-württembergischen Grenze entlang, die hier sehr weit gegen die Rheinebene vorgeschoben erscheint, zum Sandsteinfelsen des Bernstein (692 m) und zum Käppele (532 m), der Straßenhöhe zwischen Gernsbach und Herrenalb, von wo zum Großen Loch aufgestiegen wird.

Teufelsmühle.

Hohloh.

Hier hat die Sandsteinverwitterung nicht nur die auch sonst weit verbreiteten Blockmeere gebildet, sondern auch zur Entstehung wirklicher Höhlen geführt. Schüsselartige Eintiefungen in die Gesteinsoberfläche erscheinen dem Volke als Wundergebilde und gaben seit alters Veranlassung, die nahe, jetzt auch turmgeschmückte Höhe (907 m) Teufelsmühle zu nennen. Hier gewinnen wir den von Gernsbach heraufkommenden alten Weg, der sich als „Weinstraße“ bis Freudenstadt verfolgen läßt und daran erinnert, daß hier wie anderwärts die Wegbauer früherer Jahrhunderte gern die Täler mit ihren technischen Schwierigkeiten und Gefahren mieden und sich statt ihrer so viel als möglich auf den Höhen hielten. Wir[S. 163] folgen der Weinstraße bis zum Kaiser Wilhelm-Turm auf dem 988 m hohen Hohloh (Abb. 174), der höchsten Erhebung des östlichen Schwarzwaldes und dem nördlichsten Punkte, von dem in seltenen Fällen noch Alpenaussicht nachgewiesenermaßen möglich ist.

Abb. 171. Der Wild- oder Hornsee. Gemälde von Hans Busse. (Zu Seite 164.)


GRÖSSERES BILD

Abb. 172. Partie am Stadtsee von Liebenzell.
Nach einer Photographie des Fremden-Verkehr-Vereins in Liebenzell. (Zu Seite 158.)

Abb. 173. Pforzheim, vom Römerweg gesehen.
Nach einer Photographie im Verlag von Otto Riecker in Pforzheim. (Zu Seite 160.)

Wenn schon oben beim Mahlberg von einem Meer von Wald gesprochen werden konnte, so trifft diese Ausdrucksweise hier in noch viel höherem Grade zu. Wald und[S. 164] nur Wald, soweit das Auge schweift. Meilenweit dehnt sich der Forst nach allen Seiten aus, und nur ganz selten ist er auf kleiner Fläche unterbrochen, wo ein Forsthaus, eine Sägemühle am Bach oder ein kleines Dorf in der Talweitung unten Raum gefunden hat. Die beinahe ganz flache Hochebene ist weitum sumpfig und ausgezeichnet durch die interessante Flora der Hochmoore. Die Latsche hat hier ansehnliche Verbreitung. Der kleine, melancholische Hohlohsee und der ebenso beschaffene Wild- oder Hornsee (Abb. 171), ist nichts als eine etwas tiefere Moorwasser-Ansammlung. In dem nicht weit vom Turm abliegenden großherzoglich badischen Jagdschlößchen Kaltenbronn hat Kaiser Wilhelm II. schon wiederholt geweilt, um von hier aus der Auerhahnjagd obzuliegen.

Die Weinstraße.

Immer auf der Höhe zwischen Enz und Murg, immer im schweigenden Walde zieht die Weinstraße südlich bis Besenfeld (783 m) und weiter bis Freudenstadt. Als wechselvoll kann diese lange Wanderung nicht bezeichnet werden; nur der wird sie in ihrer ganzen Ausdehnung durchführen, der die Menschen einmal recht gründlich fliehen will.

Urnagold. Altensteig.

Nahe bei Besenfeld, wo eine Straße von Schönegründ im Murgtal heraufkommt, liegt Urnagold (822 m) an einem breiten Höhenrücken, von dem die Nagold nach Süden, später nach Osten, und in ganz kurzem Abstand die Enz nach Norden abfließt. Längs der Quellbäche des erstgenannten Flüßchens führen mancherlei Wege, meist zu Zwecken der Holzabfuhr angelegt, durch fast völlig unbewohntes Waldland hinab nach Altensteig (503 m), einem alten Städtchen, das sich steil an der Berglehne hinaufzieht. Der Ort hat heute über 2500 Einwohner, treibt vielerlei Gewerbe, hauptsächlich aber den altüberlieferten Holzhandel und die Flößerei, deren letztes Stündlein auch wohl hier bald schlagen dürfte, wie dies an den anderen Schwarzwaldflüssen längst geschehen ist; besonders lebhaft blüht die Wollfabrikation. Seit eine Nebenbahn nach Nagold hinunterführt, sind auch die Luftkurgäste hier oben eingezogen. Schloß, Stadt und Umgebung kamen wie Liebenzell mit seinem Gebiet erst 1603 durch Tausch von Baden an Württemberg.

Abb. 174. Kaiser Wilhelm-Turm auf dem Hohloh.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 163.)

Berneck.

In einem weiter abwärts einmündenden Nebentälchen liegt das kleine Städtchen Berneck, geschützt von[S. 165] einer nicht großen, aber starken Burg, deren Bauweise geradezu als Lehrbeispiel dienen kann für die Art, wie solche kleine mittelalterliche Befestigungsanlagen hergestellt wurden. Die 3 m dicke Schildmauer ist noch gut erhalten. Ebhausen-Wöllhausen und Rohrdorf mit einem alten Deutschordensschloß haben ansehnliche Tuchfabriken, die für Belebung der Stadt und Eisenbahn in dem sonst weltfernen Waldtal der Nagold bis zur gleichnamigen Stadt hinab nicht unwesentlich beitragen.

Abb. 175. Enzklösterle. (Zu Seite 165.)

Enztal. Wildbad.

Schlagen wir von der Besenfelder Gegend aus der Enz entlang eine nördliche Richtung ein, so kommen wir bald zum Stauweiher des Poppelsees, der früher den Zwecken der Holzflößerei diente; dann lichtet sich allmählich das Tal ein wenig, in Enzklösterle (Abb. 175) zweigen Straßen zum Hohloh und nach Altensteig ab, und immer dem munteren Flüßchen folgend dringen wir allmählich in die Bannmeile von Wildbad ein, dem bedeutendsten, neuerdings lebhaft aufgeblühten Badeort des Königreichs Württemberg.

Wildbad (427 m) ist eine hübsche Stadt von 4100 Einwohnern. Sie liegt zu beiden Seiten der Enz in engem Tal eingeschlossen. Auch hier ist der Tannenwald auf Buntsandsteinboden das herrschende Landschaftselement (Abb. 177). Unter dem Sedimentgestein, das in der Umgebung vielerlei groteske Verwitterungsformen zeigt, ist an der Talsohle da und dort der Granit sichtbar, aus dem die Thermen von 33 bis 37° C hervortreten. Die Badeeinrichtungen im großen und kleinen Badegebäude, im Katharinenstift, sowie in dem prachtvollen und hocheleganten König Karls-Bad (Abb. 176) sind mustergültig und stehen denen in Baden-Baden in nichts nach. Neuerdings sind die in allen Stücken vortrefflichen Badeeinrichtungen noch durch ein Männer- und Frauenschwimmbad in höchst wünschenswerter Weise vervollständigt worden. Die Stadt macht mit ihren öffentlichen Gebäuden, Gasthäusern und Villen besonders in der Umgebung des Kurplatzes, der Trinkhalle und des erst im Sommer 1910 vollendeten prächtigen Kursaalgebäudes, das allen Ansprüchen an erstklassige Etablissements dieser Art reichlich[S. 166] genügt, einen vornehmen Eindruck und bietet alles in reichstem Maße, was Erholungsbedürftige, auch zu den Zwecken der für den Kurgebrauch so unentbehrlichen Unterhaltung und Zerstreuung, brauchen.

Ort und Bad sind alt; der Überfall im Wildbad, den uns Uhland besingt, fällt schon ins Jahr 1367. 1838 ist Thermalwasser in größerer Menge neu erbohrt worden, so daß der moderne Aufschwung sich erst seit dieser Zeit einstellte, gefördert von der Gunst der württembergischen Könige und ihrer Regierung.

Abb. 176. König Karls-Bad in Wildbad.
Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg. (Zu Seite 165.)

Umgebung von Wildbad.

Die schöne Umgebung ist reich an lohnenden Wegen nach allen Richtungen; östlich über die Meisternebene ins Tal der Kleinen Enz und weiter nach Zavelstein, Teinach, Calw, Hirsau, Liebenzell, westlich ins Eyachtal, zum Hohloh und zur Teufelsmühle. Seit zwei Jahren hat Wildbad durch seine Bergbahn ganz bedeutend gewonnen. Diese hat ihren Ausgangspunkt gerade gegenüber dem Kurplatz und führt vom linken Enzufer in westlicher Richtung von 428 auf 724 m zum Sonnenberg hinauf. In halber Höhe und an der Endstation der 750 m langen Linie sind neue Hotels erstanden. Indem die Bahn eine Höhe von 300 m rasch und fast kostenlos gewinnen läßt, ist der Zugang zum Hornsee (912 m) und Hohloh (990 m) ganz wesentlich abgekürzt und erleichtert, ein hoch anzuschlagender Gewinn für die Gäste des mit Recht so hochgeschätzten Kurortes.

Neuenbürg.

Von Wildbad talabwärts führt die Eisenbahn nach Höfen, von wo eine Straße über den hochgelegenen Luftkurort Dobel (712 m) nach Herrenalb abzweigt, dann nach dem hübschen Städtchen Neuenbürg (325 m), das auf einer Berghalbinsel zwischen den Umklammerungen der Enz ganz ebenso gelegen ist wie Wildberg oder die Ruine Waldeck an der Nagold (Abb. 179). Die etwa 150 m höher gelegene Aussichtswarte von Schwann im Westen ist ein gern besuchtes Ausflugsziel. Bald wird nun Brötzingen und Pforzheim erreicht, von wo es sich lohnt, nochmals in die erfrischende Welt von Wald und Höhenluft zurückzukehren, die man eben verlassen hatte.

[S. 167]

Abb. 177. Wildbad. Nach einer Photographie von G. Röbcke in Freiburg. (Zu Seite 165.)


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[S. 168]

Büchenbronner Höhe.

Statt des Talweges, dem wir zuletzt gefolgt waren, schlagen wir nun aber wieder den Höhenweg ein, und zwar den mit der roten Raute bezeichneten, dem wir uns früher von Süden her bis zur Badener Höhe und bis Forbach anvertraut hatten. Um ihn in seiner ganzen Ausdehnung kennen zu lernen, wandern wir ihn von der Goldstadt nach Weißenstein, überschreiten hier die mächtige Brücke über dem künstlichen Nagolddurchstich, steigen dann empor zum luftigen Aussichtsturm auf der Büchenbronner Höhe (611 m), von wo wir das schöne Land überblicken vom Melibokus im Odenwald bis zur Kaiserburg Hohenzollern in der Rauhen Alb, vom Kamm der Vogesen bis zu den Löwensteiner Bergen im Osten von Heilbronn. Dann geht’s südlich weiter über die Höhen von Langenbrand und Schömberg nach Calmbach an der Enz, deren Tal bei Wildbad sofort wieder verlassen wird, um zum Hornsee bei Kaltenbronn und zum Hohloh emporzusteigen, von wo endlich über die schroffen, aussichtsreichen Latschigfelsen hinab Forbach im Murgtal und damit der Anschluß an die Hauptstrecke des großen Höhenweges I im nördlichen Schwarzwald erreicht wird.

Abb. 178. Herrenalb.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 168.)

Herrenalb.

Des Weges von Wildbad nach Dobel und Herrenalb, sowie der Straße von Gernsbach nach Herrenalb ist schon gedacht worden. So erscheint uns Herrenalb von verschiedenen Seiten her bequem zugänglich. Herrenalb (367 m) liegt an der Stelle, wo mehrere Quellflüsse der Alb sich vereinigen, ringsum eingefaßt von waldigen Anhöhen, vor rauhen Winden geschützt, mild und freundlich. Von dem einst reich begüterten Zisterzienserkloster, das wie alle klösterlichen Anstalten in Württemberg schon im Reformationszeitalter aufgehoben wurde, steht noch der Chor und die schöne Vorhalle der Kirche, das sogenannte Paradies, mit ihren gotischen Fensterbögen und zahlreichen Grabdenkmälern. Eine wirkliche Sehenswürdigkeit ist das Grabdenkmal des 1431 gestorbenen Markgrafen Bernhard von Baden. Um das Kloster wuchs allmählich der jetzige Ort (Abb. 178), der alle Bedingungen zu einer Kur- und Heilstätte reichlich besitzt und sich eines lebhaften Besuches Erholungsbedürftiger erfreut. Das meiste tut in dieser Hinsicht die schöne, abwechslungsvolle Umgebung mit ihrem Reichtum von prächtig gepflegten Wegen nach allen Seiten, die einen Sommeraufenthalt überaus angenehm gestalten. Seit nun auch die Eisenbahn das Albtal hinab nach Ettlingen und weiter nach Karlsruhe führt, hat der Besuch dieses lieblichen Punktes eine bedeutende, aber wohlverdiente Steigerung erfahren.

[S. 169]

Abb. 179. Neuenbürg. Nach einer Photographie im Verlag von L. Schaller in Stuttgart. (Zu Seite 166.)


GRÖSSERES BILD

[S. 170]

Abb. 180. Frauenalb.
Nach einer Photographie von Ph. Bussemer in Baden. (Zu Seite 170.)

Frauenalb.

An dem mächtig aufragenden Falkensteinfelsen vorbei fahren wir das stille Waldtal hinab, gelangen nach Frauenalb mit der großen, malerischen Ruine seines ehemaligen Benediktinerinnenklosters (Abb. 180), dann nach Marxzell, einem beliebten Ausflugsziel der Karlsruher, und immer auf waldumsäumtem Wiesenplan weiter nach Busenbach, von wo über die nördlichsten Vorhöhen des Gebirges eine Nebenbahn nach Pforzheim abzweigt, endlich nach Ettlingen, das uns schon bekannt ist, und nun durch die gesegnete Ebene nach dem nahen Karlsruhe. Damit haben wir den Schwarzwald verlassen und rufen ihm einen herzlichen Abschiedsgruß nach.

Schlussvignette

[S. 171]

Literatur.

[S. 174]

Register.

Karte des Schwarzwaldes


GRÖSSERES BILD

Kartenausschnitt, oben links

Kartenausschnitt, oben rechts

Kartenausschnitt, unten links

Kartenausschnitt, unten rechts






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